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Einleitung

Ich möchte mit einer Geschichte beginnen: meiner eigenen Seh-Geschichte.

Bevor meine Schulzeit begann, sah ich gut. Ich bekam meine erste Brille im ersten Schuljahr. Ich saß in einem dunklen Klassenzimmer einer Dorfschule mit mehr als 40 Mitschülern in der letzten Reihe. Ich strengte mich sehr an, um alles sehen zu können, was die Lehrerin an die Tafel schrieb. Irgendwann sah ich nur noch verschwommen und musste die Augen zusammenkneifen oder beim Nachbarn abgucken.

Der Lehrerin fiel das auf, und sie sagte zu meinen Eltern, dass ich zum Augenarzt gehen müsste. Der stellte fest, dass ich kurzsichtig war und eine Brille benötigte.

Die bekam ich vom Optiker gefertigt und mit der Bemerkung überreicht, dass ich sie immer schön brav tragen sollte – was ich auch gehorsam tat.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, die Welt durch Brillengläser zu betrachten: Einerseits war ich überwältigt davon, so gestochen scharf zu sehen, und fühlte mich damit in der Schule wieder sicher, ich bekam alles mit und wurde ein guter Schüler.

Auf der anderen Seite erlebte ich die Welt durch die Gläser wie abgetrennt von mir, jedenfalls am Anfang. Später gewöhnte ich mich daran.

Jedes Schuljahr – wenn ich Glück hatte, jedes zweite – brauchte ich eine stärkere Brille. Während der Pubertät kamen Ängste, ob das denn jemals aufhören oder ich irgendwann blind würde.

Als ich das Gymnasium beendete, hatte ich eine Glasstärke von -8 Dioptrien (1 Dioptrie bezeichnet die Fähigkeit einer lichtbrechenden Oberfläche, parallele Strahlen in 1 m Entfernung zusammenzuführen) und einen Astigmatismus (Hornhautverkrümmung) auf beiden Augen.

Die Gläser waren noch nicht so leicht wie heute und die Brillenfassungen noch nicht so schick, von daher war ich froh, mir als Student Kontaktlinsen zuzulegen, die ich zum Glück sehr gut vertrug.

Ich war glücklich: Die dicken Gläser vor den Augen waren verschwunden, mein Gesichtsfeld war offener, und ich sah auch wieder räumlicher. Ich dachte, mein Sehproblem wäre gelöst. Leider vertrug ich die Kontaktlinsen nach einigen Jahren nicht mehr so gut, und die Sehkraft ließ auch weiterhin nach.

Da hörte ich zum ersten Mal durch einen Heilpraktiker von Dr. Bates, einem amerikanischen Augenarzt und Wissenschaftler, der eine Methode entwickelt hatte, die Sehfähigkeit zu verbessern.

Ich kaufte mir ein Buch über die Bates-Methode, aber die Übungen verlangten viel Zeit und Disziplin, und in meinem Berufsalltag hatte ich weder das eine noch das andere. Also trug ich weiterhin meine Kontaktlinsen.

Als ich Ende 20 war, beschloss ich, mir einen Jugendtraum zu erfüllen und mehr von der Welt zu sehen. Ich nahm eine Sabbatzeit und reiste nach Sri Lanka, eine Insel, auf die ich durch Reiseberichte von Forschern, die ich in der Unibibliothek las, neugierig geworden war.

Dort angekommen, vertrug ich meine Kontaktlinsen wieder einmal nicht mehr. Ich erinnerte mich an eine Aussage von Dr. Bates: Unter günstigen Bedingungen könne sich die Sehkraft auch von selbst ohne Sehhilfe erholen, und ich beschloss, dies auszuprobieren.

Bei -8 Dioptrien sieht man ab circa 15 cm von der Nasenspitze weg alles verschwommen.

Was mir half: Die Menschen auf Sri Lanka sind kontaktfreudig und kommen einem auch sehr nahe, was meiner Kurzsichtigkeit entgegenkam.

Ich hatte kein bestimmtes Ziel und folgte einem jungen Mann, der freundlich aussah und mir ein Zimmer anbot. Das Zimmer gehörte einer Bekannten, die eine kleine Batikmanufaktur in einem Städtchen an der Südküste ihr Eigen nannte.

Es hatte eine Terrasse zum Innenhof, auf der ich stundenlang saß und den Menschen zuschaute, die im Freien batikten. Ich konnte keine Details erkennen, genoss aber das eindrucksvolle Farbenspiel und die gelöste Atmosphäre. Die Menschen sangen bei ihrer Arbeit, es liefen Pfauen umher, und der Garten blühte. Ich wurde dadurch angeregt, selbst zu batiken.

Zwischendurch machte ich immer wieder die Augenübungen aus dem Bates-Buch, an die ich mich erinnerte. Ich sah von Tag zu Tag besser. Meine Brille brauchte ich auf der ganzen Reise, die insgesamt fünf Monate dauerte (davon zwei Monate in Nepal), nur zwei Mal, als ich mein Visum verlängern musste.

Als ich von der Reise zurückkam, kam ich weitgehend ohne Brille zurecht. Ich sah zeitweise sogar gestochen scharf, ohne Sehhilfe. Wer mich von vorher kannte, konnte es kaum glauben.


Nach einiger Zeit brauchte ich wieder eine Brille, die aber mehr als drei Dioptrien schwächer war.

Bates hatte recht: Unter günstigen Bedingungen, wie ich sie auf meiner Reise gefunden hatte, konnte sich nicht nur meine Sehschärfe erheblich verbessern (was bis heute geblieben ist), auch meine räumliche Sehfähigkeit hat zugenommen, wie auch alle anderen Sehfunktionen und Sehqualitäten: mein Farbensehen, meine Dämmerungssehfähigkeit, mein visuelles Gedächtnis.

Das hat mein Leben erheblich bereichert und geprägt. Ich bin danach nicht nur ein begeisterter Sehforscher und Sehlehrer geworden, sondern habe im Batikatelier auf Sri Lanka auch meine künstlerische Imaginationskraft entdeckt (durch eine intuitive Sehweise ohne Brille) und später als Bildhauer verwirklicht.

Kleine Augenschule. Kompakt-Ratgeber

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