Читать книгу Unser Fräulein Doktor - Wolf- Dieter Erlbeck - Страница 5
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ОглавлениеBeim Aussteigen schien ich dann das Opfer gefunden zu haben, wo ich Luft ablassen konnte! Es erschien in Form eines kleinen unschuldigen Jungen, der mir beim Aussteigen aus Versehen auf den Fuß trat.
Eine Frechheit!
Entsprechend fuhr ich ihn an:
„Kannst du Penner nicht aufpassen?“
Dann verpaßte ich ihm eine Kopfnuß!
Eigentlich sollte noch mehr folgen aber der kleine Kerl war nicht nur reaktionsschnell sondern auch viel beweglicher als ich!
Ehe ich mich versah landete seine kleine Faust mitten auf meiner Nase und ein gezielter Tritt traf mich an der Stelle, wo junge und alte Männer besonders empfindlich sind, und die eher zur Fortpflanzung, denn als Fußball, gegen den man treten muss, geeignet ist.
Meine heutige Reaktion möchte ich nicht erneut beschreiben.
Selbst wenn ich sofort losgelaufen wäre, für den kleinen Kerl viel zu spät!
Wie ein Wiesel hatte er sich in Sicherheit gebracht. Ich versuchte zwar noch ein paar Schritte in die Richtung der Staubwolke, hinter der er verschwunden blieb, hielt aber augenblicklich wieder an.
Meine Wut steigerte sich nunmehr ins Unermeßliche!
Zu allem Übel begann es auch noch zu regnen.
Mit geschwollener Nase und schmerzender Stelle zwischen den Beinen trabte ich nach Hause.
Aus dem Regen entwickelte sich nach und nach ein Wolkenbruch und der Gedanke schon länger in der trockenen Wohnstube sitzen zu können, trieb mir erneut die Zornesröte in das jugendliche, geschundene Gesicht.
Kurz vor dem Haus traf ich Ute.
Besser gesagt, Ute traf mich!
Ute, die Tochter unseres Nachbarn, außerdem meine Schulfreundin ging in die gleiche Schule, nur in die Parallelklasse.
Unter normalen Umständen hätte es mich mit Stolz erfüllt, sie ein paar Meter begleiten zu dürfen. Ich wußte, daß mich meine Klassenkameraden um diese Freundin beneideten.
Sie sah nicht nur ausgesprochen gut aus, ihre kurzgeschnittenen braunen Haare verliehen ihr etwas spitzbübisches und ihre giftgrünen, vor Unternehmungslust funkelnden wunderschönen Augen ließen jeden Jungen erweichen.
Ihre schlanke Figur, an der sich alle Rundungen für ihr Alter überproportional an den Stellen zeigten wo sie hingehörten, ließ mein Herz bei jeder Betrachtung höher schlagen.
Gott musste einen Glückstag erwischt haben, als er sie schuf!
An der einen oder anderen Stelle mußte er sich sogar noch überredet lassen haben, einen Zuschlag zu geben. Nur so ist es erklärbar, daß ihre Beine kaum enden wollten und geradezu liebevoll modelliert erschienen.
Trotz der langen Beine und ihrer respektablen Größe wirkte sie keineswegs als Bohnenstange.
Es stimmte einfach alles an ihr.
Ihre Lieblingskleidung, hautenge Jeans oder knallenge Lederhosen betonten ihre Wahnsinnsfigur noch mehr.
Ich betone dies so ausführlich, um auf meinen damaligen äußeren und inneren Zustand hinzuweisen!
Ich bemerkte dies Wahnsinnsweib gar nicht und ging an ihr vorbei ohne aufzusehen.
Sie erzählte mir später, daß sie ihren Regenschirm angeboten hatte, ich aber stur weiterging.
So ein Angebot ausschlagen, allein mit meiner Ute unter einem Regenschirm, ihren Atem spüren, ihre Berührung erleben, ihr Herzklopfen empfinden, ihre Haare in meinem Gesicht, ihre süße kleine Plappergusche genießen und vielleicht ein bißchen mehr, wer weiß? Ich hätte mich ohrfeigen können!
