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Im Aschaffenburger Polizeirevier nahm Hauptkommissar Kruse genervt den Telefonhörer ab, die lauten Vorhaltungen seiner Frau am Morgen hallten ihm immer noch in den Ohren. „Guten Tag, Baumann, Besitzer der Fima Gold-Ideen hier in Aschaffenburg“, stellte sich der aufgebrachte Anrufer vor. „Mit wem spreche ich? Kriminalhauptkommissar Kruse? Also, Herr Kommissar, ich möchte einen Diebstahl bei mir in der Firma anzeigen!“, schrill dröhnte die Stimme in Kruses rechtem Ohr, die Wut des Opfers war auch noch durch das Telefon klar zu spüren. „Heute gegen zwölf Uhr ist unser Tresor ausgeräumt worden!“, schäumte der Anrufer.

„Ist Ihr Laden in der Neuwiesenstraße, Herr Baumann?“, unterbrach ihn Kruse. „Wann sagen Sie, hat der Diebstahl stattgefunden? Gegen zwölf? Das ist aber ein merkwürdiger Zufall. Zur selben Zeit war ich auch in Ihrem Laden und habe einen Ring für meine Frau zum 25. Hochzeitstag gekauft, doch von einem Einbruch habe ich nichts mitbekommen. Die Täter müssen ja ausgesprochen dreist vorgegangen sein. Ich schicke Ihnen zwei Kollegen, die gleich die Anzeige aufnehmen. Die Spurensicherung informiere ich von hier aus. Lassen Sie den Tatort bitte wie er ist, wir wollen doch nichts verwischen. Also, dann, auf Wiederhören, Herr Baumann.“

„Mani, Uwe!“, befahl Kruse, seine Laune hatte sich durch den Anruf nicht gebessert. „Ihr fahrt sofort zum Juwelier in der Neuwiesenstraße 12, nehmt die Diebstahlsanzeige auf und sperrt den Tatort ab. Ich bringe nur noch den Bericht zum Chef und komme dann nach. Den Fall nehme ich ausgesprochen persönlich. Die Täter machten den Bruch, als ich im Laden den Ring für Uschi zum Hochzeitstag ausgesucht habe. Diese Frechheit werden sie noch bitter bereuen. Ich lasse ihnen keine Ruhe, bis sie hinter Gitter sitzen. Fragt nach, ob im Laden eine Videoanlage installiert ist. Wenn wir Glück haben, sind die Täter auf dem Band. Das wäre dann schon mal der erste Anhaltspunkt für die Fahndung. Vielleicht sind sie aber auch in unserer Fotogalerie. Also, worauf wartet ihr, Kollegen!“ Kruse griff sich den Bericht und war schon auf dem Weg zu seinem Chef. „Macht euch schleunigst auf zum Tatort!“, befahl er und überschritt eilig die Schwelle des Büros.

„Wir sind schon weg, Horst. Ich habe noch mit der Spusi telefoniert, sie ist in einer viertel Stunde beim Juwelier!“, rief Oberwachtmeister Klebs Kruse hinterher.

„Komm, Mani, wir fahren jetzt.“

Am späten Abend, die Geschäfte waren besonders gut gelaufen, der Anteil aus den Einnahmen steckte wohl verwahrt in der Brieftasche, betrat der mittelgroße, drahtige Mann im teuren Maßanzug selbstsicher die Spielbank Bad Homburg. Anstandslos, wie immer, passierte er den Einlass, legte den Personalausweis vor, bezahlte den Eintritt, wechselte an der Kasse 5.000 Mark in Jetons zu Werten von 10, 50 und 100. Er war kein Hasardeur, der einkalkulierte Verlust würde nicht wehtun.

Erst schlenderte er gelangweilt durch den Saal, blieb vor dem Black-Jack-Tisch stehen, dann beobachtete er gespannt die Roulettetische des kleinen Spiels. Noch war er unschlüssig, setzte sich an die Bar, bestellte einen Orangensaft, seine Augen wanderten dabei aufmerksam zwischen den beiden Tischen des großen Spiels hin und her. Schließlich streckte er sich, bezahlte, sah sich noch einmal im Saal um, nickte einigen flüchtigen Bekannten freundlich zu und ging zielstrebig zum rechten Tisch. Er setzte sich auf den freien Platz links neben dem Croupier und bat ihn, zwei Jetons auf die 13 zu setzen. „Rien ne vas plus“, ertönte es, die Schüssel kam langsam zum Stehen, die Kugel blieb wahrhaftig auf der 13 liegen. Der gut gekleidete Mann bat, seinen Gewinn stehenzulassen, legte fünf Jetons auf den Tisch. „Für die Angestellten“, lächelte er gelassen. Schnell waren sie weggeharkt, verschwanden im Schlitz für die Trinkgelder.

