Читать книгу Also sprach Corona - Wilfried Nelles - Страница 7
ОглавлениеCorona spricht
Wahrheit und Wissenschaft
Ich spreche zu denen, die die Wahrheit wissen wollen. Ich bin einer ihrer Boten. Früher gab es, die Gebildeten unter euch müssten das noch gelernt haben, Götterboten, sie hießen Mercurius bei den Römern und Hermes bei den Griechen, sie brachten den Menschen die Wahrheit. Heute sind das Namen von Marken oder Unternehmen, sie liefern euch zum Beispiel Waren. Das zeigt, wer bei euch die Götter sind und wo sie heute wohnen.
Die Wahrheit findet ihr nicht in der Wissenschaft. Sie liefert euch nur Daten. Daten sind auch Waren, sie können sehr nützlich sein, aber mit der Wahrheit haben sie nichts zu tun. Die Wissenschaft will von der Wahrheit nichts wissen. Man kann sie nämlich nicht greifen, nicht besitzen. Die Wissenschaft interessiert sich nur für das, was man greifen kann, wenn nicht mit den Händen, so doch mit Mikroskopen, Teleskopen oder Computern. Deshalb bin ich nur ein Virus für sie, das ist das, was man sehen kann. Dass ich ein Wahrheitsbote bin, kann man mit dem Mikroskop nicht erkennen. Man kann es nur erkennen, wenn man sich von mir treffen, von mir berühren lässt. Diese Berührung kann geistig sein, sie kann auch physisch sein. Wenn sie physisch ist, macht sie euch krank, und einigen bringt sie vielleicht den Tod. Das ist auch eine Wahrheit, aber nur für den, der sie erkennt. Die anderen werden einfach nur krank oder sterben. Auch darin liegt eine Wahrheit, eine physische – die könnt ihr sehen und fühlen – und eine geistige – die kann man nur erkennen.
Weil sie die Wahrheit nicht greifen können, behaupten manche Wissenschaftler, es gebe sie nicht. Andere sind bescheidener, sie sagen, wir können darüber nichts sagen. So ist es.
Früher haben die Priester die Wahrheit verkündet. Sie kannten sie zwar auch nicht, aber sie haben etwas anderes behauptet. Das haben die meisten von euch durchschaut, ihr glaubt ihnen nicht mehr. Jedenfalls nicht ihr in Europa. Ihr habt erkannt, dass jeder, der behauptet, die Wahrheit zu haben, eine andere Wahrheit hat – Juden, Christen, Moslems, Hindus, Buddhisten und viele andere: Jeder besteht auf seiner Wahrheit. Einige töten sogar dafür. Es kann ja keine zwei Wahrheiten geben, also muss eine getötet werden, damit man die eigene behalten kann.
Über solche Dinge spreche ich nicht, das hat nichts mit Wahrheit zu tun. Die Wahrheit, auf die ich euch hinweise, ist kein Ding, das jemand besitzen kann. Wenn sie ein Ding wäre, hätte eure Wissenschaft sie längst entdeckt. Sie ist das Unbenennbare, das in allem wirkt, was ist, das Innere, die Seele von allem. Sie ist das, was euch sehen lässt, euch fühlen und euch wissen lässt, dass ihr fühlt und seht. Sie ist auch das, was den Wissenschaftler etwas wissen lässt, das, was in ihm wirkt, aber nicht vor ihm ist, nicht vor oder in seinem Mikroskop, sondern in dem, der durch das Mikroskop schaut.
Da die Wahrheit nicht vor euch liegt, sondern in euch ist, und zwar nicht als Gegenstand, sondern als das Sehende, Erkennende oder Wirkende in euch, könnt ihr sie nicht finden, wenn ihr sie sucht. Aber ihr schaut in die falsche Richtung, wenn ihr nach der Wahrheit sucht. Das Auge kann nur das sehen, was vor ihm liegt oder steht, es kann aber nicht sich selbst sehen, es kann nicht das Sehen und den Sehenden sehen. Ich, Corona, bin zwar schwer zu fassen, aber irgendwann werden eure Wissenschaftler alles über mich wissen, was es braucht, um mich in Schach zu halten. Die Wahrheit ist nicht zu fassen, nie.
Die Wahrheit kommt zu euch. Tatsächlich ist sie immerda, ihr könnt sie nur nicht sehen, solange ihr sie sucht, denn ihr sucht immer im Außen. Selbst wenn ihr in euch hineinschaut, schaut ihr noch wie nach außen. Ihr seid aber das, was ihrsucht, ihr seid die Wahrheit. Sie ist kein Gegenstand, den man finden kann, sie ist der Sehende, das Auge, das sieht, und der Geist, der erkennt, dass das Auge sieht. Ich, Corona, bin einer ihrer Boten, wenn ihr meine Ankunft bei euch als Gelegenheit nehmt, euch selbst in mirzu sehen. Ich bin euer Spiegel, der Spiegel, in dem ihr euch sehen könnt. Wenn ihr euch im Spiegel seht, blickt euch die Wahrheit, eure Wahrheit, entgegen. »Eure Wahrheit« – nicht als euer Besitz, sondern als das, was ihr seid. Wie in einem gewöhnlichen Spiegel: Wenn man hineinschaut, sieht man sich selbst. Ich zeige euch nicht euer äußeres, sondern euer inneres Gesicht. Das ist das, was ich die Wahrheit nenne.