Stattdessen stampfte ich wütend von Pfütze zu Pfütze.
Der Regen pflügte förmlich durch meine Haare und ergoß sich über meine demolierte Nase, die zusammengepreßten Lippen, den Hals entlang, direkt in meinen großzügigen Hemdausschnitt.
Ich spürte, wie das völlig durchnäßte Hemd auf meiner Haut klebte und die Hose so schwer wie ein Rucksack wurde und erreichte den Höhepunkt meiner angestauten Wut, gerade als ich zu Hause ankam.
Meine Mutter kümmerte sich wie immer liebevoll um mich, aber heute ging mir ihr Getue auf den Keks.
„Was hast du denn gemacht mein Junge? Bist du gestürzt? Wo kommst du denn jetzt erst her?“
Tausend Fragen mit einem Atemzug!
Ich empfand die Fragerei als Körperverletzung, warf die nassen Klamotten in die Ecke und verschwand frustriert in meinem Zimmer.
Der Hunger trieb mich aber wieder zurück in die Küche!
Was sich da allerdings meinen Augen bot, war eher dazu angetan aus dem Leben zu scheiden, als zu essen.
Es gab Milchreis!
Das absolute Horroressen für mich! Wäre ich verheiratet, ein sofortiger Scheidungsgrund!
Meine Mutter wußte das.
Da mein Vater es aber gern aß, kam es in schöner Regelmäßigkeit bei uns auf den Mittagstisch.
Ich wollte die Küche schon wieder verlassen, als mich meine Mutter zurückrief:
„Hiergeblieben! Hinsetzen! Es wird gegessen was auf den Tisch kommt!“
Nun gut, dachte ich, sie will die Konfrontation!
„Du mußt mein Essen nicht auf den Tisch stellen“, begann ich meine Kriegserklärung, „Schweine essen auch vom Boden!“
Das hätte ich nicht sagen sollen!
Meine Mutter lief aschfahl im Gesicht an und ohne Vorankündigung und völlig gegen ihre Gewohnheit, landete ihre flache Hand in meinem vorgeschädigtem Gesicht. Nach der Nase kamen diesmal die Wange und das Ohr an die Reihe!
„Ich finde deine Bemerkung unverschämt“, schäumte sie, „es kann nicht jeden Tag ein Braten auf dem Tisch stehen!“
Ich kannte diesen, ihren Standardsatz von vielen ähnlichen Anlässen schon auswendig, was mich aber nicht davon abhielt nun Platz zu nehmen, mit einem Gesicht, das nichts Gutes verheißen sollte!
Nachdem ich den dampfenden Teller unter dem zornigen Blick meiner Mutter ein paar Mal drehte, ließ ich mich zu der Bemerkung hinreißen:
„Köstlich sieht das aus“, und führte dabei den Löffel quer durch den Teller, füllte ihn, hob ihn an und ließ den Reis wie eine klebrige Masse auf den Teller zurücklaufen!
„Dabei fällt mir ein“, setzte ich meine Überlegung fort, „mein Zimmer müßte mal wieder tapeziert werden. Haben wir noch genug Kleister?“
Der strafende Blick meiner Mutter traf mich nicht überraschend. Von Handgreiflichkeiten hatte sie diesmal Abstand genommen, vielleicht auch weil ich zu weit entfernt von ihr saß.
Dennoch trieb ich mein Spiel weiter:
„Fensterkitt brauchen wir auch!“
Wenn Blicke verletzen könnten, diesmal hätte es meine Augen getroffen!
„Wenn du jetzt nicht anfängst mit essen, sage ich es Vater!“
Ein weiterer Standard, ihre liebste Drohung!
Aber auch die zog bei mir schon lange nicht mehr.
Langsam und bewußt aufreizend schob ich den prall gefüllten Löffel in meinem Mund, nicht ohne „köstlich“ zu murmeln.
„Köstlich“, entfuhr es mir erneut und ich schob gleichzeitig alles was ich gerade im Mund aufgenommen hatte, wieder hinaus.
