Читать книгу Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler - Страница 6

Оглавление

2 Mission in Algerien

Nach einem halben Jahr in der Ferne, in Afrika, hatten beide genug. Es waren nicht alleine die Entbehrungen und die sengende Sonne, die ewige Hitze, Tag und Nacht. Die Ordensregeln gründeten auf der Missionierung; sich in Sprache und Kleidung den lokalen Menschen anzupassen und ihre Kultur zu respektieren, das war für jeden im Orden selbstverständlich. Leider wurden sie selbst unter den Mitbrüdern nicht automatisch akzeptiert, ja, eigentlich überhaupt nicht richtig aufgenommen. Nein, man ließ die beiden einfach nicht in Ruhe, schikanierte sie ohne Grund oder, was noch schlimmer war, man beachtete sie kaum in der Gemeinschaft. Sie wurden links liegen gelassen, als ob sie überhaupt nicht da wären. Sie spürten sehr wohl, dass sie die einzigen Nichtfranzosen unter den Brüdern in diesem spartanischen Ordenshaus waren. Und um es auf den Punkt zu bringen, sie waren eben Deutsche!

Die Animositäten gegen die Grenznachbarn waren seit dem verlorenen ‚Siebziger Krieg’ vor zwanzig Jahren immer noch sehr lebendig. Das linderte offensichtlich auch nicht ihre Ordenszugehörigkeit und die gemeinsame Aufgabe im Glauben. Der Verlust von Elsass und Lothringen war für den Nationalstolz der Franzosen sehr bitter, dass Kaiser Napoleon ein Gefangener der verhassten Preußen wurde, war einfach nicht hinnehmbar. Der größte Hohn, der schlimmste Affront war aber die Krönung des preußischen Königs zum deutschen Kaiser in ihrem nationalen Heiligtum ihrem Versailles dem Sinnbild regaler französischer Würde. Welch ein Skandal, schlimmste Provokation für ihre große, stolze Nation! Die deutsche Eitelkeit – wie sie es empfanden - war unverständlich. Nur sie, die Franzosen, hatten so herausragende Ingenieure, wie ihr Ferdinand de Lesseps, Erbauer des international gefeierten Suez-Kanals; und natürlich den unvergleichlichen, wundervollen Gustave Eiffel, der seiner Nation und der ganzen Menschheit erst kürzlich in Paris mit seinem stählernen Turm ein neues Wahrzeichen gesetzt hatte. Wer in aller Welt konnte da mithalten, doch schon gar nicht die Deutschen!?

»Connie,« so nannte Caspar seinen älteren Bruder häufig, besonders, wenn er ihn ganz persönlich brauchte. »Connie, wie soll das nur weitergehen, was machen wir bloß?«

Kopfschüttelnd stand Cornelius vor seinem beinahe gleichgroßen Bruder und biss sich auf die Unterlippe. »Nur nicht so schnell aufgeben,« knurrte er, »die denken doch wohl nicht, wir sind hierher geschickt worden, um aus ihrem Département eine deutsche Kolonie zu machen.« Dabei wusste er zu gut, dass die Suche nach überseeischen Gebieten gerade jetzt in der Heimat groß in Mode gekommen war. Das wirtschaftlich rasch aufblühende Deutsche Reich, mitten in Europa, beanspruchte einen Platz unter den Weltmächten für Handel und Absatzmärkte, besonders aber den Zugriff auf billige Rohstoffe. Viele Jahre später, und in einem ganz anderen Erdteil, sollte sich Cornelius mit dieser Tatsache noch intensiv auseinander zu setzen haben.

Im Augenblick mussten sie aber eine Entscheidung treffen. »Wir brauchen einen Weg, um denen zu beweisen, dass wir zur Gemeinschaft gehören wollen, wir sie benötigen, sie uns aber auch,« gab Cornelius seinem Bruder zu bedenken.

