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Vorwort Noch eine Freud-Biographie?

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Ein Vorhaben habe ich ... fast ausgeführt, welches eine Reihe von noch nicht geborenen, aber zum Unglück geborenen Leuten schwer empfinden wird. Da Du noch nicht erraten wirst, was für Leute ich meine, so verrate ich Dir’s gleich: es sind meine Biographen. Ich habe alle meine Aufzeichnungen seit vierzehn Jahren und Briefe, wissenschaftliche Exzerpte und Manuskripte meiner Arbeit vernichtet ... Die Biographen aber sollen sich plagen, wir wollen ’s ihnen nicht zu leicht machen. Jeder soll mit seinen Ansichten über die ›Entwicklung des Helden‹ recht behalten, ich freue mich schon, wie die sich irren werden. 1

Wenige Denker haben ein so großes Maß an biographischer Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie Sigmund Freud. Die ersten Biographien von Fritz Wittels und Stefan Zweig erschienen noch zu seinen Lebzeiten. Einer seiner getreuesten Anhänger, Ernest Jones, verfasste ein monumentales, dreibändiges Werk, das von späteren Biographen ebenso ausgebeutet wie kritisiert wurde. Auch Max Schur, der Freuds Leben und Sterben ergreifend schilderte, kannte den Dargestellten gut; er war über viele Jahre hin sein Arzt.

Als im Jahre 1923 die erste Freud-Biographie erschien, schrieb der Meister an ihren Verfasser Fritz Wittels:

»Ich hätte natürlich ein solches Buch nie gewünscht oder gefördert. Es scheint mir, daß die Öffentlichkeit kein Anrecht an meiner Person hat und auch nichts an mir lernen kann, solange mein Fall – aus mannigfachen Gründen – nicht voll durchsichtig gemacht werden kann.« 2

Auch die Nachricht, dass Stefan Zweig ein literarisches Porträt von ihm begonnen habe, entlockte Freud nur die bissige Bemerkung, »dass er (Zweig, W.S.) gegenwärtig in Hamburg mich zu einem Essay verarbeitet, der mich in Gesellschaft von Mesmer und Mary Eddy Baker vor die Öffentlichkeit bringen soll.«3

Den idealisierenden Biographien, gegen die sich Freud wehrte, weil sie einen Teil der Wahrheit verschweigen, stehen ganz andere Texte gegenüber. Es fehlte nie an Versuchen, Freud persönlich zu entwerten und die Psychoanalyse als Lügengebäude zu entlarven. Dabei wiederholen die »Freud-Basher«, wie sie im angelsächsischen Sprachkreis genannt werden (bashing = schlagen, einprügeln), nicht selten eine Freud’sche Geste: Sie spielen sich als unerschrockene Kämpfer für die Wahrheit auf.

Wir wissen heute, dass Freuds Klagen über seine Isolation und seinen geringen Erfolg übertrieben waren. So wurde beispielsweise seine »Traumdeutung« mindestens so oft rezensiert wie andere wissenschaftliche Werke auch. Wenn aber ein Mann jedes Jahr mit neuer Energie als Scharlatan und Fälscher gebrandmarkt, seine Lehre für veraltet, ja tot erklärt werden muss, spricht das für eine gewisse Vitalität.

Die Versuche, Freud zu entwerten, reißen so wenig ab wie die Idealisierungen in den neueren Biographien von Ronald W. Clark oder Peter Gay. So lautet der Untertitel von Frank Sulloways Buch über Freud: »Jenseits der psychoanalytischen Legende«. Es wird zum erklärten Ziel des Autors, Freud der Scharlatanerie zu überführen. Er behauptet, Freud sei ein Lügner, weil er ein genialer Schriftsteller war und es darauf anlegte, seine Leser oder Hörer zu überzeugen.