Nun klebte der ganze Schlamassel an meinen Lippen und ich sah aus, als wenn ich mit dem Kopf in den Reis gefallen war!
„Wenn nur ein Krümel hinunterfällt, donnere ich dir eine“, schrie meine Mutter empört!
Ich schluckte das Zeug brav hinunter und stopfte fröhlich den nächsten Löffel hinterher.
„Jetzt weiß ich auch warum in Indien so viele Menschen sterben“, erwähnte ich eher beiläufig und Mutter begriff auch nicht den Hintergedanken meiner Bemerkung:
„Warum denn?“
„Na bei dem Fraß!“
In ihrem Handgelenk zuckte es deutlich, aber sie beherrschte sich einmal mehr.
Mein nächster einstudierter Angriff endete in der Regel tödlich.
Ich stopfte und stopfte ohne zu schlucken. Klar, dass sich dann irgendwann ein Würgereiz einstellte.
Wie erwartet, stand meine Mutter auf, nahm ihren Teller mit und verschwand im Wohnzimmer.
Ich triumphierte! Wieder gewonnen!
Endlich begann sich meine Stimmung zu verbessern.
Ich aß den Rest schnell auf, auch wenn es mir nicht schmeckte. Schließlich wollte ich mir ja nicht den gesamten Tag versauen.
Da am Nachmittag noch Sport auf dem Programm stand, beeilte ich mich bei der Erledigung aller Schularbeiten und stellte dann erfreut fest, dass inzwischen auch die Sonne den Kampf gegen Wolken und Regen gewonnen hatte und es noch ein recht brauchbarer Tag werden konnte.
Mutter sah herein und fragte nur:
„Ausgedickscht?“
Was sächsischer Redensart entsprach und so viel hieß wie Dickkopf abgelegt?
Ich blickte auf und fragte lammfromm:
„Wie kommst du darauf?“
„Na dein Theater beim Essen entsprach mal wieder einer bühnenreifen Aufführung. Welche Laus ist dir denn heute über den Weg gelaufen?“
Ich log:
„Gar keine, aber bei so einem Fraß kann man doch keine gute Laune versprühen.“
„Versündige dich nicht“, kam die immer wiederkehrende Antwort, „Millionen von Menschen wären dankbar für eine Schüssel Reis!“
„Wobei die Liebe wohl weniger dem Reis als vielmehr der Schüssel gilt“, versuchte ich sie immer weiter zu reizen.
Bei dieser neuerlichen frechen Antwort fiel die Tür in das Schloß, um sich unmittelbar danach wieder zu öffnen:
„Wenn es dir so gut schmeckt, koche ich morgen noch einmal dasselbe“, sagte sie freundlich lächelnd und glaubte wohl damit gewonnen zu haben.
Doch in Grammatik war ich der Bessere!
Schnell sprang ich zur Tür und rief ihr hinterher:
„Das gleiche liebe Mutter! Für dasselbe müßtest Du mir den Magen auspumpen lassen!“
Ich hörte sie noch ein paar Minuten schimpfen und genoß meinen ersten richtigen Sieg am heutigen Tag.
Nachdem ich die Hefte und Bücher verstaut hatte, ergriff ich meine Sporttasche, überzeugte mich von der Vollständigkeit und verließ fröhlich grüßend das Haus.
Nach ein paar Schritten traf ich erneut, diesmal bewußt, Ute.
Hübsch sah sie wieder aus. Mein Herz pochte bis zum Hals und meine Hände wurden feucht, als wir uns begrüßten.
„Du bist vielleicht eine Flocke! Was war denn vorhin mit dir los?“
Sie erzählte mir mit Händen und Füßen von unserer vorangegangenen Begegnung im Regen und ich lauschte aufmerksam diesen unerhört frechen, auffallend rot geschminkten Lippen, die unaufhörlich in Bewegung waren.
Ich hörte ihr gerne zu, konnte ich sie doch dabei ständig beobachten, was mich nicht unbedingt ruhiger machte.
