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Im allgemeinen zeigen die größeren Vereine eine stärkere Zunahme als die kleineren, deren Mitgliederzahl sogar nicht selten zurückgeht. Das hängt damit zusammen, daß sie ihren Mitgliedern freilich geringere Beiträge abfordern, ihnen dafür aber auch weniger bieten können. Die amtliche Statistik giebt die Ziffern über Einnahme, Ausgabe und Vermögensbestand, sowie über die einzelnen Arten der Ausgaben nur für die 100 größten Vereine, die zusammen 1059609 Mitglieder haben. Sie zeigen in den Jahren 1892–1897 folgende Entwicklung:

Jahr Mitgliederzahl Einnahme Pfd. St. Ausgabe Pfd. St. Vermögensbestand Pfd. St.
1892 903981 1455885 1418311 1618790
1893 910119 1614379 1848159 1385010
1894 924584 1629550 1433867 1580693
1895 914766 1557667 1390717 1747643
1896 961026 1673571 1233494 2187720
1897 1059609 1981971 1896072 2273619

Die Einnahmen bestehen neben Zinsen aus belegten Kapitalien, Eintrittsgeldern, Erträgen aus dem Verkauf von Mitgliedskarten und Statuten u. s. w. naturgemäß überwiegend aus den Beiträgen, und zwar sowohl den regelmäßigen Jahreszahlungen wie aus besonderen Umlagen, zu deren Ausschreibung meist das Exekutivkomitee befugt, zuweilen aber auch ein Mehrheitsbeschluß der Mitglieder erforderlich ist. Die Beiträge sind sehr verschieden, und zwar sowohl in den verschiedenen Vereinen wie nach den Jahren mit Rücksicht auf besondere Bedürfnisse. Eine Uebersicht der Beiträge, und zwar der regelmäßigen wie der außerordentlichen, für das Jahr 1897 bietet folgende Tabelle:

Beitrag auf den Kopf: Zahl
der Vereine der Mitglieder
Unter 5 Schilling 1 2300
mindestens 5 aber 10 17 119369
10 15 17 241842
15 20 9 49074
20 30 19 251825
30 40 16 115077
40 60 8 81031
60 80 10 88421
80 Schilling und darüber 3 110670
Zusammen: 100 1059609

Der Durchschnittsbeitrag belief sich 1892 auf 28 sh. 9¼ d., 1893 auf 31 sh. 2½ d., 1894 auf 32 sh. 1½ d., 1895 auf 31 sh. 11¼ d., 1896 auf 32 sh. 3¾ d., 1897 auf 32 sh. 11¼ d.

Unter den Ausgaben sind die wichtigsten Posten: 1. Streikgeld (dispute pay); 2. Arbeitslosenunterstützung; 3. Alterspension; 4. Kranken- und Unfallunterstützung; 5. Begräbnisgeld; 6. Verwaltungskosten. Damit ist nicht gesagt, daß alle Vereine diese sämtlichen Arten von Unterstützungen gewähren. Der amtliche Bericht teilt die Ausgaben in drei Klassen, nämlich Streikgeld, Verwaltungskosten und Unterstützungen, wobei zu den letzteren die unter 2–5 bezeichneten Posten gezählt werden.

Die Gesamtausgabe aller Vereine für die Jahre 1892–1897 beträgt:

für Streikgeld 2171271 Pfd. Sterl. = 23½ Proz.
Unterstützungen 5466903 = 59½
Verwaltungskosten 1582446 = 17
9220620 = 100

Eine Verteilung auf die hauptsächlichsten Gewerbegruppen, bei der auch die einzelnen Unterstützungen getrennt sind, ergiebt folgende Tabelle:

