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Epilog
ОглавлениеBerlin, Sonntag, 8. Oktober, 9.00 Uhr
Nicki Bischoff war jetzt im zweiten Jahr bei der Berliner Kriminalpolizei, immer noch ein Frischling in den Augen ihrer Kollegen. Zwar war inzwischen ein Großteil der Kollegschaft weiblich, aber dennoch war das Durchschnittsalter weit über ihrem und so sahen die anderen Kripobeamten durchaus ein wenig auf sie herab. Zudem war sie klein und zierlich und hatte ein sehr jugendliches Aussehen. Nicht selten wurde sie beim Besuch diverser Bars und Diskotheken nach ihrem Ausweis gefragt, und es war sogar schon zweimal vorgekommen, dass sie ihren Dienstausweis zückte, da der Türsteher sie beschuldigt hatte, falsche Ausweispapiere zu besitzen. Insofern war Nicki bereits so manchen abschätzigen Blick gewohnt und machte sich nichts weiter daraus.
Dass sie überhaupt in den Polizeidienst gekommen war und dann auch noch hier zur Kripo Berlin, hatte sie einzig und allein den Beziehungen ihres Vaters zu verdanken, ein Senatsmitglied und alter Freund des Polizeipräsidenten. Dessen war sie sich durchaus bewusst. Ihre theoretischen Ergebnisse im Laufe ihrer Polizeiausbildung waren zwar ganz in Ordnung, ihre körperliche Durchsetzungskraft ließ aber zu wünschen übrig. Aber sie arbeitete weiter daran. Die Arbeit machte ihr größtenteils Spaß, nur mit der Hierarchie des Polizeiapparates hatte sie ihre Probleme. Und die Wichtigtuerei so mancher Vorgesetzten fand sie schlicht lächerlich.
Gemeinsam mit ihrem älteren Kollegen Hermann, bei dem sie bis heute nicht genau wusste, ob das sein Vor- oder Nachname war, hatte sie schon den ein oder anderen gefährlichen Einsatz überstanden, die meiste Zeit aber verbrachte sie dennoch am Schreibtisch mit Recherchen und Berichten. Das konnte sie auch am besten. Hermann war zwar etwas altbacken für ihren Geschmack, aber er war okay und sie kamen gut miteinander klar. Er hatte reichlich Erfahrung in dem Job und sie konnte viel von ihm lernen.
Zwar gab es keine wirklich geregelten Arbeitszeiten und regelmäßige Wochenendschichten gehörten dazu, trotzdem war die Einsatzbesprechung, zu der die Beiden heute gerufen wurden, ungewöhnlich.
Ihr Vorgesetzter, Kriminaloberrat Heinrich Geyer, hatte sie an diesem Sonntagmorgen ins Büro beordert. Zu ihrer Überraschung waren sie aber die Einzigen und die Besprechung fand nur zu Dritt statt. Bei sonstigen Einsatzbesprechungen, vor allem, wenn sie so kurzfristig einberufen wurden, war meist die ganze Abteilung dabei. Es kam auch gelegentlich vor, dass eine Sondereinsatzgruppe zusammengestellt wurde, in der es in der Regel fünf Zweierteams gab. Aber nichts dergleichen war heute zu erkennen.
Ihr Chef wartete an der Türe, blickte sich zu beiden Seiten des Flurs geheimnisvoll um und schloss die Tür hinter ihnen.
„Hermann, Fräulein Bischoff“, sprach er sie an und blickte beiden bestimmt in die Augen, so dass sein faltenreiches Gesicht noch faltiger erschien. „Ich weiß, ein Briefing in einem so kleinen Kreis ist ungewöhnlich, aber ich habe eine Spezialaufgabe für sie beide. Sie bedarf äußerster Geheimhaltung. Nichts von dem, was ich ihnen jetzt berichte, darf diesen Raum verlassen. Habe ich hierzu ihre Zustimmung?“
Was für eine Frage, dachte Nicki, war es doch ganz klar ein eindeutiger Befehl. Kurz war sie versucht, zu fragen, was passieren würde, wenn nicht, aber sie unterließ diese Bemerkung. Geyer war ohnehin nicht gut auf sie zu sprechen und ihre lockere Art und flapsigen Kommentare fand er gar nicht witzig. Außerdem störte er sich an ihrem ungewöhnlichen Make-Up, mit dem sie seiner Ansicht nach wie eine Drogenabhängige aussah. Sie genoss zwar wegen ihres Vaters ein Stück weit Narrenfreiheit, zumal sie auch gute Arbeit leistete, aber sie wollte den Bogen doch nicht überspannen.