Sie trug heute wieder diese knallenge Lederhose, die eigentlich wie eine zweite Haut auf ihren wunderschönen prallen Rundungen wirkte.
Zu gerne hätte ich mal hineingekniffen, aber da ich von Natur aus als schüchtern zu bezeichnen war, traute ich mich nicht. Vielleicht wollte ich auch nur einer drohenden Ohrfeige aus dem Weg gehen!
Trotz meiner Bedenken riskierte ich aber die Frage:
„Sag einmal Ute, wie bist du in die Hose hineingekommen?“
„Dafür besitze ich einen Schuhanzieher!“
Ihre Antwort kam entwaffnend und ich spürte, wie mein Gesicht von einem roten Hauch überzogen wurde, der sich noch verstärkte, als Ute ganz nahe kam und mir in das Ohr flüsterte:
„Soll ich es dir heute Abend einmal vorführen“, dabei berührten ihre samtweichen Haare mein Gesicht und ich drohte in Ohnmacht zu fallen:
„H-h-heu—t-e- a—benn-d“, stotterte ich?
Völlig unvorbereitet und überraschend blieb sie breitbeinig vor mir stehen:
„Oder wäre dir sofort lieber?“
Jetzt verlor ich jede Beherrschung!
Ihre eiskalten Händchen lagen auf meiner Schulter und sie fragte ganz leise:
„Aber vielleicht doch lieber heute Abend, oder?“
Sie stand mir ganz nahe. Ich spürte den heißen Atem und sah wie sich ihr Busen hob und senkte. Ich berührte fast diese verlockenden Lippen aber besaß nicht den Mut, diesen aufreizend schönen Mund zu küssen.
Ich glaubte alle Welt sieht uns zu!
Ute schien da weitaus weniger Hemmungen zu kennen, zog meinen Kopf heran und küßte mich als wäre es das Natürlichste auf dieser Welt. Ich sah ihr in die Augen, diese giftgrünen Diamanten, die mir angriffslustig entgegen funkelten, dann erwiderte ich ihren Kuß und sah an ihren jetzt geschlossenen Augen, daß sie es genoß! Gleichzeitig befürchtete ich erneut in Ohnmacht zu fallen.
Im nächsten Augenblick war der Zauber vorbei und Ute rannte lachend davon. Sie sah aus wie eine Feder die davonschwebt.
Nach ein paar Metern blieb sie unvermittelt stehen, drehte sich herum und rief:
„Bis heute Abend um 19.00 Uhr am Spielplatz. Sei pünktlich!“
Nach einigen Schritten blieb sie erneut stehen und rief:
„Zur Hosenanprobe!“
Ich hörte ihr Lachen noch am Sportplatz. Ich wußte nicht genau ob sie Spaß mit mir trieb oder es ernst gemeint hatte? In Anbetracht des noch immer auf meinen Lippen brennenden feurigen Kusses nahm ich mir fest vor diesem eventuellen Rendezvous auf jeden Fall Folge zu leisten.
Auch wenn ich noch Stunden später unter dem Erlebnis meines ersten richtigen Kusses stand, erlebte ich den anschließenden Sportunterricht doch mit der erforderlichen Freude und dem immer vorhandenen Spaß.
Das lag zum einen an unserem tollen Sportlehrer und zum anderen an einigen Sportkanonen der Extraklasse, die sicherlich besser als Punchingball beim Boxen aufgehoben waren, als in unserem Sportunterricht!
Zum Beispiel Martin!
Größe ohne Schuhe etwa 1,70 m, Gewicht vorsichtige 2 Zentner! Eigentlich eher ein Fall zum Bedauern, aber in unserem Alter bedauert man nicht, man genießt und belacht solche bemitleidenswerten Geschöpfe!
Die sogenannte Schadenfreude!
Aber zurück zu Martin.
Unsere Freude begann bereits beim Auflockerungslauf.
