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III. Oesterreich[37].
ОглавлениеIn Oesterreich begegnet die Gewerkschaftsbewegung einer Reihe schwerwiegender Hindernisse. Dazu gehört in erster Linie der Gegensatz der verschiedenen Nationalitäten, die, abgesehen von einer gewissen instinktiven gegenseitigen Abneigung, zugleich verbunden ist, mit einer weitgehenden Abweichung in der hergebrachten Lebenshaltung; so fühlt der slavische und romanische Arbeiter sich noch völlig zufrieden bei einer Lebensweise, die dem Deutschen unerträglich ist. Ferner kommt in Betracht die Verschiedenheit der Sprache, durch welche die Herausgabe gemeinsamer Arbeiterblätter wesentlich erschwert wird. Außerdem steht Oesterreich noch auf einer verhältnismäßig niedrigen Stufe der industriellen Entwicklung. Es überwiegt einerseits die Landwirtschaft und andererseits das Handwerk. Beide aber begünstigen nicht einen so scharfen Interessengegensatz zwischen Arbeitern und Unternehmern, wie die Industrie. In weitem Umfange besteht auch noch die Hausindustrie mit ihren traurigen Verhältnissen[38].
Die Gesetzgebung enthält für die Gewerkschaftsbewegung teils günstige, teils ungünstige Momente. Zu den ungünstigen gehört die Bestimmung des Vereinsgesetzes, noch welcher den Vereinen verboten ist, Beschlüsse zu fassen, durch welche sie sich eine Autorität in irgend einem Zweige der Gesetzgebungs- oder Exekutivgewalt anmaßen. Auf Grund dieser Bestimmung hat z. B. die Wiener Polizeibehörde 1888 den Fachverein der Bäcker geschlossen, weil derselbe statistische Erhebungen über die Lage der Bäckereiarbeiter unternommen hatte. Das frühere Koalitionsverbot ist freilich durch Gesetz vom 7. April 1870 aufgehoben, aber den Behörden steht das Recht zu, beschäftigungslose Personen in die Heimatgemeinde abzuschieben, wovon vielfach gegen streikende Arbeiter Gebrauch gemacht wird. Eine günstige Einrichtung dagegen liegt in der gesetzlichen Zwangsorganisation, die für das Kleingewerbe bereits durchgeführt und für die Großindustrie und den Bergbau ins Auge gefaßt ist. Sowohl Arbeiter als Arbeitgeber sind hiernach durch gesetzliche Bestimmung zu bezirksmäßig abgegrenzten Vereinigungen verbunden. Die Arbeiterschaft, insbesondere soweit sie unter sozialdemokratischem Einflusse steht, verhielt sich anfangs diesen Gehülfenverbänden gegenüber wegen ihres Zwangskarakters durchaus ablehnend. Aber bald überwog die Ansicht, daß man sich den durch sie gebotenen Vorteil nicht entgehen lassen dürfe, und so hat ein im Jahre 1890 abgehaltener allgemeiner Gewerkschaftstag beschlossen, die Zwangsgenossenschaften thunlichst für die Zwecke der Arbeiterbewegung zu verwerten, wobei der Umstand, daß in denselben alle Arbeiter vereinigt sind, daß aber den fortgeschritteneren naturgemäß die Führung zufällt, und daß der Gehülfenausschuß eine staatlich anerkannte Behörde bildet, als besonders bedeutungsvoll hervorgehoben wurde.
Die erste umfassende Begründung von Gewerkvereinen erfolgte zum Beginn der 70er Jahre, nachdem 1870 durch die Aufhebung des Koalitionsverbotes ein freier Spielraum geschaffen war. Ende der 70er Jahre sollen etwa 30000 Arbeiter gewerkschaftlich organisiert gewesen sein. Aber einerseits wurde dieser Aufschwung durch die spätere ungünstige wirtschaftliche Entwicklung stark gedämpft, andererseits führte das Uebergewicht, welches der Anarchismus zeitweilig in der Arbeiterbewegung erlangte, zu einer gegnerischen Haltung der Behörden und insbesondere zur Verhängung eines Ausnahmezustandes durch ein dem deutschen Sozialistengesetze entsprechendes Gesetz. So zählte man 1888 nur 15000 Mitglieder der Gewerkschaften.
Ein Umschwung erfolgte erst seit dem vom 30. Dezember 1888 bis 1. Januar 1889 in Hainfeld abgehaltenen ersten Parteitage der österreichischen Sozialdemokratie, auf dem es unter Zurückdrängung der anarchistischen und antiparlamentarischen Elemente gelang, eine einheitlich organisierte österreichische sozialdemokratische Partei zu schaffen. Hier wurde auch die Stellung zu den Gewerkschaften behandelt und beschlossen, deren Gründung mit möglichster Heranziehung der männlichen und weiblichen Hilfsarbeiter zu empfehlen, wobei man betonte, daß ein Gegensatz zwischen der politischen und der gewerkschaftlichen Bewegung nicht bestehe und nur mit Rücksicht auf die bestehende Gesetzgebung beide getrennt vorzugehen gezwungen seien.
Auch auf dem zweiten sozialdemokratischen Parteitage in Wien (28.–30. Juni 1891) wurde das Thema „Stand und Ziele der gewerkschaftlichen Organisation“ behandelt. Obgleich man erklärte, Ziffern über den Bestand nicht angeben zu können, so wurde doch behauptet, daß seit 1889 die Zahl der Vereine sich verdoppelt, die der Mitglieder sich verdreifacht habe. Die Gesamtzahl der Fach- und Gewerkschaftsvereinen wurde auf 300, die der Mitglieder auf 600000 geschätzt. Es wurde dabei wiederholt betont, daß die Gewerkschaften nur die Bedeutung einer Erziehung für die Sozialdemokratie haben dürften, daß allerdings manche derselben humanitäre Bestrebungen, insbesondere das Kassen- und Versicherungswesen zu stark in den Vordergrund treten ließen und in einigen sich geradezu eine Arbeiteraristokratie entwickelt habe, in der ein konservativer Geist großgezogen würde, wie ja früher die Arbeiter für die Ideen von Schultze-Delitzsch geschwärmt hätten, daß aber auf eine Umwandlung zu hoffen sei. Eine Resolution empfahl die Förderung der Gewerkschaften auf föderativer Grundlage doch mit der Einschränkung, „daß durch die Gewerkschaftsorganisation die sozialdemokratische Bewegung in keiner Weise hintangesetzt werden darf.“ Die Gewerkschaften sollen sich über ganze Kronländer, womöglich über das ganze Reich erstrecken; wo das nicht angeht, sind lokale Vereine zu gründen, doch soll die Schaffung eines das ganze Reich umfassenden Verbandes angestrebt werden. Solange dies nicht gelungen ist, sollen regelmäßig Delegiertentage die Verbindung vermitteln. In den Vereinen sind auch die nicht qualifizierten Arbeiter und die Frauen aufzunehmen. Als Aufgaben der Gewerkschaften wurden bezeichnet: die Arbeitsvermittelung, die Schaffung von Widerstandsfonds, die Unterstützung der Arbeitslosen sowohl am Orte als auf der Reise und die Gewährung von Rechtsschutz. Die Resolution schloß mit der Aufforderung, allenthalben in Oesterreich Gewerkschaftsvereine zu gründen.
Die späteren Parteitage haben sich mit der Gewerkschaftsfrage nicht mehr beschäftigt, vielmehr unternahm man es bald, eine eigene gewerkschaftliche Organisation zu schaffen. Den Anlaß hierzu bot der Beschluß des englischen trade unions Kongresses in Glasgow 1892, gleichzeitig mit dem für 1893 in Zürich geplanten internationalen Arbeiterkongresse einen internationalen Gewerkschaftskongreß zu berufen. Um diesen Plan zu vermitteln, bildete sich ein Komitee der Wiener Gewerkschaften, das einen Protest gegen den Versuch, zwischen den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie einen Gegensatz zu schaffen, veröffentlichte, aber zugleich beschloß, die Schaffung einer Gesamtorganisation der österreichischen Gewerkschaften ins Leben zu rufen und zunächst selbst die Aufgabe einer provisorischen Gewerkschaftskommission übernahm.