»Connie, das haben wir doch alles schon versucht. Sie haben einen Wall um uns aufgetürmt, da kommen wir einfach nicht drüber. Ich bin mir auch todsicher, die Brüder sind furchtbar eifersüchtig auf dich, denn du könntest ja schon längst mit deinen jungen Jahren Priester sein und uns allen die Messe lesen, wenn der Bischof dir nur die Weihe geben würde. Aber er ist ja auch Franzose und zudem weit weg.«

»Da hast du vollkommen Recht Caspar, das Versprechen, von dem unser Vater beim Abschied sprach haben sie in den letzten Monaten ja überhaupt noch nicht einmal erwähnt.«

»Nun schicken sie uns auch noch alleine auf Missionsreise zu den Berbern in die 'Kabylei'. Wir können nicht einmal deren Sprache, und die Leute dort wollen nicht Französisch reden. Da kommen wir doch nur in Schwierigkeiten, weiß Gott, in welche?!«

»Und das wollen sie doch nur, dass wir versagen, um uns noch mehr zu piesacken,« pflichtet Cornelius seinem Bruder bei.

»Connie, ich habe richtig Angst. Du weißt doch, vor unserer Ankunft wurden drei unserer Missionare von den Tuareg umgebracht. Das waren zwar nicht unsere Berber, aber was macht das schon für einen Unterschied? Es hat einfach keinen Zweck mehr, wir sollten uns absetzen, abhauen, nur weg von hier.«

»Das muss alles wohl überlegt und geplant werden,« gab der ältere Bruder zu bedenken. »Lass uns so tun, als ob wir zu dieser Reise einwilligen. Sie wollen, dass wir uns fürs Erste in 'Budschaja' niederlassen und dort unsere Missionstätigkeit beginnen. Dazu müssen wir von hier direkt zum Meer und ein Boot finden, das entlang der Küste segelt und uns dorthin bringt. So wurde es uns wenigstens von den Brüdern aufgetragen. Begeben wir uns also zum nächsten Hafen, dort werden wir dann weitersehen.«

Nach einem beinahe wortlosen Abschied waren sie schon bei Sonnenaufgang in einem Eselskarren auf sandiger Straße unterwegs. Ein Bauer willigte ein, für wenig Geld sein mageres Einkommen aufzubessern. Sie hätten bestimmt nicht viel länger gebraucht, wenn sie einfach los gestiefelt wären. Aber ihr Gepäck in der Hitze selbst zu tragen, wäre eine noch größere Tortur gewesen, als auf dem schaukelnden Gefährt alle Knochen durchgerüttelt zu bekommen. Dafür hatten sie aber eine Plane mit etwas Schatten über dem Kopf. Am frühen Nachmittag erreichten sie den kleinen Ort am Meer. Ihr weißer Burnus war braun eingestaubt. Aber das machte überhaupt nichts, denn so fielen sie im Ort zwischen den Einheimischen nicht auf. Ihre Haut war in den letzten Monaten schon ganz schön braun gegerbt worden. Sie zogen ihre Kapuze über den Kopf und tauchten ein in die Menge.

»Connie, wohin gehen wir?« raunte Caspar für Cornelius kaum hörbar in diesem Stimmengewirr, als wenn ihn jemand verstanden hätte, während er neben seinem Bruder einher stolperte. Er fühlte sich schon wie ein Entflohener, den man bereits suchte.

»Wie finden wir in diesem Gewirr zum Hafen?«

Die Gassen waren so eng und winkelig, voller Passanten, dass der Bauer sich geweigert hatte, sie bis ins Ortsinnere zu bringen. Er setzte sie einfach am Tor vor der gedrungenen Stadtmauer ab. Diese beeindruckte sie ganz mächtig, denn sie bestand nicht aus Steinen, sondern aus aufeinandergesetzten braunen, offenbar luftgetrockneten Lehmquadern. Zu ihrer Verwunderung war die Oberfläche mit Strohhalmen gespickt. Wozu das? So etwas hatten sie noch nicht gesehen.

