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IX Blei

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Trotz Julius Caesars Invasionsversuchen galt Britannien nicht als erobert. Die heimischen Stämme hatten sich erfolgreich gewehrt, aber die Römer hatten Feldlager erbaut, die ihre Vormachtstellung festigten. Augustus ließ an der Küste Häfen bauen, die die Römer als Versorgungsstützpunkte nutzten. Schiffe verkehrten zwischen dort und dem Festland in Germanien.

Siobhan war darüber bestens informiert. Kafur hatte sie in den Nächten auf dem Schiff mit Geschichten aufgemuntert und dabei nicht nur von den Ruhmestaten seiner keltischen Landsleute erzählt, sondern sie auch über die politischen und strategischen Vorstellungen des römischen Imperiums aufgeklärt.

Die Trauer über Kafurs Tod bewältigte sie des Nachts, wenn Carmelita eingeschlafen war und ihr Schluchzen nicht hörte. Manchmal lag sie lange wach und dachte über ihren Schwur nach. Einen Mann zu finden, der Kafur ebenbürtig war, hielt sie für ausgeschlossen. Einen Kompromiss würde es niemals geben, aber dann bliebe sie kinderlos. Sie schaute auf den Ring und eine Sorge beschlich sie. Seitdem sie durch ihre purpurnen Kleider zu Ansehen gekommen waren, würden auch der Ring und die kleine Figur höhere Wertschätzung bei Fremden erfahren. Bei einem erneuten Überfall würden sie gestohlen werden und das könnte sie sich nie verzeihen.

Nach tagelangem Fußmarsch erreichten sie eine größere Stadt entlang der Themse. Dort suchte Siobhan nach einem Mann, der sich im Handwerk auskannte und mit Metallen arbeitete. Nach einigen Erkundigungen traf sie einen Römer namens Claudius, der allerdings als Bettler sein Dasein fristete, hatte er doch beim Glücksspiel alles Hab und Gut verloren. Wenn der Gewinner nicht so gnädig gewesen wäre, hätte Claudius sogar mit seinem Leben bezahlen müssen, denn das hatte er am Ende auch verwettet. Siobhan legte dem Bettler ein Stück Schafskäse in den Gabenkorb. Sofort stürzte sich Claudius darauf und verschlang den Käse gierig.

„Danke, ehrwürdige Frau. Habt ihr mehr davon? Ich könnte es euch abkaufen.“

Siobhan sah in sein verschmitztes Gesicht.

„Schon vergessen, du bist ein Bettler. Was könntest du mir bieten?“

„Ein Spielchen.“

Im Handumdrehen präsentierte Claudius einen ledernen Becher mit fünf Würfeln darin.

„Ein spannendes Spiel, bei dem jeder von uns gewinnen kann.“

Siobhan schaute misstrauisch.

„Was könnte ich gewinnen? Du hast doch nichts.“

„Kommt drauf an“, sagte Claudius und leckte sich die feinen Reste vom Schafskäse aus dem Bart. Siobhan war gespannt, was er aus der Situation machen würde.

„Siehst du das Weib mit den beiden Hühnern dort am Tor? Welches Huhn möchtest du?“

„Was? Dein Einsatz besteht aus Diebesgut? Du verwettest Sachen, die dir nicht gehören?“

„Ich bin eine ehrliche Haut. Das muss ich zugeben. Wenn ich beim Diebstahl erwischt werde, bekommst du nichts, aber gelingt er mir, kriegst du das Huhn, das du dir jetzt aussuchst. Schau rüber und beeil dich. Die Würfel werden ungeduldig.“

„Und was verlangst du, wenn ich verliere?“

Claudius zog ein Hauch Verlegenheit übers Gesicht, aber dann senkten sich seine Augenbrauen.

„Du gibst mir dein Gewand.“

Siobhan überlegte einen Moment und sah dann die ganze Verzweiflung des Mannes.

„Du glaubst mit einem purpurnen Gewand deinem elenden Bettlerleben zu entfliehen, täuschst den Wohlhabenden vor, damit du wieder mitspielen darfst. Wenn du dann verlierst, könnte es dich dein Leben kosten.“

Claudius ignorierte ihren Kommentar und schüttelte bereits den Becher. Dem Mann war nicht zu helfen, aber vielleicht konnte er ihr einen Dienst erweisen.

„Einverstanden! Wir machen ein Spiel“, sagte Siobhan zuversichtlich. „Aber ich will kein Huhn, sondern Blei.“

„Bekommst du“, sagte Claudius und stutzte erst dann.