„Was kann denn so geheim sein, dass selbst unser Team nichts davon wissen soll?“, fragte Hermann und blickte ungläubig. Er war bereits seit vielen Jahren Kriminalkommissar und hatte schon so manches Seltsame und die kuriosesten Vorgesetzten erlebt, aber die Geheimniskrämerei seines Chefs kam ihm doch suspekt vor.
„Das werden sie gleich erfahren“, fuhr Geyer mit seiner nasalen Stimme fort und schaltete den Beamer auf seinem Schreibtisch an. An der Wand neben der Türe erschien daraufhin langsam das Bild eines Mannes, der wie ein freundlicher Mathematiklehrer um die fünfzig aussah. Ein kleiner Haarkranz umlief seinen Schädel und er hatte eine altmodische runde Hornbrille auf der Nase. Bekleidet war er mit einem karierten Hemd ohne Krawatte, einem roten Pullunder und einer ausgebeulten Stoffhose. Das Foto, das jetzt immer heller und deutlicher wurde, war offensichtlich auf dem Berliner Hauptbahnhof aufgenommen, Nicki erkannte ein Schnellrestaurant im Hintergrund, wo sie häufig ihren Hunger stillte.
„Das ist Wladimir Pozorsky, ein Mitglied der russischen Mafia und deren ausführender Arm, wann immer es tödlich wird“, sprach der Kriminaloberrat in unheilbringendem Flüsterton und blendete das nächste Bild ein. „Und das hier ebenfalls!“
Das zweite Foto zeigte einen scheinbar komplett anderen Menschen, Typ Banker in dreiteiligem Nadelstreifenanzug mit dunklem, militärischem Bürstenschnitt und Dreitagebart. Wieder klickte Geyer weiter und betonte, dass auch das dritte Foto den gleichen Mann zeige. Jetzt sah der Killer wie ein wohlsituierter junger Mann aus, in gepflegten Jeans und Poloshirt mit modisch gestylten, blonden Haaren. Ohne den Kommentar ihres Vorgesetzten hätten die beiden Polizisten darauf geschworen, drei verschiedene Männer gesehen zu haben.
Geyer klickte zurück zum ersten Foto und erklärte: „Pozorsky ist vor ein paar Tagen hier in Berlin eingetroffen, wo er sich derzeit aufhält, wissen wir nicht. Er ist ein Handlanger der russischen Mafia und dort, wo er auftaucht, gibt es kurze Zeit später Leichen. Er regelt alles lautlos und diskret, nicht ist ihm nachzuweisen. Meistens ist er wieder von der Bildfläche verschwunden, bevor man die Spuren seines Tuns findet.“
„Und was will er hier?“, wollte Nicki wissen.
„Genau das sollen sie beide herausfinden, und möglichst, bevor etwas passiert.“
„Habe ich das richtig verstanden?“ zweifelte Hermann immer noch an dem Auftrag. „Wir sind zwei, keiner sonst soll davon wissen, und wir sollen einen Mann ausfindig machen, der sich wie ein Chamäleon bewegt und von dem wir nur einen Namen und ein paar völlig unterschiedliche Fotos kennen?“
„Eine exakte Zusammenfassung, Hermann!“, stimmte sein Chef zu, ohne auch nur die geringsten Anzeichen dieses weiter kommentieren zu wollen.
„Und warum können wir dafür nicht mehr Leute einsetzen?“, fragte die junge Polizistin.
„Das will ich ihnen erklären, Fräulein Bischoff.“ Geyer machte sich immer wieder einen Spaß daraus, Nicki mit Fräulein anzusprechen, denn er wusste, dass sie das nicht mochte. In diesen Momenten sprach er noch mehr durch die Nase als sonst.