Die Welt als Spiegel
Die meisten von euch werden noch nie darüber nachgedacht haben: Wenn es keine Spiegel gäbe, wüsstet ihr nicht, wie ihr ausseht. Niemand würde sein Gesicht kennen, denn ohne Spiegel könnt ihr euch nicht sehen. Noch nicht einmal euer äußeres Gesicht. Ihr wüsstet nicht, wie eure Nase aussieht, euer Mund, geschweige denn eure Augen. Das Auge, das sieht, kann sich selbst nicht sehen – es sei denn, in einem Spiegel.
Auch der Geist, der erkennt, kann sich selbst nicht erkennen – es sei denn in einem Spiegel. Dieser Spiegel ist die Welt. Man muss aber sehen, dass sie ein Spiegel ist, man muss sehen, dass das, was man in diesem Spiegel sieht, nicht in oder hinter dem Glas ist, sondern dass es die Spiegelung von einem selbst ist. In eurer gewohnten Welt seht ihr das nicht, deshalb müssen Ereignisse wie ich geschehen, um euch aufzurütteln. Ihr schaut hinein und meint, was ihr dort seht, sei die Welt da draußen. Das ist so, als ob ihr vor einem Glasspiegel steht und meint, die Gestalt, die ihr dort seht, sei im Spiegel. So sehen kleine Kinder sich, wenn sie in einen Spiegel schauen: Sie glauben, dort in dem Spiegel sei ein anderes Kind. Dass sie selbst das sind, lernen sie erst mit zwei, drei Jahren – und wenn die Eltern es ihnen nicht sagen würden, würde es noch viel länger dauern.
Alles, was ihr in mir seht, seid ihr selbst. Deshalb sage ich, ich bin ein Wahrheitsbote. Was ich euch hier zu sagen habe, sind nur ein paar Fingerzeige. Sie sollen euch auf die Wahrheit hinweisen, aber sie sind nicht die Wahrheit. Am Ende muss jeder selbst in den Spiegel schauen.
Wer ich bin
Wie es sich bei euch gehört, stelle ich mich zunächst einmal vor. Ihr habt mir zwar einen Namen gegeben und denkt vielleicht, ihr kennt mich, aber wenn ich mir eure Reaktionen auf mein Eintreffen bei euch so anschaue, habe ich den Eindruck, dass ihr kaum etwas über mich wisst.
Ich beginne beim Wichtigsten: Ich komme aus der Natur, genauer: Ich bin ein Stück Natur. Ich bin genauso ein Stück Natur wie das Rad eines Pfaus, der Flug und das Zwitschern eines Vogels, die Bewegungen eines Eichhörnchens, der Stich eine Wespe, der Biss einer Schlange, der Gesang der Wale, ein Gewitter, ein Erdbeben oder ein Sonnenaufgang. Genau wie ihr. Ihr seid ebenfalls ein Stück Natur. Wenn ihr Maschinen wärt – ich sehe, dass das euer Traum ist, jedenfalls ist es das, worauf euer gesamtes Wissenschaft- und Technikprogramm hinausläuft –, also: Wenn ihr das bereits geschafft hättet, dass ihr wie Maschinen unabhängig von der Natur funktionieren würdet, könnte ich euch nichts anhaben. Dafür wären dann meine künstlichen Verwandten, die ihr auch schon gezüchtet habt und kräftig weiter züchtet, die Computerviren, zuständig. Ich komme noch darauf zu sprechen.
Ich bin ein richtiges, ein natürliches Virus, ich bin so alt wie die Welt, und ich werde existieren, solange die Welt existiert. Das könnt und werdet ihr nicht ändern, auch dann nicht, wenn ihr der Aufforderung von Bill Gates folgt, eure Impfstoffe bis ins letzte, entlegenste Dorf der Erde zu bringen, um mich, wie er sagt, komplett »auszurotten«. Bis ihr dort seid, habe ich mich schon längst wieder verwandelt. Ich war sogar schon vor eurer Erde da, manche von euch sagen, wir seien bereits in der Ursuppe geschwommen. Ob das nun stimmt oder nicht: Ich gehöre genauso zur Erde wie ihr.
