Читать книгу Also sprach Corona - Wilfried Nelles - Страница 12

Mauern

Оглавление

Das Kloster habe ich immer gemieden, obwohl es immer ganz nah war. Ich wäre auch nie freiwillig in ein Kloster gegangen, auch nicht zu einem Meditationsretreat wie manche meiner Freunde. Das hat sicher mit meiner Geschichte zu tun. Bis Napoleon sie befreite, waren meine Vorfahren in Marmagen, einem kleinen Eifeldorf, Leibeigene des Klosters Steinfeld. Das waren ihre Mauern, über die sie nicht hinwegkonnten. Dafür, dass sie für die frommen Brüder schufteten, bekamen sie allerdings auch etwas Wertvolles: Schutz und Schulbildung.

Schutz, weil die Äbte in Steinfeld keine Fanatiker waren, so dass ihre Schutzbefohlenen in Marmagen nicht auf dem Scheiterhaufen der Hexenverbrennung landeten, denen in den umliegenden Dörfern noch im 17. Jahrhundert viele hundert Menschen beiderlei Geschlechts zum Opfer fielen – die Grafen waren in dieser Hinsicht schlimmer als die Mönche. Die Vernichtung derer, die man des Paktes mit dem Teufel bezichtigen konnte, diente ihnen zur Disziplinierung ihrer Untergebenen.

Bildung, weil sie lange vor der allgemeinen Schulpflicht in deutschen Landen in dem kleinen Ort eine Schule mit einem vom Kloster abgestellten Magister Ludi betrieben. Einer davon hieß Leo Heinrich Bönickhausen und war wohl ein Urahn des Eifelturmerbauers Gustave Eiffel, der ursprünglich Alexandre Gustave Bonickhausen dit Eiffel, genannt Eiffel, hieß und den ursprünglichen Namen Bonickhausen dann im Namensregister austragen ließ. Diese Geschichte scheint sich bis in die Gegenwart hinein auszuwirken, denn der Ort hat immer noch einen vergleichsweise sehr hohen Bildungsstand.

Bis heute ist der Orden in Sachen Bildung engagiert, und da dort das nächstgelegene Gymnasium war, bin ich mit elf Jahren nach Steinfeld aufs Gymnasium gegangen. Das Kloster, das die Schule betrieb und innerhalb dessen weitläufigen Außenmauern sie stand, habe ich aber während meiner gesamten Schulzeit kaum betreten. Lediglich in der Bibliothek habe ich mich, wenn wir im Winter mehr als eine Stunde auf den Bus warten mussten, mit dem wir nach Hause fuhren, oft aufgehalten. Meine Freiheit war mir damals schon heilig, das Heilige hinter den Klostermauern fand ich eher bedrückend.

Auch als ich gut zehn Jahre nach meinem Schulabschluss eine ganz andere Art von Kloster betrat, den indisch-westlichen Ashram von Osho, der damals noch Bhagwan Shree Rajneesh hieß und in der deutschen Presse als Sexguru und Sektenführer verteufelt wurde, habe ich dies nur als gelegentlicher, kurzzeitiger Besucher getan. Ich bin im Rahmen meiner damaligen Forschungsarbeit auf ihn aufmerksam geworden, und als ich mich näher damit befasst habe, erschien er mir als eine Gestalt wie einst Jesus, und so jemanden musste ich unbedingt persönlich erleben. Auf die Lehre habe ich mich ganz eingelassen, auf den organisatorischen Rahmen, in dem sie gelehrt und gelebt (in meinen Augen oft auch nicht gelebt) wurde, nur so weit wie unbedingt nötig. Die Atmosphäre dort war zwar eine ganz andere als in jeder Art von religiöser Einrichtung, die ich kannte, alle schienen sich vollkommen frei und ungezwungen zu fühlen und zu verhalten, Lachen, pulsierendes Leben mit Tanz, freier Liebe und ebenso freier Sexualität, die aus dem Moment der Begegnung entstanden und ebenso spontan wieder enden konnten, wechselten sich ab mit tiefer Stille, die nicht erzwungen war, sondern von innen kam – aber auch diesen in vielerlei Hinsicht ganz unklösterlichen und freiheitlichen Ashram, der sich später progressiv-westlich »Commune« nannte, umgaben unsichtbare, für mich aber wahrnehmbare Mauern, sodass ich mich nie ganz hineinbegeben habe.

Meine Freiheit war mir immer kostbarer als alles andere – außer der Liebe und der Wahrheit. Für die war ich auch bereit, die Freiheit aufzugeben, denn in der Liebe und der Wahrheit, das habe ich wohl intuitiv gewusst, ist man immer frei. Das habe ich auch bei Osho immer gespürt, aber nicht in der Organisation, die ihn umgab. Immerhin habe ich dort entdeckt, dass es ein Innen in mir selbst gibt, einen Ort der Stille, der nicht von Mauern umgeben ist, mein inneres Kloster sozusagen. Nach vielen Jahren ist mir dieser Ort recht vertraut geworden, und wenn ich mich dort aufhalte, kann mir der äußerliche Lärm nichts anhaben.

Jetzt sitze ich also in meinem Corona-Kloster und versuche, zu hören, was uns die Göttin zu sagen hat, und es zusammen mit dem, was dabei in und mit mir geschieht, aufzuschreiben.

Also sprach Corona

Подняться наверх