„Sagen wir mal, es fehlt uns an Renommee in dieser Dienststelle. Der Polizeipräsident hat letztens angedeutet, dass unsere Aufklärungsrate zu gering sei und wir mit Stellenabbau und Etatkürzungen zu rechnen haben, wenn sich das nicht bessert. Wir haben durch diese Geschichte jetzt die Chance, das zu ändern. Normalerweise ist das hier ein Fall für das Bundeskriminalamt, da es sich um eine bundesweite, ja sogar internationale Verbrecherorganisation handelt. Wir haben Glück, dass mir ein Informant gesteckt hat, dass Pozorsky ausgerechnet hier aufgetaucht ist. Ich hoffe, dass er auch etwas in Berlin plant und natürlich, dass sie ihm dabei auf die Schliche kommen, im günstigsten Fall sogar seine Pläne vereiteln können. Wir legen dann dem BKA den gelösten Fall vor und stehen gut da. Da aber ihre anderen Kollegen die Zusammenarbeit mit der Bundespolizei suchen würden, habe ich sie beide ausgesucht. Hermann, sie sind mein erfahrenster und loyalster Beamter, ich zähle auf sie. Und Bischoff, sie können jetzt einmal beweisen, dass sie mehr drauf haben, als Kaugummikauen und Computerspielen.“
Wirklich glücklich waren die beiden Polizisten nicht über ihren Spezialauftrag, aber welche Wahl hatten sie schon.
„Sie berichten direkt an mich oder an Frau Ripper, sie ist als Einzige in unsere Aktion eingeweiht“, fuhr Geyer fort mit Hinweis auf seine direkte Assistentin, eine willensstarke Kollegin kurz vor dem Rentenalter, die Selbstbewusstsein zuweilen mit Sturheit verwechselte. An guten Tagen konnte sie durchaus kooperativ sein, offene Kommunikation war allerdings nicht ihre Stärke.
„Ich möchte jeden Tag über ihre Fortschritte informiert werden. Finden sie diesen Pozorsky und stellen sie fest, was er vorhat. Dann schnappen sie ihn, am besten in dem Moment, wo er zuschlagen will.“
Der Polizeichef reichte den beiden einen Umschlag mit weiteren Informationen und schickte sie an die Arbeit. Um noch einmal die Geheimhaltung zu unterstreichen, legte er dramatisch den Zeigefinger auf seinen Mund.
„Und kommen sie erst wieder hierher, wenn sie etwas haben!“
Nicki und Hermann verließen den Besprechungsraum und schauten sich verwundert, ja fast verärgert an. Der ältere Polizist signalisierte seiner jungen Kollegin ihm zu folgen und sie gingen zunächst in die Kantine, die um diese Zeit kaum besucht war. Sie nahmen sich einen Kaffee und verkrochen sich in eine ungestörte Ecke.
„Was hältst du davon?“, fragte er skeptisch.
„Sag du es mir! Du bist doch der Mann mit Erfahrung!“ Nicki äffte ihren Vorgesetzten nach. „Ich kann nur Kaugummi kauen!“
„Lass dich von dem doch nicht ärgern. Der hat doch selbst den größten Vogel! Nichtsdestotrotz haben wir einen Job zu erledigen. Kann uns doch egal sein, ob er sich damit profilieren will. Das geht sowieso in die Hose und wir folgen nur seinen Anweisungen.“
„Na, ein bisschen Ruhm und Ehre könnten wir auch gebrauchen. Er kann ja nachher nicht behaupten, er hätte alles im Alleingang gelöst.“
„Noch haben wir nichts gelöst. Ich bezweifele auch, dass wir das überhaupt schaffen können. Zu zweit sind wir doch machtlos.“
„Unterschätze uns nicht, Hermann! Wir sind doch ein gutes Team!“ Nicki war voller Tatendrang. „Also, wo fangen wir an?“
Ein wenig wurde Hermann schon von Nickis Euphorie mitgerissen. Er überlegte kurz, dann sagte er: „Ich schlage vor, wir schauen erst einmal, wo unsere russischen Freunde gewöhnlich auftauchen und rumlaufen. Das kannst du von hier aus machen, ich befrage mal unsere Spitzel in dem Umfeld, ob die etwas mitbekommen haben. Dann schauen wir mal vor Ort, ob wir was finden. Wenn er mit der Bahn gekommen ist, hat er wahrscheinlich ein Taxi genommen, das müssen wir finden. Wir haben ein Foto von Pozorsky an dem Tag seiner Ankunft. Das müsste doch machbar sein.“
Hermann nickte Nicki ermunternd zu und leerte seinen Becher. „Also los, trink deinen Kaffee aus und setz dich an den Computer. Wir treffen uns in zwei Stunden am Hauptbahnhof am Taxistand.“
Nicki warf ihren halbvollen Kaffeebecher in den Müll, warf sich einen rosa Kaugummi ein und marschierte los in Richtung Treppenhaus. Hermann nahm den Aufzug Richtung Tiefgarage.
Sie hatten einen Job zu erledigen.