Das neue Spiel war schon gesetzt. „Rien ne vas plus!“ Das Karussell drehte sich, die Kugel hatte noch kein Ziel. Aufrecht, mit kalter Ruhe saß der Mann auf dem Stuhl, die einzelne Schweißperle bahnte sich ihren Weg von der Stirn zum linken Auge. Er beachtete sie nicht, starrte wie gebannt auf die Rouletteschüssel, die Gedanken konzentrierten sich auf die 13, und wirklich, die Kugel blieb noch einmal auf der Zahl liegen. Er hatte es gewusst, heute war sein großer Tag.

Ein ungläubiges Raunen erhob sich am Tisch. Er ließ sich den Gewinn auszahlen, zählte zehn Jetons ab. „Für die Angestellten“, bedankte er sich.

Der Mann hatte sich kaum erhoben, als ein befrackter Herr, Beauftragter der Spielbank, vor ihm stand.

„Ich helfe Ihnen“, sagte er, hielt dem Mann das Tablett für die gewonnenen Jetons hin, dann begleitete er ihn zur Kasse.

„Möchten Sie einen Scheck oder lieber Bargeld?“, fragte der Kassierer und begann die Jetons zu zählen.

„Wenn Sie mir eine Tasche überlassen könnten, würde ich heute einmal Bargeld vorziehen“, lächelte der Mann.

„Ihre Jetons haben den Gegenwert von 244.000 Mark.“ Der Kassierer schrieb die Anweisung. „Folgen Sie bitte dem Herrn ins Büro, dort wird alles zu Ihrer Zufriedenheit erledigt“, sagte er und schob die Anweisung durch das Kassenfach.

Fünfzehn Minuten später verließ der gut gekleidete Mann mit einer unauffälligen, ledernen Aktentasche in der linken Hand die Spielbank und kletterte in das vom Haus bestellte Taxi.

Nach einer halben Stunde stummer Fahrt hatte er das Ziel erreicht, ließ den Wagen aber einige Ecken früher halten und ging den Rest des Weges zum Haus seiner Freundin zu Fuß.

Helgas ewige Vorwürfe kann ich heute überhaupt nicht vertragen. Den Rest der Nacht will ich genießen, dachte er, schloss die Wohnungstür leise auf, horchte im Flur angestrengt nach Geräuschen, die ihm verraten könnten, ob seine Freundin und seine Tochter noch wach wären. Doch alles blieb still. Er ging in die Küche, zog eine Plastiktüte aus der Schublade, entnahm der Aktentasche das Geld, wickelte es in die Tüte, legte sie zurück in den Tiefkühlschrank zu den anderen eingefrorenen Lebensmitteln.

Er blieb am Küchentisch sitzen, bis seine Gedanken zur Ruhe kamen. Danach verließ er geräuschlos die Wohnung, lief auf der nächtlichen Straße bis zur Telefonzelle an der Kreuzung und rief sich ein Taxi.

Er wartete an der Ecke der menschenleeren, ruhigen Straße einige Minuten, dann betrat er wieder die Zelle und telefonierte noch einmal. „Ich bin´s“, flüsterte er in den Hörer. „Ich weiß es ist schon spät, aber ich bräuchte dich für zehn Minuten. So wie immer. Gut, das ist fein. Ich bin in einer halben Stunde bei Boris.“

Das Taxi kam, und die Nacht, wenn alles klappte, würde heute lange kein Ende nehmen.

Als er aus dem Wagen stieg, schnell die Kneipe betrat, war am großen Tresen um diese Zeit kein einziger Platz mehr frei. Der Mann schaute sich in Boris Pinte um, schien den Gesuchten aber nicht gefunden zu haben. Er schlenderte bis zum Ende der Kneipe, setzte sich an den letzten freien Tisch. Heute waren keine Freunde von ihm zu sehen, nur einigen flüchtigen Bekannten nickte er verhalten zu.

