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Epilog

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Berlin, Samstag, 7. Oktober, 10.40 Uhr

Es war ein sonniger Samstagvormittag und im Garten gab es viel zu tun. Die bunten Blätter, die der herbstliche Wind der letzten Tage von den Bäumen geweht hatte, lagen sorgfältig zu kleinen Haufen zusammengerecht auf der Wiese, bereit, aufgesammelt zu werden. Die Windstille am heutigen Tag erlaubten diese Tätigkeiten, ohne dass es in einer Sisyphusarbeit mündete, da der Wind auch nur mit dem leichtesten Hauch die Anstrengungen wieder zunichte machen konnte. Der Garten sollte gepflegt aussehen, sowie auch das Interieur des gemütlichen Bungalows in der Seitenstraße des fast ländlich wirkenden Berliner Vorortes Dahlem.

Alles sollte perfekt sein, denn heute würde David zum Essen kommen und seine neue Freundin mitbringen. Da wollten sich sein Vater und seine Stiefmutter doch von der besten Seite zeigen, zumal aus den Erzählungen des jungen Mannes zu schließen war, dass es sich um eine ernste Beziehung handelte. Endlich einmal! Seine bisherigen Liebschaften waren häufig schneller wieder beendet, als sie begonnen hatten und es hatte sich bislang nie die Chance ergeben, mal eine der kurzfristigen Bekanntschaften zu begutachten. Wahrscheinlich war das auch besser so, denn etwas Seriöses war wohl bislang nicht dabei gewesen. Ob David bisher noch nichts Festes gesucht hatte, zu wählerisch oder einfach noch nicht bereit dafür gewesen war, ließ sich schwer sagen. Er war nun mal noch in der Findungsphase gewesen, aber offenbar hatte sich das Warten ja gelohnt.

Noch nie zuvor hatten Laetitia und Brian ihren Sohn so redselig bezüglich seiner Beziehungen erlebt, wie in den letzten Wochen, so emotional und schwärmerisch. Er war eben augenscheinlich verliebt. Und das tat ihm gut.

Ob es allerdings für sein Studium so gut war, ließ sich noch nicht erkennen. Er war ein talentierter und wissbegieriger junger Mann, dem das Lernen – zumindest in seinem Studienfach Informatik – leicht fiel, hatte er doch schon vorher den Großteil seiner Freizeit mit Computern verbracht. Nicht immer waren diese Beschäftigungen legal gewesen, aber er war kein bösartiger Hacker, der Schaden anrichtete. Eher einer, der für andere bei genau solchen Angriffen einen Ausweg suchte oder ihnen half, sich dagegen zu schützen.

Aufgrund seiner Hilfe bei der Überführung ihres kriminellen Geheimdienstchefs vor ein paar Jahren hatte ihm der französische Staat ein Stipendium an der Pariser Sorbonne angeboten, aber David hatte dieses Kapitel seiner Vergangenheit lieber hinter sich lassen und in seiner Heimat studieren wollen. Er bewohnte eine kleine Wohnung nahe der Universität und genoss das Studentenleben mit all seinen Vorzügen. Nebenbei verdiente er etwas Geld mit dem Entwickeln von Computerprogrammen und Handy-Applikationen. Er stand mit beiden Beinen im Leben und seine Eltern konnten stolz auf ihn sein.

Auch wenn Laetitia nicht seine leibliche Mutter war, erfüllte sie doch alle Eigenschaften, auf die ein junger Erwachsener bei einer Mutter Wert legte. Ihr gemeinsames Abenteuer in Paris hatte sie zusammengeschweißt und er konnte sich mit jedwedem Problem an sie wenden. Sie war wie eine gute Freundin für David und er hatte auch mehrfach ausgedrückt, wie froh er war, dass sie sich damals entschieden hatte seinem Vater nach Deutschland zu folgen. Sie waren eine glückliche Familie mit eben einem erwachsenen Sohn.

Und dieser Sohn war nun mal ein Musterexemplar, schlank und gutaussehend, wenn auch nicht so groß und breit gebaut wie sein Vater. Dafür hatte er die feinen Züge und großen brauen Augen seiner Mutter geerbt. Und er war ein sensibler, cleverer und liebenswerter Mensch, immer freundlich und gut gelaunt und für jeden Spaß zu haben.

