Читать книгу Die Gewerkschaftsbewegung - Wilhelm Kulemann - Страница 11
II. Frankreich[29].
ОглавлениеDer Grundzug der Entwickelung, den wir in England beobachtet haben, tritt uns auch in Frankreich entgegen. Auch hier finden wir zunächst die entschiedenste Ablehnung aller fachvereinlichen Bestrebungen sowohl seitens der Unternehmer wie seitens der öffentlichen Meinung und der Gesetzgebung, aber ebenso das allmähliche Vordringen der Ueberzeugung, daß nur auf diesem Wege eine friedliche soziale Entwickelung möglich sei, und schließlich den völligen Sieg dieser Bewegung über die früheren Vorurteile, ja endlich auch die feindliche Stellung, welche die Sozialdemokratie zu derselben einnimmt. Dabei ist es interessant, daß die beiden großen Revolutionen von 1789 und 1848, weit entfernt, der Arbeiterbewegung Vorschub zu leisten, derselben vielmehr in durchaus bureaukratischer Weise die engsten Fesseln angelegt haben, ein Beweis für die neuerdings oft gemachte Bemerkung, daß diesen Revolutionen der soziale Karakter noch völlig fehlte, daß sie lediglich politischer Natur waren und daß der Arbeiterstand, der zu einem Klassenbewußtsein noch nicht erwacht war, sich bei ihnen lediglich von den bürgerlichen Parteien hat ins Schlepptau nehmen lassen.
Seit dem 16. Jahrhundert waren gegen die Gesellenverbände (compagnonnages) Gesetze erlassen, die jede Vereinigung verboten. Dies wurde zwar durch die Revolution zunächst insofern geändert, als das Gemeindegesetz vom 16. Dezember 1789, Art. 62, allen französischen Bürgern das Recht gab, sich friedlich und ohne Waffen zu vereinigen, um Adressen und Petitionen zu beraten, wobei nur die vorherige polizeiliche Anmeldung vorgeschrieben war. Aber obgleich diese Bestimmung durch das Polizeigesetz vom 19. Juli 1791, Art. 14, auf alle Vereine und Klubs erstreckt und in Tit. I, Art. 3 der Verfassung von 1791 und Art. 7 der Verfassung von 1793 wiederholt wurde, so galt sie doch nicht für gewerkschaftliche Vereinigungen, vielmehr verbot das Gesetz vom 14./27. Juni 1891 in Art. 4 alle Vereinigungen von Bürgern desselben Standes oder Gewerbes und erklärte, daß solche Vereine ebenso wie Unternehmer, Inhaber von offenen Läden und Arbeiter oder Gesellen irgend eines Gewerbes nicht das Recht hätten, in ihren Versammlungen Vorsitzende, Sekretäre und Sachwalter zu bestellen, Register zu führen und über ihre angeblichen gemeinsamen Interessen Beschlüsse zu fassen, zu beraten oder Statuten zu erlassen. In gleicher Weise verbot das Gesetz vom 28. Septbr./6. Oktober 1791, Tit. II, Art. 20, die Koalitionen der ländlichen Arbeiter und Dienstboten.
Dieser Standpunkt wurde auch später beibehalten, indem man zugleich das Vereins- und Versammlungsrecht im allgemeinen erheblich einschränkte. Schon die Verfassung vom 5. Fructidor III (1795) verbot alle Vereine, die der öffentlichen Ordnung zuwiderlaufen und gab dadurch der Regierung das freie Auflösungsrecht. Zugleich wurden durch das Dekret vom 6. Fructidor III alle Klubs aufgehoben und durch das Dekret vom 22. Ventôse VI (14. März 1798) alle politischen Vereine geschlossen. Der Code pénal von 1810 forderte nicht allein für jeden Verein mit mehr als 20 Mitgliedern polizeiliche Genehmigung (Art. 291–294), sondern hielt das schon durch das Gesetz vom 22. Germinal XI (12. April 1803) erlassene Verbot aller Vereinigungen der Arbeiter und der Arbeitgeber aufrecht (Art. 414–416). Die Ungerechtigkeit, die darin lag, daß die Uebertretung dieses Verbotes bei den Arbeitgebern neben Geldbuße nur mit Gefängnisstrafe von 6 Tagen bis 1 Monat, bei den Arbeitern aber mit Gefängnis von 1–3 Monaten und bei den Anstiftern sogar mit Gefängnis von 2–5 Jahren bedroht war, wurde erst durch das Gesetz vom 27. November 1849 aufgehoben und gegen Arbeiter und Arbeitgeber die gleiche Strafe festgesetzt.