Gewerbegruppe Prozentsatz der Ausgaben für: Betrag in Pfd. Sterl.
Streikgeld Unterstützungen für Verwaltungskosten
Arbeitslose Krankheit und Unfall Alter Begräbnis Zusammen
Baugewerbe 12,8 16,6 26,5 8 12,3 63,4 23,8 1358292
Bergbau u. Hüttenwesen 44,5 15,7 9,5 16,9 42,1 13,4 1452284
Metallindustrie, Maschinen- und Schiffbau 11 40,2 17,2 13,7 7,1 78,2 10,8 3686798
Textilindustrie 38,1 25,6 4 1,3 13,8 44,7 17,2 948664
Bekleidungsindustrie 27,2 4,1 35,1 9,1 7,4 55,7 17,1 422261
Transportgewerbe 10,8 5,6 9,5 3,3 17,8 36,2 53 407611
Buchdruckerei und Buchbinderei 6 50,2 5 10,7 9,9 75,8 18,2 325992
Holzverarbeitung 12,1 31,3 11,3 13,8 9,9 66,3 21,6 201062
Ungelernte Arbeiter verschiedener Betriebe 19,8 22,2 15,4 6,2 9,5 53,3 26,9 417656
Zusammen 20,3[24] 27,5 15,9 8,3 10,9 62,6[24] 17,1 9220620

Diese Aufstellung zeigt, wie verschieden das Verhältnis zwischen Streikgeld und Unterstützungen sich bei den einzelnen Vereinen gestaltet. Der Bericht giebt nähere Nachweisungen für die 100 größten Vereine, die in drei Gruppen geteilt werden. Die erste, bei der das Streikgeld im Vordergrunde steht, obgleich zuweilen auch Begräbnis-, Kranken- und Unfallunterstützung gezahlt wird, umfaßt 25 Vereine mit 243411 Mitgliedern. Die zweite, bei welcher zu dem Streikgeld die Arbeitslosenunterstützung hinzukommt, umfaßt 34 Vereine mit 264548 Mitgliedern. Die dritte, bei der daneben alle Arten von Unterstützung (Alter, Krankheit, Unfall) bezahlt werden, ist die größte, denn sie umfaßt 41 Vereine mit 551650 Mitgliedern. Die Vereine, die sich ausschließlich auf Streikgeld beschränken, sind die jüngsten, denn das Durchschnittsalter der Vereine beträgt in der ersten Klasse nur 16, in der zweiten 25, in der dritten 55 Jahre. Aber jedenfalls ergiebt sich aus diesen amtlichen Ziffern, wie unzutreffend es ist, zu behaupten, daß die trade unions überwiegend Streikvereine seien; nicht allein sind die Vereine, bei denen die Streikunterstützung im Vordergrunde steht, stark in der Minderzahl, sondern selbst bei Berücksichtigung aller Vereine beläuft sich der, auf die Streikunterstützung entfallende Betrag, wie nachgewiesen, auf 20,8 bezw. 23½%.

Obgleich alle Vereine ihre Mitglieder bei Streiks unterstützen, ist doch der Betrag in den einzelnen Jahren sehr verschieden; so hatten von den 100 größten Vereinen im Jahre 1897 14 mit 50070 Mitgliedern überhaupt keine Ausgaben hierfür gehabt.

Eine Uebersicht über die Jahre 1892–1897 giebt folgende Tabelle, bei der zu berücksichtigen ist, daß 1892/93 der große Baumwollenstreik, 1893 der große Kohlenstreik und 1897 der Maschinenbauerstreik stattfand, und daß bei solchen Streiks nicht nur die unmittelbar beteiligten, sondern infolge der gegenseitigen Unterstützung auch die übrigen Gewerbe in Mitleidenschaft gezogen werden.

In den 100 größten Vereinen wurden verausgabt in Pfd. St.:

1892 1893 1894 1895 1896 1897
im Baugewerbe 33286 30655 25279 20110 35178 20516
im Bergbau und Hüttenbetriebe 111656 346361 63235 41403 39478 43374
in d. Metallindustrie, Maschinen- u. Schiffbau 28997 9265 23575 30145 34855 280460
Textilindustrie 134610 132014 33432 21245 17778 31941
Bekleidungsindustrie 12743 10086 8017 60136 5666 18297
Eisenbahndienst 2643 9286 2176 2018 2753 9684
Dockbetrieb 3789 6044 995 1004 2129 1234
anderen Gewerben 26770 32089 13451 10343 16070 27994
Zusammen 352500 584800 160160 186404 153907 433500

Arbeitslosenunterstützung zahlen 75 von den 100 größten Vereinen ihren Mitgliedern in Höhe von 6 sh. bis 20 sh. wöchentlich; die häufigsten Beträge sind 10, 12 oder 15 sh. Die höchsten Ausgaben hierfür werden in der Metallindustrie sowie dem Maschinen- und Schiffbau gemacht. In der folgenden Uebersicht ist deshalb diese Gruppe von den übrigen getrennt; zugleich ist der Prozentsatz der Arbeitslosen angegeben.