Natürlich waren Brian und Laetitia neugierig auf das Mädchen, das David ihnen nun endlich vorstellen wollte. Sie sollte seiner Beschreibung zufolge ja ausgesprochen hübsch sein, aber eben auch intelligent und herzensgut. Hörte sich nach der perfekten Partnerin an, wenn es so etwas überhaupt gab. Sein Vater hatte die anfänglichen Schwärmereien und die euphorische Beschreibung seines Sohnes abrupt gebremst, als er die trockene Frage gestellt hatte, ob sie denn auch kochen könnte. Und obwohl David seinen Vater und dessen Sticheleinen nur zu gut kannte, hatte ihm diese Bemerkung gar nicht geschmeckt. Er fing bereits an darüber zu diskutieren, welche Vorzüge denn eine ideale Partnerin haben müsste, aber Brian hatte abgewunken und gegrinst, bis auch David merkte, dass er nur hochgenommen wurde.

Mr. Jones riss Laetitia mit einem kurzen Bellen aus ihren Gedanken. Der Hund konnte nicht nachvollziehen, warum sein Frauchen plötzlich auf ihren Rechen gestützt innegehalten hatte. Die Schweizerin streichelte ihrem Border Collie über den Kopf und rechte die letzten Blätter zusammen. Brian kam ums Haus herum und half ihr, das ganze Laub in einen Sack zu stopfen, der dann in den nächsten Tagen zum Kompostieren weggebracht werden sollte. Als nächstes standen die Vorbereitungen für das Mittagessen auf dem Programm. Dann noch schnell geduscht und schon würden die Gäste vor der Türe stehen.

Als sie ins Haus gingen, ergriff Laetitia liebevoll die Hand ihres Mannes und drehte sich zu ihm um.

„Weißt du noch, wie wir uns kennengelernt haben? Der flüchtige Blick auf dem Flohmarkt und das unglückbringende Geschäft mit der Uhr?“

„Aber wieso Unglück? Ohne diese Uhr wären wir uns nicht nähergekommen“, sinnierte Brian. „Ich hätte dann nur gedacht: Was für eine süße Verkäuferin! Dann wäre ich weitergegangen.“

„Das wäre alles gewesen?“, schimpfte Laetitia im Spaß.

„Na klar. Aber einmal unachtsam stehengeblieben und schon hatte ich dich am Hals!“

Brian lachte und küsste seine zweite Frau auf die Stirn. Die aber machte ein übertrieben zorniges Gesicht und stieß ihn zurück, konnte sich aber dabei ein Grinsen nicht verkneifen.

„Beschwer‘ dich nicht! Wer weiß, wo du heute ohne mich wärst!“

„Reich und berühmt in Las Vegas!“, gab Brian zurück, nahm Laetitia in den Arm und küsste sie leidenschaftlich. Dann fügte er hinzu: „Aber wer will das schon, wenn er hier im Garten Laub zusammenkehren kann.“

„Eben!“, bestätigte Laetitia. „So, und nun schieb den Braten in den Backofen, mein verkannter Show-Star!“

Gut drei Stunden später saßen die Vier vergnügt am Mittagstisch und genossen den Nachtisch. Laetitia hatte sich selbst übertroffen und ein köstliches Vier-Gänge-Menü auf den Tisch gezaubert.

Obwohl Alex mehrfach betonte, dass sie sich einen solch kalorienreichen Festschmaus nicht so oft leisten dürfe, um ihre Figur zu erhalten, hatte sie dennoch das Mahl genossen und sich sogar vom Braten ein zweites Stück geben lassen. Sie bedankte sich artig und lobte die Köchin.

Dieses Mädchen war wirklich ein Glücksfall für David, darin waren sich seine Eltern unausgesprochen einig. Sie war charmant und gutaussehend, dabei intelligent, bescheiden und wohlerzogen. Eine unterhaltsame Gesprächspartnerin ohne sich selbst in den Vordergrund zu drängen. Brian und Laetitia hatte sie im Sturm erobert und David war sichtlich froh, dass sie ihnen gefiel. Ihm war ihr Urteil wichtig, besonders Laetitias. Umgekehrt schien auch Alex Davids Eltern zu mögen, was ihm ebenso am Herzen lag. Sie hatten sich gleich auf das Du geeinigt und unterhielten sich angeregt über Alex’ Psychologie-Studium und ihre Hobbys, Davids Kindheitsabenteuer und über Gott und die Welt. Es war, als kannten sie sich schon eine Ewigkeit. Selbst Mr. Jones hatte seine neue Spielgefährtin sofort ins Herz geschlossen und Alex immer wieder mit treuem Blick die Schnauze auf den Schoß gelegt. Das heutige Zusammentreffen bereitete eindeutig allen Beteiligten ein großes Vergnügen.

