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Epilog
ОглавлениеParis, Montag, 9. Oktober, 9.00 Uhr
Raschid bog am Observatorium in den Boulevard Arago ein und ging raschen Schrittes die lange Mauer des Stadtgefängnisses entlang. Er trug einen braunen Anzug mit dezenter Krawatte und eine Aktentasche in der Hand. Damit sah er aus wie ein junger Anwalt auf dem Weg zu einem Gesprächstermin mit seinem Mandanten.
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, auch wenn er auf dem Weg ins Gefängnis war. Er wollte sich pünktlich zur Besuchszeit mit seinem Informanten treffen, schon gestern war er hier gewesen, jedoch erfolglos.
Nach seiner Ankunft am Sonntagvormittag in Paris hatte er als Samir El Afaf das noble Hotel du Louvre bezogen und sich mit seiner neuen Identität vertraut gemacht. Er reiste als britischer Geschäftsmann arabischer Herkunft, eine nicht seltene Kombination und somit unauffällig genug, um unerkannt zu bleiben. Für Raschid jedoch eine neue und seltsame Erfahrung.
Den ersten Kontakt hatte er mit einem Vertreter der arabischen Botschaft gehabt, er hatte ihm Grüße seiner Landsleute überbracht und ihm im Auftrag des Emirs mit einer Waffe versorgt, einer handlichen Caracal C aus Armeebeständen.
Zur Besuchszeit am Nachmittag war er dann am Haupteingang des Gefängnisses erschienen, man hatte ihn allerdings mit dem freundlichen aber bestimmten Hinweis wieder weg geschickt, dass aufgrund aktueller Sicherheitsmaßnahmen ein Besuch an diesem Tag nicht möglich sei. Man war aber bereit einen Besuchstermin für neun Uhr am Montag zu reservieren.
Den Nachmittag hatte Raschid größtenteils in seiner Hotelsuite mit Gedanken zu seinem Auftrag verbracht. Mit dem goldenen Amulett in der Hand hatte er lange schweigend im Sessel gesessen und nachgedacht. Dabei war sein Blick stets auf das Schmuckstück gerichtet gewesen, und er hatte immer wieder versucht, den Wahrheitsgehalt dieser unglaublich klingenden Geschichte abzuwägen. Noch immer war er nicht wirklich überzeugt, dass er der Richtige für diese Aufgabe war. Aber seine Familie, allen voran der Emir selbst, setzte großes Vertrauen in ihn. Also musste er diese seltsamen Kristalle finden und zurückbringen. Aber wie in Allahs Namen sollte er das anstellen?
Sein Plan konzentrierte sich zunächst auf das Gefängnis und seine Insassen. Als erstes wollte er den arabischen Informanten besuchen und mit einem Blick in seine Augen hören, ob er noch mehr in Erfahrung gebracht hatte. Vielleicht wusste er ja inzwischen, wo genau die Steine zu finden waren. Allerdings eine unwahrscheinliche Annahme, seinen letzten Informationen zufolge.
Der nächste Schritt würde dem ehemaligen Geheimdienstchef Frankreichs gelten. Auf jeden Fall wollte Raschid ihm einmal begegnen. In seinem Psychologiestudium hatte er einiges über die Psyche und das Verhalten von Fanatikern gelernt. Und nach seiner Einschätzung handelte es sich bei Renard um einen solchen. Vielleicht könnte er ihn zum Reden bringen, so wie es offenbar auch der Russe geschafft hatte. Notfalls verfügte er über Geld und Einfluss, was den Geheimdienstler eventuell auch überzeugen konnte, etwas auszuplaudern. Zugegebenermaßen ebenfalls eine vage Hoffnung, der sich Raschid hingab.
Über den Russen hatte er noch weniger Informationen erhalten als über den Franzosen. Sicher war jedoch, dass er ein führendes Mitglied eines einflussreichen russischen Verbrechersyndikats in Westeuropa war. Keine Straftat war dieser Organisation fremd, ihr Hauptgeschäft war aber neben dem Drogenhandel der Handel mit Menschen, insbesondere junge Osteuropäerinnen wurden verschleppt und zur Prostitution gezwungen. Ein widerliches, aber einträgliches Geschäft.