Gerade besserten Arbeiter eine schadhafte Lücke in der Mauer aus. Dazu bearbeiteten einige in einer Grube mit ihren Füßen einen braunen Brei. Sie waren bis über die Hüfte verschmiert. Ihr ganzer Körper, mitsamt der wenigen Kleidung, die sie trugen, war bis über die Arme und hinauf ins Gesicht bespritzt. Teilweise klebte der Brei in dünner Schicht als getrockneter Fladen an ihrer Kleidung und Haut. Das sah schon bizarr aus. Es musste der mit Wasser und Stroh vermischte Lehm sein, aus dem die Mauersteine geformt wurden. Ihre Vermutung war richtig. Die fertig geknetete, halbfeste Masse reichten Arbeiter in Kübeln nach oben, wo das Gemisch von anderen in eine hölzerne Verschalung gefüllt wurde. Mit langen Stößeln stampften sie den Brei fest, bis das überschüssige Wasser unten aus den Brettern rann. Das musste in der Hitze eine schlimme Arbeit sein. Aber die heiße Sonne tat auch das ihre für eine rasche Trocknung des Lehmbreis. An manchen Stellen war die hölzerne Verschalung schon entfernt worden. Dort waren noch deutlich die feuchten, dunkelbraunen Quader zu sehen. Aber die Ausbesserungen schienen prächtig zu halten, waren stabil und gaben der Stadtmauer ihre Funktion zurück.

Ziemlich fasziniert wandten sie sich von dem Arbeitstrupp ab, der laut in einer gutturalen Sprache plaudernd seiner schweren Arbeit nachging.

»Lass uns einfach unserer Nase folgen,« schlug Cornelius vor. »Der Fischgeruch wird uns schon zum Hafen führen.«

Ihre Habseligkeiten, darunter ein wenig Proviant und Wasser, hatten sie in zwei Säcke gestopft und über die Schulter geworfen. So drängten sie sich durch die Leiber und machten sich auf die Suche. Auf ihrer Fahrt vom Ordenshaus zum Hafen schonten sie ihre Essensvorräte, hatten fast nur getrunken, wenn die wenigen zuckersüßen getrockneten Datteln, die sie ab und zu aßen, durstig machten. Es bereitete sogar Spaß, die Kerne im Wettbewerb in weitem Bogen auf den Weg zu spucken und zu sehen wer am weitesten kam. Wasser konnten sie leichter wieder auffüllen, aber mit den Essensvorräten wollten sie haushalten. Sie wussten ja nicht, wann sie diese wirklich nötig brauchten.

Seitdem sie das Meer erreicht hatten, mit Aussicht auf eine erfolgreiche Flucht, war ihre Stimmung zusehends besser geworden. Sie hatten aber überhaupt noch keinen Plan.

Sie konnten wenigstens davon ausgehen, dass sich neben ihnen kein weiterer Ordensbruder in der kleinen Stadt aufhalten würde. Damit würde sich ihre Isolation in der Klostergemeinschaft doch noch als Vorteil erweisen. Im Übrigen schien sich niemand im Ort für sie zu interessieren.

Staunend bewunderten sie das Leben um sich herum! Seit ihrer Ankunft im Ordenshaus war es ihnen nur gestattet worden es zu verlassen um die Bauern in den nahegelegenen kleinen Ortschaften zu besuchen. Dort konnten einige von denen recht und schlecht in Französisch radebrechen, was es den beiden ermöglichte, in einer, wenn auch einfachen, so doch unverfänglichen Unterhaltung mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Die Menschen waren aber misstrauisch, sobald das Gespräch auf die Religion kam. Ein wirkliches Zusammenleben hatten die Leute im Ort nur mit den eigenen Nachbarn. Die Frauen und Mädchen lebten sowieso im Hintergrund. Die vertraute Gemeinschaft im Ort wollten sie sich nicht durch Fremde stören lassen.

