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MARIAS KRÄUTERWISCH

Nun mögen uns die neun Nächte der Göttin im Frühling und im Herbst recht fremdartig vorkommen. Doch in einigen Ecken Europas, in denen der eiserne Besen der Inquisition, Reformation und Aufklärung nicht so sauber fegte, hat sich uraltes, wahrscheinlich bis ins Neolithikum zurückreichendes Brauchtum unter dem Deckmantel der Marienverehrung bis in die Neuzeit erhalten. Auch wir kannten einst die «Neun Kräuter», die «Grüne Neune», die Fruchtbarkeit und Gedeihen bringen und alles Übel fernhalten.

In den Alpenländern ist es nicht Devi, die im Herbst nach eingebrachter Ernte in den Himmel fährt, sondern Maria, die Gottesmutter und Gottesbraut. Zu Mariä Himmelfahrt im August sammeln meine Nachbarinnen, die Allgäuer Landfrauen, noch immer ihren «Kräuterwisch» und lassen ihn am Altar «Marias Tod» segnen. Der Kräuterwisch – anderswo Würzbüschel, Weihbüschel, Sang oder in der Schweiz August-Maien genannt – sollte aus neun, gelegentlich auch sieben oder gar 77 Heilpflanzen bestehen. Früh am Morgen, noch vor Sonnenaufgang und ohne Messer sollten sie von Hand gepflückt werden. Wie die Pflanzen ihrer indischen Schwestern sind auch die Kräuter der Allgäuerinnen höchst symbolträchtig. Jeder Kräuterwisch spricht mythologische Bände und legt eine archaische Weltsicht offen.

Meistens wird der Kräuterwisch um eine blühende Königskerze (Verbascum) in der Mitte gruppiert: Der stolze Rachenblütler gilt als Zepter der Mutter Gottes. Wunden und Geschwüre würden sofort heilen, heisst es, wenn man sie mit dem ährenartigen gelben Blütenstand berührt und dabei den Segensspruch spricht: «Unsere Liebe Frau geht über Land / Und hat den Himmelsbrand in ihrer Hand!»

Viele sogenannte Frauenheilkräuter gehören mit in das Büschel. Etwa die Schafgarbe (Achillea), die einst eine wichtige Rolle in der weiblichen Hygiene spielte und mit der Liebesorakel erstellt wurden. Mit dem richtigen Spruch unter das Kissen gelegt, lässt ein Schafgarbenstengel sogar den Liebsten im Traum erscheinen.3 Auch der Beifuss (Artemisia vulgaris), der einst der wilden Waldgöttin Artemis geweiht war, ist mit dabei: Er erwärmt den Unterleib, regt die Mensis an und beschleunigt das Austreiben der Nachgeburt. Auch einige aphrodisische Kräuter, wie etwa das Liebstöckel (Levisticum), gehören mit in den Strauss.

Die grösseren Kräuter in der Mitte des Bündels werden von einem Kranz bescheidenerer Blümchen umwunden: von der bei Müttern und Kindern allzeit beliebten Kamille, vom duftenden Thymian und vom zierlichen Labkraut. Das Labkraut (Galium), ein harntreibendes Heilmittel, wird auch «Marias Bettstroh» genannt, weil das Christkind angeblich darauf gebettet wurde und weil es noch immer ins Kräuterkissen der Wöchnerinnen kommt.

Zu Anfang der christlichen Missionierung war die Kirche dem «heidnischen» Pflanzenbrauchtum gar nicht wohl gesonnen, schliesslich waren die heidnischen Schamanen und weisen Frauen die ärgsten Widersacher des neuen Glaubens. Die um 745 n. Chr. unter dem Vorsitz des Bonifatius einberufene Synode von Liftinae erstellte eine Liste des zu bekämpfenden heidnischen Aberglaubens (Indiculus superstitionum et paganiarum) und legte die Strafen fest. Verboten wurde die Verehrung der Bäume – Bonifatius, der «Apostel der Deutschen», hatte selber die Donar-Eiche gefällt. Verboten wurde das Sammeln des «petendo, gemeinhin St. Marienbündel genannt». Was da als Sankt-Marien-Bündel erwähnt wird, ist entweder eine Verballhornung des Wortes «Maienbündel» – als Maien bezeichneten die germanischen Heiden die grüne Lebensrute –, oder es ist das aus bewusstseinsverändernden und heilkräftigen Pflanzen bestehende «Bündel der Freya».