Nach mühevollen Vorarbeiten gelang es, den I. österreichischen Gewerkschaftskongreß[39] zustande zu bringen, der vom 24.–27. Dezember 1893 in Wien tagte. Auf demselben waren 194 Vereine mit angeblich 50000 organisierten Arbeitern durch 270 Abgeordnete vertreten. Davon entfielen 69 Vereine mit 158 Vertretern auf Wien. Außerdem waren die deutsche Generalkommission der Gewerkschaften und der schweizerische Gewerkschaftsbund vertreten.
Der Bericht der provisorischen Generalkommission betonte die großen Schwierigkeiten, mit denen man zu kämpfen gehabt habe. Die Ausgaben der Kommission hatten 576 fl. betragen gegenüber einer Einnahme von 447 fl.
Die wichtigste Aufgabe war die Schaffung einer gemeinsamen Organisation. Als Zweck der Gewerkschaften bezeichnete man: „Die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder allseitig zu wahren, insbesondere durch Maßnahmen zur Erzielung bezw. Erhaltung möglichst günstiger Arbeitsbedingungen beizutragen.“
Die nächsten praktischen Aufgaben sollen sein:
„1. Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse sowie Beseitigung von Mißständen in den einzelnen Betrieben und dem ganzen Gewerbe.
2. Regelung des Vermittelungswesens und Errichtung von Herbergen.
3. Pflege der Statistik.
4. Einführung bezw. Regelung der Reiseunterstützung.
5. Beseitigung der Lehrlingsausbeutung.“
Die Gewerkschaften sollen sich auf das ganze Kronland erstrecken; in allen Orten, wo eine genügende Anzahl von Berufsgenossen vorhanden ist, sind Ortsgruppen zu errichten. Die Gewerkschaften haben sich mit den verwandten Berufsorganisationen unter einheitlicher, aus Vorstandsmitgliedern sämtlicher dabei in Betracht kommender Berufsorganisationen bestehender Leitung zu Gruppenorganisationen in der Form der Industrieverbände zu vereinigen. Deren Aufgaben sind:
1. Möglichst planmäßige und auf gemeinschaftliche Kosten zu betreibende Agitation für die zur Industriegruppe gehörenden Berufsorganisationen.
2. Herausgabe eines gemeinschaftlichen Organs, das so eingerichtet sein muß, daß den Interessen sämtlicher dabei in Betracht kommender Organisationen Rechnung getragen wird.
3. Streiks, die innerhalb der zur betreffenden Gruppe gehörenden Industriezweige notwendig werden, von den einzelnen Berufsorganisationen aber nicht wirksam geführt werden können, sind, nachdem sie in der Industriegruppe gutgeheißen worden, auf gemeinschaftliche Kosten im prozentualen Verhältnis zur Mitgliederzahl zu führen.
4. Die Berufsstatistik der einzelnen Organisationen zu führen und für die Veröffentlichung der Resultate zu sorgen.
5. Die für die zur Industriegruppe gehörigen Berufe errichteten Herbergen, Zahlstellen für Reiseunterstützung, Rechtsschutz u. s. w. in einzelnen Städten sowie im ganze Reiche möglichst zu zentralisieren.
Für die Zeit, bis die Industrieverbände genügend ausgebaut sind, um einen geschlossenen Verband bilden zu können, wurde zur Regelung der gemeinsamen Angelegenheiten eine zentrale Körperschaft in Form einer aus je einem Vertreter der verschiedenen Industriegruppen gebildeten Gewerkschaftskommission eingesetzt. Dieselbe hat sich durch je einen Vertrauensmann der Gewerkschaften in der Hauptstadt eines jeden Kronlandes zu ergänzen und ist dem Kongresse für ihr Gebahren verantwortlich. Ihre Aufgaben sind:
1. Die Betreibung der Organisation und Agitation in denjenigen Industrien und Gruppen, deren Angehörige teilweise oder noch gar nicht organisiert sind, mit besonderer Berücksichtigung der Provinz.
2. Gründung von Widerstandsfonds.
3. Die Statuten des Vereins, sowie der Verbände zu einem Einheitlichen und Praktischen zusammenzustellen.
4. Das Unterstützungswesen, als: Rechtsschutz-, Reise-, Herbergs- und Vermittelungswesen u. s. w. zu zentralisieren durch Anstrebung der Errichtung von Arbeitsbörsen.
5. Die in den einzelnen Vereinen aufgenommenen Statistiken zu einer einheitlichen zusammenzustellen, sowie statistische Aufzeichnungen über sämtliche Streiks zu führen.
6. Verbände für zusammengehörende Industriegruppen, sowie einen Zentralverband aller Verbände zu bilden.
7. Veröffentlichung aller die gewerkschaftliche Organisation betreffenden Angelegenheiten durch das Korrespondenzblatt für die Vorstände und Vertrauensleute.
8. Regelung der Fachpresse.
9. Einen Gewerkschaftskongreß mit Zustimmung der Mehrheit der Organisationen einzuberufen.
Die Kommission hält ihre Sitzungen nach Bedarf und wählt aus ihrer Mitte einen Sekretär.
Die Organisationen haben:
1. für Mitglied und Monat einen Kreuzer an die Gewerkschaftskommission zu leisten. Von diesen Beiträgen sind zunächst die Kosten des Blattes, der Verwaltung, Agitation u. s. w. zu bestreiten;
2. die statistischen Erhebungen der Kommission zur allgemeinen Zusammenstellung und Veröffentlichung zu übermitteln, sowie einen vierteljährlichen Bericht über Arbeitslosen- und Reiseunterstützung, Rechtsschutz und Vermittelungswesen u. s. w. einzusenden resp. diesbezügliche Fragebogen der Kommission genau zu beantworten;
3. von etwaigen Streiks der Kommission zu berichten, womöglich und nach Thunlichkeit deren Gutachten einzuholen;
4. sich bei Streiks gegenseitig zu unterstützen oder, wenn es die Notwendigkeit erheischt, daß einzelne Industriezweige sich dem Streik anschließen, dasselbe zu vollführen;
5. zu den Verbandstagen und Kongressen die Kommission einzuladen;
6. die Beschlüsse der Kommission, und sowohl der gemeinsamen Kongresse der Vertreter der Vereine wie der Gewerkschaftskongresse, zu beachten und einzuhalten;
7. die Kommission bei den Erhebungen über Statistik zu unterstützen;
8. Vorschläge in Bezug auf Organisation zu machen.
Die Gruppeneinteilung, wie sie vom Kongresse beschlossen wurde, ist folgende:
I. Bauarbeiter. II. Bekleidungsindustrie. III. Bergarbeiter. IV. Chemische Industrie. V. Eisen- und Metallindustrie. VI. Gas- und Wasserarbeiter. VII. Glas-, Porzellan- und Thonwarenindustrie. VIII. Graphische Fächer und Papierindustrie. IX. Handelsgewerbe und Handelsangestellte. X. Holzarbeiter. XI. Horn-, Bein- und Schildkrotindustrie. XII. Landwirtschaftliche Gruppen. XIII. Lebensmittelbranche. XIV. Ladenindustrie. XV. Textilindustrie. XVI. Verkehrs- und Transportwesen. XVII. Weibliche, Hand- und Maschinenindustrie.
Die Stellung zur Politik wurde in einem Beschlusse niedergelegt, in dem, mit der Erwägung, daß es Zweck der gewerkschaftlichen Organisation sei, eine Kampfes- und Widerstandsorganisation zu sein, deren vornehmste Pflicht darin besteht, die Folgen der kapitalistischen Produktionsweise zu mildern und zu beseitigen und die Arbeiterschaft vor gänzlicher physischer wie geistiger Degeneration zu bewahren, als Aufgabe bezeichnet wird, die wirtschaftlichen Interessen der Arbeiterschaft zu wahren, daneben aber, um den Kampf nach allen Seiten hin erfolgreich durchführen zu können, auch die politischen Mittel zum Zweck nicht zu vergessen; deshalb habe die gewerkschaftliche Organisation sich voll und ganz auf den Boden und die Prinzipien der Sozialdemokratie zu stellen.
