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Unser Fräulein Doktor

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Diese zweite Unterrichtsstunde gehörte unserem Fräulein Doktor, wie wir Fräulein Lerche zärtlich nannten! Auf ihren Doktortitel legte sie keinen besonderen Wert, zumindestens nicht im Umgang mit ihren Schülern und Schülerinnen.

Beim Betreten des Klassenzimmers merkten wir sofort, daß heute irgendetwas nicht stimmte. Ihre hübschen, gleichmäßigen Gesichtszüge wirkten etwas verkrampft. Um ihre leuchtend roten Lippen bildeten sich beidseitig ungewohnte Sorgenfalten. Ihre bildschönen braunen Augen irrten ziellos im Raum umher. Auch ihre tiefschwarzen, leicht lockig frisierten, schulterlangen Haare, schienen nicht so geordnet wie gewöhnlich. Ihre ohnehin etwas eingefallenen Wangen mit den markanten stark ausgeprägten Backenknochen, wirkten heute noch intensiver und erweckten einen fast bizarren, slawischen Eindruck.

In ihrem schwarzen Hosenanzug, mit der schicken weißen Bluse darunter, sah sie dennoch mal wieder bezaubernd aus!

Während sie mit leiser Stimme zu erzählen begann, sah sie jeden von uns mit ihren tiefbraunen Augen Sekunden lang an:

„Es gibt Schüler und Schülerinnen, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, anderen weh zu tun!“

Sie holte tief Luft.

Wir erstarrten zu Salzsäure!

„Auch wir erdachten uns in unserer Jugend freche Streiche .Auch mich konnte man nicht unbedingt als Musterschülerin bezeichnen. Das verlangte auch niemand, weder damals noch heute.“

Die Klasse hörte mucksmäuschenstill zu und Lerche setzte ihre Standpauke fort:

„Wenn aber heranwachsende Jugendliche, die ihre Kinderstube im Düsenjet durchflogen haben, glauben, das Klassenzimmer als Plattform für terroristische Einsätze zu nutzen, kann ich nur sagen, nicht mit mir! Zukünftig verbiete ich mir solche und ähnliche Vorfälle, wie sie sich heute hier in diesem Raum zugetragen haben! Wir werden mit aller Bestimmtheit und Härte gegen solche Rabauken vorgehen!“

Ihre Stimme wurde nicht nur immer lauter, sie enthielt auch eine bisher nicht gekannte Schärfe.

Im Verlaufe ihrer Ansprache schienen alle Schüler und Schülerinnen unter die Tische gerutscht zu sein, zu tiefst beschämt von ihr.

„Ich möchte gar nicht wissen, wer der oder die Initiatoren dieser Untaten sind. Ich verstehe nur die Unbeteiligten, die, die etwas lernen möchten nicht. Sie müssten solche, nennen wir sie mal trotzdem, Streiche, einfach verhindern! Wenn sie das nicht tun, sind sie genau so schuldig wie die Übeltäter. Wenn ihr den Krieg wollt, bitte, ihr werdet schon sehen wer den Kürzeren zieht!“

Ihre Augen glänzten nun und ich mußte feststellen, daß sie dabei immer hübscher wurde, wenn sie sich so in Rage redete.

Ich musterte sie aufmerksam und leicht erregt!

Auf ihren Wangen bildeten sich zarte rote Flecken. Ein paar vorlaute Haarsträhnen fielen ihr in das schöne, wutverzerrte Gesicht und verhedderten sich im Mund. In ihrer grenzenlosen Erregung merkte sie es gar nicht.

Ihre leidenschaftlichen Worte gingen auch an mir nicht spurlos vorbei, dennoch konnte ich es nicht unterlassen, sie weiter aufmerksam zu betrachten.

Mein Blick fiel dabei auf ihre schlichte weiße Bluse, unter der sich ihr kleiner Busen immer schneller hob und senkte! Diese ungewohnten Bewegungen führten dazu, daß sich ein Knopf, an einer Stelle öffnete, die ich für äußerst bemerkenswert und erotisch hielt. Diesem Punkt galt nun mein ganzes Interesse!

Ich fand es derart spannend, daß ich meinen Nachbarn anknuffte und flüsterte:

„Schau dir das an! Ob die zwei Bällchen herausfallen?“

Mein Nachbar Hartmut bekam den Mund zwar augenblicklich auf, aber nicht sofort wieder zu. Er schnappte nach Luft, wie ein Karpfen. Anlaß genug ihn erneut anzustoßen.