Die Verfassung vom 4. November 1848 hatte freilich in Uebereinstimmung mit dem Gesetze vom 28. Juni 1848 die Vereins- und Versammlungsfreiheit ausgesprochen, aber schon durch Gesetz vom 19. Juni 1849 wurde der Regierung das Recht, Vereine und Versammlungen im öffentlichen Interesse aufzulösen und zu verbieten, wiedergegeben, und durch Gesetz vom 25. März 1852 wurde einfach das Gesetz vom 28. Juni 1848 aufgehoben und der frühere Rechtszustand wieder hergestellt. Die Folge war das Blühen zahlreicher geheimer Gesellschaften.
Auch Napoleon III. verfolgte zunächst diese Politik, und von 1853–1862 wurden 3909 Arbeiter wegen Teilnahme an 749 verbotenen Vereinen bestraft. Erst als der Kaiser die Bedeutung des in der sozialen Bewegung enthaltenen Machtfaktors für seine Interessen erkannte, änderte sich seine Politik. Zunächst wurde durch Gesetz vom 30. Mai 1864 das Koalitionsverbot des Code pénal Art. 414–416 insoweit beseitigt, als nur diejenigen strafbar sein sollten, die durch Gewalt, Drohung oder betrügerische Vorspiegelungen eine Arbeitseinstellung zum Zwecke einer Erhöhung oder Erniedrigung der Löhne herbeizuführen oder die freie Ausübung der Industrie oder der Arbeit zu beschränken versuchen, sowie die Arbeiter oder Arbeitgeber, welche nach einem verabredeten Plane durch Sperren, Bußen oder Verrufserklärungen die Freiheit der Industrie oder der Arbeit beeinträchtigen. Dabei blieb aber das allgemeine Vereinsgesetz auch für die Vereine der Arbeiter und Arbeitgeber in Kraft. Noch weiter ging man im Jahre 1868, indem man seitens der Regierung erklärte, daß man den Fachvereinen der Arbeiter, sofern sie sich von Politik fernhielten, dieselbe Duldung gewähren werde, wie sie bisher schon — wenngleich im Widerspruche zu dem Gesetze — den Vereinen der Arbeitgeber gewährt war. Zugleich ersetzte das Gesetz vom 6. Juni 1808 allgemein für alle nicht politischen Versammlungen das bisherige System der polizeilichen Genehmigung durch die bloße Anmeldung. Die Folge dieser freieren Stellung war zunächst in den Jahren 1868–1870 eine wilde Streikbewegung, die aber fast ausnahmslos ohne Erfolg war.
Die neuere Entwicklung der Arbeitergewerkschaften hat sich in engem Anschlusse an die politische Bewegung der Arbeiterschaft vollzogen und ist durch deren Spaltungen erheblich beeinflußt.