Aber wie sich die Zeiten ändern! Der verpönte «Hexenbesen» der Liebesgattin Freya wurde alsbald – von verdächtigen Giftgewächsen gereinigt – unter die Obhut der Maria gestellt. Nun erteilt die Kirche selber den Segensspruch im Namen des Dominus sanctus, besprengt die blühenden Kräuter mit Weihwasser und lässt verkünden, sie stellten jene süssduftenden Blumen dar, welche die Jünger im Grabe Marias anstelle des Leichnams vorfanden. Auch den heiligen Bäumen, nun mit Marienbildnissen versehen, wird wieder geopfert: Blumen, Kerzen und Votivtafeln.

Dennoch muss der Dorfpfarrer bei der Würzweih gelegentlich ein Auge zudrücken, wenn ein Mütterlein ein recht unchristliches Kraut, etwa den Bilsen oder den Stechapfel, mitsegnen lässt oder wenn sich die Anwendung der Kräuter kaum vom krassesten Aberglauben unterscheiden lässt. Gegen Hexerei, Feuersbrunst und Hagelschlag kommt der Büschel unter den Dachfirst oder in den Stall. Einige Zweiglein, unter dem Bett versteckt, verhelfen den Eheleuten zum glücklichen Beischlaf. Dem Saatgetreide wird davon beigemischt, und auch den Toten wird etwas vom gesegneten Bündel mit in den Sarg gelegt. Im bayrisch-österreichischen Raum wird hier und da noch während der Rauhnächte mit den Marienkräutern geräuchert, um Krankheiten und Unholde zu vertreiben.

Das Maria-Himmelsfahrts-Fest ist der Auftakt zur wichtigsten Kräutersammelzeit des Jahres. Es ist die Zeit der Frauendreissiger, jener «dreissig» Tage zwischen der Himmelfahrt (15. August) und der Geburt (8. September) der Gottesmutter. Heilpflanzen, die während dieser Zeitspanne gesammelt werden, übertreffen alle anderen Kräuter an Kraft – mit Ausnahme der Johanniskräuter, die zur Sommersonnenwende gepflückt werden. Wer zum Beispiel das Immergrün (Vinca minor) während der Frauendreissiger pflückt, über den hat der Teufel keine Gewalt mehr.4

Vielerorts gilt der Tag nach Mariä Geburt als geeignet für die Aussaat des Winterkorns. Jedenfalls mischte der Bauer an diesem Tag gesegnete Saatkörner unter das Saatgut, auch wenn die Aussaat später vorgenommen wurde.

Palm und Maibaum

Wie in Indien stehen dem herbstlichen Kräuterfest Frühlingsvegetationsfeste gegenüber. Da ist zuerst der Tag der Verkündigung Marias (25. März), wenn die Jungfrau den Samen des Heiligen Geistes empfängt wie die Erdscholle die Weizensaat. Vielerorts werden an diesem Tag die Sämereien für Feld und Garten gesegnet und Kohl und Lein ausgesät. Da dann das Frühlingsäquinoktium überschritten ist und die Tage endlich länger werden als die Nächte, wandelt sie wie einst die Frühlingsgöttin Ostara als Lichtgöttin über das Land. Wo immer ihr Fuss den Boden berührt – so die Volksimagination –, da grünt das Gras, und die schönsten Blumen spriessen hervor. Auch in Indien erscheint die junge Göttin zu dieser Zeit in der Gestalt der weissgewandeten Schwanengöttin Sarasvati.

In der Karwoche, die in diese Zeit fällt, wird die Neunkräutersuppe oder die Gründonnerstagssuppe gekocht. In den Topf kommen Brennesseln, Sauerampfer, Bärlauch, Taubnesseln, Giersch, Pimpernelle, Gundermann und anderes frisches Grünzeug, je nach Gegend und Tradition. Auch dieser christliche Brauch hat alte heidnische Wurzeln. Die verschiedenen indoeuropäischen Stämme nahmen nach den langen trüben Wintertagen die ersten grünen Kräuter als Kultspeise zu sich. Die Göttin, die da über das Land zog, kehrte dadurch auch in den Leib der Menschen ein und liess sie an ihrer vitalisierenden Lebenskraft teilhaben. Aphrodisierende und berauschende Kräuter waren einst auch mit dabei. Von der Gründonnerstagssuppe, die das Ende der vitaminarmen Winterkost signalisiert, heisst es noch immer, sie «reinige das Blut», mache «negenstark» (neunmal stark) und verjünge den Organismus. Tatsächlich vertreiben die Frühjahrskräuter, als Salat oder Wildgemüse genossen, die Frühjahrsmüdigkeit und bringen die Anzeichen eines subklinischen Skorbuts zum Abklingen.

