Читать книгу Pflanzendevas - Wolf-Dieter Storl - Страница 7
ОглавлениеEINLEITUNG
Das Telefon riss mich aus meinen Gärtnerträumereien. Ich warf den Spaten beiseite und hastete ins Haus. Als ich den Hörer abnahm, überwältigte mich der Wortschwall irgendeines mir unbekannten Fernsehproduzenten:
«Sicherlich kennen Sie Das geheime Leben der Pflanzen, den einmaligen Bestseller von Peter Tompkins und Christopher Bird? Wissen Sie, dass seit der Erstveröffentlichung zwanzig Jahre vergangen sind?» – Die Stimme wurde nachdrücklicher: «Zwanzig Jahre! Es ist nun wirklich an der Zeit, dem Publikum die neueren Erkenntnisse und Fortschritte auf dem Gebiet der esoterischen Pflanzenforschung nahezubringen. Es geht darum, den Leutchen da draussen klarzumachen, dass es sich bei den Pflanzen nicht um leblose Gegenstände handelt, sondern um beseelte Lebewesen, die mit den Menschen eine emotionale Beziehung eingehen können. Vielleicht könnten Sie mir da einige Hinweise geben. Verstehen Sie mich recht, es geht mir um eine spirituelle Sicht der Dinge. Wir suchen nach einer Möglichkeit, die Pflanzendevas im Fernsehen selber zu Wort kommen zu lassen.»
Noch ganz ausser Atem, fragte ich: «Nun, ja, wie wollen Sie das denn anstellen? Pflanzenseelen und -geister sind ja schon vom Begriff her für unsere äusseren Sinne unerfahrbar. Sie sind unsichtbar! Was wollen Sie denn da eigentlich filmen?»
«Sicherlich kennen Sie die Kirlian-Hochfrequenzphotographie, mittels derer es gelungen ist, die Auras der Pflanzen abzulichten, sichtbar zu machen! Es ist Ihnen vielleicht nicht geläufig, welche technischen Möglichkeiten uns zur Verfügung stehen, verborgene Phänomene unseren Sinnen zugänglich zu machen. Sie kennen doch sicherlich den Backster-Effekt?»
Ich brauchte nicht lange zu überlegen. Backster-Effekt. Klar! Aus spielerischem Trieb heraus hatte der Kriminologe Cleve Backster eines Tages seinen Lügendetektor an den Drachenbaum angeschlossen, der da in einem Topf neben seinem Schreibtisch dahinvegetierte. Zu seiner Verblüffung musste er feststellen, dass der Polygraph schon beim blossen Gedanken, ein Blatt zu durchstechen oder es in den heissen Kaffee zu tauchen, ausschlug. Pflanzen können Gedanken lesen – um diesen Schluss kam Backster nicht herum.
Die Stimme am anderen Ende der Telefonleitung arbeitete sich inzwischen in einen regelrechten Eifer hinein: «Nun lassen sich die von den Pflanzengeweben ausgehenden elektrischen Impulse leicht amplifizieren und aufandere Medien übertragen. Zum Beispiel kann man sie als Ton oder als Farbe wiedergeben. Folgende Szene wäre doch ganz toll für eine Sendung: Da sitzt jemand vor seiner Salatschüssel. Elektroden sind an den Salatblättern angeschlossen. Im selben Moment, in dem er mit der Gabel zusticht, verändert sich die elektrische Spannung in dem betroffenen Blatt. Das genügt, um mittels Farb- und Tongeneratoren einen schrillen Schrei auszulösen und es blutrot auf dem Monitor aufleuchten zu lassen! Nicht wahr, das würde den Leuten endlich einmal vor Augen führen, dass sogar der Salat ein fühlendes, beseeltes Wesen ist! Da würden sie nicht mehr so gedankenlos Salate, Gurken, Äpfel oder sonstwas in sich hineinstopfen. Ich sehe das sozusagen als eine pädagogische Aufgabe!»
Ich brummelte etwas Dümmliches vor mich hin und sagte, dass ich ihm wohl nicht helfen könne. Zugleich musste ich an die alte Dame denken, der es schon eine Qual bereitet, ihr Gärtlein zu jäten. Das blutrote Aufleuchten und der schrille Todesschrei des Salatblättchens würde ihr jede Mahlzeit zur Gewissensqual machen. Wie könnte sie die Vorstellung verkraften, die armen Kartoffelwesen lebendigen Leibes im kochenden Wasser zu verbrühen. Oder die unschuldigen Radieschen zu zerstückeln und dann noch Salz in ihre Wunden zu streuen! Der Mensch als molochartiges Monster! Welche geistig hochentwickelte Seele – und dafür hielt sich die alte Dame – könnte damit leben? Sie müsste, wollte sie nicht als niederträchtige Heuchlerin dastehen, die letzte Konsequenz ziehen: Sie müsste ganz aufhören zu essen und sofort ins Geistige eingehen, so wie es die Heiligen der Jaina im alten Indien taten. Um kein weiteres böses Karma anzuhäufen, versagten sich die Jaina völlig den animalischen Trieben. Sie setzten sich einfach hin, hörten auf zu essen – und entschwebten nach vierzig bis sechzig Tagen dieser grausamen Welt.
Nein, mit solch billigem Mediensensationalismus, solchen elektronischen Gaukeleien lässt sich die Ehrfurcht vor dem Leben nicht neu entfachen! So etwas sollten Sie, Herr Fernsehproduzent, Ihren Zuschauern nicht zumuten! Ausserdem erzeugen die Pflanzen ihre Biomasse im Überfluss. Pflanzen gleichen stillenden Müttern mit prallen Brüsten, denen es Freude macht, die hungrigen Mäuler ihrer Kinder zu stopfen. Es ist genug da für Menschen und Tiere.
Nein, Sie befinden sich auf dem Holzweg. Die einfachen Naturgeister, geschweige denn die erhabenen Pflanzendevas, lassen sich nicht so leicht leimen. Kein elektronischer Sensor, kein noch so raffiniert ausgeklügeltes Instrument wird die Devas zum Sprechen bringen. Ganz im Gegenteil, auf Zwang und freche Neugierde lassen sie sich nicht ein, sie ziehen sich zurück. Wir brauchen keine anderen Instrumente als unseren Leib und unsere Seele – das hatte ja schon der alte Goethe gesagt! Liebe ist die einzige Sprache, die die Pflanzengeister verstehen. Liebe zieht sie an – und dann erst können sie in ihrer unbeschreiblichen Schönheit im Spiegel unserer Seele erscheinen. Wir müssen also an uns selbst arbeiten, den Spiegel reinigen – etwa mit Yoga und Meditationsübungen, nicht bloss im Äusseren kramen.
«Nein danke, Herr Produzent, ich habe kein Interesse, an Ihrem Programm mitzuwirken. Auf Wiederhören!»