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ОглавлениеNAHRUNG AUS DEM KOSMOS
Photosynthese ist der Fachausdruck für den überaus komplizierten Vorgang, der es den Pflanzen ermöglicht, ein weites Spektrum der einströmenden kosmischen, elektromagnetischen Energie – das Licht der Sonne – zu nutzen. Das grüne Chlorophyll fängt Lichtquanten auf und erlangt dadurch einen derart energetisierten Zustand, dass Wassermoleküle gespalten werden. Dabei wird der Sauerstoff, der allen Lebewesen das Leben schenkt, an die Atmosphäre abgegeben. In einer zweiten Reaktion, ebenfalls im grünen Blatt, wird Kohlendioxid (CO2) zu Zucker und Stärke synthetisiert. Die Zuckerherstellung im Grün der Pflanze ist Grundlage aller Stoffsynthesen, die in den Lebewesen stattfinden. Durch Photosynthese werden jährlich 100 bis 200 Milliarden Tonnen organische Materie aufgebaut.
Was die Wissenschaftler nun als rein materielles Geschehen auffassen, als höchst komplizierte Interaktionen von Photonen (Lichteinheiten) und Molekülen (H2O, Chlorophyll, ATP, CO2), sahen die alten Inder – weniger auf der Grundlage des Experiments als jener der Meditation – als ein gewaltiges kosmisches Drama. Die verschiedenen Seinsformen galten ihnen als Stationen zur Aufnahme und Weitergabe von Kräften. Jedes Wesen existiert – so sagen es die Upanischaden –, um ernährt zu werden und um andere zu ernähren.1 Die Pflanzen «verspeisen» sozusagen kosmische und stellare Energien. Ihre grünen Blätter saugen die im einströmenden Licht verborgenen Lebenskräfte auf, speichern sie in ihren Geweben und geben sie, indem sie sich selber verspeisen lassen, an andere Geschöpfe weiter.
Pflanzen, so meinen die Inder, sind eigentlich Meditanten im tiefen Samadhi, in vollkommener Ekstase. Unbewegt, ganz dem Himmel hingegeben, meditieren sie den schöpferischen Urton – das Om –, den die Sonne ohne Unterlass hervorbringt und herabstrahlt.2
Pflanzen vermitteln uns das in Licht gehüllte Ur-Mantra des Universums und schenken uns somit das Leben. Nur sie vermögen auf diese Weise, das Jenseits mit dem Diesseits zu verbinden. In der heiligen Sprache der Veden werden Pflanzen als Osadhi (Ausadhi) bezeichnet. Das Wort ist zusammengesetzt aus Osa (= brennende Umwandlung) und Dhi (= Gefäss). In diesem Sinn gelten die Pflanzen als Gefässe zur Metamorphose des kosmischen Feuers. (Lad/Frawley 1988: 22) Dieses Feuer, diese Liebesstrahlung des Himmels, wird mittels der Alchemie des Blattgrüns in das diesseitige Leben umgewandelt. Wenn Tiere ihren Hunger an den Blättern, Stengeln, Samen oder Knollen stillen, dann werden – in einer weiteren alchemistischen Verwandlungsstufe – die kosmischen Licht- und Wärmequanten in Gefühle (innere Wärme) und in Bewusstseinsregungen (inneres Licht) umgewandelt. Auch wir Menschen erhalten unsere Wärme und geistiges Licht aus dieser Quelle. Unsere Gefühle, Gedanken und Träume sind es, die wiederum den Engeln und Ahnengeistern oder auch den Dämonen als «feinstoffliche» Nahrung dienen. Da wir ihre Nahrungsspender sind, behüten und beschützen uns diese Geistwesen, ebenso wie ein Hirte oder Bauer sein Vieh hegt. Wir können aber auch einen Schritt weiter gehen. Einen Schritt, der es uns erlaubt, nicht nur «dummes Vieh» für die Transsinnlichen zu sein, sondern ihre Partner. Wir können die durch uns fliessende Lichtenergie auf ein höheres spirituelles Niveau bringen, wir können uns des Bewusstseins bewusst werden und bewusst mit den geistigen Wesenheiten, auch den Pflanzendevas, verkehren.
Die im Obst, Korn und Gemüse gespeicherte kosmische Energie wird durch das Zerkauen und die Einwirkung der Verdauungssäfte wieder freigesetzt und die darin enthaltenen Sternenbotschaften vom Organismus entschlüsselt. Genau genommen handelt es sich dabei um einen Verbrennungsprozess – die Umkehrung der Lichtassimilation, die in jedem grünen Pflanzenteil stattfindet. Wie bei jedem Verbrennungsvorgang wird Hitze (Kalorien) erzeugt, während ein Teil als «Asche» (Kot) ausgeschieden wird. Die im Darm freigesetzte Energie durchstrahlt den Körper und befeuert sämtliche Lebensvorgänge. Dem Sexus steht eine beträchtliche Menge dieser frisch erschlossenen Energie zur Verfügung. Es ist kein Zufall, dass sich die Fortpflanzungsorgane unmittelbar neben den Verdauungsorganen befinden! (Scheffer/Storl 1994: 48) Ein weiteres Energiequantum überflutet das vitale Zentrum des Sonnengeflechts (Solarplexus), den Sitz des Willens und des Selbsterhaltungstriebes.
