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2. Der Verlust der Berufstätigkeit
ОглавлениеMephistopheles:
Ich suchte nach verborgen-goldnem Schatze
Und schauerliche Kohlen trug ich fort.
Baccalaureus:
Gesteht nur, Euer Schädel, Eure Glatze
Ist nicht mehr wert als jene hohlen dort?
Mephistopheles (gemütlich):
Du weißt wohl nicht, mein Freund, wie grob du bist?
Baccalaureus:
Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.
Goethe, Faust II
Freud hat einmal bemerkt (Das Unbehagen in der Kultur, S. 31), dass die Arbeit das beste Mittel ist, um den menschlichen Realitätsbezug zu festigen und uns damit vor Neurosen zu schützen. Ironisch setzte er hinzu, die Beliebtheit der Arbeit entspreche ihren Vorzügen keineswegs.
Diese Dynamik lässt sich in einer psychotherapeutischen Praxis fast jeden Tag bestätigen. Die meisten Menschen erfassen die volle Bedeutung der Arbeit für ihr Selbstgefühl und für ihren Schutz vor Depressionen erst, wenn sie eine Arbeitsmöglichkeit verloren und noch keine neue gefunden haben. Allerdings sollten wir solche Betrachtungsweisen nicht vorschnell verallgemeinern. Befragungen haben gezeigt, dass sich die im mittleren Lebensalter vorherrschende vage Hochschätzung der Pensionierung kurz vor dem tatsächlichen Ereignis erheblich verschlechtert. Kurz nach der Berentung kommt es bei vielen Personen zu einer kurzfristigen Erholung; anschließend aber dominiert eher die Enttäuschung, bis die Einstellung auf die neue Realität vollzogen ist.
Umfrageergebnisse zeigen, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung ihre Pensionierung positiv beurteilt. Interessant ist hier ein Unterschied zwischen Männern und Frauen: 76 Prozent der verheirateten Männer, aber nur 45,5 Prozent der Frauen, die mit einem Mann zusammenleben, empfanden die Pensionierung sechs Monate später als Erweiterung ihrer Lebensmöglichkeiten (Niederfranke 1991).
Depressive Krisen im Zusammenhang mit Pensionierung oder Berentung hängen nicht selten damit zusammen, dass die Berufsarbeit zwiespältig erlebt wurde. Der Patient hat schon früher den Bezug seiner Tätigkeit zu seiner Psyche verloren. Er hat nicht nur nach außen behauptet, seine Arbeit sei lästig, und über die Plackerei mit miesen Kollegen, unfähigen Vorgesetzten, unmotivierten Mitarbeitern geklagt. Er hat das auch tatsächlich so erlebt. Was ihn an der Arbeit hielt, war in seinem Erleben die Pflicht, für sich oder seine Familie zu sorgen.
Unzufriedenheit in der Arbeit wird sehr häufig mit der Mühe verknüpft, welche die Arbeit macht. Dann richten sich Aggressionen gegen jene, die sich nicht so viel Mühe machen müssen. In Wahrheit ist es jedoch nicht die Arbeit, die zu anstrengend oder zu wenig sinnhaft ist, sondern es geht um einen Mangel an Anerkennung.
Ein charakteristisches Konfliktfeld ist hier der Haushalt. Ein Mensch, der die beruhigende und das Selbstgefühl stützende Qualität eines geordneten Hauswesens erkannt hat, gewinnt einen seelischen Halt, der Personen in verwahrloster Umgebung fehlt. Während aber der von mir für mich geführte Haushalt eine beruhigende Stabilität entfaltet, wird der gemeinsame Haushalt eine Quelle von Konflikten, in denen die auf angenehme Weise von Stress und Ängsten ablenkende Hausarbeit zum Opfer wird, das ich einem Partner bringe und für das ich Anspruch auf Gegenleistungen habe.
In dieser Situation kommt es zum Streit. Die Partner fühlen sich ausgebeutet und versuchen, diese Situation durch Anklage oder Streik zu verändern. Dadurch wird ihr seelisches Leid jedoch nicht behoben, es verschlimmert sich, weil beispielsweise bei den Streikenden die entlastende Ablenkung durch die Arbeit wegfällt, ohne dass etwas an ihrer Stelle gewonnen wird.
So gibt es Ehen, in denen der Mann die Großeinkäufe macht, die Fahrräder repariert, die Heizung wartet und den Rasen mäht, während die Frau kocht, putzt und wäscht. Beide sind damit zufrieden und fühlen sich wohl. Und es gibt Ehen, in denen sich bei gleicher Arbeitsverteilung die Frau ausgenutzt fühlt und dem Mann vorwirft, er tue nichts für den Haushalt, während der Mann über einen unselbstständigen Putzteufel jammert, der keinen Rasenmäher bedienen und nicht Auto fahren kann.
Nicht die objektive Belastung durch die Arbeit führt hier zum Streit, sondern das Empfinden, ausgenutzt zu werden. Es geht um Haltungen: Einmal ist der Bezug zur Arbeit selbststabilisierend; die Betroffenen genießen die Funktionslust, sie freuen sich, dass sie arbeiten können. Im anderen Fall wird die Arbeitshaltung von außen stabilisiert. Die Betroffenen erwarten Anerkennung und rechnen mit Lob oder anderen Gratifikationen.
Da sich die meisten Menschen nicht genug anerkannt fühlen, ergibt sich eine gefährliche Situation. Wenn Anstrengung ein Maß dafür ist, wie viel ich geleistet habe, bedeutet mehr Anstrengung auch mehr Leistung und mehr Anerkennung. So wird Arbeit subjektiv anstrengend gemacht, wird als Mühe und Qual erlebt, um in der Folge mehr Lohn zu erhalten. Sie muss ungeliebt bleiben, denn nur so wird ein Liebesanspruch erworben – wer seine Arbeit gerne tut, müsste eben darum schon zufrieden sein. »Ich plage mich hier mit dem Haushalt, während du deinen Job im Büro genießt!« – »Ich maloche den ganzen Tag, und du jammerst, weil du mit den Kindern zum Spielplatz gehen musst!«
Im Alter kann das zu einer bedrohlichen Situation führen, die nicht zuletzt deshalb so tückisch ist, weil wir ihre Folgen oft erst dann erkennen, wenn es zu spät ist. Wer unbewusst seine Arbeit tut, weil er sich Anerkennung erhofft, wer davon träumt, mehr Mühe sichere ihm auch mehr Anspruch auf Lob, der wird in seinem Arbeitsleben resignieren, sobald er einen stabilen Zustand erreicht hat und keine Beförderung, kein Mehr an Anerkennung mehr zu erwarten ist. Daher wird er versuchen, sich der Arbeit so früh wie möglich zu entledigen, und über seiner Fantasie einer grandiosen Entlastung und Befreiung übersehen, was er verliert.