Das war hier in diesem kleinen Hafen ganz anders! »Mein Gott, ist das quirlig,« entfuhr es den beiden Brüdern wie aus einem Mund. Mit großen Augen schauten sie sich an, fassten sich aber sicherheitshalber an den Händen und hielten ihre Säcke noch fester umklammert. In jedem Haus gab es einen Laden oder eine Werkstatt, die Gassen konnten noch so eng sein; Tuche, Leder, Ton-, Metall- und Holzgeschirr. Welche Warenvielfalt wurde da angeboten! Alles fertigten die Leute gleich vor Ort an und boten es feil. Auch geschlachtete und aufgebrochene, am Haken hängende Schafe und Ziegen warteten auf Käufer, welche die Wahl hatten, welches Stück Fleisch sie auf Wunsch herausgeschnitten haben wollten. Gleich daneben, im nächsten Laden wurden bunte Berge von Gewürzen präsentiert. Die meisten kannten sie überhaupt nicht, aber der Duft war überwältigend. Ein Händler sprach sie an und nachdem er merkte, dass seine ersten Worte offensichtlich für sie unverständlich waren, wechselte er automatisch ins Französische.

»Ihr braucht nicht weiter zu suchen, die frischesten Gewürze findet ihr hier bei mir. Tretet nur näher und prüft selbst!«

Natürlich hatten sie keine Ahnung, aber neugierig blieben sie stehen.

»Hier, schmeckt nur, habt ihr einen so wundervollen, frisch getrockneten Cumin schon gekostet? Bringt ihn nach Hause und man wird euch das beste Falafel zubereiten. Und da, mein Koriander, mein Fenchel, mein Majoran. Besonders stolz bin ich auf meinen Safran; nicht billig, aber beste Qualität!«

Sie versuchten sich unauffällig aus dieser Affäre zu ziehen, aber wie? Mit abwehrenden Händen schütteln sie den Kopf, dass die Kapuze herunterfiel und murmelten, dass doch ihre Mutter kompetenter für diesen Einkauf sei. Der Händler schaute verwundert hinterher. Sie ließen sich im Gewimmel der Menschen weitertreiben. Dabei fiel ihnen auf, dass das Warensortiment in den Geschäften sich nur von einer Gasse zur anderen änderte.

Sie bogen um eine Ecke und wurden von rhythmischen, schnell aufeinander folgenden, metallisch klingenden Schlägen angelockt. Vor ihnen saßen einige Männer in der Hocke auf dem Boden. Sie hatten runde, flache Messingteller auf den Knien und trieben ohne Vorlage rankende Verzierungen mit einem kleinen Meißel und einem Hammer in das weiche Metall. Sie hätten stundenlang diesen eifrigen Handwerkern zuschauen können, richtigen Künstler, vergaßen beinahe, warum sie in das Städtchen gekommen waren.

Am Gassenrand hatten sich Männer auf kleinen Hockern gemütlich um runde hübsch, mit Ornamenten geschmückte, Messingtische niedergelassen, ähnlich denen, die sie gerade in Bearbeitung bewunderten. Die Runde unterhielt sich angeregt und man trank einen braunen Sud aus Gläsern, wahrscheinlich Tee, und aß dazu kleine Gebäckstücke. Der eine oder andere hatte eine mit Wasser befüllte, bauchige Flasche vor sich stehen, aus der ein Schlauch ragte, dessen Ende er ab und zu zwischen die Lippen steckte oder seinem Nachbarn reichte. Dann gluckerte es im Wasser und kurze Zeit darauf kam den Männern Rauch aus Nase und Mund. Merkwürdige Pfeifen!

Es fiel ihnen auf, dass kaum Frauen oder Mädchen in den Gassen zu sehen waren, nur Buben rannten zwischen den Leuten herum. Das ganze Treiben war lebhaft, aber gemächlich. Man schien viel Zeit zu haben, schlenderte umher, plauderte und kaufte das eine oder andere, oder auch nicht. Die Besorgungen selbst schienen nicht wirklich vorrangig.