„So, ihr Lieben“, rief Brian, der den letzten Bissen des Desserts genüsslich verdrückt hatte. „Wer mag noch einen Digestif? Ich hätte zur Feier des Tages einen hervorragenden Cognac anzubieten.“

„Nur gut, dass wir mit der S-Bahn gekommen sind“, stellte David fest. Gemeinsam hatten sie fast zwei Flaschen Wein geleert.

„Das ist ein eindeutiges Ja! Alex, magst du auch einen? Oder ist dir was Süßes lieber?“

„Ehrlich gesagt, möchte ich lieber nichts mehr. Sonst fange ich noch an, auf dem Tisch zu tanzen.“

„Bestimmt ein netter Anblick!“, lachte Brian verschmitzt, aber Laetitia versetzte ihm unter dem Tisch einen dezenten Tritt ans Schienbein. Brian verstand den Hinweis, ließ sich aber die gute Laune nicht nehmen.

„Also gut, zwei Cognac für die Herren der Schöpfung und für die Köchin einen Kräuterlikör, ihre heimliche Leidenschaft.“ Dabei zwinkerte Brian Alex zu und grinste. „Ich schenk dir auch mal einen kleinen ein, der ist wirklich lecker und gut für die Verdauung.“

Alex winkte ab, allerdings vergebens.

Sie stießen auf das gute Essen an, das Kennenlernen und auf gute Freundschaft. Danach entschied man sich, einen kleinen Verdauungsspaziergang durch die nahegelegene Parkanlage zu machen, sehr zur Freude von Mr. Jones. Die Temperaturen waren angenehm und die Sonne schien durch die wenigen Wolken. Beide Paare schlenderten Arm in Arm durch die Grünanlage und genossen die gute Luft, während der Hund allen möglichen Spuren hinterher schnüffelte und brav jedes Stöckchen zurückbrachte, was einer der Spaziergänger wegwarf.

„Sagt mal, stimmt diese Geschichte mit der geheimnisvollen Uhr und eurem Erlebnis in Paris vor ein paar Jahren wirklich?“, wollte Alex plötzlich wissen. „David hat mir davon erzählt, aber ich glaube, er hat ein bisschen geflunkert.“

Brian warf David einen vorwurfsvollen Blick zu, hatten sie sich doch damals unmissverständlich darauf geeinigt, dass dieses Kapitel ihrer Familiengeschichte auch im Kreise der Familie bleiben sollte. Vielleicht aber betrachtete sein Sohn Alex ja bereits als Teil dieser Familie und war deshalb leichtsinnig geworden. Vielleicht wollte er sich aber auch nur vor seiner Freundin interessant machen. Schließlich hatte nicht jeder mit so einem Abenteuer aufzuwarten, zumal David einen gehörigen Anteil daran gehabt hatte.

„Na, David hat bestimmt ein wenig dick aufgetragen“, antwortete er und lächelte etwas gezwungen.

„Also was ist dann dran an dieser Story, klingt ja echt aufregend“, bohrte Alex weiter. Brian hatte ihre Neugier nur noch mehr geweckt. „So ein Schmuckstück bewahrt ihr doch bestimmt in einem Banksafe auf, oder? Oder findet man das in irgendeinem Museum?“

„Es ist bei uns zu Hause unter Verschluss. So was Besonderes ist es ja auch nicht“, versuchte Laetitia das Ganze herunterzuspielen. „Es ist nur eine alte Uhr, nicht besonders wertvoll und außerdem ziemlich hässlich. Sie ist mehr ein Andenken für uns, an die Zeit, in der wir uns kennengelernt haben.“

„Dann ist sie gar nicht so etwas mysteriöses Magisches, mit dem man in die Vergangenheit schauen kann?“

David hatte wohl nichts ausgelassen und Brian war sichtlich verärgert über das leichtsinnige Ausplaudern seines Sohnes. Nicht, dass er das Geheimnis bei Alex nicht gut aufgehoben glaubte. Es bedurfte jetzt nur etwas umfangreicher Erklärungen. Aber vielleicht konnte er die Geschichte doch noch etwas abschwächen. Nur David durfte ihm dabei nicht in den Rücken fallen, daher musste Brian darauf achten, ihn nicht als Aufschneider dastehen zu lassen.

