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Fälschungen des Mittelalters

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Nicht nur konventionelle Mediävisten halten die Verfälschung von zahlreichen Urkunden, Chroniken und anderen Quellen des Mittelalters über die Karolingerzeit26 hinaus in steigendem Maße für eine Selbstverständlichkeit. Wie bei keiner anderen Epoche des Mittelalters besteht zudem in der karolingischen Epoche eine auffallende Divergenz zwischen literarischer Überlieferung und archäologisch-architektonischen Relikten, übrigens auch für Karls Residenzstadt Aachen. Es scheint, dass in der Zeit der Karolinger noch mehr als in den nachfolgenden Jahrhunderten des Mittelalters Ereignisse und Dokumente erfunden, manipuliert, gefälscht und vernichtet worden sind. „Bis zu 50 Prozent der erhaltenen Urkundentexte aus dem Frühmittellalter sind gefälscht, so der aktuelle Stand der Forschung“, meint Peter Rückert vom Hauptstaatsarchiv Stuttgart.27 Trotz der enormen Fälschungsbereitschaft im Frühmittelalter ist nach Rückert die Fälscherei „besonders im 12. und 13. Jahrhundert sehr hoh gewesen“.28 Fälschungsmotive waren das Streben nach Besitzrechten, Freiheit von Zöllen, Steuern und sonstigen Privilegien. Nicht selten wurden Datumsangeben ‘rasiert’ und evtl. sogar falsche Kalenderdaten nachgetragen. Auch personae non gratae, z.B. Anhänger des Kaisers im Investiturstreit, wurden aus den Urkunden und Chroniken ausgemerzt. Man bezeichnet diesen Vorgang in der Geschichtsforschung als damnatio memoriae, als Löschung aus dem kollektiven Gesächtnis einer Gemeinschaft.

Noch krasser als die diversen Fälschungsmethoden war die kriminelle Erfindung bzw. das Verschieben von Ereignissen. Der bretonischfranzösische Jesuitenpater und Historiker Jean Hardouin, der von 1646 bis 1729 lebte, hat die These aufgestellt, dass ein Großteil der antiken und insbesondere der antiken christlichen Literatur erst im Mittelalter entstanden sei. Durch Rückdatierung sei der Eindruck erweckt worden, dass es sich hierbei um antike Schriften handelte.29 Nicht alle diese Rückdatierungen beruhen auf absichtlichen Fälschungen, manche fehlerhafte Zuschreibungen, z.B. bei Augustinus, sind durch Irrtum und Missverständnisse zustande gekommen. Dass diese Methode des so genannten Pseudepigraphierens im Mittelalter tatsächlich immer wieder praktiziert wurde, hat sich inzwischen nicht nur bei den Historikern herumgesprochen.30

Wir dürfen deswegen mit Ralph Davidson, Roman Landau, Herbert Illig und vielen anderen kritischen Historikern davon ausgehen, dass Fälschungen und Manipulationen antiker und mittelalterlicher Dokumente und sogar von Sachquellen in noch größerem Stil weit über die bisher bekannten Geschichtsmanipulationen hinaus im Mittelalter durchgeführt und bis heute weder wahrgenommen noch nachgewiesen worden sind. Illig machte, wenn man von Wilhelm Kammeier absieht, als einer der ersten „auf den gewaltigen Umfang an schon bislang entlarvten mittelalterlichen Fälschungen“31 aufmerksam.32

Wie wenig die Fälschungen des Mittelalters noch zu verbergen sind, beweist die Tatsache, dass die Mediävisten immer mehr die Flucht nach vorne antreten. So fand in München im Jahre 1986 ein großer Kongress über Fälschungen im Mittelalter statt. Als Veranstalter fungierten die Monumenta Germaniae Historica in München. Das Protokoll des Münchner Fälschungskongresses zur Mediävistik von 1986 „umfasst mehr als 3700 Seiten“33 und wurde 1988 in einem Konvolut von fünf Bänden und einem Registerband publiziert.

Der Organisator des Kongresses von 1986 und Präsident der Monumenta Germaniae Historica, Horst Fuhrmann, veröffentlichte 1987 das Buch „Einladung ins Mittelalter“.34 Höchst bezeichnend an diesem Werk ist die Tatsache, dass der Autor die zahlreichen Fälschungen des Mittelalters nicht nur nicht leugnet, sondern diese sogar ins Positive umdeutet. Er bringt die gleichen Argumente wie einer, der vor Gericht steht und alles tut, um nicht verurteilt zu werden.

Erstes Argument: Weil die anderen gefälscht haben, mussten wir auch fälschen. Wir mussten uns also wehren.

Zweites Argument: Unser Fall (das Mittelalter) ist etwas ganz anderes als andere Fälle (Epochen). Die Fälschungen des Mittelalters könne man also nicht mit Fälschungen in anderen Epochen vergleichen und man könne somit nicht die kritischen Maßstäbe anlegen, wie man dies bei anderen Epochen praktiziert.

