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Die Sinnfrage und die Psychologie

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In dieser Orientierungslosigkeit wenden sch die Menschen heute – abgesehen davon, dass sie alle möglichen Mythen wieder ausgraben oder neu erfinden und Zuflucht bei fremdartigen Religionen oder, ganz modern, quasi natürlichen „Identitäten“ suchen – vor allem an die Psychologie und Psychotherapie. Sie suchen dort zwar nicht unbedingt die große Erzählung, aber doch zumindest eine kurz- oder mittelfristige Orientierung, kleine Erzählungen sozusagen, die den vielfältigen Problemen des Alltags bis hin zu Krankheiten einen sinnstiftenden Rahmen geben, zumindest für eine gewisse Weile. Sie stellen, mal explizit, mal mehr implizit, Fragen wie die folgenden:

Warum leide ich, woher kommen meine Probleme, wie kann ich sie überwinden? Wie kann ich besser, glücklicher, erfolgreicher werden, mein Leben besser in den Griff bekommen, eine bessere Beziehung haben? Mit meiner Familie, meinen Eltern wie meinen Kindern besser klarkommen? Wie meinen Stress reduzieren oder mich vor Krankheiten schützen? Kann ich das überhaupt? Was bedeutet meine Krankheit, meine Behinderung, mein Unfall? Was will mir der Tod meines Mannes oder meiner Frau oder meines Kindes sagen?

Zwar ist das oft rein technisch gemeint (der Therapeut soll das Problem wegmachen), aber dahinter schwingen, wenn man genau hinhört, die großen Fragen mit. Manchen sind sie bewusst, manchen nicht oder nur halb, aber sie sind immer mit dabei: Wer oder was bin ich? Wozu existiere ich? Was hat das alles für einen Sinn? In zigtausenden von Workshops und Beratungszimmern suchen Millionen Menschen nach Antworten – noch in meiner Kindheit und Jugend in den 1950er und 60er Jahren wäre dies undenkbar gewesen. Obwohl die Generation meiner Eltern und deren Familien zwei schreckliche Kriege zu verarbeiten hatte, kam kaum jemand auf die Idee, die Wochenenden in psychologischen Seminaren zu verbringen, und zum Psychotherapeuten ging auch so gut wie niemand, der nicht ernsthaft psychisch krank war, also an einer Schizophrenie oder schweren Depression litt und vom Arzt mehr oder weniger in eine „Anstalt“ gezwungen wurde. Heute sind nicht nur die Praxen der ärztlichen und psychologischen Kassentherapeuten hoffnungslos überfüllt, sondern Menschen aus allen Schichten, vom Manager oder der Ärztin bis zum Handwerker und zur Bauersfrau, vom Millionär bis zum Harz IV-Empfänger, suchen Rat, Hilfe und Lebenssinn in Workshops aller Couleur, und nicht wenige darunter lassen sich selbst zum psychologischen Lebensberater ausbilden, weil die Nachfrage danach rasant steigt. Wenn ich sage, die großen Fragen schwingen dahinter mit, dann heißt das auch, dass sich die Psychologie diesen Fragen stellen muss, wenn sie das, was die Zeit an sie heranträgt, beantworten will. Tut sie dies nicht, wird sie ihrer Ver-Antwortung nicht gerecht, denn sie antwortet dem Leben nicht. Viele der Menschen, die zu uns kommen, suchen nämlich im Grunde nach einer neuen großen Erzählung, einer Erzählung, die ihnen eine Richtung für ihr Leben weist, indem sie dem, was ihnen widerfährt, einen sinnhaften Rahmen gibt.

Die Theologie kann diese Antwort nicht mehr geben, die Philosophie auch nicht, denn die Vernunft ist genauso tot wie Gott. Was bleibt, ist die Psychologie. Allerdings keine „wissenschaftliche“ Psychologie, keine, die dem Vorbild der Naturwissenschaft nacheifert, denn Wissenschaft kann keine Sinnfragen beantworten.

Die Welt, in der wir leben

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