Jahr Ausgabe für Arbeitslosenunterstützung Prozentsatz der Arbeitslosen in allen Gewerben
Metallindustrie, Maschinen-und Schiffbau Pfd. St. Andere Gewerbe Pfd. St.
1892 216688 134824 6,3
1893 253874 208627 7,5
1894 266907 194282 6,9
1895 206822 229412 5,8
1896 131923 152483 3,4
1897 404851 137373 3,5

Den Betrag der übrigen von den 100 größten Vereinen in den Jahren 1892–97 gezahlten Unterstützungen sowie des Vermögens ergiebt folgende Tabelle.

Jahr Alterspension[25] Pfd. St. Kranken- und Unfallunterstützung[26] Pfd. St. Begräbnisgeld[27] Pfd. St. Vermögen Pfd. St.
1892 102432 210243 68589 1618790
1893 112588 241638 75343 1385010
1894 122434 230233 70104 1580693
1895 131861 263966 76443 1747643
1896 142518 246788 75858 2187720
1897 152207 269784 82156 2273619[28]

Der Betrag des Vermögens, berechnet auf den Kopf des einzelnen Mitgliedes, ist sehr verschieden. Er betrug 1897 bei den 100 größten Vereinen:

1 Schill. 4 d. bis weniger als 10 Schill. bei 19 Vereinen mit 148998 Mitgliedern
10 1 Pfd. St. 15 97180
1 Pfd. St. 2 31 344472
2 3 16 302237
3 4 7 64804
4 und darüber 12 101918
100 Vereine mit 1059609 Mitgliedern.

Die geringsten Beträge von 1 sh. 4 d. und 1 sh. 5 d. finden sich nur bei zwei Vereinen; der Höchstbetrag war 13 £. St. 4 sh. 11 d. Bei 57 Vereinen mit 646709 Mitgliedern = 60% belief er sich zwischen 1 und 3 Pfd. St. Am niedrigsten stehen die Vereine, die sich auf Streikgeld beschränken, am höchsten diejenigen, welche möglichst alle Arten von Unterstützungen, insbesondere Alterspension, zahlen. Der Durchschnitt für die 100 Vereine belief sich

1892 auf 1 Pfd. St. 15 Schill. Doll. 1895 auf 1 Pfd. St. 18 Schill. Doll.
1893 1 10 1896 2 5
1894 1 14 1897 2 2 11

Die Organisation der Frauen ist naturgemäß noch weit weniger vorgeschritten, als die der Männer; wo aber die Frauen organisiert sind, gehören sie überwiegend den von den Männern begründeten Vereinen an. Vereine, die ausschließlich aus Frauen bestanden, gab es 1897 nur 25 mit 7935 Mitgliedern gegenüber 114 gemischten, denen 161539 Männer und 111840 Frauen angehörten. In allen 139 Vereinen gab es also 119775 Frauen, so daß sie innerhalb der Gesamtzahl von 1609909 organisierten Arbeitern nur etwa 7% darstellen. Die genauen Verhältnisse der Verteilung zeigt folgende Tabelle:

Prozentsatz der weiblichen Mitglieder Zahl der Vereine Zahl der Mitglieder
Männer Frauen Zusammen
100 25 7935 7935
50 bis weniger als 100 63 38041 101895 139936
10 50 23 10208 6143 16351
unter 10 28 113290 3802 117092
Zusammen 139 161539 119775 281314

Weitaus die meisten der organisierten Frauen, nämlich 109180 = 91,1% in 91 Vereinen, sind in der Textilindustrie beschäftigt, wovon allein 74034 = 61,8% in 48 Vereinen auf die Baumwollweberei und 19996 = 16,7% in 18 Vereinen auf die Baumwollspinnerei entfallen. Von den 25 Vereinen mit ausschließlich weiblichen Mitgliedern bestehen nur zwei länger als seit 1874, fünf haben ein Alter von 10–18 Jahren, sieben ein solches von 5–10 Jahren und 11 sind jünger als 5 Jahre. Von den 25 Vereinen haben 20 weibliche Sekretäre.