Raschid stoppte neben dem großen blauen Gefängnistor mit der Überschrift „Liberté, Égalité, Fraternité“ und meldete sich beim Wachpersonal an. Man ließ in ein, scannte ihn mit einem Metalldetektor und durchleuchtete seine Tasche. Danach wurde er zu einer Türe innerhalb der Mauern geschickt, wo er von einem weiteren Beamten in Empfang genommen wurde. Dieser nahm die Personalien auf und verwies Raschid an einen dritten Wachhabenden, der ihn dann zum Besuchsraum geleitete. Dort standen neun einzelne Tische, an denen sich die Gefangenen mit ihren Besuchern zusammensetzen konnten. An den Wänden und Türen stand bewaffnetes Wachpersonal, das jeden der Anwesenden genau im Auge behielt. Raschid wurde ein Tisch in der Mitte zugewiesen, was ihm gelegen kam, konnte er so vielleicht etwas ungestörter mit dem Häftling sprechen.
Nach wenigen Minuten Wartezeit wurde ein hagerer Araber mit wettergegerbter Haut und großer Nase an den Tisch geführt. Er trug Handschellen und auch die Füße waren zusammengekettet, so dass ihm nur kleine Trippelschritte möglich waren. Jetzt erst bemerkte Raschid, dass auch die anderen Gefangenen in dem Besuchsraum diesen Sicherheitsvorkehrungen unterlagen.
Als der Häftling den Emirati erblickte, entblößte er seine Zähne, die zur Hälfte durch Gold ersetzt waren, zu einem breiten Lächeln. Der Mann taxierte seinen Besucher mehrfach von oben bis unten, offenbar wusste er bereits, wer er war.
„As-salaam alaykum, ehrenwerter Herr!“, begrüßte der Gefangene Raschid mit einem vor Gold blitzenden Strahlen und setzte sich.
„Wa-alaykum as-salaam!“ antwortete Raschid höflich und nickte dem Mann zu.
Der Wachmann entfernte sich und der arabische Häftling wandte sich in einem saudi-arabischen Dialekt an seinen Besucher: „Ich weiß, wer sie sind, woher sie kommen und warum sie hier sind. Mein Kontaktmann in ihrem Ministerium hat mich bereits informiert. Können sie mich denn hier rausholen?“
Raschid sah ihm tief in die Augen und nickte unmerklich mit dem Kopf. „Das werden wir sehen. Sagen sie mir zunächst, was sie wissen. Haben sie weitere Informationen zum Aufenthaltsort dieser Steine für mich? Nur das interessiert mich.“
Das anfänglich freudige Strahlen des Mannes verflog augenblicklich. Er senkte den Blick und flüsterte kopfschüttelnd: „Nein, mein Herr. Darüber konnte ich nichts erfahren. Und das wird auch so bleiben.“
Raschid legte seine Stirn in Falten. „Was soll das heißen? Sind sie entlarvt worden?“
„Nein, der Franzose ist tot!“
„Was?“, schrie der Emirati und erntete dafür die Aufmerksamkeit der Wachmänner. Er musste an sich halten, um den Flüsterton beizubehalten. „Seit wann? Und wie? Ist das sicher?“
„Ja“, bestätigte der Inhaftierte und blickte sich unsicher um. „Gestern war hier die Hölle los. Es hat eine Auseinandersetzung auf dem Gefängnishof gegeben. Zwischen den Russen und den Afros. Und der Franzose war mittendrin. Weiß Allah, was er da gemacht hat. Auf jeden Fall gab’s eine Menge Verletzte, auch den russischen Mafiaboss hat’s erwischt. Die Wachen haben geschossen, überall war Blut und die Verwundeten wurden weggeschafft. Es war ein heilloses Durcheinander und es hat Stunden gedauert, bis sie alles wieder unter Kontrolle hatten.“
„Jetzt mal langsam“, unterbrach ihn Raschid. „Sind sie sicher, dass der Franzose tot ist, oder vielleicht doch nur verletzt? Und was ist mit dem Russen?“
