Читать книгу Gedemütigt Gequält Geschlagen - Die verzweifelte Suche nach meinem inneren Ich - Wolfram Alois Bader - Страница 10

5. Meine Großeltern…

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ich meine damit meine Großeltern mütterlicherseits, waren die tollsten Menschen, die ich mir vorstellen kann. Sie wurden nach dem Krieg 1945 durch die Benes-Dekrete ohne jegliches Hab und Gut aus dem Sudetenland vertrieben. Sie hatten zur damaligen Zeit bereits 4 Kinder, ein weiteres war unterwegs. Denen sollten nochmals drei folgen, insgesamt also 8. Als sie in Deutschland ankamen wurden sie in einem kleinen Dorf nördlich von München im alten Schulhaus einquartiert. Einige Monate später erfolgte der Umzug auf die sogenannte Burg, einem Backsteinbau, in dem zur Nazi-Zeit eine Medikamentenfabrik untergebracht war. Zusätzlich nahmen sie noch zwei Kinder auf, deren Eltern wohl in den Kriegswirren umgekommen waren. Meine Großeltern arbeiteten jeden Tag, nachdem die Kinder versorgt waren, bei den ortsansässigen Bauern. In der Hallertau gab es fast ganzjährig viel Arbeit mit dem Hopfen. Laut meinen Großeltern reichte das Geld oftmals nicht, doch sie konnten im Dorf in beiden Kramerläden anschreiben lassen, weil sie verlässlich ihre Schulden bezahlten. Ich merkte immer, wenn ich mit meinen Großeltern durchs Dorf ging, dass sie, obwohl sie arme und zugezogene Leute waren, bei den einheimischen Bauern sehr beliebt waren und großes Ansehen genossen. Man blieb gerne auf einen freundlichen Ratsch stehen und beauftragte meinen Opa gerne mit Aufgaben wie Wände streichen, Mauern hochziehen oder Gartenarbeiten. Solange er es körperlich konnte, kassierte mein Opa in dem kleinen Dorf und den umliegenden Nachbardörfern die Mitgliedsbeiträge für die SPD und sammelte die Spenden für den VdK ein. Ich erinnere mich noch heute an seine dunkelbraune Kunstledermappe mit dem Reißverschluss, in der er oftmals Tausende von Mark verwahrte, bis er sie auf Heller und Pfennig, auf seinem kleinen Block genau abgerechnet, abgab.

Im Laufe der Jahre kamen insgesamt 13 Enkelkinder zur Welt und alle waren immer gern gesehen. Nicht nur meine Mutter, sondern auch teilweise deren Geschwister gaben ihre Kinder gerne in die Obhut meiner Großeltern, wenn Not am Mann war.

Ich bildete eine Ausnahme, da ich ja die ersten zweieinhalb Lebensjahre vollständig bei meinen Großeltern war. Das hatte auch große Nachteile für mich: Ich war die Woche über alleine mit meinen Großeltern und hatte keine anderen Kinder um mich. Dadurch habe ich mit Sicherheit schlechter gelernt, soziale Kontakte zu knüpfen als Geschwister. Leider kam ich später, ich möchte fast schon sagen „natürlich im Gegensatz zu meinem Stiefbruder“, nicht in den Genuss eines Kindergartens. Auch wurde ich bei meinen Großeltern geistig nicht gefordert (z. B. durch Spiele aller Art), wie es wünschenswert gewesen wäre. Vielleicht ist das ein Grund, dass ich der Meinung bin, mich schlechter und nicht so lange auf Dinge konzentrieren zu können wie andere. Ich bewundere Menschen geradezu, die sich lange und konsequent z. B. einem Studium in Jura oder Medizin widmen konnten und können.

Meine Großeltern waren aber jederzeit für mich da. Nachdem ich zuhause wahrlich kein angenehmes Leben hatte, „flüchtete“ ich jede Ferien zu meinen Großeltern. Ich durfte mit aufs Feld zum Arbeiten, wir besuchten mal eines der umliegenden Volksfeste, Opa kaufte mir Fußbälle und andere Dinge, die ich gerne wollte, natürlich so wie der Geldbeutel es zuließ. Ich erinnere mich, dass mein Opa mit mir mal in den fünf Kilometer entfernten größeren Ort ging, weil ich einen neuen Fußball wollte. Wir gingen in den großen Gemischtwarenladen, in dem es einfach alles gab. Ich wollte gerne einen Lederball und die alte Ladenbesitzerin sagte: „Bub, nimm so einen aus Plastik. Mit dem kannst du auch gut schießen und der ist für den Opa nicht so teuer.“ Wir nahmen den Plastikball und ich hatte damit denselben Spaß wie mit einem Lederball. Wenn wir am Ende eines Wochenendbesuchs wieder nach München fuhren, steckte mir Opa meistens 2 DM, später öfter 5 DM zu.