An sonstigen Beschlüssen sind noch folgende zu erwähnen:
Da die Gewerkschaften in verschiedenen Kronländern noch sehr schwach und bloß Bildungs- und Unterstützungsvereine vorhanden sind, so sollen die sämtlichen derartigen Arbeitervereine in die Gewerkschaftsorganisation einbezogen werden. Diese Bildungs-, Fach- und Gewerkvereine der Provinz und Wiens sind der Gewerkschaftsorganisation zuzuzählen, sobald sie ihr Statut in die von der Gewerkschaftskommission vorzuschlagende Normalfassung bringen.
Jeder Arbeiter, der sich als Genosse bekennt, muß auch Mitglied der Gewerkschaft seiner Branche sein.
Die Regelung der Fachpresse bleibt den einzelnen verbündeten Organisationen der verwandten Berufe vorbehalten, doch wurde das schon vorläufig von der Generalkommission herausgegebene Korrespondenzblatt für sämtliche Gewerkschaften des Reiches womöglich mit dreimaligem Erscheinen im Monate beibehalten. Dasselbe soll in deutscher und nach Möglichkeit in tschechischer Sprache erscheinen. Kleine Organisationen sollen sich zur Herausgabe eines gemeinschaftlichen Fachblattes vereinigen; doch sollen im allgemeinen die kleinen Branchenblätter abgeschafft und durch Verschmelzung zu großen leistungsfähigen Blättern umgestaltet werden.
Streiks sind bei der jeweiligen Kronlandszentralleitung anzumelden, die unverzüglich die Gewerkschaftskommission zu verständigen hat. Dies gilt für Streiks, die zum Zweck der Lohnverbesserung geführt werden, unbedingt; sie sollen nur eintreten, nachdem sie gutgeheißen sind. Streiks wegen Lohnverkürzung oder aus anderen Ursachen, welche nicht vorhergesehen werden können, sind nach Möglichkeit vorher anzuzeigen. Streiks, welche weder bei der Gewerkschaftskommission noch bei der Kronlandszentralleitung angezeigt sind, verlieren, wenn der Ausbruch nicht ein unvorhergesehener und durch begründete Umstände bedingt ist, den Anspruch auf Unterstützung, doch darf die Gelegenheit zur Entgegennahme freiwilliger Beiträge gegeben werden. Auch nichtorganisierte Arbeiter soll die Organisation nach Kräften bei Streiks unterstützen, um sie dadurch zum Beitritt zu gewinnen.
Boykotts können von der Kommission angeordnet werden und sind dann von den beteiligten Organisationen zur Ausführung zu bringen.
Nach langen Verhandlungen über den Generalstreik wurde von einer Beschlußfassung darüber abgesehen, dagegen beschloß man, die Feier des 1. Mai zu empfehlen. —
War hiermit die Grundlage einer umfassenden Gewerkschaftsorganisation gelegt, so boten sich doch bei der Ausführung sehr große Schwierigkeiten, die durch die Wahl eines ungeeigneten Sekretärs noch vermehrt wurden; insbesondere fiel es schwer, die Vereine an regelmäßige Beiträge zu gewöhnen.
Als erste Aufgabe betrachtete es die Gewerkschaftskommission, in den einzelnen Kronländern Zentralleitungen zu bilden; solche wurden 1894 und 1895 in Mähren, Schlesien, Ober- und Niederösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg, Böhmen, Steiermark, Kärnten, Buckowina und Galizien geschaffen. Ihre Ergänzung fanden sie in Vertrauensmännern, denen ein Hauptteil der Arbeit zufiel. Eine ganze Anzahl von Vereinen wurde durch deren Mitwirkung ins Leben gerufen.
Die Regierung stellte sich von Anfang an nicht unfreundlich zu der Gewerkschaftskommission, ja als es sich 1895 darum handelte, eine offizielle Statistik über den Stand der Arbeitsvermittelung in Oesterreich aufzunehmen, wurde von der k. k. Zentralkommission für Statistik die Gewerkschaftskommission sowie einige große Gewerkschaften, wie die Metallarbeiter, Schneider u. s. w. eingeladen, ihr Gutachten über die von der Regierung vorgelegten Fragebogen abzugeben. Auf Wunsch des statistischen Departements des Handelsministeriums übernahm es die Gewerkschaftskommission, als Erhebungsstelle für die Gewerkschaften und Bildungsvereine zu fungieren. In gleicher Weise ist man bei Besetzung der neu geschaffenen, dem Amte für Arbeitsstatistik beigegebenen ständigen Arbeitsbeiräte, die am 1. Oktober 1898 in Wirksamkeit getreten sind, vorgegangen, indem sich der Handelsminister bei Auswahl der acht Arbeitervertreter mit den Arbeiterorganisationen ins Einvernehmen gesetzt und zwei von der Organisation der christlich-sozialen Arbeiter vorgeschlagene sowie sechs von der Gewerkschaftskommission empfohlenene Personen ernannt hat. Dafür erklärte auch der Sekretär der Gewerkschaftskommission, Hueber, in der Eröffnungssitzung vom 26. September 1898, daß das neue Amt jederzeit die Unterstützung der organisierten Arbeiterschaft haben würde und die Arbeiter alles daransetzen wollten, um ihren guten Willen zur Mitarbeit zu beweisen. In Deutschland würde eine solche Anerkennung der Arbeiterorganisationen von der Bureaukratie als gleichbedeutend mit der Unterwerfung des Staates unter die Sozialdemokratie betrachtet werden. So ist es denn begreiflich, daß, wie an anderer Stelle[40] dargelegt, auch die Unternehmer den Arbeitern gegenüber eine ganz anderen Haltung als in Deutschland einnehmen und infolge davon die soziale Entwicklung einen wesentlich anderen Gang genommen hat.
Der Rechenschaftsbericht der Kommission für 1895 und 1896 führt lebhafte Klage über planlose und deshalb mit großen Opfern verlorene Streiks. Er macht geltend, der Standpunkt mancher Organisation: „Nun stehen wir im Streik und müssen unterstützt werden,“ müsse vertauscht werden mit dem entgegengesetzten der Kommission: „Zuerst der Widerstandsfonds, die Einwilligung der Organisation, dann erst zum Streik.“
Ein besonderer Abschnitt wird in dem Berichte den Arbeiterbildungsvereinen gewidmet. In Oesterreich bestehen danach 230 deutsche und 289 tschechische, zusammen also 519 solcher Vereine. Von den deutschen haben 157 = 70%, von den tschechischen nur 81 = 28% die Fragebogen beantwortet; wie der Bericht meint, hat dabei das Mißtrauen der tschechischen Vereine gegen die als „deutsch“ verschrieene Kommission mitgewirkt. Von den Vereinen hatten sich bis 1896 39 aufgelöst. Die 238 Vereine, aus denen Angaben vorlagen, hatten 19508 Mitglieder, von denen 2256 Frauen waren, mit einer Gesamteinnahme von jährlich 36747 fl., einer Gesamtausgabe von 24657 fl. und einem Vermögensbestande von 12220 fl. Nach dieser Ziffer wird der gesamte Mitgliederbestand der 519 Vereine auf 33400 geschätzt, von denen 20% auch den Gewerkschaften angehören. Die meisten Arbeiterbildungsvereine haben auch Fachblätter, Arbeitslosen- und Waisenunterstützung, Rechtsschutz und Streikgeld, stehen also den Gewerkschaften sehr nahe.
Vom 25. bis 30. Dezember 1896 hat dann der zweite österreichische Gewerkschaftskongreß in Wien stattgefunden. Auf demselben waren 243 Vereine mit 91966 Mitgliedern durch 228 Abgeordnete vertreten. Nach dem mündlichen Berichte des Referenten Hueber umfaßte die Organisation Ende Juni 1896 105000 Mitglieder; insgesamt seien die organisierten Arbeiter Oesterreichs auf 150000 zu veranschlagen, was bei einer Gesamtzahl von acht Millionen noch nicht 2% bedeutet. Die Beiträge wurden an die Kommission 1894 für 37500, 1895 72883 und 1896 für 95900 Mitglieder bezahlt. Als Organ wurde „Die Gewerkschaft“ ins Leben gerufen, die schon bald in erweitertem Umfange erscheinen mußte.