»Wozu ist wohl dieser Balken quer über die Gasse? Zu hoch, um darüber hinweg zu steigen und so nieder, dass man nur geduckt unter ihm durch kommt?« wandte sich Cornelius an Caspar. Und da kam schon die Antwort in einem bepackten Esel. Es reichte, dass er mit seiner Ladung den Balken unterlaufen konnte, aber nicht vorbei gekommen wäre, wenn der Reiter auf seinem Rücken gesessen hätte oder das Tier übermäßig bepackt gewesen wäre.

»Was für eine clevere Einrichtung,« lobte Caspar. Der Bruder hörte ihn, interessierte sich aber schon für etwas anderes. Aus einem dunklen Gewölbe drangen schwere, metallene Geräusche nach draußen, ganz anders, als in der letzten Gasse. Neugierig schob Cornelius den Jüngeren mit sich ins Innere. Die regelmäßigen Hammerschläge kamen vom hinteren Ende des tiefen Raumes, dort wo immer wieder helle Flammen aufflackerten.

„Das ist ja wie im Hades“ durchzuckte es Cornelius. Ein Schmied drosch im Dämmerlicht auf ein glühendes Stück Eisen ein, das sich allmählich zu ihrer Verwunderung durch Biegen und Formen in den Teil einer großen Schere verwandelte. Der rußgeschwärzte Mann sah kurz zu seinen Besuchern herüber, ließ sich aber nicht von seiner Arbeit abhalten. Sie brauchten keine Schere, und so zogen sie weiter.

Die Gasse öffnete sich zu einem kleinen Platz, von dem ein mächtiger Gestank zu ihnen herüber wehte. Sie wollten sich schon abwenden, bevor sie näher gekommen waren, da blieben sie wie angewurzelt stehen, glaubten ihren Augen nicht zu trauen.

»Connie, was geht da vor sich? So was gibt es doch gar nicht. Wo leben wir denn? Das ist ja ein leibhaftiges Horror infernale, ein richtiger Spuk!«

Im Vordergrund bewegten sich halbnackte Männer in zahllosen großen Erdlöchern. Sie standen bis über die Knie in einer dunklen Brühe und stampften irgend etwas unter ihren Füßen. Angeekelt vom Geruch trieb sie die Neugierde doch näher. Triefende Stücke wurden ab und zu aus den Löchern zum Rand auf den Boden gezogen. Es waren Felle.

Ihre Augen schweiften weiter und sie sahen Männer, die nasse Wolle von den Häuten schabten und das enthaarte Leder an eine andere Gruppe weiterreichten. Die standen nun in einer weißen Flüssigkeit und bearbeiteten mit Händen, Armen, Beinen und Füßen die Lederstücke, bis diese offensichtlich weicher und weicher wurden. Am faszinierendsten aber waren die hinteren Löcher, deren Oberflächen in der Sonne, wie bunte Spiegel zu ihnen herüber leuchten. Dort wateten Männer bis zur Hüfte im Wasser und wuschen das Leder, bis es mit den verschiedensten Farben vollgesogen war. Sie selbst sahen so bunt aus wie ihre bearbeiteten Produkte. Am Ende trockneten die farbenfrohen Stücke auf Gestellen in der Sonne, bei denen man noch sehr wohl den Hals und die Oberschenkel der abgezogenen Schaffelle erkennen konnte.

»Wir gehen besser fort von hier, bevor wir auch noch gegerbt werden,« bemerkten sie halb scherzend. Sich abwendend, schnüffelten sie instinktiv an ihren Kleidern, besorgt, ob sich vielleicht schon der Gestank bei ihnen festgesetzt haben könnte.

