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3 Gestern oder heute

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Angelina rieb den feinkörnigen Sand zwischen ihren Fingerspitzen und zeigte Steinhofen die rötliche Färbung auf ihrer Haut, ohne ein Wort dazu zu sagen. Steinhofen stemmte beide Hände auf die Oberschenkel und erhob sich. Leicht wankend kam er zur Ruhe.

„Ich hasse das. Kann den Stress nicht ab. Immer wieder schmeiß ich die Prüfungen, weil ich ein scheiß Lampenfieber krieg. Und jetzt hab ich’s vergeigt, weil der Bowereit so ein Arschloch ist.“

„Das ist nicht dein Problem. Nichts hast du vergeigt. Die sind nur zu blöd, dem Unwahrscheinlichen etwas mehr Glauben zu schenken. Sag mir, was du denkst. Ich habe da nämlich eine Theorie.“

Kalle Steinhofen schaute Angelina an, als wollte er die Ernsthaftigkeit ihrer Aufforderung prüfen.

„Also gut. Ich denke, dass im Ton ein Farbstoff oder Färbemittel, vielleicht auch nur Beeren, sagen wir Holunder, eingeschlossen war. Er könnte, wie die anderen Fundstücke an dieser Stelle, bereits 2000 Jahre hier gelegen haben. Einmal im Ton isoliert, konnte nichts entweichen. Als wir aber mit dem Abtragen der Schichten begannen, wurde die luft- und wasserdichte Stelle porös oder es entstand ein Haarriss, durch den der Farbstoff erstmals austreten konnte. Mithilfe der Feuchtigkeit und des Nieselregens von heute Nacht breitete sich das Färbemittel im Sand aus und erzeugte die Spuren, die wir hier zu enträtseln versuchen.“

„Bingo! Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Hast du die Stelle als Erster gefunden?“

„Ich bin mir nicht sicher. Es ist mein Grabungsbezirk, aber als ich heute Morgen ankam, war Bowereit bereits hier und hatte selbst Schichten abgetragen.“

„Glaubst du, er spielt uns was vor?“

„Er ist klug genug, diese Fundstelle nicht zu ignorieren, aber er tut es trotzdem.“

„Wäre es möglich, dass er bewusst etwas verbirgt?“, flüsterte Angelina, obwohl zum Flüstern kein Anlass bestand.

„Warum sollte er das tun? Das macht für mich keinen Sinn. Wenn er hier nicht weitersuchen lässt, dann war’s das – ein für alle Mal.“

„Wer sagt dir das? Vielleicht hat er längst eine labortechnische Untersuchung des Farbstoffs eingeleitet und glaubt, einer ganz großen Sache auf der Spur zu sein. Das bedeutet für ihn persönlich an Schliefken vorbeizuziehen. Ideal für eine Professur, wenn da wirklich was dran ist.“

„Du meinst, der Bowereit will sich profilieren und verkauft uns für dumm, um später allein die Lorbeeren einzuheimsen?“

„Nett ausgedrückt. Arschloch würde reichen.“

„Was machen wir denn nun?“, druckste Steinhofen und sah Angelina hilfesuchend an. Angelina schaute sich um. Alle Studenten waren emsig mit Schaben, Sieben und Sortieren beschäftigt. Sie fasste Steinhofen an die Schulter, als wollte sie ihm Mut machen, aber die Berührung wurde auch von einem einladenden Lächeln begleitet, sodass Steinhofen eigentlich einen triftigen Grund hatte, sich in der Sache „Rote Erde“ nicht mehr allein zu fühlen.

„Leider stehen uns ohne Bowereits Zustimmung keine labortechnischen Untersuchungen zu“, beklagte Angelina. Sie rieb erneut den farbigen Sand zwischen ihren Fingerspitzen.

„Es sieht nach Purpur aus. Was, wenn es Purpur ist und kein Rot? Rot ist eine Allerweltsfarbe, aber Purpur, das erinnert mich an die Karthager. Sie verbreiteten den wertvollen Farbstoff in alle Regionen ihres Reiches. Er war damals sehr gefragt und teuer. Sie gewannen ihn aus Seeschnecken.“

„Schön und gut“, meinte Steinhofen. „Aber die Phönizier sind nie bis hier nach Haltern an die Lippe vorgestoßen. Ihr Reich endete in Teilen Spaniens. Wir brauchen eine C14-Analyse sowie eine chemische und mikroskopische Bestimmung, ob es sich um organisches oder geologisches Material handelt.“

Angelina demonstrierte Entschlossenheit.

„Wir schaffen das. Ich will nicht einfach aufgeben, besonders nicht, weil es spannend wird.“

„Und wenn nichts dran ist, sind wir unten durch“, brummte Steinhofen.

„Du hast Schiss? Dann mach ich das allein“, schimpfte Angelina und wandte sich ab.

„Man wird ja noch überlegen dürfen. Ich bin dabei, hab aber keine Ahnung, wie wir da auf einen grünen Zweig kommen wollen.“

Bowereit hatte die Studenten am südlichen Feldabschnitt eingewiesen und kam auf die beiden zu.

„Ab morgen wechselt das Team. Herr Steinhofen, Sie sind raus. Ein Student aus Oxford wird Ihre Stelle einnehmen. Er steht seit geraumer Zeit auf der Warteliste und hat sich durch seine Masterarbeit qualifiziert. Nun strebt er einen PhD an. Das geht vor. Wir haben eh das Rotationsverfahren vernachlässigt. Vergessen Sie bitte nicht, Ihre privaten Sachen aus dem Spind zu räumen.“ Bowereit wandte sich an Angelina. „Sie können sich dort an der südlichen Kante nützlich machen, das Feld abstecken und mit den anderen die obere Humusschicht abtragen.“

Bowereit biss die Kinnladen zusammen und entfernte sich mit steifen Schritten.

„Das ist so ein Arsch“, fluchte Angelina. Bowereit drehte sich empört um, ging dann aber weiter.

„Das hat er gehört“, zischte Steinhofen. „Aber was soll’s, das Schwein hat’s verdient.“

„Mach dir nichts draus“, tröstete Angelina. „Ich werde dich auf dem Laufenden halten. Wir könnten ein privates Labor beauftragen. Allerdings müssten wir uns die Kosten teilen. Ich bin knapp bei Kasse, Dauerzustand.“

„Okay, bin dabei. Wenn was an der Sache dran ist, kann Bowereit mich auf Knien um Entschuldigung bitten. Los, wir nehmen den restlichen roten Sand mit!“

Als sich Steinhofen am Fundort niederkniete und eine Plastiktüte aus der Jacke zog, kam Bowereit auf ihn zugelaufen. „Das lassen Sie schön bleiben!“, rief er hastig. „Sie werden hier gar nichts mitnehmen. Sofort verlassen Sie das Gelände! Frau Chiantelli, folgen Sie bitte meinem Arbeitsauftrag! Ich weiß nicht, was Sie hier noch zu suchen haben.“

Steinhofen ließ die leere Tüte fallen und machte sich davon. Angelina warf sich ihre Tasche über und ging ebenfalls, aber nicht ohne Bowereit einen gehässigen Blick zuzuwerfen, was sie einerseits schreckhaft überraschte, wofür sie sich andererseits aber auch bewunderte.

Das purpurne Tuch

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