Der erste Gegenstand der Tagesordnung, der Bericht der Generalkommission, führte zu lebhaften Auseinandersetzungen, wobei namentlich die Tschechen sich über Vernachlässigung beklagten. Ebenso wurde es getadelt, daß die sozialdemokratische Partei Oesterreichs nicht offiziell eingeladen sei, doch wurde dies mit der Rücksicht auf die Polizei entschuldigt; übrigens war sie durch drei Abgeordnete vertreten. Auch Legien als Vertreter der reichsdeutschen Gewerkschaften war anwesend.
Weitaus die meiste Zeit nahm die Beratung über die Organisation in Anspruch. Die Gewerkschaftskommission hatte einen Entwurf aufgestellt, der auf dem Grundsatze möglichster Zentralisation beruhte. Die Grundlage sollten Vereine der einzelnen Berufe bilden, die sich zu großen, das ganze Reich umfassenden Zentralverbänden zusammenzuschließen hätten. Die Zentralverbände verwandter Berufe sollten sich zu Industrieverbänden vereinigen, doch waren diese nur als Vorstufe gedacht, denn überall, wo es möglich sei, sollte die Auflösung der Berufsgewerkschaften und die Bildung von Unionen angestrebt werden. Der Unterschied dieser gegenüber den Industrieverbänden beruht darauf, daß, während die letzteren die Berufsgewerkschaften, und zwar sowohl die Ortsvereine wie die Zentralverbände bestehen lassen und lediglich unter ihnen eine föderative Vereinigung schaffen, die Unionen eine völlige Verschmelzung der verwandten Berufe darstellen, so daß schon in den Ortsgruppen nicht die einzelnen Berufe, z. B. Maurer, Zimmerer, Dachdecker, Hülfsarbeiter u. s. w., sondern die Gesamtheit der beteiligten Gruppen, z. B. der Bauarbeiter zusammengefaßt ist. Zur Erledigung der lokalen Angelegenheiten, wie Herbergswesen, Arbeitsnachweis, Abhaltung von Vorträgen u. s. w. sollten übrigens an allen Orten aus allen dort vertretenen Arbeiterorganisationen Ortsverbände gebildet werden. Die Bildungsvereine sollten überall aufgelöst und nur da, wo die örtlichen Verhältnisse die Schaffung von Berufsgewerkschaften oder von Ortsgruppen der Unionen nicht gestatteten, „allgemeine (gemischte) Gewerkschaften“ zugelassen werden.
Diese Vorschläge fanden jedoch lebhaften Widerspruch, indem darauf hingewiesen wurde, daß man mit dem Zusammengehörigkeitsgefühle innerhalb der einzelnen Berufsarten als einer Thatsache rechnen müsse, die man durch Tadel über Kastengeist und Berufsdünkel nicht aus der Welt schaffe; man werde niemals erreichen, daß Modelleure sich mit Ziegelarbeitern, Bildhauer mit Bauarbeitern zu einer Union zusammenschlössen, selbst die Maurer pflegten den Hülfsarbeitern den Beitritt zu versagen. Das Ergebnis des langwierigen Redekampfes war, daß, nachdem anfangs die Annahme des Vorschlages der Kommission mit 38844 gegen 37019 Stimmen verkündet war, eine nochmalige Zählung die Ablehnung mit 37163 gegen 36555 Stimmen ergab, wobei 11221 Stimmen nicht abgegeben waren.
Bei den Verhandlungen wurde auch das Verhältnis zur Sozialdemokratie gestreift und erwähnt, daß einzelne Gewerkschaften sich zu ihr in scharfem Gegensatze befänden und sozialdemokratische Redner nicht einmal zum Worte zuließen.
Der gegen die Arbeiterbildungsvereine gerichtete Antrag der Kommission, der freilich von einigen Seiten mit dem Hinweise auf die Möglichkeit, durch sie die Arbeiterschaft für die Bewegung zu gewinnen, bekämpft, von der Mehrheit oder wegen der Rückständigkeit jener Bestrebungen unterstützt wurde, fand schließlich insofern Annahme, daß die Auflösung der bestehenden Vereine gefordert und die Neubildung untersagt wurde, doch wurden die vorgeschlagenen „allgemeinen Gewerkschaften“ gestrichen.
Ein weiterer erbitterter Streit betraf die Anstellung eines selbständigen tschechischen Sekretärs bei der Gewerkschaftskommission. Für diese Forderung wurde geltend gemacht, daß die tschechischen Arbeiter dies als Zugeständnis an ihre Nationalität beanspruchten, während die Gegner teils einen solchen Gesichtspunkt als grundsätzlich unzulässig bekämpften, da die Interessen der Arbeiter nicht durch die Nationalitätsunterschiede berührt würden, teils sich darauf beriefen, daß die Forderung praktisch unausführbar sei, da sie zu einer Zweiteilung der Gewerkschaftskommission selbst führen müsse. Als der Antrag abgelehnt und nur beschlossen war, daß einer der beiden Angestellten, der Sekretär oder sein Stellvertreter, der tschechischen Sprache völlig mächtig sein müsse, zogen sich die tschechischen Abgeordneten zu einer Sonderberatung zurück, als deren Ergebnis sie verkündeten, daß sie gegen die Majorisierung protestierten und es den Organisationen im Lande überlassen müßten, zu beschließen, was weiter zu geschehen habe.
Der an die Gewerkschaftskommission monatlich zu zahlende Beitrag wurde unter Ablehnung des Kommissionsantrages, der 1½ Kr. forderte, auf 1 Kr. festgesetzt.
Der Wortlaut der auf die Organisation bezüglichen Beschlüsse ist folgender:
1. „Bildungs- und Lesevereine und gemischte Gewerkschaften, die aus Mitgliedern bestehen, für deren Branchen eine Ortsgruppe oder Zahlstelle der Berufsorganisation auf Grund der am Orte beschäftigten Arbeiter eines Berufes möglich ist, haben sich in Ortsgruppen oder Zahlstellen der betreffenden Berufsorganisation umzuwandeln. Die Gründung von Bildungs- und Lesevereinen hat in Zukunft zu unterbleiben.
2. Gründung von Berufsgewerkschaften und Verbänden, welche sich auf das ganze Reich zu erstrecken haben.
3. Verbindung verwandter Berufsgewerkschaften (Verbände) zu einem Industrieverbande.
4. Verbindung von Gewerkschaften, Fachvereinen, Ortsgruppen und Zahlstellen zu einem Ortsverbande zum Zwecke der Zentralisation der Arbeitsvermittelung, Errichtung von Herbergen, Abhaltung von Vorträgen und Unterrichten am Orte.
5. Die Gewerkschaftskommission Oesterreichs, welche sich aus je einem Vertrauensmann der Industriegruppen zusammensetzt, ist die Gesamtvertretung der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter Oesterreichs.“
Als Aufgaben der Gewerkschaftskommission wurde neben der Durchführung der beschlossenen Organisation unter Beobachtung der vom Kongresse angenommenen Normalstatuten noch ferner bezeichnet: Zentralisation des Rechtsschutz-, Herbergs- und Arbeitsvermittelungswesens durch Anstrebung und Errichtung von Arbeitsbörsen unter ausschließlicher Führung der Gewerkschaften, Führung einer sorgfältigen Statistik und Aufzeichnung sämtlicher Streiks, Entgegennahme von An- und Abmeldungen von Angriffs- und Abwehrstreiks und Beschlußfassung über dieselben, Sammlung freiwilliger Spenden für die im Lohnkampfe stehenden organisierten Arbeiter im Wege der freien Organisation der Branchen, Pflege der internationalen Beziehungen zu den Gewerkschaften anderer Länder und Einberufung der nach Bedürfnis, jedoch mindestens alle drei Jahre abzuhaltenden Gewerkschaftskongresse, sowie Besorgung der erforderlichen Vorarbeiten.
Zu ausgedehnten Verhandlungen führte die Streikfrage. Man war allgemein darüber einig, daß freilich Streiks und Boykotts nicht zu entbehren seien, daß aber das Mittel nur mit großer Vorsicht angewandt werden dürfe. Leichtsinnige Streiks seien das Zeichen der Unreife und schädigten die Organisationen. Die Gewerkschaftskommission hatte ein eingehendes Streikreglement vorgelegt, nach dem alle Streiks spätestens sechs Wochen vor ihrem Beginne bei der Kommission angemeldet und nur mit deren Zustimmung unternommen werden dürften; nur Abwehrstreiks sollten hiervon ausgenommen sein. Zur Ansammlung eines Zentralstreikfonds sollten die einzelnen Organisationen für jedes Mitglied monatlich 1 Kreuzer an die Kommission abführen, doch sollte jede Gewerkschaft daneben einen eigenen Widerstandsfonds gründen. Kleine Werkstättenstreiks sollten überhaupt nicht von der Kommission unterstützt werden.