Ich lernte auf natürlichste Weise den Umgang mit Tieren. Es gab einen Schäferhund, mit dem ich schon als kleiner Junge allein spazieren gehen konnte. Er war gut erzogen und hätte mir nie etwas getan (kein so ein Psychohund, wie sie heutzutage zuhauf in der Stadt rumlaufen und keifen). Es gab auch immer eine Katze, Oma liebte Katzen. Das größte Highlight war für mich immer, wenn ich in der Früh aufgestanden bin und Opa zu mir sagte, ich solle mit raus in den Garten kommen, er habe eine Überraschung für mich. Einmal im Jahr besorgte mein Opa Hühner- und Entenküken und ich habe mich so gefreut, die kleinen auf die Hand nehmen zu können. Zum Umgang mit Tieren gehörte auch das Schlachten von zwei Schweinen vor Weihnachten. Mein Opa bestellte diese immer im Sommer beim Bauern im Dorf und Anfang Dezember an einem Samstagmorgen wurden sie geliefert. Der ortsansässige Metzger erschoss die Schweine fachmännisch mit dem Bolzenschussaparat und dann musste es schnell gehen. Meine Oma wartete schon mit einem großen Topf und einem Kochlöffel, bis der Metzger die Kehlen der Schweine aufschnitt und meine Oma das Blut rührte, damit es nicht stockte. Ich bekam die ganze Prozedur des Schlachtens mit, Entborsten im Sautrog mit Pech und heißem Wasser (ich rieche heute noch den Geruch des Pechs), Ausnehmen der Schweine, Teilen in Schweinehälften, Herausschneiden der Fleischstücke, Waschen der Därme für die Würste, Kochen des Fleisches im Sudkessel in der Waschküche. Ein Genuss war für mich immer das mittägliche Kesselfleischessen mit Salz, Zwiebeln und frischem Brot. So lernte ich einen würdevollen Umgang mit Tieren. Tiere werden nicht gequält, geschlagen oder irgendwie sonst schlecht behandelt. Tiere werden geliebt und sie dienen dem Menschen, auch als Nahrung. Für mich können das nur Tiere sein, die ihr Leben lang gut behandelt wurden. Ich bin dankbar, den Umgang mit Tieren so gelernt zu haben. Mir tun die ganzen Vegetarier und Veganer ewig leid mit ihrer Denke, dass man Tiere aus verschiedensten Gründen, z. B. dem hohen Wasserverbrauch nicht essen dürfe. Hat schon mal jemand ausgerechnet, wie viel Wasser es benötigt, um ein Kilo Kartoffeln, Tomaten oder Gurken zu erwirtschaften. Von den Energiekosten will ich gar nicht reden.

Vor jeder Heimfahrt nach München versteckte ich mich im ersten Stock in einem der Schlafzimmer zwischen Kleiderschrank und Dachschräge, um nicht mitfahren zu müssen, gab das Verstecken aber wegen der Angst vor irgendwelchen Bestrafungen durch meine Mutter schnell auf und setzte mich ins Auto.

Später waren mir meine Großeltern, insbesondere mein Opa, immer verständnisvolle Gesprächspartner und Ratgeber. Egal, ob es Probleme daheim gab, in der Pubertät oder als ich gerne ein Handwerk lernen wollte und einen konkreten Plan hatte – meine Großeltern standen mir immer liebevoll zur Seite.

Für mich war es ein schwerer Schlag, als mein Opa nach sechswöchiger Krebserkrankung im März 1986 starb. Er fiel daheim plötzlich in ein Koma, wurde dann ins nächste Bezirkskrankenhaus und später in eine Klinik in München gebracht, wo er schließlich starb.