Nachdem die Ausbreitungen der Kommune im Jahre 1871 zu dem Erlasse des Gesetzes vom 14. März 1872 gegen die Internationale und überhaupt zu einem entschiedeneren Auftreten der Regierung gegen die ganze Arbeiterbewegung geführt hatten, wurde der Versuch, die Gewerkschaften zu organisieren, zunächst nicht von der sozialdemokratischen, sondern von der radikalen Partei wieder aufgenommen. Das gilt insbesondere auch von dem ersten allgemeinen französischen Arbeiterkongresse, der vom 2.–10. Oktober 1876 in Paris abgehalten wurde und auf dem 101 Gewerkschaften und 46 lokale Arbeitervereine (cercles d'étude) aus 39 Städten mit einer angeblichen Mitgliederzahl von 1 Million Arbeitern durch 360 Abgeordnete vertreten waren. Er war von der radikalen Zeitung „La Réforme“ zusammenberufen, während die Kosten von dem Minister Crémieux getragen wurden. Man betonte ausdrücklich, daß man sich nicht mit sozialpolitischen Prinzipien, sondern mit rein wirtschaftlich-praktischen Arbeiterangelegenheiten befassen und die Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital auf friedlichem Wege herbeiführen wolle. Man forderte die ungehinderte Entwicklung der Gewerkschaften (chambres syndicales) durch Abschaffung aller einschränkenden Gesetze und Erteilung der juristischen Persönlichkeit, volle Autonomie derselben bezüglich aller einschlagenden Fragen, insbesondere des Genossenschaftswesens, der Versorgungskassen, der gewerblichen Ausbildung und durch Vereinigung aller Arbeitersyndikate zu einer „Union nationale“ behufs Vertretung der Gesamtinteressen der französischen Arbeiterschaft, Einführung des Maximalarbeitstages, Reform des Fabrikwesens hinsichtlich die Frauen-, Kinder- und Nachtarbeit und der Fabrikaufsicht, Umgestaltung der Schiedsgerichte zur möglichsten Vermeidung der Streiks u. s. w., kurz, der erste französische Gewerkschaftskongreß stellte sich ganz auf den Boden des englischen Trade-Unionismus, ja auf demselben wurde sogar energisch gegen die Vermischung mit der Politik protestiert und betont, daß man ehrgeizigen Führern, welche das Volk nur benutzen wollten, um ihren persönlichen Interessen zu dienen, nicht folgen solle.
Das äußere Ergebnis des Kongresses war die Gründung des Blattes „Le Prolétaire“, das von den Vertretern der Pariser Syndikate geleitet wurde, und die Einsetzung einer Exekutivkommission, die mit den Abgeordneten der parlamentarischen Linken Fühlung zu nehmen hatte, indem man bei ihnen solange Belehrung suchen wollte, bis man eigene Arbeiterkandidaten werde durchsetzen können.
Es ist begreiflich, daß die Partei der Revolution, die durch Gefangensetzung und Verbannung ihrer thätigsten Anhänger auf Grund des Kommuneaufstandes zunächst machtlos war, sich über die auf dem Pariser Kongresse eingeschlagene Richtung empörte. In einem aus London datierten, von der „Commune révolutionnaire“ unterzeichneten Schriftstücke mit dem Titel: „Les Syndicaux et leur Congrès“ beschuldigte man die Gewerkschaften des offenen Verrates an der Sache der Revolution. Zugleich suchten einige jüngere Anhänger dieser Richtung, unter ihnen auch der soeben zum Marxismus bekehrte spätere Parteiführer Guesde, durch Gründung des Blattes „L'Egalité“ der sozialdemokratischen Bewegung einen festen Halt zu geben.
Auf dem vom 28. Januar bis 8. Februar 1878 in Lyon abgehaltenen zweiten Gewerkschaftskongresse war die revolutionäre kollektivistische Richtung bereits vertreten und forderte die Ueberführung der Produktionsmittel in Gemeinbesitz, indem sie erklärte, daß sie die Gewerkschaften nicht als Mittel, die Lage der arbeitenden Klassen zu bessern, sondern nur als Organisierung des Klassenkampfes ansehen könnte; jede Beziehung zu der bürgerlichen Demokratie müßte abgebrochen, eine eigene Arbeiterpartei geschaffen und der Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung angestrebt werden. Aber diese Anträge wurden gegen etwa 10 Stimmen abgelehnt und von den Wortführern der Mehrheit nicht allein der Kollektivismus verworfen, sondern sogar erklärt, daß auch die Streiks zu mißbilligen seien, da sie zur Verteuerung der Waren führten; man müsse überhaupt das Heilmittel in der Bethätigung der individuellen Freiheit erblicken. Revolutionen führten, abgesehen von den Opfern, die sie kosteten, nur zur Diktatur.