Das wirkte! Die Kinnladen fielen wieder hinunter, aber unsere Augen starrten wie hypnotisiert auf dieses Etwas, das sich noch immer hinter zarter Spitzenwäsche verborgen hielt.

Nun, es sei vorweggenommen. Unsere Hypnose mißlang und die restlichen Knöpfe hielten das zusammen, was wir zu gerne herausgelockt hätten!

Unser Fräulein Doktor, die von alledem nichts bemerkte, kam derweil zum Schluß:

„Ich erwarte von der ganzen Klasse bei der betreffenden Lehrkraft eine aussagefähige Entschuldigung!“

Sie sah sich fragend um und wir nickten artig mit den Häuptern.

„Für heute will ich von einer Bestrafung absehen, aber stellvertretend für diese Lehrkraft trage ich die gesamte Klasse für ihr ungehöriges Benehmen in das Klassenbuch ein!“

Damit legte sie das Buch auf den Tisch und wollte sich hinsetzen. Im letzten Augenblick mußte sie sich wohl die Erzählungen des Herrn Paul in das Gedächtnis gerufen haben, denn sie hielt inne, strich mit ihren feingliedrigen Fingern über die Sitzfläche und nahm erst danach Platz. Dabei umspielten ihre Lippen schon wieder, sehr zu unserer Freude, ein leichtes Lächeln.

Als sie zu schreiben begann, blieb ich nicht der Einzige, der den Mund bereits leicht geöffnet, sie darauf aufmerksam machen wollte, daß die heutigen Seiten im Klassenbuch fehlten. Aber schließlich bevorzugten wir die Schweigepflicht, um nicht unnötig aufzufallen.

Sie zumindest hatte die fehlenden Seiten nicht bemerkt und schrieb ununterbrochen ganze Geschichten in das Buch!

Vorsichtig sah ich mich in der Klasse um.

Die Banausen besaßen Nerven.

Bei einigen schoben sich schon wieder die Lachfalten ineinander, während andere mir unverfroren zuzwinkerten.

Ich musste wohl sehr dämlich ausgesehen haben, denn mein Nachbar Hartmut, vom Gemüt her eher mit einem Elefanten vergleichbar, flüsterte mir zu:

„Jetzt trägt sie die ganze Klasse am Dienstag ein, dabei ist doch heute Montag!“

Mein Gesichtsausdruck mußte sich nicht wesentlich geändert haben, außer daß ich nun einem Kamel wohl immer ähnlicher sah und Hartmut vor Freude sämtliche Gesichtszüge entgleisten, was seinem Antlitz aber auch nicht mehr Intelligenz verlieh!

Er setzte daher seinen Gedankengang fort:

„Na morgen ist schulfrei“, und da bei mir der Groschen pfennigweise fiel, fügte er hinzu:

„Da morgen ein Feiertag ist du Esel!“

Langsam begriff auch ich und sah das dämliche Grinsen meiner Mitschüler in einem anderen Licht.

Wir wurden also gerade wegen ungehörigen Betragens an einem Tag eingetragen, wo wir gar nicht anwesend waren.

Nach einigen Sekunden empfand auch ich Freude, obwohl mir unser Fräulein Doktor schon fast wieder Leid tat, da sie sicherlich mit einem Anschiß rechnen mußte, wenn das der Herr Direktor merken würde!

Der Rest der Stunde verlief dann eher programmgemäß. Fräulein Lerche brachte es sogar fertig über die bevorstehende Klassenfahrt zu sprechen, als wäre nichts passiert.

Das sprach mal wieder für sie.

Ich hätte das sicherlich nicht gekonnt, was sich in meiner Konzentration niederschlug. Noch völlig unter dem Eindruck unserer Streiche und der mehr oder weniger gerechten Ansprache meiner Lieblingslehrerin mochte ich dem Unterricht nicht so recht folgen. Meine Antworten bei Zwischenfragen fielen dann auch so dämlich aus, dass die Klasse sich vor Lachen bog.

Die idiotischste Antwort entlockte sie mir bei ihren Ausführungen über das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald als sie mich plötzlich unerwartet fragte:

„Hast du schon einmal etwas von Arminus gehört?“

„Die letzten Tage nicht“, stotterte ich zur allgemeinen Belustigung, „aber ich kenne ihn auch nicht!“

Das nun folgende Gelächter beschäftigte mich sogar noch Stunden später auf dem Heimweg.