„Bei Allah, ich bin sicher. Ich hab’s genau gesehen. Der Franzose lag mit aufgeschlitzter Kehle da und rührte sich nicht mehr. Ich weiß, wie ein Toter aussieht, hab schon einige gesehen. Genauso wie der Anführer der Schwarzen, dem haben sie einen Schraubenzieher ins Hirn gerammt. Aber der Russe hat nur eine Verletzung an der Stirn gehabt. Das war nichts Schlimmes. Seine Schläger haben die Anderen von ihm ferngehalten.“
„Das heißt, er ist wieder unter den anderen Gefangenen?“
„Nein! Das ist ja das Seltsame. Er ist trotz der kleinen Verletzung nicht zum Frühstück gekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der heute freiwillig in der Zelle geblieben ist. Wo er hier doch das große Sagen hat. Es gehen hier aber Gerüchte um, er sei getürmt. Kann mir aber nicht vorstellen, wie er das angestellt haben will.“ Der Araber grinste. „Sonst wär ich auch schon weg!“
„Vertrockneter Kamelmist“, fluchte Raschid. Sein Plan hatte sich gerade in Luft aufgelöst. „Das heißt, sie wissen nicht mehr als das, was sie schon berichtet haben und der Franzose kann nichts mehr erzählen. Der Russe ist mit seinem Wissen über alle Berge und ich sitze hier und gucke in die Röhre.“
„Vielleicht habe ich doch noch eine wertvolle Information für sie, ehrenwerter Herr“, flüsterte der Informant nach kurzem Schweigen mit verschlagenem Blick und lehnte sich noch weiter nach vorne. „Ich hätte aber gerne eine Zusage von ihnen, dass ich auch hier rauskomme. So war die Abmachung. Und ich halte sie für so ehrenhaft, diese auch einzuhalten.“
„Ich persönlich kann ihnen nichts versprechen, werde aber mein Möglichstes tun. Nutzen sie dafür ihren Kontaktmann, mit dem sie auch bisher verhandelt haben. Ich versichere ihnen aber, mich für sie einzusetzen und ihre Kooperation zu bestätigen.“ Raschid sah den Gefangenen eindringlich an. „Sagen sie mir, was sie wissen!“
„Ich vertraue ihnen, Sayid. Sie haben ein ehrliches Gesicht und kommen aus einem ehrenwerten Land“, fuhr der Mann mit den Goldzähnen unterwürfig fort. „Als die Wachen bei der Auseinandersetzung dazwischen gingen, habe ich etwas Ungewöhnliches beobachten können. Einer von ihnen hat dem toten Schwarzen ein Messer in die Hand geschoben. Das ist doch seltsam, finden sie nicht? Entweder hat er Spuren legen oder verwischen wollen oder vielleicht sogar selbst dem Franzosen das Licht ausgeschaltet. Er hat garantiert im Auftrag einer der Parteien gehandelt, wahrscheinlich des Russen. Vielleicht wollte der den Franzosen loswerden und hat das Ganze angezettelt.“
„Erzählen sie weiter“, forderte Raschid den Saudi ungeduldig auf. Ein kleiner Funken Hoffnung stieg in ihm auf.
In diesem Moment trat der Wachmann, der den Araber gebracht hatte, zurück an den Tisch. „Ende der Besuchszeit. Zurück mit dir in deine Zelle, Goldie!“
Er ergriff den Arm seines Gefangenen und zog ihn unsanft von seinem Stuhl.
„Moment noch“, protestierte dieser, schien aber bei seinem Bewacher auf taube Ohren zu stoßen. Auch Raschid hob die Hand, um dem Beamten zu signalisieren noch einen Moment innezuhalten, aber auch das interessierte den Wachmann nicht.
„Rabane!“, rief der Häftling noch seinem Besucher zu, während er aus dem Besuchsraum geschoben wurde. „So heißt der Wärter. Blaise Rabane! Sprechen sie mit ihm. Und holen sie mich hier raus!“
Dann war er hinter einer Türe verschwunden und die Kommunikation mit ihm bis auf Weiteres beendet.