Das Verhältnis der organisierten Arbeiter zu den nicht organisierten ist nicht genau zu bestimmen, zumal die letzte Volkszählung von 1891 die verschiedenen Beschäftigungsarten nicht streng sondert und deshalb nicht genau diejenigen ausscheiden läßt, die überhaupt für die Organisation in Betracht kommen, indem zu berücksichtigen ist, daß dies durch mancherlei Gründe, insbesondere jugendliches Alter, Gebrechlichkeit u. dgl. ausgeschlossen ist. Nach einer oberflächlichen Schätzung kann man die Anzahl der erwachsenen Männer in den Berufen, die für die Organisation in Frage kommen, auf etwa 7 Millionen annehmen, diejenige der Frauen auf 1 Million. Danach bedeutet die Zahl von 1490134 männlichen und 119775 weiblichen Mitgliedern einen Prozentsatz von 21 bez. 12%. Scheidet man aber die Landwirtschaft aus, in der bisher nur 0,8% der Arbeiter organisiert sind, so steigt der Prozentsatz der männlichen Mitglieder von 21 auf 25%. Am höchsten steigt er im Bergbau und Hüttenbetriebe, indem hier von den insgesamt beschäftigten 776267 Arbeitern über 16 Jahren 282432 = 36% organisiert sind. In der Textilindustrie sind von 403669 beschäftigten Männern über 18 Jahren 108037 = 27% und von den 519915 Frauen gleichen Alters 109180 = 21% organisiert. Von der Gesamtbevölkerung bilden die Mitglieder der trade unions etwa 4%.

Die trade unions sind übrigens über die verschiedenen Gegenden des Königreiches sehr ungleichmäßig verteilt, wie folgende von S. und B. Webb aufgestellte Tabelle ergiebt:

Berufszweig England und Wales Schottland Irland Insgesamt
Maschinenbau u. Metallindustrie 233450 45300 8250 287000
Baugewerbe 114500 24950 8550 148000
Bergbau 325750 21250 347000
Textilgewerbe 184270 12330 3400 200000
Bekleidungs- u. Lederindustrie 78650 8400 2950 90000
Druckgewerbe 37950 5650 2400 46000
Verschiedene kleinere Berufe 46550 7450 4000 58000
Landarbeit., Transportgewerbe &c. 302880 21670 10450 335000
Gesamtsummen 1324000 447000 40000 1511000

Die nördlich vom Humber und Dee gelegenen sieben Grafschaften enthalten allein 726000 Mitglieder; dann folgen die industriellen Bezirke von Mittelengland, Leicester, Derby, Nottingham, Warwick, Gloucester, Northampton und Stafford mit 210000 und Südwales mit 89000, während London mit seiner nächsten Umgebung nur die verhältnismäßig geringe Zahl von 194000 Mitgliedern aufweist. Die führenden Bezirke sind Northumberland, Durham und Lancashire, wo in verschiedenen Berufen 80 bis 100% der Arbeiter Mitglieder ihrer Gewerkschaft sind. In diesen Gegenden bilden die trade unions in der That die ausschlaggebende Macht in der Arbeiterschaft; aber in vielen Bezirken gehören ihnen immerhin 50% der Arbeiter an, und da dies naturgemäß die tüchtigsten sind, so haben sie auch dort die unbestrittene Führerschaft.