Es ist also in der mittelalterlichen Geschichtsforschung wie vor Gericht: Der Angeklagte plädiert auf „unschuldig“ und ist dem Richter böse, wenn er ihm nicht glaubt. Wenn man diese Argumente kennt, dann darf es einen nicht wundern, wenn beim Münchner Fälscherkongress von 1986 nicht viel herausgekommen ist. Die meisten Referate der Tagung gehen der Sache nicht auf den Grund und hängen sich an Quisquilien (z.B. Missbrauch von Siegeln) auf. Wilhelm Kammeier, den man mit diesem Kongress bekämpfen und unschädlich machen wollte, wurde totgeschwiegen und nur polemisch in einer Fußnote erwähnt. Die Frage, ob ganze Epochen des Mittelalters erfunden und in welchem Ausmaß Quellen gefälscht sein könnten, fiel völlig unter den Tisch. Auch zu zentralen Themen des Mittelalters, nämlich zur Urkundenlehre, zur Paläographie (Schriftentwicklung) und zur Buchmalerei (als der Hauptkunstform des Mittelalters) haben die Referenten des Kongresses nicht wirklich fundiert Stellung bezogen.

Ende Oktober 2006 trafen sich 20 Wissenschaftler mehrerer Fachgebiete in Ingolstadt, um über das Thema „Bayern und Ingolstadt in der Karolinger-Zeit“ zu diskutieren.35 Anlass des Kongresses war die erste urkundliche Erwähnung Ingolstadts in der sog. Reichsteilungsurkunde Karls des Großen von 806. Diese Urkunde ist nicht im Original, sondern nur (wie so oft) in mehreren Abschriften erhalten. Selbst eine konventionelle Historikerin wie Beatrix Schönewald, Leiterin des Ingolstädter Stadtmuseums, muss zugestehen, dass es in dieser Urkunde ungeklärte Fragen gibt, z.B. „die Beteiligung des Papstes und der Römer an späteren Kaiserkrönungen oder das Spannungsfeld zwischen der Idee eines unteilbaren Kaisertums und dem Prinzip der germanischen Reichsteilung.“36 Solche Aussagen sind typisch für die Zeit ab dem 11. Jahrhundert und weisen eher auf eine spätere Abfassung der Urkunde hin. Nach zwei weiteren Nennungen erscheint der Name von Ingolstadt nochmals in der sog. Gozbald - Urkunde von 851, „bevor die Stadt 300 Jahre in den Quellen nicht mehr auftaucht.“37 Gerd Riedel spricht sogar von „fast vier Jahrhunderten praktisch schriftquellenloser Zeit“.38 Auf sicherem Boden steht man in Ingolstadt erst im 13. Jahrhundert. Hier bieten das älteste bayerische Herzogsurbar von ca. 1231, das Urbar von ca. 1280 und das Niederaltaicher Zehentbuch von 1372 eine sichere Quellenbasis.39

Neben dem mehr als dreihundertjährigen Schweigen der Quellen seit 851 fällt auch der Mangel archäologischer Quellen in der Altstadt von Ingolstadt erheblich ins Gewicht. Der Ingolstädter Theodor Straub weist darauf hin, dass es „in der Altstadt keine Spuren der Römer, Kelten und Bajuwaren gibt.“ Er schließt aus dieser nicht zu leugnenden Tatsache „auf eine fränkische Neugründung, vermutlich aus dem zweiten Drittel des 8. Jahrhunderts.“40 Eine spätere Gründung Ingolstadts ist angesichts der mageren archäologischen Quellen also nicht unwahrscheinlich. Ingolstadt ist eines der Beispiele dafür, dass bei frühmittelalterlichen Datierungen ohne entsprechende archäologische Funde Skepsis angebracht ist.

Beim 3. Medieval History Seminar in Washington D.C. ging es im Jahre 2003 noch härter zur Sache. Viele Teilnehmer ließen sich nicht durch die Anwesenheit des konservativen deutschen Mediävisten Erich Fried beirren und kamen zu der Auffassung, dass mehrere mittelalterliche Historiker „ihre historiographischen Quellen konsequent als Fiktionen verstanden“.41 Nicht wenige Teilnehmer zeigten sich in der Diskussion zudem für Kritik an der karolingischen Phantomzeit offen und stimmten darin überein, „daß das 9. Jh. mit derartig ‘gefälschten’ historischen Texten durchsetzt sei, die zutreffender als fiktional anzusprechen seien“.42 Auseinandersetzungen zu den Fälschungen und Erfindungen des Mittelalters im Allgemeinen und zu Illigs „Phantomzeit“ im Besonderen sind in der Geschichtswissenschaft keine Randerscheinung mehr, sondern wirken ansteckend wie ein Grippevirus. Denn im Januar 2004 hat ein bislang wenig bekannter Autor einen sehr ansprechenden Neuansatz einer gegenüber Illig verkürzten frühmittelalterlichen Phantomzeit vorgelegt. Der Historiker Manfred Neusel kommt dabei, ausgehend vom Studium im Rhein-Main-Gebiet, auf insgesamt 220 Phantomjahre innerhalb der sicheren Grenzen zwischen 640/50 und 860/70.43