Während die ersten bereits wieder am Ausgangspunkt eintrafen, setzte sich Martin gerade schwer atmend in Bewegung. Breitbeinig stampfte er die Kunststoffbahn hinunter. Gut, dass der Platzwart ihn nicht sah! Er hätte ihn sicherlich wegen Sachbeschädigung aus dem Verkehr gezogen!
Helmut sagte einmal:
„Laßt ihn nur auf der Außenbahn laufen, sonst trampelt er uns die Innenbahn kaputt!“
Beim Schlagball werfen stürzte er einmal. Viele behaupten hartnäckig, daß es sich um die Stelle vor dem Tor handelte, wo auch heute noch kein Gras wächst!
Auf die Frage was er mal werden will wenn er groß ist antwortete er mir:
„Bauarbeiter!“
Meine anschließende Frage stieß dann bei ihm auf keine Gegenliebe mehr:
„Bauarbeiter? Als Dampfwalze?“
Doch zurück zu anderen Sportkanonen in unserer Klasse!
Da gab es einen Uli!
Von der Größe her, der ganze Gegensatz zu Martin!
Uli, als der Kleinste in unserer Klasse, wurde an seiner Körpergröße gemessen und da erzielte er nicht die schlechtesten Ergebnisse!
Sein Handikap bestand eher in der Körperfülle, die in keinem Verhältnis zur Größe stand! Man kann sagen, er war so hoch wie breit. Wenn man ihn etwas gehässig beschreibt kann man sagen, wo der Kopf sich befand mußte oben sein!
Beim Weitsprung rief ihm heute der Sportlehrer Herr Walter zu:
„Springen Uli, nicht durchlaufen!“
„Aber ich bin doch gesprungen“, kam die weinerliche Antwort.
Unser kollektives Lachen wirkte an dieser Stelle einmal mehr unangebracht!
Nun sollte Wolfgang springen! Wie schon erwähnt, der Größte in der Klasse!
Bei Größe meine ich Körpergröße und nicht Geistesgröße!
Unser Geschichtslehrer, den ich später noch ausführlich vorstelle, bekannt für seinen trockenen Humor fragte einmal:
„Was passiert wenn Wolfgang eine Fliege verschluckt?“
Da keine Regung von uns kam, gab er selbst die Antwort:
„Dann hat er mehr Hirn im Magen, als im Kopf!“
Wir trommelten damals vor Begeisterung mit den Fäusten auf den Tischen!
Aber zurück zum Sport.
Wolfgang besaß eigentlich durch seine enorme Körpergröße die richtigen Hebel, aber zum einen wußte er nicht wie er sie einsetzen sollte, zum anderen konnte er sein Gewicht nicht in die Luft katapultieren!
Er sprang schon einen halben Meter vor dem Brett ab! Bei seiner Schrittlänge von zwei Metern auch ganz richtig! Nur war kein Flug zu erkennen und er fiel wie ein nasser Mehlsack in die Sprunggrube, auch noch auf den Rücken, wie ein verunglückter Maikäfer!
„Ich verstehe das nicht“, sagte Herr Walter, „mit Deinen Segelfliegerohren dürftest du erst jenseits der Sprunggrube wieder landen!“
„Vielleicht sollte er sie anlegen, damit der Luftwiderstand geringer wird“, lästerte Hartmut und hatte mal wieder alle Lacher auf seiner Seite!
„Und den Mund schließen beim Sprung, um die Ballonwirkung zu unterbinden“, gab ich meinen Senf dazu!
Diese Bemerkung bezog sich auf seine „Riesenschnauze“, die ungelogen vom linken bis zum rechten Ohr reichte.
Ja, und dann ist noch Rüdiger erwähnenswert!
Sein Spitzname lautete Stangenspargel!
Nicht weil er so lecker wie Spargel schmeckte, sondern weil er so dünn wie Spargel aussah.
Ihm bereitete vor allem Gegenwind große Probleme, da mußten wir ihn regelmäßig anschieben und beim Weitsprung konnte es passieren, daß er in der Luft stehenblieb und vor dem Brett wieder aufschlug!
„Minus 30 Zentimeter“, schrieb Herr Walter auf.