Am heftigsten angegriffen wurde die Ansammlung eines Zentralstreikfonds und die vorherige Anmeldung bei der Kommission, von der man befürchtete, daß die Absicht, einen Streik einzuleiten, zur Kenntnis der Unternehmer gelangen könnte, während andrerseits gerade eine längere Anmeldungsfrist aus dem Grunde gefordert wurde, um dem „Streikfieber“ entgegenzuwirken. Das Ergebnis der Abstimmung war die Ablehnung des festen Beitrages von 1 Kr.: vielmehr soll die Kommission die Beiträge zum Streikfonds durch Sammellisten einziehen. Die Anmeldefrist von sechs Wochen wurde gestrichen, aber die Zustimmung der Kommission als Vorbedingung der Unterstützung beibehalten. Ausgenommen hiervon sind nur Abwehrstreiks, doch sollen auch diese nur im Notfalle und nur dann geführt werden, wenn eine gütliche Beilegung sich als unmöglich erwiesen hat. Genehmigte Streiks sind durch die „Gewerkschaft“ und die „Arbeiterzeitung“[41] bekannt zu machen. Durch eine besondere Resolution wurde für alle Streiks die größte Vorsicht empfohlen.
Ein weiterer Gegenstand der Beratung war die Stellung zu der vorgeschlagenen kommunalen Arbeitsvermittelung. Dieselbe wurde aus dem Grunde abgelehnt, weil die Kommunalverwaltungen zur Zeit dem Einflusse des Kapitales in der Weise unterworfen seien, daß ihre Arbeitsvermittelung nur dessen Interessen dienen würde. Ebenso wurde vor gemeinsamen Arbeitsnachweisen der Arbeiter und der Unternehmer gewarnt und die Arbeitsvermittelung als alleinige Angelegenheit der Gewerkschaften in Anspruch genommen.
Hinsichtlich der Hausindustrie wurde deren völlige Aufhebung und die Einrichtung von Betriebswerkstätten gefordert. Solange dies nicht durchgeführt ist, soll die Hausindustrie unter die Arbeiterschutzbestimmungen der Gewerbeordnung, unter die Gewerbeinspektion und die Arbeiterversicherung gestellt werden.
Auch bei der Frage der Ausgestaltung des Rechtsschutzes ergab sich eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob derselbe den einzelnen Gewerkschaften zu überlassen oder bei der Gewerkschaftskommission zu zentralisieren sei; doch wurde dies letztere beschlossen.
Endlich wurde noch eine ausführliche Resolution angenommen, in der eine Verbesserung der Arbeiterschutzgesetzgebung, insbesondere die Einführung des gesetzlichen Achtstundentages und eine staatliche Invaliditätsversicherung gefordert wurde; ebenso wurde beschlossen, an der Feier des 1. Mai festzuhalten. Die Vergebung öffentlicher Arbeiten ist an die Bedingung einer höchstens neunstündigen Arbeitszeit und die Gewährung eines ausreichenden, mit den Arbeiterorganisationen zu vereinbarenden Lohnes zu knüpfen.
Im Gegensatze zu den deutschen Verhältnissen wurde von den anwesenden Vertretern der sozialdemokratischen Partei anerkannt, daß auch die sozialpolitische Gesetzgebung Gegenstand der Beratungen und der Thätigkeit der Gewerkschaften zu bilden habe.
Mit einem Hoch auf die internationale Sozialdemokratie wurde der Kongreß geschlossen. Der nächste Kongreß soll 1899 abgehalten werden. —
Die Entwicklung und die Bedeutung der österreichischen Arbeiterorganisationen wird am besten beleuchtet durch einige statistische Angaben.
Nach einer im Jahre 1893 aufgenommenen Statistik gab es damals rund 50000 gewerkschaftlich organisierte Arbeiter. Für Niederösterreich wurden 136 Vereine mit 31522 Mitgliedern gezählt, von denen 56 mit 20202 Mitgliedern auf Wien und 80 mit 11320 Mitgliedern auf die Provinz entfielen. Da die in den betreffenden Berufen beschäftigten Arbeiter in Wien 311652 und in der Provinz 132041 betrugen, so entsprach dies einer Beteiligung von 6-2/3, bezw. 8%.
Eine für Mähren und Schlesien vom 8./9. September 1894 in Wien abgehaltene Konferenz, die von 123 Vertretern aus 35 Orten besucht war, zählte für diese beiden Länder 29 Gewerkschaften mit 11859 Mitgliedern nebst 56 Bildungsvereinen mit 5865 Mitgliedern.
Auf der am 30. Juni 1895 in Wien abgehaltenen Gewerkschaftskonferenz wurde die Gesamtzahl der in Oesterreich bestehenden Gewerkschaften auf 591 mit 80000 Mitgliedern angegeben, neben 275 Bildungsvereinen mit 27000 Mitgliedern.
Die „Gewerkschaft“ veröffentlichte auf Grund von Fragebogen, die von 750 Organisationen versandt und von 730 beantwortet waren, folgende für den 31. Dezember 1895 berechnete Statistik:
Die Mitgliederzahl der 730 Organisationen betrug 88826, während die der fehlenden 20 Organisationen auf 2000 geschätzt wurde. Die Verteilung auf die einzelnen Gewerbe ergiebt folgende Tabelle:
Berufsgruppen | Gesamtzahl der beschäftigten Arbeiter | Gesamtzahl der organisierten Arbeiter | Prozentsatz |
Polygraphische Gewerbe | 21375 | 8258 | 38,77 |
Eisenbahn- und Postdienst | 122318 | 17851 | 14,60 |
Industrie der Steine und Erden | 119974 | 7591 | 6,33 |
Metallindustrie | 246023 | 14867 | 6,04 |
Berg- und Hüttenwesen | 139769 | 7710 | 5,50 |
Handel | 287283 | 14719 | 5,32 |
Industrie der Holz- und Schnitzstoffe | 163400 | 6673 | 4,08 |
Papier- und Lederindustrie | 57411 | 2070 | 3,60 |
Baugewerbe | 252900 | 3251 | 1,68 |
Textilindustrie | 399938 | 6265 | 1,56 |
Chemische Industrie | 19312 | 281 | 1,45 |
Bekleidungsindustrie | 383339 | 6614 | 1,07 |
Nahrungsmittelindustrie | 317600 | 3319 | 1,04 |
Sonstige Gewerbe | 123693 | 3375 | 2,71 |
2654335 | 88826 | 3,30 |
Eine Ende Juli 1896 aufgenommene Zählung ergab sogar 99434 Mitglieder, darunter 3501 Frauen.
Dazu kommen noch die in mehr oder weniger engem Verbande mit den Gewerkschaften stehenden und in der Umbildung zu ihnen befindlichen Arbeiterbildungsvereine, denen Ende Juni 1896 33400 Personen (31900 Arbeiter und 1500 Arbeiterinnen) angehörten.
Eine Ergänzung finden diese Angaben an den Ziffern der oben erwähnten, von der Regierung im Jahre 1895 vorgenommenen Erhebung, die zugleich die Verteilung auf die einzelnen Kronländer erkennen läßt. Danach ergiebt sich folgende Tabelle:
Kronland | Gewerkschaften | Ortsgruppen | Bildungsvereine | Zusammen | |
Niederösterreich: | Wien | 85 | 110 | 33 | 228 |
„ | Provinz | 2 | 109 | 34 | 141 |
Oberösterreich | 14 | 6 | 14 | 34 | |
Böhmen | 91 | 152 | 322 | 465 | |
Mähren | 39 | 56 | 72 | 167 | |
Schlesien | 11 | 6 | 14 | 31 | |
Galizien | 10 | — | 1 | 11 | |
Bukowina | 2 | — | — | 2 | |
Steiermark | 24 | 28 | 5 | 57 | |
Tirol | 11 | 8 | 17 | 36 | |
Vorarlberg | 4 | 10 | 7 | 21 | |
Krain | 5 | 1 | 3 | 9 | |
Kärnten | 7 | 3 | 5 | 15 | |
Triest und Istrien | 1 | — | — | 1 | |
Salzburg | 7 | 1 | 3 | 11 | |
Zusammen | 313 | 490 | 527 | 1330 |
Doch wurden von den ausgesandten 1330 Fragebogen nur 660 beantwortet.
