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11 Heimat

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Peter Beckmann, Vollblutwirt der Kajüte, stieg missmutig auf sein Fahrrad und radelte los. Sein Arzt hatte ihm die Pistole auf die Brust gesetzt. Mit zwei Herzinfarkten und einer fortschreitenden Leberzirrhose stünde er bereits mit neun Zehen im Grab. Doch Beckmann hielt an seinem Lebensstil fest. Er war wie seine Kajüte aus altem Holz geschnitzt. Dass allerdings auch seine Lunge nicht mehr mitmachte, hatte er seinem Arzt verschwiegen. Normalerweise ging er seine tägliche Runde um die Stever zu Fuß, aber in der letzten Zeit reichte dafür die Puste nicht mehr, sodass er widerwillig aufs Fahrrad umgesattelt war.

An der Steverbrücke am Heimingshof rastete er und schaute nach, ob sich unter der Brücke Barsche oder Schwärme von Rotaugen tummelten. Die Sache mit der Videoschaltung, von der Haverkamp gesprochen hatte, ließ ihm keine Ruhe. Das wäre ein echter Gag, eine Liveschaltung zum Vereinsteich. In der Kajüte sitzen und sich gemütlich bei einem Bierchen ansehen, wie einer der Vereinsmitglieder einen Zander fängt. Das wär’s doch! Es würde nie langweilig. Am Teich war immer was los. Warum nicht, dachte Beckmann, er hatte nichts zu verlieren. Nicht groß fragen, sonst würde Haverkamp mit so einem Scheiß wie Persönlichkeitsrechten und dem ganzen Tinnef kommen. Es musste einfach getan werden. Hatten sich die vom Verein dran gewöhnt, krähte kein Hahn mehr nach dem Schutz von persönlicher Freiheit. So ’n Quatsch überhaupt, Google sah längst alles und ihm ging es doch nur darum, Anglern und Gästen nette Szenen aus der Heimat vorzuführen.

Beckmann lupfte sich behäbig auf den Sattel seines Rades und fuhr an den Wochenendhäusern vorbei, die entlang des Steverufers standen. Etliche davon waren die meiste Zeit unbewohnt, was man auch daran sehen konnte, dass sich das Laub vom Vorjahr auf Wegen und in Eingängen wie bei Schneeverwehungen auftürmte. Die Häuser im Greinenkamp grenzten mit ihrer Rückseite an die Stever und vorne heraus konnten die Bewohner direkt über kleine Pfade in die Wälder der Borkenberge gelangen. Beckmann kannte die Häuser seit seiner Kindheit. Einige hatten ihren eigenwilligen Charakter bewahrt. Ihr nostalgischer Charme erinnerte ihn an eine längst vergessene Zeit, in der noch aus den Trümmern des Krieges Material für den Bau gewonnen wurde, andere motzten ihre alte Fassade mit einem schnittigen Porsche in der Einfahrt auf.

Er näherte sich einem Haus, das im Barackenstil der Nachkriegszeit gebaut war. Das langsame Radeln erlaubte es ihm, eine Beobachtung zu machen, der er aber wegen seiner Begeisterung für seine Videoidee keine nachhaltige Bedeutung schenkte. Die Rollläden vor den Fenstern dieses Hauses waren für gewöhnlich dicht verschlossen, wie eine hölzerne Wand. Doch heute sah er an einem Fenster dünne Schlitze. Er drehte sich noch mal um, bemerkte aber kein anderes Zeichen menschlicher Präsenz. Er setzte seinen Weg fort bis zum Alten Garten.

Ähnlich wie die Kajüte am Stausee war auch der Alte Garten nichts weiter als ein in die Jahre gekommenes Ausflugslokal mit angrenzendem Paddelbootlager. Das Lokal stand unweit der Steverbrücke, kaum zwei Kilometer entfernt von der Kajüte. Dort konnte man im Sommer auch geräucherte Fische bekommen, die vor den Augen der Käufer frisch aus dem Ofen serviert wurden. Spaziergänger, die eine Runde um den Hullerner Stausee gemacht hatten, tranken dort gerne ein Bier und es gab Eis für die Kinder. Einzig störend war der Motorradlärm, der von der beliebtesten Motorradstrecke rund um Haltern in verlässlichem Sekundentakt zu den Gästen des Alten Gartens dröhnte. Die Motorradjunkies hatten die sogenannte Panzerstraße zu ihrem Eldorado erklärt. Die für militärische Zwecke gebaute Straße, die aus Beton gegossen war, hatte ihren ursprünglichen Zweck verloren. Längst waren die britischen Truppen, die im Linard Wald bei Sythen stationiert waren, abgezogen.

Beckmann überquerte die Straße und erinnerte sich lebhaft an die Convoys der britischen Besatzungsmacht. Als Junge hatte er die Panzer bestaunt und den Soldaten zugewunken. Bekam er einen Gruß zurück, schwang er sich auf sein Rad und trampelte hinter dem Panzer her. Noch heute klang das Schlagen der Ketten auf dem Beton in seinen Ohren. Er wünschte sich die alten Zeiten zurück, warf einen sentimentalen Blick die Schneise entlang, die die Straße durch den Wald zog, und machte sich behäbig auf den Heimweg.

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