„Ja schon“, erklärte er, „das funktionierte damals auch, hatte wohl irgendetwas mit den seltsamen Kristallen zu tun, die in der Uhr eingebaut sind. Die haben allerdings ihre Kraft inzwischen verloren, so dass dieser Blick zurück nicht mehr funktioniert.“

„Kann man die denn nicht irgendwie ersetzen?“ Alex gab nicht auf. „Wäre das denn nicht eine Sensation für die Wissenschaft?“

„Genau das will mein Daddy aber nicht“, schaltete sich jetzt doch David in das Gespräch ein. Offenbar hatte er Alex die ganze Geschichte erzählt und wollte sich nun irgendwie rechtfertigen. „Keiner außer uns weiß davon, da die Uhr in den falschen Händen eventuell Schlimmes bewirken könnte. Der Einzige, der das Geheimnis außer uns kennt, ist dieser französische Geheimdienstler, der aber den Rest seines Lebens wegen Hochverrats in Frankreich im Gefängnis sitzt. Wie ich dir schon gesagt hatte, muss das aber unter uns bleiben, Alex.“

„Ja klar, keine Angst!“, versicherte Alex und machte eine Handbewegung mit den Fingern als wollte sie ihre Lippen verschließen. „Ich kann schweigen wie ein Grab.“

Brian schien resigniert und doch schöpfte er wieder Hoffnung nach der Beteuerung der jungen Frau.

„Im Ernst, Alex“, betonte er. „Es wäre schön, wenn du das für dich behalten würdest. So, wie es ist, ist es sicher am besten. Diese Uhr hat schon genug Menschenleben auf dem Gewissen, es müssen nicht noch mehr werden. Und seitdem dieser wahnsinnige Franzose aus dem Verkehr gezogen wurde und die Uhr nicht wieder aufgetaucht ist, ist es auch so geblieben. So hat die Welt ihre Ruhe.“

Alex nickte zustimmend, auch wenn man ihr ansah, wie gerne sie mehr darüber erfahren, beziehungsweise die Uhr sicher gerne mal in Händen gehalten hätte.

Damit war dieses Thema nun aber beendet und die Vier liefen zunächst schweigend weiter, bis wiederum Alex die peinliche Ruhe durchbrach.

„Sagt mal“, wandte sie sich an Laetitia, „habt ihr nicht Lust morgen Abend mit uns zum Lichterfest zu gehen. Da gibt es Lasershows, die Gebäude werden bunt angestrahlt und zum Abschluss gibt’s ein Feuerwerk. Es wäre doch ein schöner Abschluss dieses wunderschönen Wochenendes. Ich bin so glücklich, euch jetzt endlich mal kennengelernt zu haben. Bitte sagt ja!“

Auch David begrüßte den Vorschlag.

„Warum denn nicht, wir haben morgen bisher noch nichts vor“, erwiderte Laetitia und schaute Brian an. Sein zögerliches Nicken verriet ihr, dass er im Moment zwar gedanklich weit weg war, er aber nichts dagegen einzuwenden hatte.

„Super!“, freute sich Davids Freundin und umarmte Laetitia strahlend. „Ich freue mich drauf. Wir können ja vorher noch was zusammen trinken gehen. Ich kenne da so eine gemütliche Cocktailbar beim Osthafen. Die wird euch bestimmt gefallen.“

Mit diesem neuen Ziel vor Augen spazierten sie vergnügt nach Hause. Keiner sprach mehr über die Uhr. Alle waren zufrieden mit dem Verlauf des bisherigen Tages und freuten sich auf den gemeinsamen Besuch des Festes am Sonntag. Nur Brian hing seinen Gedanken nach und schritt stirnrunzelnd hinterher.

Er hatte das Gefühl, als ob ihn die Schatten der Vergangenheit wieder eingeholt hatten.

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