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Worte vor den Worten

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»Ich bin es so leid, mir im Beichtstuhl private Dinge aus dem Bereich der Sexualität anzuhören und gleichzeitig miterleben zu müssen, wie sich Menschen dabei kasteien und schämen, und ich mir allzu oft dabei denke, nein, davon überzeugt bin, dass Gott nichts Falsches daran sieht und sich diese Menschen ihr Leben nur schwermachen, weil wir (die Kirche) ihnen diesen Mist eingetrichtert haben, dass Sex vor der Ehe, Masturbation oder alles außer Heterosexualität böse ist.«

Mit diesen Worten in den sozialen Netzwerken hat für mich einiges begonnen. Ich habe angefangen, regelmäßig, öffentlich und offen über meinen Glauben, tagtägliche Erfahrungen, Kirche und auch über meinen Dienst und mein Leben als katholischer Priester nachzudenken, darüber zu schreiben und auch dazu Fragen zu stellen.

Nicht, weil ich mehr wüsste als andere.

Auch nicht, weil ich glaube, fertige Antworten zu haben.

Und ich schrieb und schreibe solche Worte erst recht nicht,

weil ich frustriert bin,

sondern ganz im Gegenteil,

weil ich wahnsinnig gerne in dieser katholischen Kirche arbeite und weil ich immer noch wahnsinnig gerne Priester bin,

weil ich in den vergangenen Jahrzehnten genau in dieser Kirche verschiedenste Menschen erleben durfte, die mir Freiräume aufgezeigt und gelassen haben, Gott und mich zu entdecken. Deswegen bin ich auch Priester geworden, um andere Menschen genau in dieser Freiheit begleiten zu dürfen, diese feiern zu dürfen und manchmal auch aushalten zu müssen.

Und das gilt rigoros für alle Lebensbereiche,

für das Morgengebet und das Abendessen,

für die Alltagsarbeit und die Sexualität,

für das Alleinsein und das Rockkonzert.

Ich bin es leid, dass Kirche und Glaube für viele Menschen mehr Regel und Gefängnis bedeutet als Freiheit und Frohbotschaft, denn Letzteres durfte und darf ich selbst erfahren und möchte genau das auch weitergeben.

Die Erfahrung, dass Gott mich und uns in eine immer größere Freiheit und Weite führen möchte.

Dies heißt aber auch, dass ich das selbst immer neu erfahren darf und muss, mich auch selbst immer neu in diese Freiheit und Weite führen lassen darf und muss, dass ich selbst an keiner Stelle am höchsten Level oder am Endpunkt meiner Vorstellung von Kirche oder meines Glaubens und Hoffens und Vertrauens angekommen bin, sondern dass es da immer noch ein »Mehr« gibt.

Paulus schreibt im ersten Korintherbrief, dass all unser Erkennen Stückwerk ist (1 Kor 13,9). Die folgenden Worte versuchen, keine fertigen Konzepte zu liefern, sondern sie sind Bruchstücke, die versuchen, diesem »Mehr« Raum zu geben und ihm auf den Fersen zu sein.

Oft setzen sie genau dort an, wo ich ein ums andere Mal versucht habe, Gott aus meinem Leben rauszuhalten, aber im Nachhinein erfahren habe, dass ich ihn (oder sie) genau dort am meisten brauchte und brauche,

dort, wo ich alles selbst regeln wollte, erst perfekt sein wollte, bevor ich es herzeige, oder einfach gedacht habe, dass er dort nichts verloren hat, weil ich mich dafür schämte.

Ich bin davon überzeugt: Wer Gott heute noch in der Gemeinschaft der Kirche sucht, hat auch heute noch gute Chancen, ihn zu finden. Wer ihn aber heute noch »nur« in der Gemeinschaft der Kirche sucht und dabei keine sonstigen eigenen Fragen und Suchen anstellt, hat sich selbst Scheuklappen angelegt und läuft Gefahr, sich in einer selbstverschuldeten Unmündigkeit (und einhergehend damit auch oft in Einsamkeit) zu verstricken.

Ich möchte durch meine Worte und Gedanken nicht belehren, sondern einladen, der eigenen Beziehung zu Gott, zu sich selbst, zum Nächsten und zur Gemeinschaft der Kirche ein Stück mehr auf den Grund zu gehen und darüber ins Nachdenken und ins Gespräch zu kommen.

Lesen Sie dieses Buch einfach wie ein Gespräch mit einem guten Freund. Hören Sie gemeinsam gute Musik, trinken zusammen ein gutes Glas Wein oder einen tiefschwarzen und glücklich machenden Espresso und denken und reden Sie dabei über Gott und die Welt. Denn in so einem ungezwungenen Gespräch unter Freunden, die bereit sind, anders gelagerte Meinungen anzuerkennen, kann oft ein fruchtbares und freies Nachdenken in Bewegnung kommen.

Lassen Sie sich inspirieren, anspornen, anfragen, vielleicht auch manchmal ein wenig ärgern. Finden und erfinden Sie ihre eigenen Worte im Nachgehen, Nachfühlen, Nachdenken und Nachbeten dieser gelesenen Worte.

Es geht um notwendige und heilsame Unruhe, um Kirche, Sexualität und Freiheit und um noch viel mehr, es geht um Sie und um Ihre Mitmenschen und in all dem um Gott.

Freude und Inspiration und Begegnung und Heiligen Geist in all dem

Ihr Wolfgang Metz

Notwendige Unruhe: Über Kirche, Sexualität und Freiheit

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