Die in die Statistik der Gewerkschaftskommission einbezogenen Gewerkschaften hatten vom 1. Januar bis 30. Juni 1896 492585,88 fl. Einnahmen und 300760,76 fl. Ausgaben. Die Ausgaben betrugen in Prozenten der Einnahme für Fachblätter 9%, für Agitation 3,6%, Rechtsschutz 0,7%, Reiseunterstützung 2,8%, Arbeitslosenunterstützung 10,1%, Kranken- und Invalidenunterstützung 14,8%. In einem besonderen Dispositionsfonds wurden außerdem für denselben Zeitraum noch 113502 fl. 49 Kr. vereinnahmt und 85103 fl. 22 Kr. verausgabt. Der Vermögensbestand betrug 367634,70 fl.
Die Einnahmen der Bildungsvereine beliefen sich in derselben Zeit auf 113502,49 fl., die Ausgaben auf 85013,22 fl., der Vermögensstand auf 24124,46 fl.
Die Einnahmen der Gewerkschaftskommission für den Zeitraum vom 1. Januar 1894 bis 31. Oktober 1896 betrugen 21913 fl. 39 Kr., die Ausgaben 20150 fl. 33 Kr. Daneben hatte die Kommission für Streiks 45371,50 fl. vereinnahmt und 44960,51 fl. ausgegeben. Die gewerkschaftliche Presse umfaßte 19 deutsche, 12 tschechische und 2 slavonische Fachblätter mit einer Gesamtauflage von 119850 Exemplaren (gegen 77550 im Jahre 1894). Das Zentralorgan ist die „Gewerkschaft“.
Nach dem für das Jahr 1897 veröffentlichten Rechenschaftsberichte beliefen sich für das Jahr 1897 die Einnahmen der Gewerkschaftskommission auf 14120 fl. (gegen 11891 fl. 1896) und die Ausgaben auf 12996 fl. Darunter befanden sich 10892 fl. (gegen 11700) für Streiks. Beiträge wurden im Durchschnitt von 93193 Mitgliedern gezahlt. Die „Gewerkschaft“ erschien in 53000 Exemplaren.
Der Bericht für 1898 ist nur knapp gehalten, da für die Pariser Weltausstellung von dem Ausstellungskomitee, dem auch der Sekretär der Gewerkschaftskommission angehört, eine umfassende Aufstellung aller Arbeiterorganisationen ohne Unterschied der Parteistellung vorbereitet wird; die Einnahme der Kommission betrug 24111,40 fl., die Ausgabe 23130,65 fl. Im Durchschnitt haben 1898 105855 Mitglieder ihre Beiträge gezahlt. An Streikgeldern hat die Kommission 8317,62 fl. vereinnahmt und 7793,68 fl. verausgabt. Vielfach ist es der Kommission gelungen, bei Streiks eine gütliche Beilegung zu erzielen. Die „Gewerkschaft“ würde in 46350 Exemplaren unentgeltlich an die Organisationen abgegeben.
Für das Jahr 1899 ist eine wesentliche Zunahme des Umfanges der österreichischen Gewerkschaften zu erwarten, da eine am 3. Januar 1899 in Krakau abgehaltene Konferenz der galizischen Gewerkschaften beschlossen hat, ihre Mitglieder zum Anschluß an die österreichischen Verbände zu verpflichten und eine gemeinsame Reise- und Arbeitslosenunterstützung einzuführen. Die Gewerkschaftskommission soll aufgefordert werden, im Einvernehmen mit der Landeskommission Galiziens und Schlesiens ein monatliches Gewerkschaftsblatt in polnischer Sprache herauszugeben, das für die Mitglieder obligatorisch sein soll. —
In Oesterreich hat, wie die angeführten Zahlen beweisen, die gewerkschaftliche Bewegung noch nicht den Umfang und deshalb auch die Zentralorganisation noch nicht die Bedeutung erlangt wie in England, Deutschland, Frankreich u. s. w. Es ist deshalb von Interesse, auch die Entwicklung der einzelnen Berufsgruppen zu verfolgen, und mögen deshalb noch einige auf sie bezügliche Angaben hier Platz finden.
Wie bereits hervorgehoben, datiert die Gewerkschaftsbewegung in Oesterreich im wesentlichen erst vom Jahr 1890; ja der hier genommene Aufschwung ist vielfach ohne nachhaltige Wirkung gewesen und die abgehaltenen Kongresse haben später seine Nachfolge gefunden.
1. Vom 7./8. September 1890 fand in Wien der I. österreichisch-ungarische Tischlertag[42] statt. Auf die an 150 Vereine versandten Einladungsschreiben hatten sich außer zahlreichen Wiener Genossen 30 Vertreter aus 18 Provinzorten eingefunden, u. a. aus Pest, Prag, Innsbruck, Graz, Agram, Salzburg, Reichenau. Gegenstände der Tagesordnung waren: 1. Berichte über die Lohnbewegung; 2. Genossenschaftswesen; 3. Gewerkschaftsorganisation; 4. Gründung einer Fachpresse. Als Form der gewerkschaftlichen Organisation wurde ein ganz Oesterreich und ein ganz Ungarn umfassender Verband mit Zweigvereinen für jedes Kronland beschlossen. Neben dem deutschen Fachblatte soll ein solches in böhmischer Sprache erscheinen.
2. Die Berg- und Hüttenarbeiter Oesterreichs[43] haben vom 7.–9. Dezember 1890 in Wien einen Kongreß abgehalten, auf dem Böhmen durch 45, Mähren-Schlesien durch 18, Steiermark durch 13, Niederösterreich durch 6 und Krain durch 4 Abgeordnete vertreten war. Die Tagesordnung betraf: 1. die Lage der Arbeiter und die Mittel zu ihrer Verbesserung; 2. die Achtstundenschicht; 3. die Organisation der Bruderladen; 4. die Organisation der Fachpresse.
Man forderte die achtstündige Schicht einschließlich Ein- und Ausfahrt und Beseitigung der Akkordarbeit. Es soll ein ganz Oesterreich umfassender Zentralverband angestrebt und durch Gründung von lokalen Fachvereinen vorbereitet werden. Aufgabe derselben ist Arbeitslosenunterstützung, Schaffung von Widerstandsfonds, Arbeitsvermittelung und Gewährung von Rechtsschutz. Es wurde hervorgehoben, daß es schwer sei, sich mit den ungarischen Kollegen zu verständigen, sodaß ein gemeinsamer Kongreß nicht durchführbar wäre. Der Kongreß erklärte einstimmig, sich auf den Boden der internationalen Sozialdemokratie zu stellen. Auf einer am 4. März 1895 in Brüx abgehaltenen Generalversammlung des neu begründeten Zentralvereins wurde eine Mitgliederzahl von 3745 in 21 Ortsgruppen festgestellt. In der Osterwoche 1895 wurde in Wien ein fernerer allgemeiner Kongreß der Berg- und Hüttenarbeiter abgehalten, bei dem 8500 Arbeiter durch 45 Abgeordnete vertreten waren. Zwischen den Deutschen und den Böhmen fanden kleine Reibereien statt, auch zeigten sich einzelne fachliche Meinungsverschiedenheiten; so forderten die ersteren bei der Beratung der Kranken- und Unfallversicherung eine Bruderlade für das ganze Reich, während die Böhmen einzelne Landesbruderladen verlangten.
3. Vom 26.–28. Dezember 1890 tagte in Brünn der erste österreichische Metallarbeiterkongreß[44] unter Beteiligung von 122 Abgeordneten aus 43 Orten. Tagesordnung: 1. Organisation sämtlicher Metallarbeiter; 2. Arbeiterschutz und Sozialreform; 3. Koalitionsrecht; 4. Arbeitszeit; 5. Fachpresse; 6. Lohnstatistik. In jeder Provinz soll ein Gewerkschaftslandesverein mit Filialen oder Zahlstellen in den einzelnen Orten bestehen; alle Vereine bilden einen gemeinsamen Verband. Für ganz Oesterreich sollen zwei Fachorgane gegründet werden, und zwar ein solches in deutscher und eins in tschechischer Sprache.