Auch in der Mittelalterbranche sind heute Fälschungen kein Tabuthema mehr, wie die neuesten Studien zu den pseudoisidorischen Dekretalen44 zeigen. Bei dieser erst im 16. Jahrhundert aufgedeckten Fälschung handelt es sich um „eine im 9. Jahrhundert entstandene kirchenrechtliche Sammlung von gefälschten Briefen ur- und frühchristlicher Oberhirten.“45

Noch dreister ging Papst Gregor VII. vor. Er versuchte zu beweisen, dass „Karl der Große ganz Gallien dem Papsttum zinspflichtig gemacht und ihm ganz Sachsen geschenkt habe.“46 Die berühmt-berüchtigte „Konstantinische Schenkung“ wurde schon im Mittelalter als politisches Machwerk zur Machtsteigerung der Kirche erkannt. Möglicherweise stammt sie gar nicht aus der späten Antike, sondern ist wohl erst im 8. Jahrhundert oder noch später entstanden. Es ist also nicht auszuschließen, dass die Pippinsche Schenkung älter ist als die Konstantinische. Diese Pippinsche Schenkung vom 7. Januar 754 soll auf den karolingischen König Pippin III. (er regierte von 751 – 768) zurückgehen. Bei ihr könnte allerdings auch ein Schenkungsversprechen von 754/756 vorliegen, das die Leitung der römischen Kirche als tatsächliche Schenkung interpretierte.

Auf festem Boden steht der Kirchenstaat erst dann, als Otto I. im Zusammenhang mit seiner Krönung zum Römischen Kaiser in Rom Papst Johannes XII. (937/939-964) das Privilegium Ottonianum (962) zugestand. Es handelt sich dabei um eine Urkunde, die nach der Kaiserkrönung am 13. Februar 962 ausgestellt wurde. Damit bestätigte der Kaiser direkt die „Pippinsche Schenkung“ des Frankenkönigs, indirekt, ohne das offiziell zu manifestieren, auch die konstantinische Fälschung.47 Unbestritten ist auf jeden Fall, dass Kaiser Otto I. den Besitzstand des Kirchenstaates legitimierte und der Kaiser im Rahmen des sog. ottonischen Reichskirchensystems sein offizieller Protektor wurde. Im Grunde war diese Schenkung vermutlich ein politisches Tauschgeschäft, aus dem sowohl der Papst als auch der Kaiser große politische und wirtschaftliche Vorteile zogen. Die Begründung des Kirchenstaates in Mittelitalien durch König Pippin III. bzw. durch Kaiser Otto I. ist also die Folge einer Geschichtsfälschung. Solche schlechten Beispiele machten Schule und regten auch größere Städte, Abteien und Klöster an, Fälschungen – teilweise sogar per Auftrag – zu bewerkstelligen.

Hartmann und Schmitz verweisen in diesem Zusammenhang auf das Fälscherteam von Corbie, „einer der bestausgestatteten und bedeutendsten Abteien des nördlichen Frankreich“48. Die Mönche dort haben ihr Fälscherhandwerk so gut verstanden, dass es viele Jahrhunderte dauerte, bis man ihre Fälschungen durchschaute. Noch professioneller ist das, was die Fälscher im niederlothringischen Kloster Corvey zu bieten haben. Der Rechtshistoriker Faußner verdeutlicht die mittelalterliche Fälschungskunst am Beispiel der Urkundenfälschungen von Wibald von Stablo, dem führenden Kopf eines mönchischen Fälscherteams.

Vor einigen Monaten hat Faußner sein interessantes Werk über diesen genialen mittelalterlichen Fälscher, Wibald von Stablo, publiziert. Dieses Werk49 verdeutlicht, dass Fälschungen im Mittelalter keine Randerscheinung waren, sondern einen wesentlichen Faktor der mittelalterlichen Geschichte bildeten. Nach bisherigem Erkenntnisstand stammen die meisten Fälschungen aus dem 12. Jahrhundert.50 Faußner und Anwander führen diese Häufung von Fälschungen seit dem 12. Jahrhundert auf Rechtskonflikte zwischen dem Papst und dem Reich im Investiturstreit (und überhaupt auf den Konflikt zwischen Staat und Kirche) zurück. Dieser globale Konflikt zeigt seine Spuren bis in die Geschichte der einzelnen Klöster hinein. So wurden z.B. zwei Äbte aus der Chronik des rheingauischen Klosters Eberbach getilgt, „weil sie im Streit zwischen Papst und Kaiser auf der falschen Seite standen“51. Wenn es möglich war, geschichtliche Persönlichkeiten und wohl auch wichtige Ereignisse aus Chroniken verschwinden zu lassen, so liegt es nahe, dass man auch nicht davor zurückschreckte, Personen aus früheren oder späteren Epochen in Chroniken und andere Quellen einzusetzen. Wer hätte solche Aktionen kontrollieren oder gar verhindern können? Man muss davon ausgehen, dass zahlreiche Manipulationen dieser Art bis heute nicht entdeckt wurden und vielleicht auch nie ans Tageslicht befördert werden, da ja die Beweise vernichtet wurden. Solche Vernichtungen von Akten und Beweismitteln finden sich weltweit sogar noch im 20. und 21. Jahrhundert, insbesondere im politischen Bereich.