Bald folgt Ostern, das Fest des Sterbens und der Auferstehung des Mariensohnes. Auch wenn dies heute nicht mehr im Vordergrund steht, ist auch das noch immer ein Fest der Vegetation. Für die Palmsonntagsprozession, die an den Einzug des Heilands in Jerusalem erinnern soll, binden meine Allgäuer Nachbarn den Palm. Das Gebinde besteht ebenfalls aus neun verschiedenen Pflanzen. Zweiglein der Eibe, des Buchs, der Buche, Thuja, Fichte, Weisstanne und Weide werden auf einem Kreuz aus Holunderzweigen befestigt und dann auf einen Haselnussstock erhöht. Die Holunderzweige müssen geschält werden, es könnte sich ja eine Hexe zwischen Rinde und Holz verstecken. Der Holunder ist schliesslich der Baum der Frau Holle, der Hexengöttin.

Die Bäuerinnen glauben, jeder Zweig stehe für eine der christlichen Tugenden. So hat es ihnen der Pfarrer gesagt. Sie stellen den geweihten Palm in den Herrgottswinkel, um Haus und Stall mit Gesundheit und Wohlergehen zu segnen und um Blitzschlag abzuwehren.

Beim näheren Betrachten erkennen wir, dass es sich beim Palm vor allem um Friedhofsgewächse handelt. Jede einzelne ist eine altüberlieferte Sakralpflanze, die schon in vorchristlicher Zeit Trauer, Leid und das Mysterium von Tod und Wiedergeburt symbolisierte. In mediterranen, keltischen und germanischen Kulten waren sie der samen- und seelenhütenden Erdgöttin, der schwarzen Todesgöttin, geweiht. Die Zweige raunen von längst vergessenen neolithischen Ritualen. Sie erzählen von erschreckend grausamen Opferkulten der ersten sesshaften, ackerbauenden Stämme. Diese gaben der Erd- und Pflanzengöttin einen Gefährten und Begatter mit, indem sie periodisch ihren König, Jünglinge, Stiere oder andere potente männliche Tiere opferten. Das vergossene Blut, welches die Erdscholle gierig aufsog, galt zugleich als Entschädigung für die eingebrachte Ernte und Garant künftiger Fruchtbarkeit. (Der Glaube, dass der in der Karwoche bestellte Garten besonders fruchtbar und schädlingsfrei sei, geht auf diesen kultischen Ursprung zurück: Am Karfreitag tränkte und befruchtete das Gottesblut die Erde.) Eine weinende Göttin, eine Mater dolorosa oder Pieta gehörte schon damals zum sakralen Schauspiel.

Der Opfertod war nur ein Teil des alten Fruchtbarkeitsfestes. Tod und Zeugung, Leiden und Lust, Sterben und Wiedergeburt gehören als Gegensatzpaar zueinander. Sexuelle Ausgelassenheit, Orgien unter freiem Himmel, auf frisch gepflügten Äckern, unter den Ästen heiliger Bäume oder neben aufgestellten hölzernen Phallen und Vulven, waren überall – von Melanesien über das megalithische Europa bis nach Amerika – Teil des Rituals des Säens und Pflanzens. Alle Konventionen und sittlichen Normen wurden während dieser wilden Tage suspendiert. Das vergossene Blut war zwar Sühne, stellte aber zugleich das Blut der Jungfrau Erde dar, deren Jungfernhaut im heiligen Koitus des Hackens, Pflügens und Einsäens aufgerissen wird. Zugleich symbolisierte die gerötete, feuchte Scholle die Menstruation der Göttin – ein Zeichen ihrer Empfänglichkeit und Fruchtbarkeit.