Aber die Mehrheit war unter sich nicht einig; sie bestand aus Vertretern der unter dem Einflusse von Buchez ins Leben gerufenen Genossenschaftsbewegung, denen sich auch die Anhänger Proudhons anschlossen, und endlich den Mitgliedern der neuen Schule der Possibilisten unter Führung von Finance. Einer ihrer Hauptführer war Vaillant, der später insbesondere im Pariser Gemeinderate eine hervorragende Rolle spielte.
Unter diesen Umständen ist es erklärlich, daß die revolutionären Elemente allmählich an Einfluß gewannen. Zunächst ging das Blatt „Le Prolétaire“ im Jahre 1878 in die Hände von Benoit Malon und Paul Brousse über, die ihrerseits die Ideen Proudhons mit dem System von Marx zu vermitteln suchten. Daneben entstanden andere Blätter derselben Richtung, z. B. „Le Citoyen“, „La Bataille“, „La Commune libre“.
So vorbereitet, hoffte man, auf dem folgenden dritten Kongresse, der vom 20.–31. Oktober 1879 in Marseille stattfand, den entscheidenden Schlag führen zu können, und man hatte sich nicht getäuscht. Dieser Kongreß hat für die soziale Bewegung in Frankreich die größte Bedeutung, sowohl durch die Anzahl der Teilnehmer, wie durch die dort gefaßten Beschlüsse. Gegen 250 Syndikate und 100 andere Organisationen waren durch 130 Abgeordnete vertreten; das Kongreßprotokoll umfaßt 820 Seiten. In Widerspruch zu der von dem Exekutivkomitee der Regierung gegenüber abgegebenen Zusicherung, alle Fragen politischen und internationalen Karakters fern zu halten, beschloß die Mehrheit, für die selbständige Organisation der Arbeiterklasse einzutreten und zu dem Zwecke nicht allein an den politischen, sondern auch an den kommunalen Wahlen teilzunehmen. Als Mittel, durch welches allein die Emanzipation der Arbeiterklasse erreicht werden könne, bezeichnete man die Einführung des Kollektiveigentums an allen Produktionsmitteln. Zum Zwecke der Durchführung dieser Beschlüsse, deren genauere Festsetzung dem folgenden Kongresse vorbehalten wurde, teilte man Frankreich in 6 Distrikte: 1. Zentrum mit Paris, 2. Norden mit Lille, 3. Osten mit Lyon, 4. Westen mit Bordeaux, 5. Süden mit Marseille, 6. Algier. Als Mittel wurde auch die Anwendung von Gewalt für zulässig erklärt.
Die Minderheit des Kongresses, die insbesondere von Finance vertreten wurde, bestritt freilich die Gesetzlichkeit der Abstimmung, und 23 Abgeordnete legten einen formellen Protest ein, aber das Ergebnis wurde dadurch nicht geändert: die Leitung der gewerkschaftlichen Bewegung war an die revolutionäre Partei und insbesondere an die Kollektivisten übergegangen.
Aber begreiflicherweise wollten die überstimmten Vertreter des gewerkschaftlichen Gedankens sich dieser Entthronung nicht fügen, und so beginnt von jetzt an die für die französische Bewegung karakteristische Spaltung in eine große Anzahl sich heftig bekämpfender Gruppen.
Zunächst vollzog sich auf dem Kongresse von Havre (14.–22. November 1880) die Scheidung der politischen von der rein gewerkschaftlichen Richtung, von denen die erstere durch 55, die letztere durch 57 Abgeordnete vertreten war. Beide hielten nach der Trennung ihre Sitzungen nebeneinander und beanspruchten, als der eigentliche Kongreß angesehen zu werden.
Die gewerkschaftliche Gruppe, deren Hauptführer Clémenceau war, gab sich den Namen „Alliance socialiste républicaine“ und schuf sich neben dem Blatte „La ville de Paris“ noch ein besonderes Organ „Le moniteur des syndicats ouvriers“.