Mittelalterliche meist kirchliche Fälschungen von Chroniken und Urkunden müssen vor allem in der Zeit des Investiturstreites in Verbindung gebracht werden mit dem

„Versuch der Kirche – insbesondere unter Papst Gregor VII. -, den gesamten Kirchenbesitz immerwährend für sich, zur vollen eigenen Verfügung zu behalten. Bis 1122 war der Hauptgrundbesitz der Kirche vom Reich nur geliehen, ohne Verfügungsgewalt, lediglich mit einem fest umrissenen Nießbrauchsrecht versehen“.52

Es ging also beim Investiturstreit vermutlich nicht primär um religiöse Aspekte, wie die offiziöse Geschichtsschreibung behauptet, sondern um Geld, Macht und Einfluss. Auf Grund dieser Gegebenheiten des Investiturstreites gelangt Faußner nicht nur zu höchst weitreichenden Schlussfolgerungen bezüglich der Fälschungsfrage, sondern bringt auch überhaupt neue Erkenntnisse zum Wesensgehalt der mittelalterlichen Geschichte:

„Vor dem Wormser Konkordat von 1122 und vor der erst mit ihm herbeigeführten Unterteilung des Reichskirchengutes in vogtfreies (bona ecclesiastica) und bevogtetes (bona saecularia) wurde keine Königsurkunde für eine Kirche gefälscht, da eine Fälschung rechtlich zu nichts geführt hätte und somit zweck- und sinnlos gewesen wäre. Wird dies einmal erkannt und auch rezipiert, so entfällt auch die mühevolle und zeitaufwendige Erarbeitung und Verteidigung von Hypothesen, wann und zu welchem Zweck eine diplomatisch erkannte Fälschung vor dem 2. Viertel des 12. Jahrhunderts verfertigt wurde.“53

Daraus zieht der Chronologiekritiker Anwander mit Berufung auf den Rechtshistoriker Faußner den Schluss, „dass alle gut 6.000 noch existierenden Königsurkunden – angefangen bei den Merowingerurkunden und bis ins frühe 12. Jh. – Fälschungen sein müssen.“54 Nur im Falle einer nicht einwandfreien Rechtslage sind nach Faußner Urkunden aufbewahrt wurden. Gefälschte Urkunden, welche sich auf eine unsichere Rechtslage bezogen, wurden also wesentlich länger aufbewahrt und blieben vielfach sogar bis in die Gegenwart erhalten, „da die Kirchen und Klöster ihre Ansprüche – nach ersten Niederlagen gegen den Vogt – nicht gleich aufgaben, sondern auf spätere Siege setzten und so vorwiegend oder gar ausschließlich nur die entsprechenden gefälschten Urkunden archivierten!“55 In Verbindung mit der Tatsache, dass Faußner dem Wibold von Stablo nicht nur Urkundenfälschungen, sondern auch die Erfindung einer Reihe von historischen Persönlichkeiten, Biographien, Hagiographien und Reliquien und sogar Gegenfälschungen für die säkulare Gegenseite nachweisen konnte, kann man zu dem Schluss gelangen, dass weit mehr als die Hälfte der überlieferten mittelalterlichen Quellen erfunden, gefälscht und manipuliert sind, und zwar wohl weitgehend durch schreibkundige Mönche in den Klöstern.

Auf diese unsichere Quellenlage des gesamten Mittelalters hatte bereits Kammeier, zu Unrecht als historischer Laie abqualifiziert56, in einer Abhandlung von 1935 hingewiesen57 und seine Kritik 1936-39 noch vertieft.58

Es ist sehr positiv zu bewerten, dass auch Ralph Davidson die Fälschungen des Mittelalters mit Bezugnahme auf den berühmten Münchner Mediävistenkongress von 1986 deutlich herausgestellt hat. In die richtige Richtung weist das Kapitel „Abschließende Irritationen“ von Roman Landau59, in welchem am Modell des Freibriefes der Stadt Hamburg von 1189 die Fälschungspraxis auch für größere Städte exemplarisch vorgeführt wird. Diesen Hamburger Freibrief, der im Grunde das wahre Gründungsdatum Hamburgs darstellt, stuft Landau schon deswegen als verdächtig ein, „weil als Zeugen nur zwei Grafen und zwei Ministerialen genannt werden“. Höchst seltsam ist auch die Tatsache, dass diese Urkunde von dem Hohenstaufer Friedrich I. in Neuburg an der Donau ausgestellt wurde, dabei aber ein Siegel auftaucht, „wie es eigentlich Friedrich II. verwandte, nachdem er 1229 zum König von Jerusalem gekrönt worden war.“ Bei dieser Krönung soll Friedrich II. einen arabisch beschrifteten Krönungsmantel getragen haben. Die wahrscheinliche Fälschung dieser Urkunde deckte ein historischer Außenseiter, der ZEIT-Journalist Prause, bereits 1969 auf. Aus den Hamburger Kammereiaufzeichnungen geht nach Prause zudem hervor, dass diese Fälschung der Stadt Hamburg etwa 10.000 Mark Silber gekostet habe.60

