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Das doppelte Mandat: Hilfe und Kontrolle
Оглавление»Die zu erbringenden Dienstleistungen im Bereich Soziale Arbeit werden in der Regel mit dem Begriff ›doppeltes Mandat‹ bezeichnet. In dem doppelten Mandat wird die Funktionsbestimmung von Sozialer Arbeit recht gut zusammengefasst. Es geht darum, ein stets gefährdetes Gleichgewicht zwischen den Rechtsansprüchen, Bedürfnissen und Interessen der Zielgruppe einerseits und den jeweils verfolgten sozialen Kontrollinteressen des Staates andererseits zu halten (Hamburger 2003, 87). Kurz gesagt: Es geht einerseits um Hilfe und andererseits um Kontrolle. Ziel von Hilfe und Kontrolle sind Anpassung und Integration. Diese janusköpfige Gestalt löst immer wieder Diskussionen über das Berufsbild und die Berufsethik der Sozialen Arbeit aus. Doch gilt festzuhalten: Solange Soziale Arbeit im öffentlichen Auftrag handelt und sich in öffentlichen Organisationen vollzieht, ist das doppelte Mandat strukturell unvermeidbar und geradezu konstitutiv für die Berufsrolle« (Schilling & Zeller 2007, 263).
Die Einschätzung, dass das »doppelte Mandat« unvermeidbar und geradezu konstitutiv für das Verständnis von Sozialer Arbeit in der Justiz ist, deckt sich mit den Ausführungen zu unserem Theorieverständnis im vorherigen Kapitel.
Zur definitorischen und inhaltlichen Klarheit ist es nun nötig, die beiden zentralen Begriffe »Hilfe« und »Kontrolle« in den Kontext der Sozialen Arbeit im Feld der Justiz zu stellen.
Was meinen wir fachlich, wenn wir von »Hilfe« sprechen? Eine sehr gut nachvollziehbare Definition legt Haselmann vor:
»Die Kategorie Hilfe setzt voraus, dass es ein Hilfeersuchen gibt, d. h. (professionelles) Helfen ist eine ›Reaktion auf Bitte um Hilfe‹ (Ludewig 1998, 7). Kennzeichnend hierfür ist, dass der Hilfesuchende zugleich Auftraggeber und Empfänger der Hilfeleistung ist. Anders ist es bei der Kategorie ›Fürsorge‹. Diese erfolgt nach Maßgabe der Anordnung durch einen Dritten (etwa eine soziale Instanz). Das heißt der Fürsorge-Empfänger ist nicht zugleich der Auftraggeber der fürsorgenden Dienstleistung, ggf. lehnt er sie sogar ab; u. U. wird ihm die Fürsorge gegen seinen Willen aufgezwungen ›zu seinem Wohle‹ oder zum Schutze anderer. Die Kontrolle, die immer eine (u. U. gewaltsame) Einschränkung der Selbstbestimmung des Betroffenen bedeutet (z. B. Zwangseinweisung) wird somit von dem Autor unter die Kategorie der (bevormundenden) Fürsorge subsumiert« (Haselmann 2009, 187; Herv. i. O.).
Hilfe bezeichnet also alle methodischen Vorgehensweisen der Sozialen Arbeit, die auf Bitten von Klient*innen erfolgen. Nur diese selbst können entscheiden, ob und welche Hilfe sie wollen. In diesen auf Freiwilligkeit und Kooperation beruhenden Arbeitsformen sind Aushandeln, gemeinsame Zielplanung, arbeitsteiliges Vorgehen die adäquate und angemessene Vorgehensweise. Die Frage der Motivation spielt in Krisensituationen sicherlich eine Rolle, entscheidend ist sie nicht, denn der*die Klient*in erklärt den ausdrücklichen Willen zur Kooperation. Für die Freie Straffälligenhilfe ist »Hilfe« also der generelle Modus (und grundlegende Voraussetzung) ihrer Arbeit mit Klient*innen.
Haselmann grenzt davon den Begriff der Fürsorge ab. Diese ist dann angezeigt, wenn ein Mensch sich selbst nicht helfen kann, ja nicht mehr in der Lage ist, eine vernünftige Entscheidung zu treffen, ob er Hilfe braucht. Denken können wir dabei an kleine Kinder oder demente Personen, aber auch Menschen in akuten Krisensituationen wie z. B. psychotischen Episoden. Hier können wir nicht immer davon ausgehen, dass eine überlegte Entscheidung über die Einleitung von Hilfe getroffen werden kann. Vielmehr ist eine Intervention, z. B. Versorgung mit Nahrungsmitteln, geschlossene Einrichtung zum eigenen Schutz etc., angezeigt. Die »Anordnung durch einen Dritten« wäre beispielsweise die gerichtliche Bestellung einer gesetzlichen Betreuung.
Aus unserer Sicht ist der entscheidende Unterschied zwischen Hilfe und Kontrolle der Grad der Freiwilligkeit. Kontrollinterventionen sind von Klient*innen nicht verlangt, ja sie sind aus deren Sicht sogar freiheitsreduzierend. Auftraggeber ist nicht der*die Klient*in selbst, sondern die Gesellschaft, die ihren Auftrag zur Normalisierung der Betroffenen vermittelt durch die Justiz oder das Jugendamt. Kontrollinterventionen sind also nur in gesetzlich verfassten Zwangskontexten möglich. Wir möchten im Hinblick auf das zu behandelnde Arbeitsfeld Zwangskontexte definieren, wie Zobrist und Kähler es vorschlagen.