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Zur Vorbeugung einer Depression

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Für die Depression gilt, was Macchiavelli für die Politik zitiert hat: Solange ein Leiden gut heilbar ist, ist es schwer zu erkennen; lässt es sich aber nicht mehr übersehen, ist die Heilung oft nicht mehr möglich. Wenn jemand seine Ehe oder seine Karriere zerstört, weil sie seine hohen Ansprüche nicht befriedigten, ist es nachher nicht leicht, ihn für eine Zukunft als Trümmersortierer zu gewinnen.

In ihrem Buch »Karrierestrategien für Frauen – Lust auf Erfolg« hat sich Dorothee Echter auch mit dem Ausstieg aus dem Beruf befasst (das ist gewiss ein weiblicher Gedanke in einer Darstellung über Karrierestrategien; ich kann mir ein solches Kapitel im Text eines männlichen Autors nicht recht vorstellen). Sie vergleicht diese Phase mit dem Einstieg in den Beruf. Wie es schon während des Studiums sinnvoll ist, Kontakt zu Unternehmen, zum Arbeitsleben aufzubauen, so ist es jetzt wichtig, Kontakt zur neuen Lebensphase anzuknüpfen, Visionen, Träume und Ziele für sie zu entwickeln, den Ausstieg zu erproben, etwa durch lange Urlaube, und ihn so weit wie möglich selbst zu bestimmen.

Solange jemand sein eigenes Leben demontiert, wird er sich schwer tun, Hilfe anzunehmen. Er fühlt sich schließlich auf dem Weg zu neuen, besseren Ufern. Daher ist es so schwierig, der Depression vorzubeugen; ist sie erst einmal ausgebrochen, hat sie bereits einen großen Teil der Energien verzehrt, die nötig wären, um bald einen Ausweg zu finden. Jetzt müssen sich die erschöpften Regenerationsprozesse erst wieder stabilisieren.

Gute Selbstbeobachter wissen zeitlebens, wie viel Kindliches in jedem Erwachsenen steckt; sie wissen auch, dass nicht die Unterdrückung, sondern die Integration dieser kindlichen Merkmale das charakterisiert, was wir seelische Reife nennen. Depressionsgefährdete können diese kindlichen Wünsche und kindlichen Ängste nicht integrieren und liebevoll mit ihnen umgehen. Sie wollen sie ausrotten, um endlich ihren Ansprüchen an Perfektion gerecht zu werden, sie wollen rastlos, durch Drogen stimuliert, durch Verleugnungen ihrer Erholungsbedürfnisse bei der Stange gehalten, ein ideales Ziel erreichen.

Wenn ihnen dann die Kraft ausgeht, bevorzugen die Betroffenen ebenso wie ihre Umwelt häufig die »biologische« Theorie der Depression, wonach es sich um einen aus unbekannten, inneren (endogenen) Ursachen auftretenden Mangel an wichtigen Stoffen im Gehirn handle. Angesichts der Schuldgefühle und Strafbedürfnisse, die nach dem Zusammenbruch einer perfektionistischen Abwehr auftreten, ist diese »naturwissenschaftliche« Theorie eine entlastende Hilfskonstruktion. Sie befreit von quälenden Fragen nach eigenem Versagen, nach Lebensfehlern, wo doch gerade der Leistungsanspruch die Wurzel des Übels, der Anlass der Austreibung der Kindlichkeit ist.

Aber es wäre voreilig, die Gültigkeit dieser mit biologischen oder genetischen Metaphern operierenden Erklärungen zu überschätzen. Wie viel wissenschaftliche Reputation hätten diese Modelle der depressiven Erkrankungen, wenn nicht mit ihrer Hilfe Psychopharmaka verkauft werden könnten? Nur so lässt sich die Pseudokausalität erklären, die in vielen Forschungsansätzen steckt: Wenn Depressive Stoffwechselauffälligkeiten aufweisen, besagt das schließlich nicht, dass diese Auffälligkeiten die Ursache der Depression sind; sie können auch ihre Folge sein. Die Depression ist eine typische Krankheit von Leistungsgesellschaften; in afrikanischen Dörfern kommt sie nicht vor.