Noch relativ wenig bekannt sind Fälschungen, welche im 16., 17. und 18. Jahrhundert erstellt und ins Mittelalter zurückdatiert wurden. Von vielen Beispielen will ich nur ein besonders typisches herausgreifen, nämlich das Freisinger Kloster Weihenstephan, seit der Säkularisation Sitz der zweiten bayerischen Staatsbrauerei (neben dem Hofbräuhaus): Für Weihenstephan gibt es weder für das Kloster noch für die dortige Klosterbrauerei ein sicheres Gründungsjahr. Das offizielle Gründungsjahr von 1040, auf welchem die bekannte Werbeaussage „Weihenstephan – die älteste Brauerei der Welt“ basiert, ist „nicht belegbar“ und erscheint in einer Urkunde des Jahres 1146, „in welcher dem Kloster das Schankrecht verliehen“61 worden sein soll. Karl Gattinger hat diese Urkunde „als Fälschung des 17. Jahrhunderts“62 erkannt. Sichere Hinweise auf die Existenz von Klosterbrauereien (das gilt auch für nicht klösterliche Braustätten) finden sich in den Klosterchroniken „erst am Ende des Spätmittelalters“.63

Es stellt sich somit die Frage der europäischen Chronologie vor der päpstlichen Kalenderreform des Jahres 1582 Anno Domini. Trotz dieser päpstlichen Reform begann das gregorianische Jahr nach wie vor entweder am 1. März (dem ersten Tag des alten römischen Mondkalenders) oder am 25. Dezember, am Dreikönigstag oder je nach Region oder Religion an weiteren Tagen. Den Dreikönigstag feierte man bis in die neueste Zeit hinein in Bayern als „Großneujahr“ oder „Obristen Tag“. Erst 1691 deklarierte Papst Innozenz XII., der von 1691 bis 1700 regierte, den 1. Januar, den bereits Julius Caesar als Beginn des neuen römischen Sonnenjahres eingeführt haben soll, von Seiten der katholischen Kirche amtlich als Beginn des bürgerlichen Jahres. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wechselte also der Jahresbeginn sehr häufig.

Neben den eigentlichen Fälschungen von Urkunden und vergleichbaren rechtsrelevanten Quellen stellen Chronologiemanipulationen und –fälschungen ein besonderes Problem dar, welches sich auch auf die Bewertung der Antike auswirkt. Es ist denkbar, dass die Kalenderreform in Verbindung mit der Ablösung des julianischen durch den gregorianischen Kalender im Jahre 1582 nicht nur zu chronologischen Verzerrungen der Jahreszählung, sondern darüber hinaus zu weiteren Geschichtsmanipulationen geführt hat. Gabowitsch stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob das Altertum nicht eine Erfindung der Renaissance64 sei. Seine überspitzt formulierte Frage ist verständlich, wenn man bedenkt, dass man im Mittelalter zwar über die Bibel Bescheid wusste (zumindest die weltliche und geistliche Oberschicht sowie die Mitglieder der geistlichen Orden), dass man aber, von einigen Gelehrten abgesehen, so gut wie keinen Begriff vom Altertum hatte.

Man darf zudem davon ausgehen, dass die große Masse der Menschen noch bis ins 18. Jahrhundert hinein weit davon entfernt war, ein historisches Bewusstsein zu haben. Selbst wenn man Ereignisse der Antike und des Mittelalters als wahr und real akzeptiert, dann kann man nicht ausschließen, dass die diesen Ereignissen zugeordneten Datierungen unrichtig sind und unter Umständen sogar um Jahrzehnte und evtl. sogar um Jahrhunderte vom ‘richtigen’ Datum abweichen können.

Interessant ist folgendes: In einer Schützenscheibe vom 10.09.1786 zu Ehren der Geburt von Prinz Ludwig, dem späteren bayerischen König Ludwig I., ist ein Chronosticon mit römischen Zahlen eingebaut. Die Summierung dieser römischen Ziffern ergibt jedoch das Jahr 786, nicht 1786. Thomas Weidner65 deklariert die Jahreszahl 1786 als kleinen Fehler, „da das M von ‘palma’ aus Versehen nicht als Großbuchstabe gestochen wurde“. Es verwundert, dass der Fehler für ein so offiziöses Dokument erst viel später entdeckt wurde.

Höchst aufschlussreich ist auch die Tatsache, dass man im Vatikan und in Italien bis heute die Jahrhunderte ohne die Jahrtausendangabe zählt, also nicht mille quattrocento, sondern quattrocento für das 15. Jahrhundert. Erschwerend für die Ermittlung richtiger historischer Daten kommt noch hinzu, dass man in Ost- und Westrom bis ins hohe Mittelalter in der Regel nicht nach Monatsnamen (z.B. 5. Juli 1002), sondern nach den altrömischen Iden, Nonen und Kalenden, vielfach im Rahmen von Indiktionen66, gerechnet hat. Erstaunlich ist, dass nach Wikipedia erst der in Ostrom (Istanbul) herrschende Kaiser Justinian 537 den 15jährigen Indiktions-Zyklus im Rahmen der Novelle 47 einführte. Erst die Ottonen kombinierten die Jahreszählung nach Indiktionen mit der Anno-Domini-Chronologie (ab incarnatione domini, ab der Geburt des Herrn). Das gilt auch noch für Urkunden, welche der erste salische Kaiser Konrad II. bis 1033 ausstellte.67 Diese neuen Erkenntnisse zur altrömischen Indiktion lassen nach Manfred Neusel den Schluss zu, „dass karolingische Urkunden in ottonischer Zeit geschrieben oder datiert wurden.“68 Das würde den Kreis der echten karolingischen Urkunden weiter reduzieren.