Die politische Gruppe hatte durch ihre beiden Führer Guesde und Lafargue (Schwiegersohn von Marx) unter der Beihülfe von Marx und Engels in London ein ausführliches Programm ausarbeiten lassen, das sie in Havre annahm und in welchem erklärt wurde, daß die Gewerkschaften und die Streiks nur Hülfsmittel für die Organisation und die Agitation seien.
Aber die Einigkeit auf seiten der Kollektivisten fand schon auf ihrem Kongresse in Reims (30. Oktober bis 5. November 1881), auf dem 45 Abgeordnete als Vertreter von etwa 300 Gewerkschaften und sozialistischen Gruppen (Studienzirkeln) erschienen waren, ein frühes Ende. Hier waren auch die „Anarchisten“ oder „Kommunisten“ vertreten, die gegen die Tyrannei der Führer protestierten und in den aufgestellten Forderungen nur ein „Minimalprogramm“ sehen wollten, das je nach den örtlichen Verhältnissen Erweiterungen zulaße. Vor allem aber widerstrebten sie der von der Mehrheit beabsichtigten straffen Organisation, die lokal, regional und national gegliedert sein, in einem aus je fünf Vertretern jeder der sechs Distrikte und je einem Vertreter jeder national organisierten Gewerkschaft gebildeten Nationalkomitee mit dem Sitze in Paris gipfeln und die Aufgabe haben sollte, die Verbindung unter den einzelnen Vereinigungen und mit dem Auslande aufrecht zu erhalten. Schließlich verließ die Minderheit unter Protest den Kongreß.
Aber auch unter der Mehrheit zeigte sich der Beginn weiterer Streitigkeiten zwischen den Marxisten, vertreten durch Guesde und Lafargue und den Anhängern von Brousse, denen sich auch Malon anschloß. Der Gegensatz war mehr persönlich als sachlich. Die Broussisten erklärten, daß sie die Ideen aber nicht die Autorität von Marx anerkennen und sich nicht dessen Leitung unterwerfen wollten. So richtete sich die von Brousse und Malon durchgesetzte Gründung eines Nationalkomitees hauptsächlich gegen die bisher von Guesde ausgeübte Diktatur und hatte deshalb eine persönliche Spitze. Spielte bei dem Gegensatze ferner auch die nationale Eitelkeit zweifellos eine Rolle, so handelte es sich doch zugleich um einen Einfluß der alten Proudhon'schen Erinnerungen.
Obgleich man die Austragung dieser Streitigkeiten dem folgenden Kongresse vorbehielt, setzten sie sich doch in der Presse und insbesondere in heftigen Fehden zwischen dem auf dem Kongresse als Parteiorgan anerkannten „Prolétaire“ und den an die Stelle der „Égalité“ getretenen Blättern „Le Citoyen“ und „La Bataille“ fort, ja man beschuldigte sich gegenseitig des Verrates und der Beziehungen zur Polizei. Als Joffrin, der in den Pariser Gemeinderat gewählt wurde, dabei von dem Marseiller Programm insofern abwich, als er sich nicht für die Abschaffung des Erbrechts für Erbschaften über 20000 Fr. aussprach und nicht den Achtstundentag, sondern nur allgemein die gesetzliche Festsetzung der Arbeitszeit forderte, wurde er von den Marxisten auf das heftigste angegriffen.
Der Bruch vollzog sich dann auf dem Kongresse von Saint-Etienne (24. September bis 1. Oktober 1882), auf dem 200 Gewerkschaftler und 150 Studienzirkel vertreten waren. Die Marxisten wurden bei der Wahl des Nationalkomitees mit 66 gegen 6 Stimmen ausgeschlossen, worauf sie in Stärke von 27 Abgeordneten als Vertretern von 37 Vereinen den Kongreß verließen, sich nach Roanne begaben und dort einen Gegenkongreß abhielten.
