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Epilog

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Paris, Sonntag, 8. Oktober, 14.10 Uhr

Staryy Medved, der alte Bär, saß auf der obersten Stufe seiner Treppe und genoss die Sonnenstrahlen, die ihm das faltige Gesicht wärmten. Es war ein großartiger Tag. Die Sonne lachte vom blauen Himmel, als wollte sie ihm ihre Unterstützung signalisieren. Heute würde vieles zum Abschluss gebracht und ein neues Kapitel sollte beginnen. Alles war bis ins Detail geplant und vorbereitet, nichts durfte schief gehen. Die wenigen Eingeweihten in seinem direkten Umfeld waren dementsprechend angespannt. Jeder hatte genaue Instruktionen.

Neben ihm kauerte Philippe Renard. Zwar durfte er auf gleicher Stufe wie der Russe sitzen, allen war aber bewusst, dass dies nur vorübergehend war und die Körperhaltung des Franzosen verriet Unterwürfigkeit.

Er hatte Staryy Medved alles erzählt, was er selbst über die mysteriöse Uhr wusste und was er glaubte zu wissen. Renard war überzeugt, dass auch seine Freiheit und damit ein neuer Lebensabschnitt für ihn unmittelbar bevor lag. Er war sich nicht sicher, wie dieser aussehen würde, sein Leben lang hatte er auf der Seite der Gerechtigkeit und seines Vaterlandes gestanden, auch wenn er dies gern etwas eigenwillig auslegte. Sein Kampf hatte immer dem Verbrechen und dem Terrorismus gegolten, aber sein Land hatte ihn verraten, der Präsident seine Arbeit nicht zu schätzen gewusst. Nun war er sozusagen gezwungen, die Seiten zu wechseln. Wie seine Allianz mit der russischen Mafia in der kommenden Zeit aussehen würde, wusste er noch nicht, aber er glaubte in dem alten Russen einen starken Partner gefunden hatte. Die Zukunft gehörte ihnen. Wenn sie erst einmal die magische Uhr in ihrem Besitz hatten, würden sie die Welt erobern. Mit ihrer Fähigkeit konnten sie alles und jeden kontrollieren. Sobald sie draußen waren, würden die nächsten Schritte eingeleitet. Trotz der Ungewissheit war Renard zuversichtlich, aber er hatte seine Zweifel. Er hatte genug der Gefängnisinsassen um ihn herum selbst hierher gebracht, natürlich nicht persönlich, es aber veranlasst. Und er wusste, wie sicher oder auch unsicher diese Mauern waren. Andererseits vertraute er seinem neuen russischen Freund.

Aus dem Augenwinkel beobachtete Staryy Medved den Franzosen neben ihm. Er glaubte, seine Gedanken lesen zu können. Hatte er ihm wirklich alles erzählt? Bis zu diesem Morgen war sich der Russe nicht ganz sicher gewesen, war der ehemalige Geheimdienstchef doch immer noch verschlagen genug, ihm wesentliche Fragmente seines Wissens vorenthalten zu können. Aber dann hatten ihn die letzten Informationen eines Besseren belehrt.

An diesem Vormittag hatte er zwei Telefonate nach Deutschland geführt. Ein kleines Trinkgeld im vierstelligen Bereich hatte es ermöglicht, dass der diensthabende Wärter ihn bei diesen Anrufen alleine ließ.

Das erste Gespräch hatte er mit seinem Maulwurf geführt, den er vor Kurzem bei der Polizei in Berlin aktiviert hatte. Dieser hatte berichtet, dass der aktenkundige Russe Wladimir Pozorsky von der Polizei bei seiner Ankunft erkannt worden war und zwei Beamte damit beauftragt waren, ihn zu finden. Der alte Bär hatte daraufhin klare Anweisungen gegeben, dass sein Gesprächspartner genau dieses zu verhindern hatte. Pozorsky solle frei agieren können, ohne sich mit möglichen Verfolgern auseinander setzen zu müssen. Die Stimme aus Berlin hatte ihm volle Unterstützung versichert.

Der zweite Anruf hatte Pozorsky selbst gegolten. Der Mann für’s Grobe, wie der alte Bär ihn nannte, hatte bestätigen können, die entsprechenden Anweisungen und die erste Zahlung erhalten zu haben. Ebenso hatte sich sein Informant bereits gemeldet. Die Information zum Aufenthalt des Zielobjektes hätte er bereits bekommen und würde sich am Abend der Sicherstellung widmen. Staryy Medved hatte betont, dass es diesmal keine Toten geben sollte. Die Polizei sollte nicht auf den Fall aufmerksam werden. Auch Einbruchsspuren sollten vermieden werden, ganz im Stillen sollte Pozorsky der Sache habhaft werden. Wenn er mit seiner Einschätzung richtig läge, würden die Eigentümer der Uhr nichts unternehmen, wenn nur diese allein verschwinden würde. Pozorsky hatte seinem Auftraggeber nochmals versichert, dass er sich hundertprozentig auf seine Arbeit verlassen könne und versprochen, sie noch heute abgeschlossen zu haben.