Wir dürfen aber nicht glauben, dass es sich bei diesen archaischen Fruchtbarkeitsriten lediglich um bunte Symbolik handelt. Geschlechtsverkehr auf frisch gesäten Feldern und blutige Opfer haben eine ganz reale Wirkung auf das Wachstum der Pflanzen. Es werden subtile Bioenergien generiert, ätherische Kräfte freigesetzt – die Orgon-Energie Wilhelm Reichs oder die vis animalis der Alchemisten. Neuere Experimente bestätigen das. So etwa Cleve Backster, der führende Pionier auf diesem Gebiet: «In aktiven Schlafzimmern finden Sie niemals kranke Pflanzen. Auf Sex reagieren sie sehr stark, auf alle Fortpflanzungsaktivitäten stimmen sie sich besonders ein.» (Kerner/Kerner 1992: 59) Backster kam darauf, weil sich sein Labor zufällig neben einem Seemannsbordell befand. Zuerst dachte er, seine Pflanzen spielten verrückt, bis er dann merkte, dass die Polygraphen, an die die Pflanzen angeschlossen waren, häufig ausschlugen, wenn das Bordell besonders stark frequentiert wurde. Pierre Paul Sauvin, ein Elektronikexperte, konnte bestätigen, dass die Gewächse sowohl auf das Absterben lebendiger Zellen als auch auf sexuelle Aktivität heftig reagieren. Und dies sogar über weite Entfernungen. Auch wenn er sich mit seiner Freundin in einem 130 Kilometer entfernten Ferienhaus aufhielt, reagierten die mit ihm verbundenen Pflanzen, und zwar so stark, dass der Ton des Oszillators, an den die Pflanzen angeschlossen waren, im Augenblick des Orgasmus zu einem schrillen Kreischen anschwoll. (Es muss hier betont werden, dass es nicht blutige Orgien braucht, um die Pflanzen anzuregen, Meditation und tiefes Gebet bringen ähnliche Resultate hervor.)

Das Aufstellen des Maibaumes ist in unserem Kulturkreis ein letzter Nachhall solcher Vegetationsfeste. Vermutlich tanzten schon die megalithischen Bauern des alten Europa fröhliche Reigen um den mit blutgeröteten Bändern und bunten Blumengirlanden geschmückten Baum. In dieser schönsten aller Jahreszeiten, in den Vollmondtagen des Mai, feierten sie das Vermählungsfest der Vegetationsgöttin mit dem Sonnengott. Der Baum, dessen Spitze einen grünen, geflochtenen Kranz durchstösst, ist eigentlich Phallus und Scheide des Götterpaares in wonnevoller Vereinigung. Die Symbolik des Maibaums ist nahezu identisch mit der des Linga und Yoni, den die Inder zu Ehren der Vereinigung von Shiva und Devi aufstellen.

Zum Maifest wurden einst die jüngeren Frauen und die weiblichen Haustiere mit dem Maien oder der Lebensrute «gefaselt», um sie mit der erwachenden grünen Lebenskraft zu segnen. Die Germanen und Kelten glaubten, ein kräftiger Schlag mit Haselnussgerten und Birkengrün würde, ausgehend von den im jenseitigen Hollenreich wohnenden Ahnen, fruchtbarmachende Energieströme auf die Lebenden übertragen.

Verbannung und Wiederkehr der Kräuter Freyas

Der wilde, orgiastische Aspekt der Kulte der Pflanzengöttin war bei den Pflanzern und Ackerbauern nahezu universal. Wie wir sehen werden, hatten auch die archaischen Wildbeuternomaden ihre Pflanzenrituale, doch waren diese einfacher als jene der in Dörfern lebenden, sesshaften Bauern. Die Magie der paläolithischen Jäger war eher individuell und schamanistisch; die der Bauern war gemeinschaftlich und von Priestern geleitet. Die blutigen Rituale und das ausgelassene Feiern waren vor allem ein Mitschwingen der Dorfbewohner mit den Rhythmen und Energien, die die Äcker, Wiesen und Felder durchpulsen. Die an die Scholle gebundene Gemeinschaft war völlig ergriffen, mitgerissen von der unmittelbaren Macht der Natur, vom Zauber der wachsenden und vergehenden Vegetation und des Mondes, von der Magie der Grossen Göttin.

Gerade darum aber ging es den asketischen Predigern, die zur Zeitwende, zu Beginn des Fischezeitalters auftauchten. Sie wollten den Menschen von seinem Verhaftetsein an Erde, Natur und die sinnlichen Triebe befreien. Sie wollten ihn von den Göttern und vor allem der Göttin, dieser «Hure von Babylon», befreien. Sie wollten ihn «erlösen» und ganz auf den Geist ausrichten. Das ganze wilde Treiben war den mönchischen Kirchenvätern und Missionaren mehr als ein Stein des Anstosses. Die heiligen Satzungen eines patriarchalischen, nomadischen Wüstenstammes, an die sich die erdflüchtigen Glaubensverkünder klammerten, verdammten die orgiastischen Feste der Vegetationsgötter und riefen zu Nüchternheit und Busse auf. Die zu Unzucht, Zauberei und Trunkenheit verleitenden Gewächse kräuterkundiger Frauen und heidnischer Zauberer galten als Ausgeburten des Widersachers. Frühe Bussordnungen belegten die magische Anwendung von Kräutern mit Strafen, gegebenenfalls mit dem Tod. Sogar einfache, einheimische Heilpflanzen wurden kaum geduldet. Die durch Adams Vergehen sündig gewordene Menschheit sollte vor allem durch Busse und Gebet, durch Weihwasser und Hostie ihre Leiden lindern.