Wir Viren sind sehr primitive Lebewesen oder noch nicht einmal das – es ist schon bezeichnend, dass eure Virologen noch nicht einmal wissen, ob wir Lebewesen sind oder nicht. Die einen sagen dies, die anderen jenes. Wie das so ist in der Wissenschaft. Einige meinen ja, man müsste unbedingt auf sie hören, dabei weiß sie überhaupt nichts Genaues. Alles nur Vermutungen. Ich weiß es übrigens auch nicht, aber mir ist es egal. Ich bin, das ist alles.
Vielleicht bemerkt ihr es: Wenn ich »ich« sage, meine ich nicht dasselbe wie ihr. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen »ich« und »wir«, deshalb sage ich mal dies, mal jenes. Das, was ihr eine Person oder sogar ein Individuum nennt, kenne ich nicht. Ich bin immer viele, ein riesiger Schwarm, und ich ändere dauernd meine Identität. So überlebe ich. Deshalb könnt ihr mich auch nicht vernichten, in der einen oder anderen Gestalt tauche ich wieder auf. Das könntet ihr übrigens von mir lernen: Wenn ihr euch nicht mit der jeweiligen Gestalt, in der ihr erscheint, also mit dem, was ihr »mein Ich« oder so nennt, verwechseln würdet, wüsstet ihr, dass ihr unsterblich seid. Dann hättet ihr auch nicht eine solche Angst vor mir. Aber das versteht ihr wahrscheinlich nicht.
Natur
Also: Ihr seid Natur, und ich bin Natur. Ihr wollt von eurem Natursein aber nichts mehr wissen. Seit ihr die Macht des Denkens entdeckt und mit eurer Wissenschaft ein paar Dinge über das Funktionieren der Natur herausgefunden habt, glaubt ihr, ihr stündet über der Natur, ihr hättet sie so gut wie endgültig im Griff, und sie könnte euch nichts mehr antun. Und dann komme ich, so ein unverschämtes winziges Virus, bringe euer ganzes Leben durcheinander, und ihr wisst auch nach fast einem Jahr noch so gut wie nichts über mich, obwohl sich all eure Virologen auf mich stürzen.
Wenn ich so etwas wie »unverschämt« sage, imitiere ich eure Sprache. All die Attribute, die ihr mir anhängt – böse, schrecklich und so weiter –, haben mit mir nichts zu tun. Ich bin völlig neutral, ich existiere einfach. Dass ich für euch gefährlich bin, ist eine andere Sache. Das ist nun einmal so in der Natur: Einer existiert für den anderen, einer lebt vom anderen, einer stirbt für den anderen, des einen Leben ist des anderen Tod, des einen Tod erhält den anderen am Leben. Das ist das, wovon ihr so viel redet, was ihr aber kaum versteht, nämlich Ökologie.
Habt ihr euch schon einmal klargemacht, dass ihr von Steinen nicht leben könnt? Leben ernährt sich immer von anderem Leben. Das heißt auch, es ernährt sich vom Tod anderer Lebewesen, das Leben geht sozusagen von dereinen Lebensform in eine andere über. Das, was ihr in der Nahrung aufnehmt und was euch tatsächlich am Leben erhält, sind nicht die Inhaltsstoffe, die Vitamine und Mineralien, und was ihr sonst noch alles in eurer Nahrung mit eurer Wissenschaft isoliert; was euch am Leben hält, ist das Leben in diesen Stoffen. Was dieses Leben ist, weiß eure Wissenschaft aber nicht. Sie kennt nur das, was man messen kann, nur das, was eine Substanz hat. Das Leben hat aber keine Substanz.
Zwischen uns Viren und euch Menschen oder Tieren ist es aber noch etwas anders: Wir leben von euch, haben aber nichts davon, wenn ihr sterbt. Wir brauchen euch lebendig, um selber existieren zu können. Wir können uns nämlich nicht selbst vermehren, dazu brauchen wir euch. Ihr macht das für uns, und wenn ihr Pech habt, sterbt ihr dabei, und wir sterben dann mit euch. Für euch wie für uns ist es daher am besten, wenn ihr euch an uns gewöhnt. Denn ich lebe nicht nur von euch, sondern ihr lebt auch von mir – mit »mir« meine ich jetzt meine ganze Sippschaft. Ohne uns Viren würdet ihr nicht existieren, und ihr könnt auch heute nicht ohne uns leben. Ich sage das an die Adresse derjenigen, die meinen, sie müssten uns vernichten. Abgesehen davon, dass ihr das nie schafft, ist es auch ganz unnötig. Mit der Zeit werdet ihr euch an mich gewöhnen wie an die anderen aus meinem Stamm, es bleibt euch gar nichts anderes übrig. Ich bin da und werde nie mehr verschwinden. Je schneller ihr das versteht, umso besser könnt ihr euch auf mich einstellen, und umso besser können wir schließlich miteinander auskommen.