Es lief also alles nach Plan. Der Franzose hatte offenbar die Wahrheit erzählt. Die Uhr befand sich dort, wo er sie vermutet hatte und schon morgen würde der alte Bär sie selbst in Händen halten können. Außerhalb der Mauern ging es demnach voran, nun war es an der Zeit auch innerhalb des Gefängnisses die Geschehnisse voranzutreiben.

Die Vorbereitungen dafür waren getroffen. Vor dem Gefängnis waren zwei Männer instruiert einen voraussichtlich bald eintreffenden Krankenwagen abzufangen. Einer der diensthabenden Wachangestellten namens Blaise Rabane, ein junger, drahtiger Schwarzer mit leeren Augen und ebensolcher Brieftasche hatte eine großzügige Kontobewegung zu erwarten, wenn er heute im richtigen Moment nach Plan handeln würde. Und einer der jungen Handlanger auf der untersten Stufe der russischen Treppe hatte vor wenigen Minuten dem Anführer der schwarzafrikanischen Häftlingsgruppe eine Information zugesteckt, die dieser mit sofortigem Blick in Richtung des alten Bären quittiert hatte. Der Afrikaner rückte seine dunkelgrüne Wollmütze zurecht und rief seine Männer zu sich.

Es war soweit, die Show konnte beginnen.

„Lass uns ein paar Schritte gehen, Towarischtsch Philippe“, forderte er seinen Sitznachbarn auf. „Etwas Bewegung wird uns alten Männern guttun.“

Renard hatte nicht wirklich Lust dazu, wollte aber nicht widersprechen und erhob sich schwerfällig. Sie stiegen die Stufen hinab und schlenderten über den Gefängnishof. Sofort gesellten sich vier Auserwählte der russischen Gemeinschaft als Geleitschutz an ihre Seite.

Auf der anderen Seite des Hofes versammelte sich von den Wachen unbemerkt eine Handvoll dunkelhäutiger Insassen um den Mann mit der grünen Mütze und kamen der russischen Gruppe plötzlich entgegen.

Der alte Bär steckte die Hand in seine Jackentasche und bekam das Teppichmesser zu greifen, das er dort vorbereitet hatte. Auch seine Männer ließen ihre Hände in die Taschen gleiten.

Als die beiden Gruppen aufeinander trafen, blieben sie stehen und der Gefangene mit der Wollmütze wandte sich in provokantem Ton an Renard: „Du bist also ein dreckiger Bullenchef?“

Der alte Geheimdienstchef wich unwillkürlich einen Schritt zurück, während sich die Männer der beiden Delegationen um ihre Anführer gruppierten. Staryy Medved versicherte sich mit einem flüchtigen Blick zur Seite, dass Blaise Rabane das Geschehen verfolgte und nickte ihm fast unmerklich zu.

„Ich bin kein Bulle!“, versicherte Renard mit ängstlicher Stimme. „Wäre ich sonst hier?“

„Red‘ keinen Scheiß, Mann. Ein freundliches Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du so manchen meiner Jungs hier in den Knast gebracht hast. Und dann wegen Landesverrats selbst hier gelandet bist.“ Der Ton des Schwarzen wurde schärfer.

„Ja, ich war mal Staatsbeamter, das stimmt“, versuchte Renard zu beschwichtigen und suchte mit hilflosem Blick die Unterstützung seines russischen Freundes. Der aber zog die Augenbrauen hoch und sah den Franzosen auffordernd an, als wollte er ihm signalisieren, dass er allein auf sich gestellt war und nun Rede und Antwort stehen müsste.

„Ich hatte aber mit internationalen Terroristen zu tun“, stammelte Renard wenig überzeugend weiter. „Ich bin jetzt auf eurer Seite, glaubt mir. Ein Krimineller, genau wie ihr!“

„Einmal Bulle, immer Bulle!“, konstatierte der Häftling und schob seine grüne Mütze in den Nacken. Dann ließ er seine langen Arme lässig aber provozierend nach unten baumeln und sah in die Runde seiner Verbündeten.