In Verbindung mit der Frage der neuen gregorianischen Chronologie von 1582, welche ohne die neuen ‘arabischen’ Ziffern undenkbar wäre, ergibt sich die zentrale Frage, „wie und auf welche Art der alte Julianische Kalender über einen Zeitraum von über 1500 Jahren mitsamt seinen vielen Schaltjahren verwaltet worden ist.“69 Solche grundlegenden Fragen der Chronologie ließ die konventionelle historische Forschung bis heute unerörtert. Die nach der Kalenderreform von 1582 getätigten Chronologierekonstruktionen wie z.B. die von Scaliger bilden auch noch heute die Grundlage unserer Chronologie. Seitdem hat sich hier, wenn man von einem nicht konventionellen Forscher wie Morosov70 absieht, nichts wesentlich Neues getan.

Davidson hat als erster deutlich auf den höchst merkwürdigen Tatbestand hingewiesen, dass im Alten Testament die klassischen Autoren und Ereignisse der altgriechischen Geschichte und umgekehrt bei den klassischen griechischen Autoren das Alte Testament und die Ereignisse im alten Palästina keine Erwähnung finden. Auch bei Herodot, dem ‘Vater der europäischen Geschichtsschreibung’, konnte ich nichts finden, was auf die Existenz eines jüdischen Volkes und jüdischer Schriften hingewiesen hätte. Herodot berichtet zwar über Palästina, kennt aber dort keine Juden oder Hebräer, sondern nur Syrer im „palästinischen Syrien“.71 Die Griechen bezeichneten die Assyrer und Kappadoker anders als die Barbaren als „Syrier“ (Herodot I 72 und VII 63), die Perser die Syrier als Kappadoker (Herod. VII 72). Auch das arabische Küstengebiet wird von Syrern bewohnt (Herod. II 12). Sie gehören zur dritten persischen Satrapie und sind somit nicht autonom (III 90). Bei Herodot grenzt Ägypten an Syrien und die Phöniker leben in Syrien (Herod. II 116). Er berichtet allerdings über Phöniker und Araber („Königreich Arabien“ III 5) an verschiedenen Stellen. Ist es denkbar, dass er die Juden einem der drei semitischen Völker zurechnete und somit eine besondere Erwähnung nicht für nötig hielt?72 Selbst wenn dem so wäre, so verwundert, dass Herodot nicht auf die heiligen Schriften der Juden zu sprechen kam. Diese seltsame Nichterwähnung eines jüdischen Volkes (Juden, Hebräer) bei Herodot und anderen antiken Autoren versucht Shlomo Sand, Professor für Neuere Geschichte an der Universität von Tel Aviv, in seinem ursprünglich in Hebräisch verfassten Buch73 damit zu erklären, dass sich das Judentum „traditionell aus vielen religiösen Gruppen“ zusammensetzte und „erst im Laufe der zionistischen Geschichtsschreibung zur ‘Nation’ umgedeutet“ worden sei.74 Der Begriff der „Nation“, so wie Sand ihn deutet, ist allerdings ein rein politisches Konstrukt des nationalistischen 19. Jahrhunderts. Sand beachtet bei seinen Aussagen jedoch nicht, dass im Alten Testament die Juden mehrfach als „Gottesvolk“ und „auserwähltes Volk“ bezeichnet werden. Den religiösen Begriff des „Volk Gottes“ überträgt dann das Neue Testament zuerst auf die Judenchristen und dann allgemein auf alle Christen. Der jüdisch-christliche Volksbegriff ist somit gegenüber anderen Definitionen von „Volk“ eher als höherwertiger einzustufen. Selbst Nichtjuden wie Heinrich Sanden lassen keinen Zweifel daran, dass die jahrhundertelange biologische und soziale Abkapselung der Juden, welche die Existenz des jüdischen Volkes bis heute sicherstellte, „durch das Mittel der Religion bewirkt“75 worden ist. Nicht einmal der Verlust des sprachlichen Zusammenhaltes, der im Laufe von zwei Jahrtausenden erfolgte – die verschiedenen jüdischen Volksgruppen hatten unterschiedliche Sprachen wie Hebräisch, Aramäisch, Griechisch, Jiddisch, Ladino, Judezmo etc. –, führte, wie bei anderen antiken Völkern, zum Auseinanderbrechen des jüdischen Volkes.76 Durch seine starke Familiengesinnung, Geburten- und Bildungsfreude war das herausragende „Gottesvolk“ bis in unsere Gegenwart widerstandsfähiger und stärker als jede moderne „Nation“.