„Blei? Meinetwegen!“

Er warf die Würfel und es begann ein langer Abend, an dem immer wieder neu verhandelt wurde, über Diebesgut und seltene Frauenwünsche. Zum Einsatz kam zuletzt genau das erste Abkommen. Siobhan gewann. Claudius machte sich in den frühen Morgenstunden auf den Weg durch die Stadt, um eine Handvoll Blei zu besorgen. Als Schmied kannte er die anderen Handwerker, aber seitdem er all seine Werkzeuge verspielt hatte, waren sie auf der Hut, wenn er auftauchte. Allerdings schliefen die Kollegen in der Dunkelheit dieses frostigen Morgens, sodass ihm auf einer Baustelle einige abgeschnittene Bleireste in die Hände fielen und er unerkannt entkommen konnte.

„Endlich kann ich meine Spielschulden bezahlen“, rief er Siobhan freudig entgegen und legte ihr die Bleistücke in die Hände. Sie hatte in einer Tornische auf ihn gewartet. Dort schlief er für gewöhnlich. Tatsächlich war die Hütte mit dem großen Tor einst seine gewesen. Darin hatte sich die Schmiede befunden. Nun hieß es in den Augen des Schmieds, wieder getrennte Wege zu gehen, aber Siobhan machte keine Anstalten, sich zu verabschieden.

„Ich möchte dir einen Handel vorschlagen“, sagte sie betont geziert und hoffte ihn bei seiner Männer-ehre zu packen. Claudius schaute sie aus übermüdeten Augen an, war aber ganz Ohr.

„Du wirst mir zwei kleine Gegenstände in Blei gießen und ich werde dir dafür dein schmutziges Hemd waschen und es purpur färben. Wenn du damit durch die Lande ziehst, werden sich die Leute für dich interessieren und du kannst ihnen mit deinen Spielchen das Geld aus der Tasche ziehen.“

Sie wusste, dass sie ihm mit ihrem Vorschlag keinen Gefallen tat, aber die Sorge um Hannibals Ring und Kafurs geschnitzte Figur ließ ihr keine Wahl.

Claudius reagierte zurückhaltend. „Aber dazu müssten wir das Tor aufbrechen. Die Nachbarn werden uns erschlagen, wenn sie uns erwischen.“

„Ich bin schlank genug, um durch den Kamin zu schlüpfen. Hilf mir, aufs Dach zu klettern.“

Claudius zögerte einen Moment, als müsste er erst begreifen, ob das überhaupt klappen konnte. Schließlich half er ihr hoch aufs Dach. Sie rutschte durch den Abzug und fiel auf die ehemalige Feuerstelle, in der sonst das Eisen glühte und dann geformt wurde. Sie strich sich den Schmutz von den Kleidern und öffnete das Tor. Claudius trat ein und machte sich sogleich an die Arbeit, ein Feuer zu entzünden. Siobhan sah ein Fass mit Wasser, in dem das glühende Eisen abgekühlt wurde, und bat um sein Hemd. In einem Eimer wusch sie es und tunkte es dann in die angerührte Färbung.

Die Bleistücke wurden in einem Tiegel erhitzt und nach geraumer Zeit schmolz auch der letzte Rest.

„Hier, nimm!“, forderte Claudius Siobhan auf. „Das ist Flachs. Wickel die Gegenstände darin ein, dann kannst du sie später leichter vom Blei lösen. Und dann reich mir die Gussformen dort drüben.“

Siobhan schaute zu, wie Claudius den Ring und die Figur in die Formen legte und mit flüssigem Blei bis an den Rand vollgoss. Dann tauchte er beide Formen in kaltes Wasser. Kurze Zeit später schlug er die Bleiklumpen aus den Formen heraus und kratzte mit einem Messer die rauen Stellen glatt. Sein purpurnes Hemd tropfte noch, aber er betrachtete es mit wonniger Vorfreude. Sie tauschten ihre Sachen und gingen ihrer Wege.

Siobhan befühlte die noch warmen Bleiklumpen, die etwa so groß wie ein Hühnerei waren und schwer in ihrer Tasche wogen. Carmelita lag schlafend am vereinbarten Treffpunkt. Sie sollte nichts von der Aktion wissen. Siobhan weckte sie am frühen Morgen und erklärte ihr gleich, dass ihr der Ring am Finger fehlte, weil sie ihn gegen ein üppiges Mahl getauscht habe. Carmelita sah sie noch schlaftrunken an, aber kniff ein Auge zu, als sie die Geschichte sacken ließ.

„Lügst du mich an? Niemand würde dir für den billigen Ring etwas zu Essen geben.“ Carmelita hatte recht. Elfenbein kannte man dort nicht. Bronze oder Gold wären beachtet worden.

Siobhan schwieg und wurde rot im Gesicht. Lügen war nicht ihre Stärke. Sie schämte sich, aber hielt nun Schweigen für die beste Lösung.

Das purpurne Tuch

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