Im wesentlichen liegt diese noch heute in der Hand der gelernten Arbeiter der Großindustrie; gegen 750000 Mitglieder gehören allein den drei großen Stapelindustrien an: dem Kohlenbergbau, dem Maschinen- und Schiffbau und der Baumwollenbearbeitung. Der plötzliche Aufschwung der ungelernten Arbeiter von 1889/90 hat rasch nachgelassen. Von den 200000 Eisenbahnarbeitern sind nur 48000 organisiert, von denen noch die größere Zahl auf die höheren Stellungen der Schaffner und Lokomotivführer entfällt. Der Dockarbeiterverein, der 1890 57000 Mitglieder zählte, war schon 1893 auf 14000, 1894 auf 10000 und 1895 auf 9000 zurückgegangen. Die Nationale Union der Hafenarbeiter, der 1890 30000 Personen angehörten, hatte 1893 nur noch 11000 Mitglieder. Die Pferdebahn- und Omnibuskutscher, die Lagerhausarbeiter, Lastträger und städtischen Tagelöhner sind im wesentlichen wieder in den Zustand mangelnder Organisation zurückgesunken.

Die englische Gewerkschaftsbewegung hat insbesondere in den letzten Jahren die deutschen sozialistischen Gewerkschaften ebenso wie die Hirsch-Duncker'schen Gewerkvereine lebhaft angeregt; von beiden Seiten sind Versuche gemacht mit den englischen trade unions nähere Beziehungen anzuknüpfen. So war auf dem Kongresse in Edinburg auch ein Vertreter der deutschen sozialistischen Gewerkschaften, v. Elm, anwesend, dessen Beteiligung zu einer lebhaften Preßfehde zwischen diesen und den Hirsch-Duncker'schen Gewerkvereinen Anlaß gegeben hat. Die „Generalkommission“ hat zugeben müssen, daß ihr keine Einladung zu dem Kongresse zugegangen war und v. Elm sich ohne eine solche nach Edinburg begeben hat, obgleich die „Generalkommission“ die trade unions zu ihrem II. Gewerkschaftskongresse in Berlin eingeladen hatte, was mit der Begründung abgelehnt war, daß die Einladung zu spät eingetroffen sei, um noch eine Sitzung des parlamentarischen Ausschusses abhalten zu können. Auch der Vorwurf des „Gewerkvereins“ ist als berechtigt anzuerkennen, daß v. Elm das Hauptgewicht seines in London gehaltenen Vortrages darauf gelegt habe, die Hirsch-Duncker'schen Vereine anzugreifen und herabzusetzen. Daß beide gewerkschaftliche Gruppen Deutschlands großen Wert darauf legen, Fühlung mit den trade unions zu erhalten und deren Autorität für ihre Sache zu benutzen, ist begreiflich und berechtigt, aber der Kampf der beiden Konkurrenten soll in Deutschland ausgefochten werden und nicht auf einem englischen Kongresse, auf dem, sofern überhaupt deutsche Gewerkschaften zugelassen werden, die eine Partei ebenso berechtigt ist, wie die andere. Die Haltung der trade unions, wie sie insbesondere durch die beiden Kongresse in Cardiff und Edinburg festgelegt ist, entspricht weder der Politik der sozialistischen Gewerkschaften, noch derjenigen der Hirsch-Duncker'schen Gewerkvereine, sondern bewegt sich auf einer Mittellinie, und es scheint wenig Aussicht vorhanden, daß sie diese zu Gunsten des einen oder anderen extremen Standpunktes verlassen werden; dazu sind sie zu sehr Männer des praktischen Lebens und Gegner aller theoretischen Prinzipien, mögen sie liegen in der Richtung des Sozialismus oder des Individualismus.