Die Mehrheit von 86 Abgeordneten als Vertretern von 401 Vereinen tagte in St. Etienne weiter und beschloß, das Hauptgewicht auf die Bildung von Gewerkschaften zu legen. Da sie erklärten, daß sie die politische Thätigkeit nicht als bloße Vorschule der Organisation betrachteten, sondern ihr Ziel auf das Nächstliegende und insbesondere auf die praktische Arbeit richteten, so nannten die Marxisten sie spöttisch: „Les Possibilistes.“ Sie selbst änderten ihren Namen auf dem vom 30. September bis 7. Oktober 1883 in Paris abgehaltenen Kongresse in „Fédération des travailleurs socialistes de France“ und beschlossen, ohne grundsätzlich auf die Revolution zu verzichten, doch sich vorwiegend mit praktischen Fragen, insbesondere dem Versicherungs- und Lehrlingswesen, Schiedsgerichten u. s. w., beschäftigen zu wollen.
Die rein gewerkschaftliche Richtung, die sich in Havre von den Kollektivisten getrennt hatte, hielt seitdem unter den Namen „Alliance socialiste républicaine“ eigene Kongresse ab, so vom 27. November bis 5. Dezember 1881 in Paris und vom 3.–12. September 1882 in Bordeaux. Sie organisierte eine Zentralstelle in der „Union des syndicats“ in Paris mit dem eigenen Organ „Le Moniteur des syndicats ouvriers“. Sie schloß jede politische Thätigkeit aus und beschränkte sich ganz auf die wirtschaftliche Hebung der Arbeiterklasse durch Gewerkschaften, und zwar thunlichst im Wege friedlicher Verständigung mit den Syndikaten der Unternehmer. In der That erreichte sie eine weitgehende Verständigung mit diesen auf dem Wege gegenseitiger Nachgiebigkeit.
Das wichtigste Ereignis in der Entwicklung der gewerkschaftlichen Bewegung in Frankreich bildet das umfassende und segensreiche Syndikatsgesetz (Loie rélative à la creation des Syndicats professionels) vom 21. März 1884.
Das Gesetz verfügt zunächst die Aufhebung des Gesetzes vom 14./27. Juni 1791 und des bereits durch Gesetz vom 30. Mai 1864 abgeänderten Art. 416 des Code pénal und erklärt die Art. 291–294 des letzteren sowie das Gesetz vom 10. April 1834[30] auf die Syndikate für nicht anwendbar und bestimmt dann, daß gewerbliche Vereinigungen auch in größerer Mitgliederzahl als 20, sofern diese Personen denselben oder einen verwandten Beruf ausüben, sich ohne Erlaubnis der Regierung bilden können. Die Syndikate dürfen sich nur mit dem Studium oder der Verteidigung wirtschaftlicher, industrieller kommerzieller und landwirtschaftlicher Interessen beschäftigen. Sie brauchen nur die Statuten und die Namen der Vorstandsmitglieder, sowie jede Veränderung bei der Behörde anzuzeigen und die Vorschrift zu befolgen, daß alle Vorstandsmitglieder Franzosen und im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte sein müssen, um das Recht der juristischen Persönlichkeit und die Befugnis zur Erhebung von Beiträgen zu erlangen. Grundstücke dürfen sie allerdings nur insoweit erwerben, als sie für ihre Versammlungen, Bibliotheken und Unterrichtskurse notwendig sind. Sie dürfen Arbeitsnachweise begründen und für ihre Mitglieder Hülfskassen jeder Art errichten. Endlich ist es ihnen gestattet, innerhalb des ihnen selbst zugewiesenen Rahmens Verbände zu bilden, denen aber das Recht der juristischen Persönlichkeit und des Grunderwerbes vorenthalten ist. Jedes Mitglied der Syndikate hat das durch Statutenbestimmung nicht einzuschränkende Recht, vorbehaltlich der Beitragspflicht für das laufende Jahr jederzeit auszuscheiden, ohne daß dabei das durch Beitragszahlungen erworbene Recht an den bestehenden Hülfskassen verloren geht. Uebertretungen des Gesetzes werden an den Vorstandsmitgliedern mit Strafen von 16–200 Frcs. bestraft, doch kann von den Gerichten auch auf Schließung des Vereins erkannt werden.