Nicht nur das „jüdische Volk“, sondern auch die Vertreibung der Juden aus Palästina durch die Römer deklariert Shlomo Sand als Legende: „Kein einziger antiker Schriftsteller erwähne die Vertreibung“, nicht einmal der jüdische Historiker Flavius Josephus, der „einer der Anführer des Aufstandes 70 nach Christus“ gegen die Römer in Palästina war.77 Bei der Lektüre der Werke von Eisler, Brasi, Davidson und Landau, die er übrigens nicht zitiert, wäre Sand zu anderen Ergebnissen gekommen.

Zweifler an der amtlichen jüdischen Tradition finden sich auch im nichtjüdischen Lager. So ist es z.B. für den Schweizer Christoph Pfister, wohl auf Davidson aufbauend, „vollkommen unverständlich, weshalb zur Zeit der römischen Kaiser niemand biblische Themen nutzte, die doch angeblich schon bestanden hätten.“78 Der französische Chronologiekritiker Serrade erklärt diesen eigenartigen Sachverhalt mit einem großen Zeitloch und plädiert für eine „Verkürzung der Kulturepochen“ und rät zu „einer Elimination des Mittelalters.“ Auf Grund eines großen Zeitloches würde nach Serrade auf die Römerzeit unmittelbar die Renaissance folgen. Die Renaissance wäre somit im Sinne von Pfister nicht eine Wiedergeburt, sondern eine unmittelbare Fortsetzung der Antike.79 Falls man eine solche Auffassung akzeptieren würde, wäre die logische Folge, dass das Judentum und Christentum bei weitem nicht so alt wären, wie man bisher annahm. Es gibt darum auch immer mehr Autoren, welche in Nachfolge der radikalen Auffassungen von Wilhelm Kammeier versuchen, für eine spätere Entstehung des Christentums und anderer historischer Erscheinungen im späten Mittelalter bzw. in der frühen Neuzeit zu plädieren und eine solche Auffassung aus der Parallelität bestimmter Ereignisse und Herrscher in Antike und Neuzeit nachzuweisen. Für den Bereich der Naturphilosophie weist Mary B. Hesse bereits 1961 auf die Parallelität der Naturphilosophie der frühen Neuzeit, vor allem der Renaissance, und des alten Griechenland hin: „In 1600 natural philosophers are discussing the same problems that had exercised the scientific minds of Greece, using the same arguments and the same categories of thought, quoting the same authorities, describing the same simple experiments“.80

Wie sehr die Renaissance als eine Fortsetzung der äußeren und oberflächlichen Formen des antiken römischen Lebens gesehen werden könnte, zeigt auch das erotische Treiben höchster kirchlicher Würdenträger im 14. Jahrhundert zu Avignon81 und im Rom des 16. und 17. Jahrhunderts, bei welchem man spontan an die erotischen Zustände im alten Rom, wie sie in den Gedichten von Catull, Tibull und Properz geschildert werden, denken muss. Die starke Nähe zur Antike zeigt sich auch in der Selbstverständlichkeit, mit welcher Homosexualität und andere Sexualpraktiken im Rom der Renaissance praktiziert worden sind. Vom wissenschaftlichen Geist der Antike und der christlichen Gesinnung des Neuen Testamentes spürt man im verarmten und nur etwas über 150.000 Einwohner umfassenden Rom dieser Zeit nur wenig.82 Man gewinnt eher den Eindruck, dass die römische Renaissance wieder unmittelbar an die sexuellen Gepflogenheiten der römischen Oberschicht der Antike, in welcher Sexualität vielfach wie ein Leistungssport betrieben wurde, anknüpfte. Ich erinnere nur an den „Sexmarathon“, welchen sich Messalina, die Frau von Kaiser Claudius, ‘erfolgreich’ mit einer römischen Oberhure im 1. Jahrhundert nach Chr. lieferte, und an die „Fischlein“ von Capri, die Kinder, welche Kaiser Tiberius auf Capri sexuell missbrauchte und sie von Zeit zu Zeit entsorgte, indem er sie über die 300 Meter hohen Klippen Capris hinabwerfen ließ.83

Und auf die wenig antike Erscheinung des alten Rom hat ja im 19. Jahrhundert bereits Ferdinand Gregorovius in seinem Buch über das mittelalterliche und moderne Rom aufmerksam gemacht.