Die fliegende Freya

Das einfache Volk liess aber nicht von den Kräutern ab. Heimlich bediente es sich noch immer des Kräuterbüschels der weisen Frauen und Wurzelgräber. Um die lästige Konkurrenz auszustechen, konnten die Mönche nicht anders, als sich auch mit Kräutern zu beschäftigen. Sie begannen Kräutergärten in den Klöstern anzulegen. Diese Hortuli waren jedoch recht ärmlich im Vergleich zu dem, was die Wälder und Wiesen an wild wachsenden Heilpflanzen boten. Zu den wenigen «guten» Pflanzen, denen es vergönnt war, in den Klosterbeeten zu wachsen, gehörten vor allem jene Kräuter, die im Heiligen Buch Erwähnung fanden, oder solche, die aus jenen Ländern stammten, in denen die Apostel gewirkt hatten.

Auch sogenannte Keuschkräuter, wie Lattich, Seerose, Raute oder Hopfen, die der Abtötung der Fleischeslust dienten, wurden angebaut. Vor allem aber waren es jene Pflänzlein, die sich als Sinn- und Erbauungsbilder eigneten: das Veilchen als Sinnbild der Demut; Bitterkräuter als Mahnung zur Reue; Baldrian, dessen Duft an die Salbung Jesu erinnerte; rote Anemonen, aus dem Blut der Märtyrer entstanden; Rosen, deren fünf rote Blütenblätter die fünf Wunden des Heilands in den Sinn riefen …

Wichtig wurden die Marienkräuter. Die weisse Lilie erinnerte an die unbefleckte Empfängnis der Jungfrau; die strahlend blaue Blüte des Borretsch brachte Marias Himmelsmantel in den Sinn; die weissen Flecken auf den Blättern der Mariendistel sollen durch Milchtropfen aus ihrer keuschen Brust entstanden sein; der Weissdorn erblühte zum ersten Mal, als sich Maria auf der Flucht in seinem Schatten ausruhte; Maria ist die Schlüsselblume, die durch ihren Sohn den Himmel aufschliesst; in der zarten Wicke erscheint sie als junges Mädchen und in der Erdbeere als reife Frau. Beispiele dieser Art könnten ein ganzes Buch füllen.

Wir sehen, wie das aramäische Mädchen, welches Jesus gebar, in der Volksfrömmigkeit immer mehr die Stelle der archetypischen Vegetationsgöttin einnahm. Immer wieder haben inspirierte Ikonenmaler die Jungfrau als solche dargestellt – auf grünem Rasen voller reifer Erdbeeren, im Rosenhag, mit Lilien, in den Weinreben. Als Maria im Ährenkleid ist sie der Archetypus der Getreidegöttin, als Mondsichelmadonna ist sie Schnitterin, als schwarze Madonna ist sie der fruchtbare Erdboden selber, der den Samen ebenso wie den geschundenen Leib ihres geopferten Sohnes in ihrem Schoss aufnimmt. Wie die keimende Saat wird auch er wieder auferstehen. Als Maria Magdalena wird die Göttin erste Zeugin seiner Auferstehung sein. Als ein Hüter der Pflanzen, als ein Gärtner erscheint er dann vor ihr.