Auch die Gegner der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland haben versucht, aus den Kongreßbeschlüssen der letzten Jahre Kapital zu schlagen und insbesondere aus den Beschlüssen in Liverpool und Norwich den Beweis hergeleitet, daß auch in England die G.-V. sich auf die Dauer nicht als derjenige Schutz gegen die Sozialdemokratie bewährt hätten, als welcher sie bis dahin gepriesen wären; man hat deshalb prophezeit, daß diese staatsgefährliche Bewegung jetzt sehr bald auch England erobert haben und dann für jeden klar ersichtlich sein werde, daß jedes Entgegenkommen gegenüber der Arbeiterbewegung lediglich zur Stärkung der Sozialdemokratie führe. Ich werde auf diese Frage an anderer Stelle zurückkommen und bemerke hier nur, daß es sehr viele Leute giebt, die für den Maximalarbeitstag eintreten und selbst den Achtstundentag für ein erstrebenswertes und im Laufe der Zeit erreichbares Ziel halten, ja die auch den Bodenwucher und die Gewinnung ungeheurer Vermögensmassen durch das Steigen des Grundwertes in den Großstädten ohne irgend welche eigene Arbeit für verwerflich halten und deshalb Anhänger der Bodenbesitzreform sind und gewisse Betriebe lieber in der Hand des Staates oder der Gemeinde als in derjenigen des Privatunternehmers sehen, ohne doch trotz aller dieser sozialistischen oder halbsozialistischen Neigungen in der spezifisch sozialdemokratischen Richtung der heutigen Arbeiterbewegung etwas anderes als eine auf das Tiefste zu beklagende Verwirrung zu sehen. Schon hier mag auch darauf hingewiesen werden, daß selbst die sozialistischen G.-V. in England in wichtigen und vielleicht entscheidenden Fragen eine durchaus entgegengesetzte Haltung einnehmen, wie die deutsche Sozialdemokratie. Vor allem teilen gerade die bedeutendsten sozialistischen Führer die geschichtlichen und sittlichen Ideale der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung: Vaterlandsliebe und Religion. Begeisterung für die Größe und Macht Englands macht sich auch bei ihnen in einer den Nichtengländer fast verletzenden Form geltend; häufig eröffnen sie ihre Versammlungen mit Gebet- und Liederandachten, und unerschrocken halten sie den Massen Strafpredigten über Unsittlichkeit und Ausschweifung. Eine große Anzahl von Geistlichen der englischen Staatskirche sind Mitglieder der Fabian Society. Aus der religiösen Gesinnung der englischen Sozialdemokraten ist im Jahre 1891 die Begründung der „Arbeiterkirche“ hervorgegangen, der die meisten der oben genannten Führer angehören. Sie steht auf einem freien, aber durchaus religiösen Boden, setzt sich aber das Ziel, „Mitglieder aller Klassen zu vereinigen, um die gewerbliche Sklaverei abzuschaffen“.

Uebrigens ist schon auf dem Kongresse in Belfast offen von Trennung der beiden mehrgedachten Richtungen gesprochen, und es liegt nicht außerhalb des Bereiches der Möglichkeit, daß hier neben dem vierten Stande der gelernten Arbeiter demnächst die Bildung eines neuen fünften Standes der ungelernten Arbeiter in Frage kommt.

Fußnoten:

[2] Die erste erschöpfende Bearbeitung des englischen Gewerkschaftswesens, die in gewisser Weise noch immer die Grundlage bildet, sind die Arbeiten von L. Brentano, insbesondere seine „Arbeitergilden der Gegenwart“, Leipzig 1871. In neuester Zeit ist diesen Arbeiten ergänzend zur Seite getreten das umfassende Buch von Sidney und Beatrice Webb: „Die Geschichte des Trade-Unionsmus“, London 1874, übersetzt von E. Bernstein, Stuttgart 1895, A. Dietz. Dieses Werk hat in der deutschen Litteratur mit Recht die allgemeinste Anerkennung gefunden; die Verfasser sind selbst Mitglieder der Fabian Society, stehen also auf dem Boden des Sozialismus, wahren sich aber nicht allein einen durchaus unabhängigen Standpunkt, sondern machen auch aus ihrer Abneigung gegen die Marxistische Sozialdemokratie so wenig ein Hehl, daß der Uebersetzer an mehreren Stellen in Anmerkungen ihnen deswegen Tadel zu teil werden läßt. In der folgenden Darstellung ist in erster Linie dieses Buch zu Grunde gelegt.

Die sonstige Litteratur ist in dem Aufsatze von L. Brentano „Die Gewerkvereine in England“ im Handwörterbuch der Staatswissenschaften IV, 7 und den Ausführungen von Biermer im I. und II. Erg.-Bande, S. 412 u. 440 zusammengestellt.