Raschid stand auf und begab sich zu dem Anmeldezimmer zurück, in dem er zuvor seine Personalien zu Protokoll gegeben hatte. Er stellte sich geduldig in die Schlange der Wartenden, um seine Chancen, angehört zu werden, nicht gleich im Keim zu ersticken. Mit den Besuchern wurde hier nicht sehr freundlich umgegangen, man stellte sie offenbar mit den Insassen auf die gleiche Stufe.
Als er an die Reihe kam, fragte er nach der Möglichkeit noch weitere Besuche abstatten zu dürfen und nannte die Namen des Franzosen und des Russen. Mit einer abfälligen Bemerkung zu den offenbar seltsamen Bekanntschaften des Besuchers erklärte ihm der Beamte, dass beide bis auf Weiteres nicht zu besuchen seien. Eine Begründung dafür bekam Raschid nicht, allerdings benötigte er die auch nicht, war doch diese Ablehnung Bestätigung genug für die Aussagen seines Informanten.
Auf die Frage, ob er einen Beamten namens Blaise Rabane sprechen könne, teilte man Raschid mit, dass er sich mit dieser Bitte an der Hauptpforte melden solle. Der Kollege glaubte sich aber zu erinnern, dass Rabane im Urlaub sei.
Samir El Afaf, alias Raschid bin Hamdan verließ das Gefängnis und eilte zurück in sein Hotel, wo er sich an den Concierge wandte, dessen Aufgabe einzig und allein darin bestand, den Hotelgästen jeden Wunsch von den Lippen abzulesen.
„Bitte besorgen sie mir die Telefonnummer und Adresse eines gewissen Blaise Rabane“, äußerte Raschid seinen Wunsch in Französisch mit englischem Akzent und schob dezent einen Fünfzig-Euro-Schein über den Rezeptionstresen. Trotz einiger Zweifel hoffte er darauf, dass es nicht mehrere Männer dieses Namens in Paris gab. „Ich warte in der Lobby. Vielleicht können sie mir bis dahin einen Tee mit Minze besorgen. Danke!“
„Sehr wohl, Monsieur!“, war die Antwort des Concierge. „Ich kümmere mich augenblicklich darum. Nehmen sie doch bitte so lange Platz.“
Raschid begab sich ins hintere Eck der Lobby und setzte sich hinter einen kleinen vergoldeten Tisch in einen der opulenten, roten Louis-XIV-Sessel. Kurz darauf kam auch schon ein Kellner aus der Bar und brachte ihm einen dampfenden, nach frischer Minze duftenden Tee. Es galt nun die neuen Informationen zu verarbeiten.
Der Neffe des Emirs atmete den Minzedampf ein und nippte an seiner Tasse. Die einzige Chance, die Raschid jetzt noch blieb, schien tatsächlich dieser offenbar bestechliche Gefängniswärter zu sein. Dies machte ihn einerseits zu einem unehrenhaften, andererseits aber vielleicht auch zu genau dem auskunftsbereiten Kriminellen, den er jetzt brauchte. Was aber, wenn er unauffindbar war, oder tatsächlich im Urlaub? Oder schlimmstenfalls auf der Flucht? Oder sogar gar nicht bestechlich und der Informant im Gefängnis hatte sich geirrt?
„Monsieur?“ Der Concierge riss Raschid aus seinen Gedanken, indem er an den Tisch trat und sich dezent räusperte. „Ich habe die Informationen, nach denen sie fragten. Leider gibt es drei Herren namens Blaise Rabane. Ich habe von allen die Daten notiert. Wenn sie telefonieren möchten, kann ich ihnen gerne ein Telefon an den Platz bringen.“
Raschid nahm den sorgfältig zusammengefalteten Zettel aus den Händen des Hotelbediensteten und sah sich die Notizen darauf an.
„Das wird nicht nötig sein“, quittierte er den Vorschlag des Concierge und steckte ihm einen weiteren Geldschein zu. „Vielen Dank, Monsieur! Würden Sie mir bitte ein Taxi rufen?“