Eine wichtige chronologische und historische Zäsur stellt das Jahr 1582 dar. In diesem Jahr gestaltete Papst Gregor XIII. mit Hilfe einer päpstlichen Kommission „ohne weltliche Interessenvertreter“ den julianischen Kalender so um, „so dass der Kalender vom 4. Oktober auf den 15. Oktober 1582 sprang.“84 Es gibt aber nach Serrade seltsamerweise neben einigen nicht mehr zu klärenden Ungereimtheiten keine überlieferten Zeugnisse zu den „rechnerischen Annahmen“ dieser Kalenderreform, was übrigens auch von lllig bemängelt wurde. Im Verlauf dieser gregorianischen Kalenderreform und der nachfolgenden Synchronisierung der außereuropäischen mit der neu geschaffenen europäischen Zeitrechnung durch Scaliger (15401609) kam auch das Kunstwort „Chronologia“ auf.85 Man muss davon ausgehen, dass sich bei der Umrechnung bzw. Angleichung der verschiedenen Zeitsysteme (z.B. altgriechische Olympiadenrechnung, römische Indiktionendatierung, altjüdischer Kalender etc.) Fehler eingeschlichen haben. Seit Scaliger (1540-1609) wurde übrigens die europäische und außereuropäische Chronologie nicht mehr auf Stimmigkeit und Widerspruchsfreiheit überprüft. Nachträgliche Fehlerkorrekturen der modernen Chronologie würden zu einem absoluten Chaos führen. Die „Richtigkeit“ der modernen Chronologie für die Zeit vor 1582 hat also nicht nur in der Geschichtswissenschaft, sondern ganz allgemein in der breiten Öffentlichkeit den Charakter einer unumstößlichen Gewissheit.

Die Chronologiestudien der vergangenen Jahre lieferten darüber hinaus zunehmend Argumente für die Tatsache, dass mit der konventionellen Chronologie (u. Z.) etwas nicht in Ordnung ist. Ich gehe davon aus, dass die Chronologiestudien kommender Jahre weitere Klarheit in die europäische Geschichte der Antike und des Mittelalters bringen werden.

Was meine Arbeit betrifft, kann – trotz unsicherer chronologischer Grundlagen für Antike und Mittelalter – auf jeden Fall an der Wirksamkeit der jüdischen und christlichen Ideen bis in unsere Gegenwart nicht gerüttelt werden. Das heißt aber nicht, dass die bisherige Methodik der Geschichtswissenschaft mit der Zweitrangigkeit der Archäologie gegenüber der literarischen Geschichtsforschung weiterhin haltbar ist.

In der Geschichtsforschung waren bzw. sind bis heute Archäologie, Geologie und andere Sachwissenschaften nur sekundäre Disziplinen. Es gibt ja schon seit 1986 auf Seiten der Archäologie ernst zu nehmende Vertreter wie Timothy Champion und D. Austin, welche die Dominanz der schriftlichen Überlieferung über die Archäologie ablehnen. Die Feststellungen von Champion in seinem Vortrag von 1986 auf dem World Archaeological Congress in Southampton „Medieval archaeology and the tyranny of the historical record“ zur Beziehung von (schriftbezogener) Geschichtsforschung und Archäologie sind so lapidar und bedeutsam für eine künftige historische Methodik, dass ich diese hier wörtlich festhalten möchte:

„...das Programm für die Archäologie der historischen Perioden Europas [wird] von der Geschichtsforschung und deren Vorstellung von der Vergangenheit definiert … Nicht nur werden die auf archäologischen Quellen basierenden Forschungen in der Regel gegenüber den auf schriftlicher Überlieferung beruhenden als zweitrangig angesehen, sondern auch der gesamte konzeptionelle Rahmen von Fragestellungen und Ergebnissen wird begrenzt durch die Interessen der Historiker“.86

Es muss ausdrücklich festgehalten werden, dass es, wie gesagt, keinen Bereich gibt, in welchem so viel gefälscht und manipuliert wurde wie in der Historiographie. Der neue Denkansatz – zu welchem Davidson und Landau ganz wesentlich beigesteuert haben – sollte, wie oben beschrieben, also auch dazu beitragen, dass nicht nur alte Fälschungen erkannt und eliminiert, sondern auch neue Fälschungen und Erfindungen im Bereich der Geschichte vermieden werden.

Wie notwendig eine interdisziplinäre Kooperation z. B. im Rahmen der Kunstgeschichte nicht zuletzt bei historischen Sachquellen ist, zeigen die beiden fast identischen männlichen Büsten bei Gabowitsch. Die beiden Portraits „are dated with 14 centuries in between: a Roman portrait of AD 60 and a Renaissance portrait from the year 1474”.87 Im oben erwähnten Buch von Zhabinsky (Another History of Arts, S. 157) „hundreds of examples demonstrate, that a big part of Renaissance was set in ancient times by wrong dating traditions“ (Gabowitsch). Eine solche Rückprojizierung von der Renaissance in die Antike hält Gabowitsch auch bei der sog. Laokoongruppe88 für höchst wahrscheinlich. Bei mehr interdisziplinärer Zusammenarbeit lassen sich meines Erachtens krasse Fehldatierungen weitgehend eliminieren bzw. wenigstens auf ein erträgliches Maß reduzieren. Irrtümer dieser Art sind sicher nicht auf die Kunstgeschichte beschränkt und lassen sich, wenn auch nicht so spektakulär, für andere Bereiche der Geschichte beibringen. Auch die religiöse Ideen- und die Kulturgeschichte, auf welche sich die vorliegende Thematik vor allem bezieht, sind nicht gegen Irrtümer aller Arten gefeit. Ein besonders schwieriges Kapitel stellt, was die Wurzeln Europas betrifft, die Frage der jüdischchristlichen Symbiose dar.

Die jüdisch-christlich-islamische Kultur Europas

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