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Mitbringsel
ОглавлениеIn der Donnerstagsgruppe sind zur Zeit die Mitbringsel ein Thema. Wer kann, wer will, wer fürchtet sich, der Gruppe etwas zu zeigen? Angestoßen hat die Diskussion die 72-jährige Ellen, die nach einer langen Einzelanalyse in die Gruppe kam. Sie sagte, in dieser großartigen Analyse sei alles in ihrem Leben wunderbar bearbeitet worden mit einer winzigen, unwichtigen Ausnahme: ihren Aggressionen. Sie habe einfach nicht anders gekonnt, als die Analytikerin immer zu bewundern und zu verehren; auch diese habe ihr gesagt, sie sei eine ihrer liebsten Klientinnen.
Ellen hat mir in der Gruppe anfangs Fachfragen in analytischem Jargon gestellt. Es schien mir wie das szenische Angebot, wie noble Eltern in gepflegtem Französisch über erhabene Themen zu sprechen, von denen die Kinder und die Dienstboten am Tisch keine Ahnung haben. Als ich sie freundlich darauf hinwies, die Gruppe sei hier wichtiger als das Fachgespräch mit dem Leiter, bemühte sie sich um die Mitglieder und konnte allmählich einen herzlichen Kontakt zur Gruppe aufbauen, obwohl sie immer noch sehr scheu ist und nie die Gruppenmitglieder begleitet, die anschließend zusammen »beim Italiener« sitzen. Sie behauptet, sie könne ihren Hund, das arme Tier, nicht zu lange allein lassen.
Vor einigen Wochen hat Carola davon erzählt, dass sie lange Zeit über einem Prospekt gesessen ist, mit dem sie Kunden werben will, um sich endlich als Innenarchitektin selbstständig zu machen: »Traumräume – Raumträume«. Da ich ihre Scheu errate, für sich zu werben, frage ich sie, ob sie daran gedacht hat, ihr Werk den Gruppenmitgliedern zu zeigen, es vielleicht zu verteilen, wer weiß, vielleicht findet sie auf diese Weise einen Kunden (und so denke ich: auf jeden Fall kann sie sich ein wenig mit ihren Ängsten auseinander setzen, zu zeigen, was sie ist und was sie kann).
Ellen: »Ich denke die ganze Zeit, ich möchte vor euch angeben, und das ist schlecht, sehr schlecht. Ich wollte euch etwas von früher zeigen, als ich eine bekannte Schauspielerin war und an ersten Häusern gespielt habe. Ich finde das ganz verrückt, das würde ich nie tun, das interessiert doch keinen, diese alten Bilder.«
Carola: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein langweiliger Prospekt über Innenarchitektur hier jemanden interessiert.«
Leiter: »Was hat es zu bedeuten, dass Carola und Ellen diese Fragen nicht an die Gruppe richten, sondern im Voraus wissen, dass ihre Bilder oder Texte nicht interessant sind?«
Carola: »Also gut, Gruppe, ich frage dich: Würde euch dieser Prospekt interessieren?«
Verschiedene Stimmen: »Natürlich, was denkst du, bring ihn mit, möchte ihn sehen ...«
Ellen: »Ich fände deinen Prospekt sehr wichtig. Das ist doch etwas, was deine Zukunft mitbestimmt, ganz anders als meine ollen Kamellen!«
Carola: »Na gut, ich bring ihn mit, wenn du deine Bilder mitbringst!«
Ellen, schockiert: »Auf keinen Fall. Da würde ich mich schämen. Das wäre aufdringlich.«
Die Gruppe protestiert. »Das wird ein Austausch Zug um Zug, wie der von Spionen im kalten Krieg auf der Glienicker Brücke«, sage ich.
Carola hat ihren Prospekt mitgebracht, einen einzigen, den sie herumgehen lässt. Es wäre doch aufdringlich, mehrere davon zu verteilen und die Gruppe als Werbeträger einzuspannen! Ellen ist mit leeren Händen gekommen. Carola fordert sie noch einmal auf, wie ein Kind, das selbst eine bittere Pille geschluckt hat und an diesem zweifelhaften Genuss unbedingt ein Geschwister teilhaben lassen will.
In der nächsten Sitzung hat Ellen die Bilder in ihrer Tasche. »Ich habe die ganze Nacht kaum geschlafen, und ich muss sie jetzt losbringen, sonst trau ich mich das nie wieder«, sagt sie. An mich gewandt: »Was ist das nur für eine Angst, mich zu zeigen? Ich habe nur ganz wenige schöne Bilder. Die meisten hat mein geschiedener Mann. Der hat sie gesammelt und nicht wieder herausgerückt. Ich habe nur ein paar gefunden, Zeitungsfetzen in irgendwelchen alten Büchern und Postkarten.«