Mit den zahlreichen Marienkräutern war die Pflanzengöttin unversehens wieder ins Bewusstsein der Menschen zurückgekehrt. Die einst der Freya, der Diana, der Aphrodite oder der Isis geweihten Pflanzen waren nun allesamt in Marienkräuter umgetauft worden. Auch die weise, kräuterkundige Frau war wieder da und waltete ihres Amtes – diesmal im Nonnengewand. Mit Hildegard von Bingen stand die natur- und heilkundige Seherin wieder in Ehren. Sie öffnete erneut den Zugang zur Fülle der Natur, auch zu den zuvor verpönten einheimischen Wildpflanzen. (Storl 1993: 37) Nicht nur das: Das Lebenswerk der heiligen Hildegard hatte zur Folge, dass sich die Kräuterkunde zunehmend des Schutzes und der Förderung der Kirche erfreuen konnte. Insbesondere seit der Aufklärung waren es vor allem Geistliche wie Pastor Kneipp, die Franziskanerin Schwester Bernhardine oder Pfarrer Künzle, die für die «Apotheke Gottes» die Lanze brachen. Ein passendes Bibelzitat stärkte sie in ihrem Anliegen: «Der Herr lässt die Arznei aus der Erde wachsen und ein Vernünftiger verachtet sie nicht!» (Sirach 38,4)

Maria Treben, die erfolgreichste, wenn auch (von den Ärzten und Pharmakonzernen) heftig angefeindete Kräuterfrau, lässt sich ganz von der Gottesmutter leiten. In ihrem schon über acht Millionen Mal verkauften Büchlein, in dem sie ihre Kenntnisse festhält, schreibt sie: «Das Vertrauen zu IHR, die Verehrung und das Gebet vor einem alten, wunderbaren Marienbild, das auf seltsame Art in meine Hände und damit in meinen Besitz gelangte, hat in Zweifelsfällen jedesmal geholfen.» (Treben 1986: 4)

Die Pflanzengöttin bei den heidnischen Europäern

Die Pflanzengöttin erschien den Kelten, den Erben alteuropäischer Megalithbauern und indogermanischer Hirten, als Grosse Weise Göttin. Als die zarte Lichtjungfrau Brigit steigt sie nach den kalten, finsteren Wintertagen aus den Erdtiefen empor. Mit ihr kehrt das Licht wieder auf die Erde zurück. Mit ihr kommt auch der Bär, der «Vegetationsdämon», dessen Lager sie unter der Erde teilte. (Storl 1992: 81)

Brigit ruft die Pflanzen wach, so dass – dem Auge noch unsichtbar – der Saft in den Bäumen zu steigen beginnt und die Samen und Knollen im feuchten Boden anschwellen. Als Mariä Lichtmess feiert man ihr Fest noch immer, aber nun unter der Obhut der Kirche. (Es scheint übrigens mehr als blosser Zufall gewesen zu sein, dass die populäre Kräuterfrau Maria Treben gerade zu Lichtmess ihre Berufung zur Heilkräuterkunde fühlte.)

Im Mai ist sie dann die strahlende, mit bunten Blumen und frischem Birkengrün geschmückte junge Braut, die sich in freier Ausgelassenheit der Sonne – dem Sonnengott Belenos – hingibt. Im freudigen Miterleben dieses Hochzeitsfestes, umtanzen die Menschen den Maienbaum. Im Hochsommer dann, von der Sonne geschwängert, gibt sich die Göttin süssen Träumen hin.

Im Herbst wird sie zur Matronin. Beginnend mit dem Getreideschnitt in den feurig-heissen Augusttagen – es ist das Fest Lugnasad – ergiesst die Gebärerin als Erntegöttin ihr Füllhorn über das Land. Der kunstfertige Lugh, dessen Feuerkraft Obst und Getreide reifen lässt, ist nun ihr Begleiter. Noch einmal lässt sie sich mit Freudenfeuern als Himmelsgöttin feiern, dann zieht sie sich aus der Erscheinungswelt zurück.

Wenn nun die Novembertage neblig-grau, trübe und kalt werden, dann ist sie ein greises Weib. Die Spinnenfäden, die im Altweibersommer durch die Luft schweben, sind ihr graues Haar. Bald verschwindet sie ganz unter der Erde und mit ihr alle Lebenskeime, alles Grün. Sie ist nun die Braut des schwarzen Totengottes Samain. Als Hüterin der Samen und der nach Wiederkehr dürstenden Toten, als Spinnerin des Schicksals herrscht sie.

Getreidekörner, Äpfel und Haselnüsse – Symbole des Lebens, das über den Winter hinübergerettet wird – opferten die Kelten nun den Toten. Nach dem Fest des Samain, Halloween, durfte kein Heilkraut mehr gepflückt, kein Obst mehr geerntet werden. Alles war nun pucca, verboten, tabuisiert, mit Ausnahme der immergrünen Mistel, einer Pflanze, die nie auf dem Erdboden, sondern als Schmarotzer im oberen Geäst der Bäume lebt und sich ganz dem solaren Jahreszyklus entzieht. Einige der goldgrünen Mistelzweige wurden nun als Zeichen des immerwährenden Lebens über die Türschwellen gehängt.