Die perfektionistische Abwehr eines traumatischen Kerns ist in einer Leistungsgesellschaft sozial erwünscht und zunächst auch erfolgreich. Daher sind die Patienten, so lange sie Kraft haben und ihre Abwehr »steht«, die Stützen und Helfer der anderen; sie sind tüchtiger als der Durchschnitt. Umso rätselhafter wirkt der Ausbruch ihres Leidens.

Die Aussichten, eine Depression rechtzeitig zu erkennen und eine Behandlungsstrategie zu entwickeln, sind also denkbar schlecht – bei Männern übrigens noch einmal erheblich schlechter als bei Frauen. Frauen erkranken oft nach einer Liebesbeziehung, die an ihren perfektionistischen Ansprüchen gescheitert ist; sie wollen verstehen, wie es dazu kam, und können so ihr Leistungs- und Lebensmodell noch zu einer Zeit kritisch überprüfen, in der sie noch viele Ressourcen haben, sich neu zu positionieren.

Männer hingegen neigen dazu, ihren Perfektionismus auf ihre berufliche Arbeit zu richten. Solange das funktioniert, wünschen sie sich daneben allenfalls Abschalten, Ausspannen, aber keine neue und andersartige geistige Anstrengung, welche sie zwingt, sich mit ihrem Verlust an Regenerationsmöglichkeiten in Spiel, Traum, Kreativität und Fantasie auseinander zu setzen.

Dadurch verlieren solche Perfektionisten die inneren Warnsysteme, die uns vor psychosomatischen Erkrankungen schützen. Sie verlieren schließlich auch die Bestätigung durch ihre Arbeit. Wer perfektionistische Ideale verwirklichen möchte, der erlebt einen gekonnt ausgeübten Beruf als banale Routine, nicht als Schutz vor Leere und Langeweile. Er entwertet ihn als »Beschäftigungstherapie«, statt dankbar zu sein für eine Ablenkung von den Gefahren einer allzu heftigen Sinnfrage. Weil er nicht noch mehr verdienen, noch mehr Prestige anhäufen kann, schätzt er seine Arbeit nicht und lässt sie bei erster Gelegenheit im Stich.

Die folgende Szene aus einer Gruppentherapie mit einer älteren Schauspielerin (Ellen) zeigt die Dynamik der perfektionistischen Verleugnung ebenso wie die der Depression. Wer die mit seiner Arbeit verknüpften kindlichen Wünsche nicht erkennt und annimmt, sondern bekämpft, um eigenen Idealansprüchen gerecht zu werden, kann auch nicht angemessen seine Fähigkeiten zur Schau stellen und um Anerkennung bitten. Die Anerkennung muss ihm zufallen, sie muss so reichlich sein, dass er sie eher verlegen abwehren als nach ihr hungern kann. Kinder sind stolz auf das, was sie tun, und wollen es möglichst vielen zeigen. Beschämte, gekränkte, entwertete und entmutigte Kinder werden zu Perfektionisten. Sie wollen sich unangreifbar machen.

Ellen hatte eine sehr schlechte Beziehung zu ihrer Mutter, die ihr den Bruder vorzog. Sie wiederholte Teile dieser Beziehung in ihrer Ehe und auch in ihrer Analyse; in beiden Fällen idealisiert sie bewusst Partner, von denen sie dann sozusagen versehentlich Einzelheiten erzählt, die diese beim Hörer in einem durchaus zweifelhaften Licht erscheinen lassen. Sobald aber jemand ein Stück Aggression darin zu erkennen meint, eilt Ellen herbei, um die indirekt Angegriffenen zu entlasten.

Psychotherapie im Alter

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