Meine Oma starb erst im Oktober 2013 im Alter von 96 Jahren. Anne und ich wollten sie im Januar 2014 in ihrem Seniorenheim besuchen. Als ich an der Pforte zur Pflegestation sagte, dass ich gerne Frau Jaspers besuchen wolle, antwortete mir dir Pflegerin, dass sie bereits im Oktober vorigen Jahres gestorben war. Ich war aufgeregt und wollte so schnell wie möglich zum Grab meiner Großeltern. Meine Gefühle waren zum einen tiefe Trauer und Traurigkeit und zum anderen, nachdem ich den ersten Schock überstanden hatte, eine unbändige Wut auf meine Tante, weil sie mich nicht über den Tod meiner Oma informierte. Wir fuhren sofort zum Friedhof nach Niederlauterbach, wo ich von ihrem Sterbekreuz wenigstens noch das Sterbebild als Erinnerung mitnehmen konnte. Meine Tante, dieses elendige Miststück hielt es nicht einmal für nötig, Bescheid zu geben, dass meine Oma gestorben war, obwohl ich meine Telefonnummer in der Pflegeakte meiner Oma hinterlassen hatte. Sie wurde mir, wie schon mein Opa, schlagartig entrissen, ohne dass ich so hätte Abschied nehmen können, wie ich das gern getan hätte. Meine Tante Lotte soll für ihr Verhalten in der Hölle schmoren. Die letzten Jahre verbrachte meine Oma in einem schönen Seniorenheim. Davor lebte sie alleine im Haus, das meine Großeltern nach dem Krieg gebaut hatten. Zum einen wurde sie von meiner Tante Lotte, ihrem verblödeten Mann Bernhard und meiner ebenso verblödeten Cousine Anne drangsaliert und zum anderen fühlte sie sich einsam, weil sie von ihren Kindern und Enkelkindern nicht mehr so häufig besucht wurde wie früher. Der Mohr hatte eben seine Schuldigkeit getan und war nicht mehr wichtig! Was für eine miese Saubande, meine Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen! Sie wurde mit der Zeit alkoholabhängig und wurde mehrmals sturtzbetrunken im Dorf aufgefunden und nach Hause gebracht. Für sie war es meiner Meinung nach das Beste, dass sie in das Seniorenheim kam, insbesondere weil sie auch noch dement wurde. Was ich sehr, sehr an meiner Oma bewundere und für mich ein leuchtendes Vorbild darstellt, ist, dass sie Zeit ihres Lebens – und das war wahrlich nicht immer einfach mit zwei erlebten Weltkriegen, Heimatvertreibung aus dem Sudetenland, Geld- und Existenzsorgen, 8 Kindern, zwei angenommenen Kindern und 13 Enkelkindern – immer fröhlich und nach vorne blickend war und immer eine positive Ausstrahlung hatte. Ich bin der festen Überzeugung, dass dies maßgeblich für ihr langes Leben war. Wie sagte schon Voltaire: „Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein.“

Meine Stiefgroßeltern, Werner und Edelgard Hauser, in Leipzig waren auch immer sehr liebevoll, wenn wir sie in Leipzig besuchten. Ich erinnere mich noch, dass mein Stiefgroßvater mit mir und meinen Stiefbruder bei jedem Besuch eine Runde auf seinem Moped drehte und mit uns viel Karten spielte. Meine Stiefgroßmutter brachte meinen Stiefvater unehelich mit in die Ehe, aus der noch mein Stiefonkel Bernhard und meine Stieftante Ingeborg hervorgingen. Mein Eindruck war, dass es bei denen bei weitem nicht so locker zuging, wie bei meinen Großeltern mütterlicherseits. Ich traue mir sogar zu behaupten, dass der Stiefgroßvater sehr streng war, insbesondere zu meinem Stiefvater, der ihm förmlich bei jedem Besuch in den Hintern kroch.

Als meine Stiefgroßmutter starb, war mein Stiefgroßvater zweimal auf Besuch bei uns. Einmal fuhr er sogar mit in den jährlichen Urlaub nach Österreich. Auf Grund des Todes meiner Stiefgroßmutter und eines danach erlittenen Schlaganfalls war er verbittert und zurückgezogen. Er wurde regelrecht zu einem unausstehlichen Menschen, der alle um sich herum bis zu seinem Tod drangsalierte.

Zwischen meinem Stiefvater, dem Arschloch, und seiner Stiefschwester Ingeborg kam es dann auch noch zu einem heftigen Streit, nachdem er ihr vorgeworfen hatte, sich nicht richtig um meinen Stiefgroßvater zu kümmern. Ich glaube, dass sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten sehr um ihn gekümmert hat, aber dass es sehr schwierig mit dem alten Mann war. Mein Stiefvater saß ja gemütlich in seinem Komfort-Wohnzimmersessel in München und konnte leicht dumme Sprüche ablassen und Forderungen stellen.

Gedemütigt Gequält Geschlagen - Die verzweifelte Suche nach meinem inneren Ich

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