Eine vielleicht noch ältere Imagination der Grossen Göttin begegnet uns in den Märchen und Sagen der Frau Holle. Auch sie ist Hüterin der schlummernden Samen und der auf ihre Wiedergeburt wartenden Toten. Das verborgene Reich der Holle ist aber keine düstere Höhle oder gar die Hölle, sondern ein lichter Ort mit herrlichen grünen Wäldern und Wiesen, mit Blumengärten und Obstbäumen. Hier herrscht sie als Königin der Zwerge und Elementarwesen, die – wie wir sehen werden – die Wachstumskräfte personifizieren. Als Schicksalsherrin belohnt auch sie die Verstorbenen je nach ihren Taten mit Pech oder Glück im nächsten Leben.

Sie wohnt zwar tief unter der Erde, und dennoch meinte man, wenn es daunige Flocken schneit, schüttele sie ihre Federbetten aus. Die kristallinen Schneeflocken, die Daunenfedern der ihr geweihten Gans, galten als Sternenkräfte, die den Pflanzen des kommenden Jahres Wachstums- und Gestaltungskräfte zukommen lassen.

Die Vorstellung, dass die Vegetationsgöttin zugleich die Totengöttin ist, ist ebenso weit verbreitet wie der Glaube, dass sie zugleich tief unten in der Erde und hoch oben im Himmel lebt. Beides, Himmel und die Unterwelt, gelten im archaischen Denken als das Jenseits, als die «Anderswelt». Und aus dieser «Anderswelt» kommen die sich inkarnierenden Pflanzen, Tiere und Menschen. Diese Anschauung war den Völkern der Neuen wie auch der Alten Welt geläufig.

Frau Holle, die bei den Engländern als Mother Goose (Gänsemutter) bekannt war, ist auch die Herrin des schamanistischen Flugs. Ihre Gans ist ein uraltes Symbol für die Reise in die Anderswelt, wo der Schamane oder die später zur Hexe umgedeutete «fliegende Frau» den Ahnengeistern, den Tiergöttern und den Pflanzengeistern begegnet. Die germanischen und sibirischen Schamanen opferten zu Winteranfang, wenn die Pflanzen und Naturgeister sich ins Erdinnere zurückziehen, eine Gans. Der Vogel wurde geweiht, indem sie ihn mit dem heiligen Beifuss (Artemisia) räucherten oder einrieben. Aus dem Gänsefett kochten sie dann unter Beigabe von giftigen Kräutern (Tollkirsche, Bilsen, Schierling usw.) eine «Flugsalbe», die die Reise zu den Geistern und Göttern ermöglichte.5

Eine andere, aber doch recht ähnliche Vorstellung von der Pflanzengöttin herrschte in der klassischen Antike. Devi erscheint hier in der Gestalt der Kornmutter Demeter (römisch Ceres) und zugleich in jener der Persephone (römisch Proserpina), ihrer schönen Tochter. Die Sage erzählt, wie Persephone auf einer sonnigen Wiese spielte und Narzissen pflückte.6 Plötzlich brach der Erdboden auf, und Pluto, der schwarze Gott der Unterwelt (Hades), ergriff das Mädchen und riss es mit hinab in sein düsteres Reich. Er machte sie zu seiner Frau, indem er ihr einen samenreichen Granatapfel zu essen gab. Persephone teilte daraufhin seinen Thron und wurde zur Herrscherin der Toten und der zahllosen Samen, die unter der Erde harren.

Mit dem Verschwinden des schönen Mädchens verschwanden auch alle Blumen und alles Grün von der Erdoberfläche. Mutter Demeter, ausser sich vor Gram, liess weder Korn noch Obst gedeihen. Die Erde wurde wüst und unfruchtbar, so dass es selbst die Götter nicht mehr ertragen konnten. Also schickten sie den göttlichen Schamanen, den wegekundigen Hermes, in den Hades hinab, um die junge Frau wieder in die lichten Höhen des Olymp zu führen. Pluto liess sie gewähren; da sie die Granatapfelsamen in sich trug, hatte sie keine andere Wahl, als jedes Jahr für einige Monate in die Unterwelt zurückzukehren. Während dieser Zeit ist Winter auf Erden.