Beim Duschen mußte er von Strahl zu Strahl springen, um überhaupt naß zu werden! Er wollte einmal eine Wette für „Wetten Das“ einreichen, dass er unter einer laufenden Dusche garantiert nicht naß wird!
Stangenspargel wurde auch vom Pech verfolgt! Als er bei einem Fußballspiel zum ersten Mal den Ball traf, brach er sich das Bein!
Alexandra, die im gleichen Haus wohnte, vertraute uns einmal an, daß er zwei Tage mit einer Gehirnerschütterung im Bett liegen mußte, nur weil ein aus einem Schrank herausgefallenes Handtuch ihn am Kopf traf!
„Das wäre mir nie passiert“, sagte Wolfgang damals spontan und ich gab ihm recht mit den Worten:
„Wo nichts ist, kann auch nichts erschüttert werden!“
Übrigens, im Winter, wenn der Sportunterricht in die Halle verlegt wurde, steigerte sich unser Unvermögen! Herr Walter bezeichnete uns dann regelmäßig als unterentwickelte Monster, als bewegliche Kleiderschränke oder als nasse Handtücher!
Die Mädchen unserer Klasse trieben, fein säuberlich von uns getrennt, zeitgleich mit uns Sport, nur an einem anderen Ort! Unter ihnen befand sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch die eine oder andere Rakete, aber wie gesagt an einem für uns nicht zugänglichen Platz!
Das wollten wir ändern und arbeiteten daran!
Zum Abschluß der Sportstunde stand immer ein Mannschaftsspiel auf dem Programm, heute zum Beispiel Fußball!
Herr Walter ging damit recht sorgfältig um, da er der Meinung war, beim Fußball würden zu viele Aggressionen freigesetzt! Umso erfreuter für uns, dass er diese Meinung heute in den Hintergrund schob.
Wir spielten schon eine geraume Zeit mit wechselndem Erfolg!
Ich befand mich meilenweit von meiner Bestform entfernt und fabrizierte Fehlpass auf Fehlpass. Um ein Haar wäre mir sogar ein astreines Eigentor gelungen, aber zum Glück verfehlte mein Querschläger das Tor!
Offensichtlich wirkte meine nachmittägliche Begegnung mit Ute immer noch stark nach!
Meine Form sollte sich aber schlagartig verbessern!
Unerwartet für mich und für uns erschien Ute mit einer Freundin am Spielfeldrand!
Ich bemerkte es erst, als Hartmut mir zurief:
„Reiß dich am Riemen, sonst denkt dein Stammzahn, du bist bei anderen Sachen auch so hilflos!“
Wie ein Ruck durchzuckte es meinen Körper!
Ich rannte, spielte, schoß, grätschte, köpfte und dribbelte, daß es ein Genuß sein musste, mir zuzusehen! Zum Schluß gelang mir sogar ein Tor, das spielentscheidende Tor!
Wie es letztendlich zustande kam behielt ich für mich, aus guten Grund!
Für meine Mannschaft sah es so aus, als wäre ich mit letztem Körpereinsatz in eine Flanke von Hartmut gesprungen und hätte den Ball voll mit der Stirn, unerreichbar für den Tormann, im Netz versenkt!
Die Realität, die ich für mich behielt, sah allerdings anders aus!
Ich stolperte, völlig entkräftet über meine eigenen Beine, und fiel unglücklich zu Boden, just in dem Augenblick als Hartmuts Flanke in den Strafraum segelte und mich zwischen Schulter und Stirn traf! Die darauf folgende Richtungsänderung des Balles kam für den Tormann so unerwartete, dass er hilflos mit zusehen mußte, wie das Geschoß einschlug!
Unmittelbar darauf pfiff Herr Walter das Spiel ab und schickte uns unter die Dusche!
Übrigens gelang mir nie wieder ein so schönes und wichtiges Tor!
Nach dem Duschen kehrten auch sehr schnell die Kräfte wieder und voller Unternehmenslust verließen wir den Sportplatz!