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Der zweite Traum
ОглавлениеEin Fußballstadion, brechend voll, müssen -zigtausende sein, vielleicht das Nordderby, ja, Werder gegen HSV, trockene Luft, was mach ich denn hier mitten auf dem Spielfeld, ich kann doch gar nicht Fußball spielen, muß ein Irrtum sein, hoffentlich merkt das keiner, muß mich gleich vom Trainer auswechseln lassen, wohin gehen, bloß nicht im Weg stehen? Spannungsgeladene Atmosphäre, Sprachgewirr, verstehe kein Wort, neben mir die Mannschaftskameraden, gegenüber die anderen, au Backe, gleich gehts wohl los, da ist der Trainer, schnell hin, muß mir die Blamage ersparen vor aller Augen:
„He, ich glaub ich bin überhaupt nicht in Form, laß mich besser nicht spielen, das wird bei mir heut nix.“
„Was ist mit deiner preußischen Pflichterfüllung? Erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Spiele dein Spiel und achte nicht auf das Ergebnis, das liegt sowieso nicht in deiner Hand.“
„Jaja, aber manchmal ist Zuschauen eben besser als Mitmachen.“
„Nicht für uns. Spielen ist aktiv, Zuschauen passiv, und wir wollen unsere Chancen nutzen.“
„Dann möchte ich meinen Kameraden auf der Reservebank nicht deren Chancen stehlen, wenn sie statt meiner ...“
„Edel gedacht, hilfreich und gut, doch selbst ist der Mann.“
„Und wenn wir nun wegen mir verlieren?“
„Höre nicht auf dich! Kultiviere deine Tugenden, das ist viel wirkungsvoller als über deine schwachen Seiten zu resümieren. Und nun geh einfach mit mit der Mannschaft, dazu seid Ihr ja ein Team, denke nicht an deinen persönlichen Schaden oder Nutzen, du bist hier nicht wichtig. Nicht denken, handeln, dann wird dich das Resultat auch nicht belasten: dabei sein ist alles.“
„OK, hast mich fast überzeugt, vielleicht versuch ichs tatsächlich mal, kann ja auch ganz lustig werden.“
„Lustig? Ist Karneval oder was? Anstrengen mußt du dich schon ein bißchen dabei, per aspera ad astram, mein Lieber! Immer schön locker bleiben, ja, aber beständig sein. Es braucht Disziplin, Entschlossenheit, Hingabe, der Rest ergibt sich dann von selbst.“
„Das hört sich aber schon sehr schwierig an! Vielleicht bleib ich doch lieber zu Hause ...?“
„Es gibt kein Zurück. Leben ist wie Schwimmen, wer sich nicht bewegt, geht unter. Dafür hast du die einmalige Gelegenheit, etwas aus dir zu machen. Das ist nicht jedem vergönnt. Sei dankbar. Nun überwinde dein kleines Inneres und flieg wie ein Vogel mit dem Schwarm, es hat noch keiner bereut.“
„Hmmm, na gut, wenns denn sein muß, aber ich bin halt kein guter Spieler ...“
„Übung macht den Meister, fang man gleich an. Wenn du dein Ziel in weiter Ferne als Berg siehst, wird er dir unerreichbar erscheinen, und du läßt den Mut sinken, aber gehst du erst einmal los, Schritt für Schritt, gemäß dem dir eigenen Tempo, wird es dir sehr leicht vorkommen, und plötzlich blickst du umher und siehst, wie weit du schon gekommen bist, ganz wie von selbst. Handeln, nicht denken!“
„Warum, ist Intelligenz nicht wichtig? Das ist mir neu.“
„Intelligenz allein reicht nicht, die brauchst du eigentlich nur zum Sudoku-lösen, ansonsten ist sie eher ein schlechter Ratgeber. Das menschliche Wissen ist tendenziell relativ, allegorisch sozusagen, es kann dir auch im Wege stehen, wenn der Intellekt die Zügel in die Hand nimmt und alles entscheiden möchte, wovon er eigentlich nichts versteht – und dann fängt er an zu zweifeln, und sein Herr, zu verzweifeln. Dir fehlt noch das unbedingte Vertrauen, in dich selbst und in das große Spiel, von dem du Teil bist. Und das ist keine Frage des Intellekts, wenngleich eine solche der Intelligenz, ja, insoweit schon. Also lerne, deine Aufgabe vorbehaltlos zu akzeptieren, und löse sie, basta.“
„Und wenn sie mir nicht gefällt?“
„Wer hat dich denn um deine Meinung gefragt? Du willst deine Rolle beurteilen, obwohl du keinen blassen Schimmer von ihren tieferen Zusammenhängen hast? Wenn dein Chef dir sagt, geh hierhin oder dorthin, machst dus doch auch sofort? Oder wenn du frisch verliebt bist und deine Angebetete möchte dieses oder jenes, springst du dann nicht gleich herzu und bringst es ihr, egal was du selbst von dem Objekt ihres Wunsches halten magst? Das ist die richtige Einstellung! Also fang jetzt bloß nicht an herumzumäkeln: es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Sei klug. Das Geschehen zu akzeptieren heißt, die Wahrheit zu bekennen, denn was passiert ist ungleich wahrer als das, was du dir wünscht. Die Wahrheit zu bekennen heißt, im Einklang zu sein mit dem Rest der Schöpfung. Im Einklang mit etwas zu sein heißt, sich gegenseitig zu lieben. Und diese Liebe führt zum Urheber des Ganzen.“
„Also gibt es deiner Meinung nach ein solches höheres Wesen – ich dachte, das wären alles nur Naturgesetze?“
„Tatsächlich! Du willst mir glauben machen, daß es keine erste Ursache von allem gibt? Keine letzte Wirkung? Keine sich entfaltende und wieder zusammenrollende Zeit dazwischen? Keine intelligente Kraft, die sich Tag für Tag in der Schöpfung manifestiert?“
„Ich bin mir nicht sicher.“
„Eben. Das genau ist der springende Punkt. Es kommt drauf an, was man draus macht. Blind herumstolpern oder vertrauensvoll nach vorne schauen in Gleichmut und Hingebung. Nicht ich, sondern Nicht-ich. Kein Hedonismus, sondern Stoa. Entsagen ja, aber nicht des Säens, sondern des Erntenwollens. Leben, um zu bezeugen, nicht, um zu bewerten. Wenn du nach oben willst, mußt du ständig an das Oben denken. Funktioniert mit Garantie. Und dann darfst du erleben, wie unbeschreiblich schön die Verbindung von Ursache und Wirkung im Menschen ist.“
„Sehr interessant. Das mußt du mir jetzt bitteschön noch etwas näher erklären.“
„Junger Mann, wisse, daß zu viele Begriffe und Definitionen dich auch vom Kurs abbringen können. Die letzten Fragen können ohnehin nicht adäquat mit Worten beantwortet werden. Daher, wenn du etwas wirklich verstehen möchtest, ist es gar nicht gut, eine Meinung dazu zu haben. Schau auf die Erscheinungen, sie seien dir ein Gleichnis. Überall, sogar in dir selbst. Vielleicht entschlüsselst du dann das Geheimnis eines Tages selber.“
„Wie soll das gehen? Was soll ich tun?“
„Oh, der Herr wird neugierig. Demnächst dann mehr, bitteschön. Aber jetzt erst mal ran an den Feind. Das Spiel beginnt. Ab mit dir. Los!“
Ui, da kommt der Ball ... wie krieg ich meinen Fuß da hin ... oder mit dem Kopf? ... Achtung!