Das Blumenmädchen Persephone entwickelte sich bald zur eifersüchtigen Ehefrau. Wehe der Nebenbuhlerin! Die von ihrem Gatten geliebte Nymphe Minthe zum Beispiel zerriss sie und verwandelte sie in das bescheidene Duftkräutlein, aus dem wir uns den Pfefferminztee brauen.

Wir sehen auch in dieser Mythe, dass sich das Wirken der Pflanzengöttin von den Tiefen der Unterwelt bis in den höchsten Götterhimmel erstreckt. Das entspricht auch dem Wesen der Vegetation: Die eine Hälfte der Pflanze (die Wurzeln) strebt dem Erdmittelpunkt zu, die andere Hälfte (die grünen Sprossen) streckt sich dem Zenith entgegen.

Die archetypische Pflanze ist eben ein Mittler: Sie verbindet das Oben und das Unten, das Licht und die Dunkelheit, das Mineralreich mit dem Tierreich, das Jenseits mit dem Diesseits, die göttliche mit der menschlichen Welt, den Makrokosmos mit dem Mikrokosmos. Deswegen sind Pflanzen auch Heiler: Als Heil- und Nahrungspflanzen können sie uns die Kräfte der Erde und des Sternenhimmels zukommen lassen und uns dadurch ganzheitlich und «heil» machen. Diejenigen Pflanzen, die unsere Ahnen kannten und verehrten, können uns die Inspirationen unserer Vorfahren als weise «Ahnungen» vermitteln, denn die Totenwelt steht ihnen offen. Die entheogenen, bewusstseinserweiternden Pflanzen können uns sogar im rauschhaften Erleben in die jenseitigen Reiche der Götter und Dämonen mitnehmen. Jede Pflanzenart hat dabei ihre besonderen Möglichkeiten und Fähigkeiten, die sie uns zur Verfügung stellt. Jede Pflanzenart bietet uns ihre Mitarbeit an. Die Entscheidung, anzunehmen oder abzulehnen, liegt bei uns. Jede Pflanzenart – oder besser gesagt, jeder Deva –, mit der wir uns einlassen, wird uns verändern, wird uns verwandeln, wird uns zu dem machen, was wir sein werden. Schliesslich haben wir es in ihnen mit göttlichen Mächten zu tun.


Wiedererscheinen der Persephone im Frühling (Böotien, 4 Jh. v. Chr.)

3 Die englische Maid legte einen Schafgarbenstengel unter ihr Kissen und sprach:

«Thou pretty herb of Venus tree / Thy true Name be Yarrow / Now, who my bosom friend may be / Pray tell me tomorrow.»

In Deutschland ging das Mädchen zum Grab eines früh verstorbenen jungen Mannes und sprach beim Abpflücken: «Die erste Schafgarbe finde ich hier, / Im Namen Christi pflück ich sie mir, / Und wie Jesus Maria mit Liebe bedacht, / Mög im Traum mir erscheinen mein Liebster heut nacht.»

4 Neuere Forschungen bestätigen, dass ein Immergrüntee den Teufel des Gedächtnisschwundes und der schlechten mentalen Disposition durchaus auszutreiben vermag. Der in dieser Pflanze enthaltene Wirkstoff Vincamin fördert die Durchblutung der Hirngefässe. (Weiss 1982: 139) Die Wirkung als Gehirntonikum scheint auch der alten Volksmedizin nicht entgangen zu sein. Wenn ein Kind zum ersten Mal in die Schule geht, soll man es mit dem Immergrün auf den Kopf schlagen und sagen: «Geh zu und lerne was!» In der Oberpfalz wird dem Kind ein Säckchen mit einer Immergrünwurzel umgehängt, damit es gescheiter wird.

5 In den Alpenländern wird die Frau Holle noch immer als die Percht, Pertha oder Königin Bertha gefeiert. In den Rauhnächten, vor allem am letzten Tag der zwölf heiligen Nächte, wenn die Vegetation noch verborgen in ihrem Reich weilt, geht diese Göttin mit den grossen Zähnen und wirrem Haar um. Mit ihr ziehen die Naturgeister und Fruchtbarkeitsdämonen durch das Land. An den wilden Maskenzügen, Perthenläufen, -tänzen und -spielen nehmen auch die Menschen teil.

6 Die Narzisse, ein giftiges Amaryllisgewächs, war eine dem Pluto geweihte Todespflanze. Sie symbolisierte – wie noch heute in der Psychoanalyse – den Egoismus und die Selbstverliebtheit der narzisstischen Persönlichkeit, die den spirituellen Tod nach sich zieht.

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