Seit dem 1. April 1891 erscheint in London das Wochenblatt „The Trade Unionist“.

Seit 1887 werden die amtlichen Labour Statistics „Statistic tables and reports on Trade Unions“ herausgegeben, umfangreiche Blaubücher als Anlagen zum Labour Correspondent (J. Burnett). Besonders wertvoll sind auch die Mitteilungen der von dem Labour Department der englischen Regierung in der Mitte jedes Monats herausgegebenen „Labour Gazette“, die seit Mai 1893 erscheint und eine umfassende Statistik aller auf die Arbeiterverhältnisse bezüglichen Thatsachen bietet. Vergl. außerdem L. Brentano: „Entwickelung und Geist der englischen Arbeiterorganisationen“ in Braun: „Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik“, VIII, S. 75 ff., Galton, daselbst, XII, S. 449 ff. Ueber die Organisationen der Arbeiterinnen vergl. G. Dyrenfurth in Brauns Arch. VII, 166 ff.

[3] Arbeitergilden, Buch I, Kap. III, S. 83.

[4] Zur Geschichte der deutschen Gesellenverbände, Leipzig 1877, S. 25 ff.

[5] A. a. O. S. 163.

[6] Webb, a. a. O. S. 175.

[7] Unter amalgamation versteht man die völlige Verschmelzung verschiedener Berufe zu einer einheitlichen Organisation, während federation ein bloßes Bündnis selbständiger Vereine bedeutet.

[8] Webb, a. a. O. S. 189 ff.

[9] A. a. O. S. 216.

[10] Webb, a. a. O., S. 270.

[11] Webb, a. a. O., S. 352.

[12] Webb, a. a. O.

[13] Webb, a. a. O., S. 353.

[14] Siehe unten.

[15] Später hat auch Broadhurst sich zu dem Grundsatze des Achtstundentages bekehrt und ist 1893 von neuem in das parlamentarische Komitee gewählt.

[16] Vergl. unten.

[17] Auch in dem stärksten der englischen Gewerkvereine, nämlich der schon erwähnten neuen Union der Bergarbeiter (miners federation), der um so mehr Interesse bietet, als in ihm die ältere und die jüngere Richtung sich am schärfsten bekämpfen, hat auf der am 3. Januar 1897 in Leicester abgehaltenen Generalversammlung, in der 326214 Mitglieder durch 54 Abgeordnete vertreten waren, die gemäßigte Richtung den Sieg gewonnen, indem der Antrag der Abteilung Schottland, sich für Verstaatlichung aller Produktionsmittel zu erklären, abgelehnt und statt dessen der Antrag von Yorkshire angenommen wurde: „Die Federation erachtet es zur Erhaltung der britischen Industrie für absolut notwendig, den Grund und Boden, die Bergwerke, Bergwerksgerechtigkeiten und die Eisenbahnen des Landes zu verstaatlichen.“

[18] Ich folge im allgemeinen der Darstellung von Clement Edwards in Brauns, Archiv für soziale Gesetzgebung XII, 626 ff.