Auf dem am 30. Oktober 1892 in Wien abgehaltenen Verbandstage wurde das Bestehen von 18 Fachvereinen mit 8500 Mitgliedern und ein Vermögen von 16500 fl. festgestellt, auch wurde ein Sekretariat und ein Verbandsorgan begründet.
4. Der II. österreichisch-ungarische Schneidertag[45] wurde vom 15.–17. August 1891 in Wien abgehalten in Anwesenheit von 106 Abgeordneten. Tagesordnung: 1. Berichte über die soziale und wirtschaftliche Lage der Schneider und Schneiderinnen Oesterreichs; 2. Organisation und Agitation; 3. Fachpresse; 4. Arbeiterschutzgesetzgebung. Beschlossen wurde die Gründung eines einheitlichen, aber lokal gegliederten Verbandes über das ganze Reich nach dem Vertrauensmännersystem, mit der Zentralstelle Wien. Die Fachvereine sollen sich über ein ganzes Kronland erstrecken. Neben dem bereits bestehenden Fachblatte soll die Gründung eines deutschen ins Auge gefaßt werden, bis dahin aber die in Hamburg bestehende „Schneiderzeitung“ als Ersatz eintreten; den ungarischen Kollegen soll die Gründung eines eigenes Fachblattes überlassen und schließlich auch auf die Schaffung eines solchen für die kroatisch-slavonische Sprache Bedacht genommen werden. Der Kongreß beschloß, für die Feier des 1. Mai einzutreten und sich auf den Boden der Sozialdemokratie zu stellen.
Der II. österreichisch-ungarische Bäckertag fand vom 2. bis 4. April 1893 in Wien statt. Die Beteiligung war infolge des mißlungenen Wiener Streiks von 1891 nicht erheblich; es waren nur 20 Abgeordnete aus der Provinz und 10 aus Wien anwesend. Auch fanden Streitigkeiten statt, indem die Vertreter der Provinz gegenüber den Wiener Kollegen über „Zentralismus“ sich beklagten. Der auf sozialdemokratischem Boden stehenden Mehrheit trat eine Minderheit entgegen, die von politischer Thätigkeit nichts wissen und sich rein auf gewerkschaftlichen Boden stellen wollte. Die Tagesordnung betraf: Situationsberichte, Rechenschaftsbericht, Organisation und Agitation, Nachtarbeit, Sonntagsruhe, Lehrlings- und Vermittelungswesen, Streiks und Boykotts, Achtstundentag, Reise- und Unterstützungswesen, internationale Vereinigung und den internationalen Bäckereiarbeiterkongreß, die Presse. Es wurde ein Zentralkomitee eingesetzt, um die Organisation für das ganze Reich auf Grund örtlicher Verbände durchzuführen und einen gemeinsamen Fonds anzusammeln. Für die slavischen Länder soll ein Zentralkomitee in Prag eintreten. Bis zur Durchführung einer selbständigen Organisation für Ungarn soll das deutsche Komitee die bezüglichen Aufgaben mit übernehmen. Daneben soll jedoch die Verbindung mit den verwandten Berufen zu einem Industrieverbande angestrebt werden. Ein deutsches und ein tschechisches Fachorgan soll unter der Leitung der beiden Zentralkomitees erscheinen.
Der III. österreichisch-ungarische Bäckertag ist vom 1. bis 3. Januar 1898 in Wien abgehalten und war von 39 Abgeordneten besucht. Die Beschlüsse bezogen sich auf Fragen des Arbeiterschutzes, insbesondere zehnstündige Arbeitszeit einschließlich zwei Stunden Pausen, Sonntagsruhe, Ausschluß jugendlicher Personen von der Nachtarbeit, Aufhebung der unterirdischen Werkstätten, daneben forderte man obligatorische Fach- und Fortbildungsschulen, Regelung der Arbeitsvermittelung, insbesondere Beseitigung der Winkelherbergen, Beschränkung der Lehrlingszahl und Verstärkung der Gewerbeaufsicht. Zur Durchführung dieser Forderungen beschloß man in Notfällen den Generalstreik ins Auge zu fassen.
Entsprechend dem erwähnten Beschlusse wurde die Vereinigung mit den verwandten Berufen angebahnt, und am 25. Dezember 1894 wurde der Verband der Arbeitervereine in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie begründet. Der erste Verbandstag wurde am 5. Januar 1896 in Wien und ebendaselbst am 5./6. April 1896 der I. Kongreß der Arbeiter in den Lebensmittelbranchen Oesterreichs abgehalten[47]. Vertreten waren die Bäcker, Fleischhauer, Müller, Brauer, Faßbinder, Kellner und Feigenkaffeeerzeuger. Die Tagesordnung betraf: 1. Situationsberichte, 2. Organisation und Agitation, 3. Arbeiterschutzgesetzgebung, 4. Presse.
6. Nachdem schon 1893 eine Konferenz stattgefunden hatte, in der die Gründung eines Verbandes der Vereine der Buchbinder und verwandten Berufe Oesterreichs angeregt wurde, ist ein solcher auf dem am 25. und 26. Dezember 1896 in Wien abgehaltenen Kongresse endgültig begründet[48]. Vertreten waren 10 Vereine aus Böhmen, Galizien, Krain, Niederösterreich, Mähren, Oberösterreich, Steiermark und Tirol durch 18 Abgeordnete, außerdem waren Gäste aus Deutschland und Ungarn, sowie Vertreter des Vereins der graphischen Fächer, der Buchdrucker, des Vereins der Papierarbeiter, des Vereins der Futteralmacher und des Vereins der Etuitischler und der Gewerkschaftskommission anwesend. Während von der Vorkonferenz die Böhmen aus nationalen Gründen sich fern gehalten hatten, wurde auf dem Kongresse eine Verständigung erreicht. Es wurde mitgeteilt, daß zunächst versucht sei, sich mit den Buchdruckern zu einem Verbande der Bucharbeiter zu verschmelzen, doch sei dies daran gescheitert, daß die Buchdrucker wesentlich höhere Beiträge hätten, als die Buchbinder leisten könnten; von einigen Seiten wurde auch der Vorwurf aristokratischer Auffassung gegen die Buchdrucker erhoben. Ebenso sah man von einem Anschluß an den Verein der graphischen Fächer ab und beschloß zunächst, einen eigenen Verband zu gründen. Aus den Beratungen über das Statut ist hervorzuheben, daß man Reise- und Arbeitslosenunterstützung, Einrichtung von Herbergen und Arbeitsvermittelung, Pflege der Statistik, Schaffung von Bibliotheken und Lesezirkeln, sowie Gewährung von Rechtsschutz beschloß; Politik und Religion sollen ausgeschlossen sein.
5. Die Bäcker[46] haben den I. österreichisch-ungarischen Bäckertag vom 7. bis 9. Dezember 1890 in Wien abgehalten. Verhandelt wurde über Gewerkschafts- und Genossenschaftsorganisation, Reiseunterstützungswesen und Arbeitsvermittelung, Arbeitszeit und Arbeitslage, Fabrik- und Werkstättenordnung, Lehrlingswesen, Gewerbeinspektion, Arbeiterkammern und Einigungsämter, Kranken- und Unfallversicherung, Fachpresse. Es wurde eine auf örtliche Verbände gestützte Zentralorganisation beschlossen und zu deren Durchführung ein Organisationskomitee eingesetzt.
Der Ausdruck „verwandte Berufe“ ward absichtlich nicht näher bestimmt, um späterer Ausdehnung Raum zu lassen. Zu Schwierigkeiten führte die Ordnung der Fachpresse, indem die Böhmen einerseits erklärten, zur Schaffung eines eigenen Blattes zunächst nicht im stande zu sein, dagegen eine größere Ausdehnung des tschechischen Teiles des Verbandsorgans „Die Einigkeit“ wünschten, was aber abgelehnt wurde. Weitere Punkte der Tagesordnung waren Arbeits- und Lohnverhältnisse, Accordsystem, Minimallohn, Strafhausarbeit und neunstündiger Arbeitstag. Die Ungarn erklärten, daß auch sie die Gründung eines Verbandes beabsichtigten, sich aber zunächst noch zu schwach fühlten.