„Ein großes Bier bitte“, bestellte er, ließ dabei aber die Eingangstür nicht aus den Augen. Schnell wurde das Bier gebracht. Er nahm einen tiefen Schluck, schielte immer wieder ärgerlich zur Uhr hinter dem Tresen. Die Minuten verstrichen, der gut gekleidete, jetzt klein wirkende, drahtige Mann wurde unruhig. Schließlich riss ihm die Geduld, er griff zum Telefon, das der Wirt ihm mürrisch über den Tresen schob, aber nur der Anrufbeantworter meldete sich. Wütend beendete er das Telefonat. Noch zehn Minuten, dachte er, da klingelte plötzlich der Apparat in seiner Hand. „Ja, wo bleibst du denn?“, blaffte er. „Ich sitze hier seit über einer halben Stunde und warte auf dich. Fünf Minuten sagst du? Schaffst du das auch? Gut ich warte, aber nicht länger!“ Zornig drückte er die rote Taste. „Noch ein Bier“, bestellte er und ging zurück an den Tisch. Bevor es gebracht wurde, winkte ihm jemand an der Tür gelassen zu. Sofort legte der Mann einen Zehnmarkschein auf den Tisch und bahnte sich den Weg durch die gedrängt in Zweierreihen stehende Menschenmenge. Als er endlich vor der Tür stand, blendeten zwei Scheinwerfer kurz auf, der Mann lief auf die andere Straßenseite und stieg gleich in den großen, schwarzen BMW. „Spät kommst du, doch du kommst. Deine ständige Unpünktlichkeit geht mir langsam auf die Nerven. Los, lass uns eine Runde fahren!“, schimpfte der Mann.

Der Autofahrer tat, wie ihm geheißen, verließ das belebte Bahnhofsviertel, fuhr in Richtung Alte Oper, dann über den Ring auf die Friedberger Landstraße und kam erst am Bethmannpark zum Stehen. „Ich wusste nicht genau, wie viel du haben wolltest“, brach er das gespannte Schweigen. „Ich habe vorsorglich zehn mitgebracht, fünf sind schon zerstoßen. Die kannst du gleich in den Spender füllen, die anderen fünf sind noch am Stück. Ich hatte keine Zeit, sie dir mundgerecht zu zerkleinern, entschuldige, nasengerecht, muss es ja richtig heißen“, lachte der Autofahrer schief.

Der Mann zog aus dem dicken Geldbündel zwei Tausender und einen Fünfhunderter und steckte sie unauffällig dem Fahrer zu. Im Gegenzug gab er ihm die zwei Tütchen, das eine gefüllt mit weißem Pulver, im anderen steckte der dicke, unberührte Brocken.

Der Mann knickte den Hunderter in der Mitte, schüttete etwas vom Pulver in die Pfalz, zog es durch das goldene Röhrchen in die Nase. „Das Zeug ist gut, riecht herrlich nach Katzenpisse“, lächelte der Mann entspannt. „So viel Zeit muss sein.“ Er füllte den Spender randvoll mit weißem Pulver, legte den kleinen Hebel in die Mittelstellung, stellte das Behältnis schwungvoll auf den Kopf, gleich wieder zurück, dann drehte er den kleinen Hebel nach oben und zog durch den Wirkstoffkanal des Spenders eine kräftige Portion in beide Nasenlöcher. „Du brauchst mich nicht zurück zum Bahnhof fahren. Ich laufe lieber zu Fuß in die Altstadt. Ein bisschen frische Luft wird mir gut tun.“ Der Mann stieg umständlich aus dem Auto. „Ich rufe dich morgen an. Danke, dass du so spät noch gekommen bist.“ Der Mann schlug die Beifahrertür zu, und das Auto verschwand schnell in Richtung der Friedberger Warte.

Er lief beschwingt, mit strahlenden Augen auf den Main zu. An der Kreuzung Berliner Straße bog er nach links in die Altstadt, auf dem Weg dorthin zog er noch einige Male das weiße Pulver aus dem Spender durch die Nase. Unwiderstehlich fühlte er sich, überschritt die Schwelle der vergitterten Holztür unter der hell leuchtenden Lichtreklame, und als er den „Mond von Habana„ betrat, hüllte ihn gleich der typische Geruch der überfüllten Kneipe sanft ein. Er setzte sich zufrieden an den Tisch. Die Männer und Frauen begrüßten ihn stürmisch, waren sie doch Freunde oder gute Bekannte. Gleich bestellte er für alle ein Glas Bacardy-Cola. „Heute Nacht“, warf er in die fröhliche Runde. „Heute Nacht können wir unbesorgt feiern. Die nächsten drei Tage muss ich nicht arbeiten. Mein Chef hat mir endlich einmal freigegeben.“ Heimlich steckte Wolfi Wagner unter dem Tisch seinem Freund Reinhard Amper das Tütchen zu.

Sehen will gelernt sein

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