Und dann ging alles ganz schnell. In dem Bruchteil einer Sekunde ließ der Schwarze seine Faust nach vorne schnellen und Renards Nase brach unter lautem Knacken. Blut schoss augenblicklich hervor und er fiel wie ein gefällter Baum zu Boden. Während die Russen jetzt ihre Waffen wie Schraubenzieher und Gabeln aus den Taschen hervorholten und sich auf die Afrikaner stürzten, beugte sich der alte Bär über seinen französischen Kameraden und zog das Teppichmesser aus der Tasche.

„Au revoir, mein Freund“, flüsterte er Renard ins Ohr, „und danke für die interessanten Gespräche!“ Der Franzose blickte ihn mit ungläubig aufgerissenen Augen an und mit einer einzigen Handbewegung schlitzte ihm der alte Bär die Kehle auf. Dann führte er sich selbst das Messer an die Augenbraue über seinem rechten Auge und fügte sich einen Schnitt zu. Tief genug, dass er binnen Sekunden blutüberströmt war, aber dennoch nicht zu tief, so dass die Blutung schnell mit einem Druckverband zu stoppen wäre.

In diesem Moment ertönte auch schon die Alarmsirene und die Wachmannschaft eilte heran, angeführt von dem hageren Rabane. Die Beamten prügelten die schon blutenden Streithähne mit Gummiknüppeln nieder und zogen sie auseinander. Rabane kniete sich über die drei Opfer am Boden, nahm das Teppichmesser vom Boden und drückte es dem Mann mit der grünen Mütze in die Hand, der regungslos, mit einem Schraubenzieher im Auge steckend, da lag.

Die Lage wurde rasch vor Ort geklärt, wobei, nicht zuletzt durch die Aussage Rabanes, ersichtlich war, dass in dem Handgemenge der Franzose durch die Hand des Afrikaners getötet wurde, und dieser wiederum durch einen anderen Häftling, der nicht zu ermitteln war. Solche Zwischenfälle gab es zuweilen in dieser Strafanstalt und soweit keine Beamten zu schaden kamen, wurden sie unter den Teppich gekehrt. Es waren einfach zwei Verbrecher weniger, die somit den Geldbeutel des Steuerzahlers nicht länger belasteten und außerdem war wieder Platz für Neue.

Das Problem war nur, dass sich die Situation inzwischen weiter aufgeheizt hatte, andere Gruppen hatten sich eingemischt und die Russen hatten weitere Streitereien angezettelt. Es wurden zusätzliche Wachleute herbeigerufen und von dem Wachturm in der Mitte des Hofs fielen Warnschüsse, die die Menge im Zaume halten sollten. Die Beamten hatten alle Hände voll zu tun, um eine Eskalation zu verhindern.

Die beiden Leichen wurden vom Hof geschafft, indessen brachte Rabane den blutüberströmten Mafiachef in den Sanitätsraum, wo der Verletzte vorsorglich verarztet und darüber entschieden werden sollte, ob er weiter in ein Krankenhaus transportiert werden musste. Ein Krankenwagen sollte vorsichtshalber schon einmal angefordert werden.

Blaise Rabane nickte dem Russen kurz zu und verließ den Raum wieder.

Staryy Medved lag auf dem Krankenbett und stöhnte. Der grauhaarige Gefängnisarzt beugte sich über ihn und klebte gerade ein Pflaster über die genähte Wunde.

„Alles halb so schlimm“, beteuerte er, schob seine dicke Brille über die Nasenwurzel und schaute seinen Patienten aufmunternd an. „Nur eine kleine Schnittwunde. Aber sie haben Glück gehabt, nur einen Zentimeter tiefer und sie hätten ihr zweites Auge auch noch verloren. Bleiben sie bitte noch einen Moment liegen. Ich gebe inzwischen dem Krankenwagen wieder Entwarnung, den brauchen wir glücklicherweise nicht.“

Während der Arzt sich umdrehte, um die blutgetränkten Tupfer zu entsorgen, blickte der alte Bär sich um. Niemand sonst war in dem Raum. Warum auch? Der Arzt kam alleine mit dem vermeintlich Schwerverletzten zurecht und die Wachmannschaft wurde draußen benötigt, um die Ruhe wieder herzustellen. Die Flure waren videoüberwacht und hier drin konnte ein Patient sowieso nichts anstellen.

Außer er war auf der Flucht!

Staryy Medved sprang auf und stürzte auf den Arzt zu. Noch ehe dieser sich umdrehen konnte, hatte der Russe ihn am Kopf gepackt und diesen ruckartig zur Seite gedreht. Mit einem lauten Knacks war das Genick gebrochen. Der alte Bär tauschte mit dem Arzt die Gefängnisjacke und den Arztkittel, setzte sich dessen Brille auf und warf ihn auf das fahrbare Krankenbett. Dann schnitt er mit einer Verbandschere in die Stirn des Mediziners und verband die blutende Wunde notdürftig, so dass sein Gesicht nicht mehr zu erkennen war, wohl aber die blutdurchnässte Mullbinde.