So kehrt sich das Bild um, das Freud über die Unmöglichkeit der biographischen Wahrheit entworfen hat, wie Christfried Tögel in seinem nachdenklichen Essay über die Freud-Biographik feststellt. Nicht der Biograph verpflichtet sich zur beschönigenden Lüge, sondern er deckt in ebenso hartnäckiger Gnadenlosigkeit die Lügen seines »Helden« auf. Jeffrey Massons Buch »The Assault on Truth« (»Anschlag auf die Wahrheit«; der deutsche Titel lautet »Was hat man dir, du armes Kind, getan?«) bringt dieses Anliegen sehr deutlich zum Ausdruck. Demnach hat Freud die »Wahrheit« der realen Traumatisierung durch die »Lüge« der Konstruktion ödipaler Wünsche ersetzt.

Die letzte Veröffentlichung dieser Art der Freud-Biographik ist Han Israels Buch »Der Fall Freud«. Sein Untertitel lautet »Die Geburt der Psychoanalyse aus der Lüge«. Wer mit fanatischem Eifer in einem Text winzige Ungenauigkeiten sucht, wird vermutlich in jedem wissenschaftlichen Werk fündig. So wäre die Frage interessanter, warum es so ungeheuer wichtig ist, gerade diesen Autor posthum als »Fälscher« zu entlarven. Man geht wohl nicht fehl, dass auch hier der Verhasstheit eine Verliebtheit vorangegangen ist, dass Freud auch von denen, die jetzt auf ihn einprügeln, einmal überschätzt worden ist.

Warum also noch eine Freud-Biographie? Weil sie in einer Darstellung wichtiger Psychotherapeuten nicht fehlen darf – das ist der Rahmen, der durch die vorliegende Reihe des Kreuz Verlags gesetzt wird. Aber dieser Rahmen hat mich deshalb gereizt, weil er einen neuen Blickpunkt ermöglicht: Gibt es etwas in Freuds Persönlichkeit und Entwicklung, was mit diesem Wandel seines Bildes verknüpft werden könnte?

Von Jones bis Gay und Clark haben die Biographen, die entweder selbst Psychoanalytiker oder doch der Psychoanalyse gegenüber aufgeschlossene Historiker waren, den Dargestellten mit den Instrumenten seiner eigenen Methode und Theorie erfasst. Sie haben seinen Ödipuskomplex gedeutet und seine Selbstanalyse übernommen. Aber die Psychoanalyse hat sich weiterentwickelt; die meines Erachtens wichtigsten Fortschritte betreffen die Gruppendynamik, die Analyse von Institutionen und die Narzissmusforschung. So will ich versuchen, Freud neu zu sehen. Ich will ihn anders sehen, als er selbst sich sehen konnte, denn er hat zwar den Begriff des Narzissmus eingeführt, aber nur sehr wenig davon auf sich selbst und sein Verhalten zu seinen Schülern angewandt. Ich hoffe, auf diese Weise das Verständnis dafür zu vertiefen, warum die Psychoanalyse durch Freud so geschaffen wurde, wie es geschah, und welche unbewussten Grundkonflikte der psychoanalytischen Bewegung durch seine Biographie eingepflanzt wurden.

Was seine Bemühungen für den Biographen selbst psychologisch bedeuten, in welche Konflikte sie ihn führen, hat Freud in der von seiner Tochter verlesenen Ansprache zur Verleihung des Goethepreises 1930 in Frankfurt treffend formuliert:

»Nicht herabsetzen zwar will der Biograph den Heros, sondern ihn uns näherbringen. Aber das heißt doch die Distanz, die uns von ihm trennt, verringern, wirkt doch in der Richtung einer Erniedrigung. Und es ist unvermeidlich, wenn wir vom Leben eines Großen mehr erfahren, werden wir auch von Gelegenheiten hören, in denen er es wirklich nicht besser gemacht hat als wir, uns menschlich wirklich nahe gekommen ist. Dennoch meine ich, wir erklären die Bemühungen der Biographik für legitim. Unsere Einstellung zu Vätern und Lehrern ist nun einmal eine ambivalente, denn unsere Verehrung für sie deckt regelmäßig eine Komponente von feindseliger Auflehnung. Das ist ein psychologisches Verhängnis, läßt sich ohne gewaltsame Unterdrückung der Wahrheit nicht ändern und muß sich auf unser Verhältnis zu den großen Männern, deren Lebensgeschichte wir erforschen wollen, fortsetzen.« 4

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