7. Die Buchdrucker[49] hatten am frühesten eine Organisation, indem für Niederösterreich schon 1842 ein Verein der Buchdrucker und Schriftgießer begründet wurde, der 1891 2200 Mitglieder und ein Vermögen von 168612 fl. besaß. In diesem Jahre wurde er von der Regierung aufgelöst, weil er die bei der Maifeier arbeitslos gewordenen Mitglieder unterstützte. Erst am 28. November 1891 konnte sich ein neuer Verein mit 1800 Mitgliedern bilden. Auch die Bildung eines Gesamtverbandes für ganz Oesterreich wurde schon vor Jahren angeregt, insbesondere wurde schon auf einer Konferenz in Brünn 1881 als Vorbereitung für einen festen Verband die Gemeinsamkeit des gesamten Unterstützungswesens beschlossen, doch kam der Beschluß nicht zur Ausführung. Ebenso scheiterte ein auf dem Buchdruckertage in Wien 1883 beschlossenes Normalstatut an der Nichtgenehmigung seitens der Behörden, und dasselbe Schicksal hatte ein die Zentralisation des Viatikums bezweckender Beschluß des 1890 in Klagenfurt abgehaltenen Buchdruckertages. Auf dem folgenden, der 1892 in Wien tagte, wurde die Zentralisation der örtlichen Arbeitslosenunterstützung durchgeführt, und endlich am 23. Dezember 1894 auf dem Buchdruckertage in Brünn konnte, nachdem die vorher von einer Kommission ausgearbeiteten Statuten am 31. Mai 1894 von der Behörde genehmigt waren, die endgültige Begründung des „Verbandes der Vereine der Buchdrucker und Schriftgießer und verwandter Berufe Oesterreichs“ erfolgen. Die dem Verbande zunächst beigetretenen 12 Vereine von Böhmen, Bukowina, Kärnten, Krain, Mähren, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Schlesien, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Triest umfaßten 5540 Mitglieder. Nachdem am 26. September 1895 auch Galizien beigetreten war, betrug die Mitgliederzahl Ende 1895 6305. Ende 1896 war dieselbe auf 6965 und Ende 1897 auf 7565 gestiegen. Am 30. September 1897 hat sich auch ein Verein für Dalmatien gebildet, der dem Verbande beigetreten ist, so daß die Zahl der Vereine 13 beträgt.
Das Unterstützungswesen ist jetzt in vollem Umfange im Verbande zentralisiert. Die Ausgaben desselben betrugen 1897 für Krankenunterstützung 89817 fl., für Arbeitslosenunterstützung 44720 fl., für Reiseunterstützung 17371 fl., für Invalidengeld 30802 fl., für Sterbegeld 10662 fl., für Waisenunterstützung 7765 fl., für sonstige Unterstützungen 2929 fl.
Der Verband besitzt außer dem „Vorwärts“ noch drei Verbandsorgane in böhmischer, polnischer und italienischer Sprache. Er hat mit dem ebenfalls für ganz Oesterreich bestehenden Prinzipalverein einen Normallohntarif vereinbart, der mit dem 1. Januar 1896 in Kraft getreten ist und außer den Lohnsätzen die Vorschrift des neunstündigen Arbeitstages sowie genaue Bestimmungen über die zulässige Lehrlingszahl enthält. Der Tarif ist bis auf geringe Ausnahmen in allen Druckereien eingeführt. Ein Tarifeinigungsamt, in dem Gehilfen und Prinzipale in gleicher Anzahl vertreten sind, entscheidet entstehende Streitigkeiten. Der Verband hat sich der österreichischen Gewerkschaftskommission angeschlossen und steht auf dem Boden der Sozialdemokratie. Er umfaßt die große Mehrzahl aller Berufsangehörigen, wie sich aus folgenden Zahlen ergiebt. Es gab
Ende 1892 | Ende 1893 | Ende 1894 | |||||||
Verbandsangehörige | 3917 | = | 71,7% | 5096 | = | 78,44 | 5540 | = | 80,43% |
Nichtverbändler | 1545 | = | 28,3% | 1401 | = | 21,56 | 1348 | = | 19,57% |
Zusammen | 5462 | 6497 | 6888 | ||||||
Ende 1895 | Ende 1896 | Ende 1897 | |||||||
Verbandsangehörige | 6305 | = | 81,14% | 6595 | = | 83,03 | 7565 | = | 85% |
Nichtverbändler | 1466 | = | 18,86 | 1424 | = | 16,97 | 1335 | = | 15% |
Zusammen | 7771 | 8389 | 8900 |
Von den Ende 1895 vorhandenen 1466 Nichtmitgliedern waren etwa 600 Mitglieder der Gegenorganisation, des sog. Prinzipalvereins. Danach verblieben 866 = 11,14%, die überhaupt nicht organisiert waren. Das Gesamtvermögen des Vereins belief sich Ende 1895 auf 555667 fl. = 88,13 fl. auf den Kopf des Mitgliedes.
8. Weit fortgeschritten ist die Organisation der Eisenbahnbediensteten. Bereits Mitte Oktober 1895 hatten die österreichischen Lokomotivführer in Wien eine Delegiertenversammlung abgehalten, die von etwa 400 Personen, darunter 110 aus der Provinz, besucht war und eine Organisation nach Heizhäusern mit der Zentralstelle Wien beschloß, unter Anlehnung an die Fachorganisation der Eisenbahnbediensteten und an den Verband der Beamten, Hilfsbeamten und Unterbeamten. Zum Organ wurde „Der Eisenbahner“ bestimmt.
Vom 22. bis 24. März 1896 tagte dann in Wien der erste österreichische Eisenbahnerkongreß. Vertreten waren insgesamt etwa 20000 organisierte Mitglieder durch 93 Abgeordnete, und zwar 30 der Staatsbahn, 48 der Südbahn, 10 der Staatseisenbahngesellschaft, 3 der Nordwestbahn, 2 der Nordbahn. Die Forderungen, deren Durchführung man beschloß, sind folgende: 1. Vermehrung des Personals und des rollenden Materials, wöchentliche 36stündige ununterbrochene Ruhepause und jährlichen vierzehntägigen Urlaub ohne Lohnabzug; 2. Abschaffung des Prämien-, Kilometer-, Stundengelder- und Akkordsystems und Einführung eines anständigen festen Lohnes; 3. Bestimmungen darüber, daß jeder Angestellte nach 20 Jahren Dienstzeit seinen höchsten Lohn und längstens nach einem Jahr seine definitive Anstellung erhält. Abschaffung der Bestrafung durch Ausschluß der Beförderung oder Bezugsverkürzung; 4. Einführung eines Eisenbahnschiedsgerichts; 5. Schaffung eines Gesetzes, welches die Wahl von Inspektoren aus den Reihen der Bediensteten bestimmt. Die Inspektoren sollen darüber zu wachen haben, daß die zum Schutze der Eisenbahnbediensteten erlassenen Gesetze befolgt werden; 6. Verbesserung der staatlichen Unfallversicherung durch Erhöhung der Renten; 7. Verwaltung der Betriebskrankenkassen durch das Personal; 8. Durchführung der Alters- und Invaliditätsversorgung durch den Staat und Auflösung der bei den Bahnen bestehenden Pensions- und Provisionsfonds; inzwischen Verbesserung der bestehenden Versicherungen; 9. Verstaatlichung der Eisenbahnen und aller Verkehrsmittel.
Außerdem beschloß man die Feier des 1. Mai und die Ausdehnung des Wahlrechts auf alle 21jährigen Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechtes. Außer dem bereits bestehenden Fachorgan „Der Eisenbahner“ mit 18000 Abonnenten und einem slovenischen Fachblatte wurde die Gründung eines solchen auch für die polnische und böhmische Sprache beschlossen. Rechtsschutz, Statistik und Agitation soll zentralisiert, die übrige Thätigkeit dagegen den Einzelorganisationen überlassen werden; doch wurde allen Vereinen empfohlen, der Gewerkschaftskommission beizutreten. Der nächste Kongreß soll nach drei Jahren in Prag stattfinden.