Als Arzt verkleidet und den Blick nach unten gewendet schob er nun das Krankenbett auf den Flur. Seine Haare waren zwar etwas kürzer als die des Arztes, aber die Kleidung und die Situation, in der es vermeintlich um Leben und Tod ging, ließen die Täuschung sicherlich funktionieren. Der alte Bär kannte natürlich die Pläne des Gefängnisses genau und wusste, ohne sich großartig orientieren zu müssen, welchen Weg er zum Hinterausgang einschlagen musste. Dort würde nun hoffentlich auch der Krankenwagen bereitstehen.

Am Ende des Korridors versperrte ihm eine verschlossene Gittertüre den Weg, die von einem rundlichen Wachmann gesichert wurde.

„Schnell, machen sie auf!“, rief der alte Bär in scharfem Befehlston schon von Weitem. Ohne den Kopf zu heben zeigte er auf den blutenden Verletzten. „Und kommen sie als Begleitschutz mit. Dieser Mann hier muss sofort ins Krankenhaus. Ist der Krankenwagen da? Sorgen sie dafür, dass wir freien Durchgang haben!“

„Jawohl, Docteur! Sofort.“ Der Wachmann sprang auf und öffnete das Gitter. Dann sprach er in sein Funkgerät, um seine Kollegen zu informieren. Nachdem der falsche Arzt an ihm vorbei war, verriegelte er die Tür wieder und hechelte hinterher.

So erreichten sie nach zwei weiteren Türen, die ihnen unaufgefordert geöffnet wurden, den Hintereingang des Gefängnisses. Auch die Ankunft des Rettungswagens wurde dem alten Bären schon vorab mitgeteilt.

Als sich die Hecktüren des Sanitätsfahrzeugs öffneten, blickte er erleichtert in zwei bekannte Gesichter, seine Männer hatten also den Wagen in ihre Gewalt gebracht und konnten ihren Chef nun unerkannt mitnehmen.

„Ich fahre zur Sicherheit mit“, rief der falsche Arzt dem Wachmann zu. „Geben sie drinnen Bescheid. Ich bin spätestens in einer Stunde zurück.“

Die angeforderten Polizeibeamten, die den Krankenwagen zu begleiten hatten standen neben dem Fahrzeug. Während einer der beiden zu seinem Streifenwagen zurückkehrte, kletterte der andere in den Rettungswagen. Die falschen Sanitäter luden den toten Arzt in den Wagen und während einer als Fahrer nach vorne ging, stieg der andere mit Staryy Medved hinten ein.

Der Krankenwagen verließ mit Blaulicht das Gefängnisgelände, gefolgt von dem Polizeifahrzeug. Während sich der russische Gefolgsmann am Steuer in halsbrecherischer Fahrt durch den Verkehr schlängelte, wunderte sich der Polizeibeamte im hinteren Teil des Fahrzeugs, warum sich niemand um den Verletzten kümmerte.

„Unternehmen sie doch etwas!“, rief er. „Der regt sich ja gar nicht mehr!“

„Das liegt wahrscheinlich daran, dass er tot ist!“, gab der alte Bär zurück und grinste. Er schaute den verdutzten Polizisten mitleidig an, während ihm der andere Russe von hinten die Kehle durchschnitt.

Jetzt galt es nur noch den Polizeiwagen abzuschütteln, der ihnen problemlos in einigen Metern Abstand folgte. Das nächstgelegene Krankenhaus war das Hôpital Pitié-Salpêtrière, doch sie waren in entgegengesetzter Richtung unterwegs. Der Polizist wunderte sich sicherlich schon darüber, es galt also schnell zu handeln.

Staryy Medved gab seinen Männern ein Zeichen und der Fahrer hielt kurzerhand am Straßenrand an. Auch das Polizeiauto hinter ihm stoppte mit quietschenden Reifen. Der zweite Sanitäter sprang hinten aus dem Rettungswagen, ging schnellen Schrittes zu dem Streifenwagen und signalisierte dem Polizisten die Scheibe herunterzulassen. Noch ehe der Beamte nach dem Grund des Haltens fragen konnte, hatte er eine Kugel im Kopf. Der Russe sprang wieder in den Krankenwagen und die Fahrt wurde ohne Blaulicht fortgesetzt.

In einem nahegelegenen Parkhaus wartete bereits ein schwarzer Mercedes auf sie. Sie ließen den Rettungswagen mit den beiden Leichen stehen, der russische Mafiachef wechselte seine Kleidung und sie fuhren mit der dunklen Limousine davon.

Der alte Bär war auf dem Weg nach Berlin!

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