Wie konnte ich auch ahnen, daß sie von Arminus dem Cheruskerfürsten sprach, dem dieses Hermannsdenkmal 1875 zum Gedenken erbaut wurde.

Meine saudämliche Antwort wurde natürlich umgehend zum geflügelten Wort in der Schule und bei jeder nur halbwegs passenden Gelegenheit, ob im Deutschunterricht, in der Geschichtsstunde, in der Biostunde oder selbst in der Mathestunde kam als einstimmige Antwort:

„Den Herren kenne ich leider nicht, der hat sich bei mir noch nicht vorgestellt!“

Auf diese Art und Weise hatte ich aber für die Klasse einen Beitrag für die Belustigung geliefert, während es mir bei unserem Fräulein Doktor eine deutlich schlechte Zensur einbrachte.

Dieser Vorgang trug jedenfalls nicht dazu bei meine Laune in irgendeiner Form positiv zu beeinflussen. Dabei hätte ich doch rundum zufrieden sein können, denn unsere Streiche am heutigen Morgen wurden in der gesamten Schule verbreitet und als voller Erfolg gewertet. Ja, wir erhielten Anerkennung aus allen Richtungen, ob von den Älteren in der Schule oder den Parallelklassen und man bezeichnete unsere Genialität schlicht und ergreifend als Kult! Wie wir viel später mal auf unserer Abiturfeier erfuhren, natürlich unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit, sollen sogar einige Herrschaften aus dem umfangreichen Lehrerkollegium recht herzhaft darüber gelacht haben. Unter Abwesenheit des Herrn Paul, versteht sich.

Nur unser Fräulein Doktor folgte diesem Trend nicht, und das tat mir weh.

Meine Unlust setzte sich auf dem Heimweg fort. Zunächst verpaßte ich den Bus, weil ich gedankenverloren zur Haltestelle trottete. Erst beim Erreichen der Haltestelle merkte ich, daß der Bus schon dastand.

Meine ansonsten recht gute Reaktion ließ mich aber fürchterlich im Stich und entsprach wohl eher der eines vollbepackten Möbelwagens. Bis ich schaltete, wäre jeder Selbstmörder kalt gewesen!

So fuhr der Bus vor meinen Augen weg, ohne daß ich auch nur den Versuch unternahm, ihn zu erklimmen.

Als der Bus dann allerdings fuhr, rannte ich reaktionsschnell hinterher.

Warum weiß ich auch nicht, vielleicht damit ich anschließend länger warten konnte.

Als dann schier nach einer Ewigkeit der nächste Bus kam, stand ich hilflos vor dem grinsenden Fahrer und suchte meine Fahrkarte, die ich mir beim Einsteigen zwischen die Lippen geklemmt hatte. Nicht nur daß ich mich über das blöde Gegrinse des Busfahrers ärgerte, durch meine alberne Sucherei waren inzwischen auch die letzten Sitzplätze belegt und ich mußte mich, angesäuert bis zum Anschlag in den Gang stellen.

Man sagt wenn es einmal nicht klappt, dann geht gar nichts mehr, aber an dem folgenden Zwischenfall trug ich die Hauptschuld. Angefressen wie ich war, stand ich freihändig im mittleren Teil des Busses.

Allerdings nicht sehr lange!

Schon unmittelbar nach dem Anfahren des Busses, fand ich mich im hinteren Teil des Busses wieder und zwar in der Horizontalen, direkt vor der letzten Sitzreihe.

Das einzig Positive an diesem Unterfangen blieb die Tatsache, daß die Dame, vor deren Füßen ich nun lag, ausgesprochen hübsche Beine besaß! Unter normalen Umständen hätte ich mir nun den Rest des Körpers betrachtet, der zu diesen wohlgeformten Beinen gehörte.

Danach war mir aber nicht mehr zumute! Das laute Gelächter im Bus, meine zweite Blamage am heutigen Tag, beeinflußte meine Gemütslage noch mehr und ich schwor bittere Rache, gegen wen auch immer.

Nachdem ich meine Schulbücher und Hefte zwischen den anmutigen Beinen wieder eingesammelt hatte, verzog ich mich mit gesenktem Haupt in eine Ecke, diesmal allerdings mit der Hand am Haltegriff.

Das nächste Mißgeschick folgte an der Haltestelle, wo ich eigentlich aussteigen musste.

Wie gesagt, wo ich hätte aussteigen müssen!

Ich tat es nicht, weil ich nicht bemerkte, daß der Bus diesen Punkt erreicht hatte.

So fuhr ich eine Station weiter.

Unser Fräulein Doktor

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