Das Schaf war für die beiden nur Wolle- und Fleischlieferant, nicht aber ihre Haut für Leder. Das selbstgesponnene Wolltuch für ihre Burnusse schätzten sie. Das Kleidungsstück war nützlich und angenehm zu tragen. Dagegen war der Geschmack und Geruch von so manchem Stück, häufig zu fettem Hammelfleisch für sie in den vergangenen Monaten schon gewöhnungsbedürftiger. Apropos Essen, das erinnerte sie stark daran, wie wenig sie an diesem Tag bisher zwischen die Zähne bekommen hatten. Das Hungergefühl wurde noch stärker, als sie an einer Bäckerei vorbeikamen, wo duftende, noch warme, flache Brotfladen vor ihren Augen auf einem Tisch gestapelt lagen. Man hatte ihnen ja ein Sümmchen Geld für ihren Aufenthalt in 'Budschaja' mitgegeben. Natürlich wollten sie das Geld für ihre Flucht zurückhalten, aber die Verlockung war zu groß und das Brot nicht teuer. Mit ein paar Fladen betraten sie ein Café, deuteten auf die Gläser der Nachbarn und saßen bald vor würzigem, stark gesüßtem Pfefferminztee und ließen es sich von Herzen schmecken.

»Ach, tut das gut,« seufzten beide ein über das andere Mal, schauten in die Runde und vergaßen beinahe ihre Sorgen.

»Die Leute sehen eigentlich ganz freundlich aus, meinst du nicht auch, Caspar? Es muss doch wohl möglich sein, einen Fischer zu finden, der uns mitnimmt und zur französischen oder sardinischen Küste bringt. Dafür wird unser Geld schon reichen. Und wir können ja auch anbieten, ein bisschen beim Fischfang Hand anzulegen. Wir haben zwar keine Ahnung von diesem Gewerbe, aber das brauchen wir nicht gleich zuzugeben. Kräftig genug zum Zupacken sind wir allemal.«

Als sie wieder aufbrachen, mündeten die Gassen sternförmig auf einen größeren Platz. Sie hatten den Obst- und Gemüsemarkt erreicht. Da weiteten sich ihre Augen ob der Vielfalt von Farben und Formen der Früchte, Knollen und Blätter, die sie weder von zu Hause kannten, noch in den Bauernhöfen um ihr Ordenshaus je gesehen hatten. Vieles, was da auf niederen Ständen oder auf Tüchern, direkt auf dem Boden ausgebreitet lag war so verführerisch und interessant, dass sie sich aufs Neue vergaßen und zwischen den ausgelegten Waren umherschlenderten. So wie die Menschen angezogen waren und mit ihren derben Händen, mussten das die Bauern selbst sein, die ihre Ware zum Markt gebracht hatten. Die Mannigfaltigkeit war kaum zu fassen. Das sollte ihre Mutter gesehen haben. Die Liebe, Gute war schon froh, wenn Kartoffeln, Möhren oder Kohl auf den Tisch kamen. Solche Gemüsearten gab es hier natürlich auch in Hülle und Fülle, aber daneben all das andere, die frischen Gurken und Bohnen, große weiße Rettiche und diese nie für möglich gehaltenen, riesigen Zwiebeln!

»Sieh doch, Caspar, diese Zwiebel muss wenigstens drei Pfund wiegen! Und die wundervollen Melonen und Aprikosen!«

»Was sind denn das für rot-gelbe Früchte?« Caspar deutete auf sie und schon war der Händler zur Stelle die potentiellen Käufer zu bedienen. Er nahm eine der kleinen ovalen Früchte und schnitt sie vor ihren Augen in zwei Hälften, die er ihnen zur Verkostung reichte. Das Innere der Frucht beherbergte viele Samen, umgeben von einem grünen Gallert. Nicht unbedingt ansprechend für sie. Zögerlich nahmen sie die Probe und bissen hinein. Dabei tropfte der Saft über ihre Hände. Brrr, diesen süßsäuerlichen, leicht bitterlichen Geschmack hatten sie nicht erwartet. An ihrem Gesicht konnte der Bauer unschwer erkennen, dass er da keine Käufer gefunden hatte. Einen Tag später wurde ihnen die Frucht als Pomme d’or vorgestellt. Im darauffolgenden Jahr, in einem ganz anderen Kontinent, fand Cornelius dieses Gemüse in vielen verschiedenen Formen und Färbungen wieder. Da nennen die Einheimischen die Frucht 'Xitomatle', was Tomate heißt und dort seit langem angebaut wird.

Wie ein Dornenbusch

Подняться наверх