[19] Die bisher abgehaltenen Kongresse sind folgende: 1. Manchester, 2. Juni 1868, 118367 Mitglieder mit 34 Vertretern; 2. Birmingham, 23. August 1869, 250000 M. mit 48 V.; 3. London, 6. Mai 1871, 287430 M. mit 50 V. Hier wurde zum erstenmale ein parlamentarisches Komitee gewählt. 4. Nottingham, 8. Januar 1872, 255710 M. mit 77 V. Hier wurden die Abgesandten politischer Vereinigungen, die erschienen waren, zurückgewiesen. 5. Leeds, 13. Januar 1873, 730074 M. mit 130 V.; 6. Sheffield, 12. Januar 1874, angeblich 1191922 M. mit 169 V., doch ist man einig, daß diese hohe Ziffer durch Doppelzählungen herbeigeführt ist. 7. Liverpool, 18. Januar 1875, 818032 M. mit 151 V.; 8. Glasgow, 11. Oktober 1875, 539823 M. mit 139 V.; 9. Newcastle on Tyne, 18. September 1876, 556488 M. mit 140 V.; 10. Leicester, 17. September 1877, 691089 M. mit 114 V.; 11. Bristol, 9. September 1878, 623927 M mit 136 V.; 12. Edinburg 1879, 541892 M. mit 115 V.; 13. Dublin, 16. September 1880, 494222 M. mit 105 V.; 14. London, 12. September 1881, 463899 M. mit 157 V.; 15. Manchester, 13. September 1882, 509337 M. mit 153 V.; 16. Nottingham 1883, 471651 M. mit 163 V.; 17. Aberdeen, 8. September 1884, 569033 M. mit 141 V.; 18. Southport, 7. September 1885, 580976 M. mit 141 V.; 19. Hull, 6. September 1886, 633088 M. mit 143 V.; 20. Swansea, 5. September 1887, 674034 M. 156 V.; 21. Bradford, 3. September 1888, 674634 M. 150 V.; 22. Dundee, 2. September 1889, 885055 M. mit 211 V.; 23. Liverpool, 1. September 1890, 1470191 M. 457 V.; 24. Newcastle on Tyne, 7. September 1891, 1302855 M. mit 552 V.; 25. Glasgow, 5. September 1892, 1219934 M. mit 418 V.; 26. Belfast, 4. September 1893, 900000 M. mit 380 V.; 27. Norwich, 3. September 1894, 1080545 M. mit 372 V.; 28. Cardiff, 2.–6. September 1895, 951000 M. mit 345 V.; 29. Edinburg, 7.–12. September 1896, 1035341 M. mit 346 V.; 30. Birmingham, 6.–11. September 1897, 1093191 M. mit 381 V.; 31. Bristol, 29. August bis 3. September 1898, 1176896 M. mit 406 V.

Seit 1874 veranstalten die irischen Gewerkvereine jährliche Sonderkongresse, da die meist kleineren Vereine nicht imstande sind, die Kosten eines Abgesandten für die englischen Kongresse zu tragen. Der dritte irische Kongreß wurde im Mai 1896 in Limerick abgehalten; es waren auf ihm 50000 Mitglieder vertreten (Vgl. Labour Gazette, Juni 1896, S. 177). Auch die schottischen Gewerkvereine sind jetzt diesem Beispiele gefolgt, indem sie den ersten schottischen Kongreß im März 1897 in Glasgow abgehalten haben; auf demselben waren 38 Vereine mit 41000 Mitgliedern vertreten (Vgl. Report of the first annual Scottish trade unions congress. Glasgow, March 1897).

[20] Webb, a. a. O. S. 420.

[21] Webb, a. a. O. S. 423.

[22] Report of the chief labour correspondent of the board of trade on trade unions in 1897 with comparative statistics for 1892–1896. London 1898, Darling & Son.

[23] Für fünf kleine Vereine mit zusammen 4834 Mitgliedern ist die Gründungszeit nicht zu ermitteln gewesen.

[24] Die Abweichung dieser Ziffern mit den oben angegebenen ist in dem Berichte nicht erläutert, scheint aber auf der schwierigen Unterscheidung zwischen Streikgeld und Arbeitslosenunterstützung zu beruhen.

[25] Diese wird nur von 40 Vereinen gezahlt.

[26] Nur 49 Vereine zahlen Krankengeld, nur 44 zahlen Unfallunterstützung.

[27] Das Begräbnisgeld ist am allgemeinsten verbreitet; es wird von 87 Vereinen mit 954965 Mitgliedern gezahlt. Der Betrag schwankt zwischen 2 und 30 Pfd. St., meist ist er 10, 12 oder 15 Pfd. St. Zuweilen wird es auch beim Tode von Frauen oder Kindern gezahlt.

[28] Die verhältnismäßig geringe Zunahme gegen 1896 erklärt sich daraus, daß der Maschinenbauerstreik in den betreffenden Vereinen eine Verminderung des Vermögens im Betrage von 130725 Pfd. St. verursacht hatte.

Die Gewerkschaftsbewegung

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