Der Grossteil der verfügbaren Energie verbraucht sich also in den vitalen, animalischen Funktionen, in den Tätigkeiten, die unser Überleben und unsere Fortpflanzung sichern. Bei den Tieren und den meisten Menschen ist diese Energie dann praktisch erschöpft. Bei geistig weiter fortgeschrittenen Individuen steigen grosse Mengen dieser Energie weiter nach oben und verwandeln sich schrittweise in seelische und geistige Fähigkeiten.
Die Schlangenkraft
In der indischen Yogalehre wird dieser Vorgang als der Aufstieg der Kundalini-Schlangenkraft beschrieben. Die Kundalini symbolisiert die Summe der Lebenskraft. Einer Schlingpflanze gleich windet sich die Schlange dem Rückgrat entlang empor, vom untersten Lebenszentrum (Sexualorgane und After) bis hinauf zum obersten (Hirn). Zuerst ist die Kundalini träge, dumpf, dunkel und massiv. Beim allmählichen Aufstieg wird sie jedoch immer leichter, heller und feiner. Wie Lotosblüten, wenn sie von der Morgensonne wachgeküsst werden, blühen die Chakras auf, wenn sie von diesem Energiestrom erfasst werden. So gesehen ist der Mensch in seiner Entwicklung auch eine Pflanze, aber eine stark verwandelte, nach innen gestülpte mikrokosmische Pflanze.
Chakras, der Weg der Kundalini
Steigt die vom Lebensgrün vermittelte Sonnenkraft über die niederen Lebenszentren hinaus, also über die Geschlechtsorgane und den Bauch, bis in die Herzregion, blühen Mitgefühl und wahre Imaginationskraft auf. Steigt sie noch höher, bis in die Kehlkopfregion, dann vernimmt der Mensch das Tönen der Sonne, das mystische Om. Erreicht die Schlange die Stirnchakra, wird der Mensch alle illusionären Gegensätze überwinden und zur Gotteswahrnehmung befähigt. Er erkennt, dass das Licht des Himmels, welches ihm – durch die Pflanzen – das Leben schenkt und seinen Geist befeuert, nichts anderes ist als die Liebe Gottes. Er erkennt das Selbst, das in allen Dingen west und das man als Gott, als Shiva, den Gütigen, den Gnädigen bezeichnet hat. Es ist dasselbe Wesen, welches in Indien auch als Ausadhishvara, «Herr der Pflanzen», angerufen wird. Man erkennt, dass es seine Energie, seine Shakti, ist, die das Universum als Licht, Leben und Liebe durchströmt. (Storl 1988: 176)
Erreicht und durchbricht nun die aufsteigende Schlangenkraft die Schädeldecke, dann wird eine Lichtaura aufleuchten, wie sie auf den Ikonen als der «Heiligenschein» der Engel und Heiligen angedeutet wird. Wenn das geschieht, schliesst sich der Kreis: Das Lebenslicht vereinigt sich wieder mit seinem Ursprung. Gott und das wahre Selbst werden als ein und dasselbe erfahren. «Erleuchtung» heisst das oder Nirvana, das «Auslöschen des Wahns».
Dieses «Explodieren» der Schädeldecke bedeutet das Ende unserer Ego-Besessenheit, es ist das Aufsprengen der Grabesgruft und die Auferstehung unseres geistigen Selbst. Dieser Vorgang gleicht dem Aufsprengen der Samenhülle, welches der Pflanze erlaubt, sich erneut mit dem nährenden kosmischen Licht zu verbinden, zu wachsen, zu blühen und vielfältig Frucht zu tragen.
Wir sehen, die Pflanzen erhalten nicht nur unseren Leib. Sie fördern und nähren auch unsere Seele und ermöglichen die Erleuchtung unseres Geistes. Ihr Dasein ist Darbringung, ist Opfer und selbstlose Liebe. Die Erde, auf der sie wachsen, ist selber Opferaltar – und wir, die wir ihren Segen empfangen, sind die Opferpriester. Durch Pflanzen wird das äussere Licht der Sonne und der Sterne zum inneren Licht, das uns aus unseren Seelengründen entgegenstrahlt. Dies ist der Grund, weshalb Pflanzen immer und überall als heilig, als göttlich galten.
1 Aus Speise entstehen die Geschöpfe, die auf der Erde wohnen; sie leben durch die Speise und gehen schliesslich in Speise ein.» Anandavalli Upanishad, zit. aus: Upanischaden: Die Geheimlehre der Inder. Eugen Diederichs. München. 1988. S. 133
2 Die Erkenntnis, dass die Sonne «tönt» und dass unser geistiges Ohr wunderbare Harmonien vom Sternenkosmos her vernehmen kann, ist uns heute weitgehend fremd geworden. Unsere geschäftige Welt mit ihrem ständigen Motorengesumm, Rundfunkgeschnatter und Fernsehgeplärre hat kein Ohr mehr dafür. Aber noch der Dichterfürst lässt seine Sonne «nach alter Weise in Brudersphären Wettgesang» ertönen (Goethe, Faust, «Prolog im Himmel»). Die Weisen der Antike ebenso wie die Alchemisten und Rosenkreuzer sprachen wie selbstverständlich von hörbaren Harmonien der Sphären. Gemeint waren jene Sphären, die durch die Bahnen der Sonne, des Mondes und der Planeten umschrieben sind. Diese Sphären galten auch als «Wohnorte» der Geistseelen der einzelnen Pflanzenarten.