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3.3 Der Hilfeauftrag der Sozialen Arbeit in der Justiz
ОглавлениеDer Hilfeauftrag hat nach Auffassung vieler Strafjurist*innen Verfassungsrang. Sie beziehen sich dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, in dem Folgendes ausgeführt wird:
»Nicht nur der Straffällige muß auf die Rückkehr in die freie Gesellschaft vorbereitet werden; diese muß ihrerseits bereit sein, ihn wieder aufzunehmen. Verfassungsrechtlich entspricht diese Forderung dem Selbstverständnis einer Gemeinschaft, die die Menschenwürde in den Mittelpunkt ihrer Wertordnung stellt und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet ist. […] Von der Gemeinschaft aus betrachtet verlangt das Sozialstaatsprinzip staatliche Vor- und Fürsorge für Gruppen der Gesellschaft, die auf Grund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind« (BVerfG 35, 202ff., zit. in Dünkel et al. 2018, 43).
Aus diesem sozialstaatlichen Gebot ergibt sich notwendigerweise, Angebote für straffällig gewordene Menschen vorzuhalten, die diesen helfen können, ihr Verhalten zu verändern und wieder ein Teil der akzeptierten Gesellschaft zu werden. Insofern betont das Bundesverfassungsgericht in dem eben zitierten Urteil auch:
»Nicht zuletzt dient die Resozialisierung dem Schutz der Gemeinschaft selbst: diese hat ein unmittelbares Interesse daran, daß der Täter nicht wieder rückfällig wird« (ebd.).
Cornel (2018a, 52), der zu Recht auf eine Definition des Begriffes »Resozialisierung« verzichtet, weil alle Definitionsversuche »nicht zu einem eindeutigen und klar umrissenen Begriff führten« (ebd., 51), zählt eine Reihe von Leistungen auf, die als Angebote für Straffällige zur Verfügung stehen sollten:
• Beratung über persönliche Probleme,
• Motivation zu Bemühungen um eigene Lebenslagen-Verbesserungen,
• Materielle Hilfen zur Absicherung der Lebenshaltungskosten bis zur Unterstützung bei der Wohnungssuche,
• Ausbildungsangebote,
um nur einige seiner vielfältigen Vorschläge zu nennen. Selbstverständlich sind Sozialarbeiter*innen auch im Bereich der Sozialtherapie oder der Suchttherapie tätig und halten diese therapeutischen Angebote vor.
Wie anhand der Lebenslagen-Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer (ADB 1999) deutlich wurde, sind die Problemlagen und Hilfebedarfe der Probanden sehr vielschichtig. Zu den Problemlagen zählen beispielsweise ein fehlender Schul- und Berufsabschluss, Langzeitarbeitslosigkeit und Suchterkrankungen. Von zentraler Bedeutung ist auch die Schuldnerberatung als Hilfe bei Überschuldung. Zwar haben nicht alle straffälligen Menschen Schulden, es ist aber für sehr viele Haftentlassene eine traurige Tatsache, dass »ein Berg von Schulden die soziale Eingliederung erschwert und eine erneute Straffälligkeit begünstigt« (Zimmermann 2014, 33).
Nicht umsonst ist im vorigen Abschnitt immer von Angeboten die Rede, denn Hilfe wird nur geleistet, wenn Klient*innen aktiv Interesse an der Annahme eines Angebotes zeigen. Das Aushandeln von Zielen zwischen Sozialarbeiter*innen und Klient*innen und das Finden von Wegen zu ihrer Umsetzung stehen dabei im Mittelpunkt. Die Hilfe ist nach diesem Verständnis eine Koproduktion zwischen Hilfebedürftigem und Helfenden (vgl. Ghanem & Graebsch 2020), die darin besteht, dass ein*e Professionelle*r Hilfe anbietet und ein*e Klient*in sie ohne Zwang annimmt, weil er*sie sich selbst etwas davon verspricht. Nach Müller sollte der Hilfebegriff »nur dann und dort verwendet werden, wo das ›helfende‹ Handeln vom Klienten selbst als ›hilfreich‹ wahrgenommen wird« (Müller 2008, 428).
Aus mehreren Gründen ist ein Hilfeprozess neben einem Kontrollprozess in der Bewährungshilfe und Führungsaufsicht unerlässlich:
Einen Hilfeprozess in den Sozialen Diensten anzubieten, ergibt sich bereits aus dem sozialarbeiterischen Selbstverständnis. Besonders im ökosozialen Ansatz nach Germain und Gitterman kommt zum Ausdruck, dass Menschen ganzheitlich in ihrer Umwelt mit ihren Ressourcen und nicht ausschließlich unter ihrem Defizit bzw. mit ihren Risikofaktoren betrachten werden (Germain & Gitterman 1999).
Ziel des Hilfeprozesses ist, Klient*innen zu befähigen ihre eigenen Angelegenheiten ›managen‹ zu können. Gemeint ist hiermit zum einen die Fähigkeit der Klient*innen, ihre Strategien für die Lösung ihrer Lebensprobleme zu entwickeln. Hierzu gilt es für die Soziale Arbeit, die Ressourcen der Klient*innen zu aktivieren und damit ihre Lebensführungskompetenz zu stärken. Dies ist auch ein wesentliches Ziel dessen, was in der Fachsprache »Empowerment« genannt wird (Sohns 2009, 82f.).
Zur Motivation der Klient*innen im Zwangskontext trägt entscheidend bei, wenn diese immer wieder erleben, dass sie eine Wahl haben und nicht willenlose Objekte sind. Der Hilfeprozess bietet einen klaren Rahmen für Wahlmöglichkeiten. Er ist prinzipiell offen für alle wesentlichen Themen, die den Klient*innen am Herzen liegen und nährt damit deren Hoffnung auf ein besseres Leben. Diese Hoffnung wiederum ist die Voraussetzung, sich auch anderen, schmerzlicheren Themen zu widmen. Den Zusammenhang zwischen dem ›guten Grund‹ zur Veränderung (der in Klient*innen selbst liegen muss) und der Veränderungsmotivation von Faktoren, die aus Sicht der Klient*innen weniger relevant sind, hat beispielhaft die Theorie des »Good Lives Model« herausgearbeitet (Darstellung beispielsweise in Sekans 2019; Kap. 5.3). Diese Verbindung zwischen Lebenszielen der Klient*innen, der Motivation zur Veränderung und der Bearbeitung von Risiken zu erkennen und methodisch umzusetzen, ist für die konzeptionelle Methodenentwicklung sehr entscheidend. Die Berücksichtigung von Veränderungsbedarfen bei gleichzeitig stattfindender Beziehungs- und Motivationsarbeit ist ein zentrales Argument gegen eine vorgeblich nur auf Risikomerkmale abzielende Straffälligenhilfe (so z. B. der Vorwurf an eine stärker an Rückfallrisiken orientierten Straffälligenhilfe bei Grosser 2018a, 211).