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Freiheit in Ketten
ОглавлениеEs waren einmal zwei Kettenhunde. Es ging ihnen eigentlich sehr gut, sie hatten einen ruhigen Alltag, satt zu essen, eine Hütte über dem Haupt, und ab zu ging es mit dem Schloßherrn auf ein Runde ums Anwesen, um nach dem Rechten zu schauen. Trotzdem waren sie mit der Zeit etwas mürrisch geworden ob ihrer eingeschränkten Bewegungsfreiheit und klagten über ihre Kette:
„Wozu? Können wir denn nicht selbst am besten auf uns aufpassen? Und auf die anderen? Was ist mit der Würde des Hundes? Wie sieht denn das aus?“
Und so maulten sie in einem fort, bis es natürlich auch dem Schloßherrn zu Ohren kam, der sich davon aber keineswes beeindrucken ließ.
„Jedes Ding gehört an seinen Platz,“
pflegte er zu sagen,
„das Holz in den Kamin, die Flamme obendrauf, und die Wachhunde an die Tür, mit ihrem festgelegten Aktionsradius.“
Doch begab es sich eines Tages, daß die beiden barschen Rüden aufwachten und siehe da: die Kette war ihnen abgenommen. Erst konnten sie es gar nicht fassen und guckten viermal in alle Richtungen, dann sprangen sie herum und freuten sich wie die Kinder beim ersten Schneefall im neuen Winter. Nach der ersten zirkusreifen Akrobatik in der neugewonnenen Freiheit schauten sie sich an:
„Was jetzt?“
fragte der Jüngere -
„Na was schon“,
sagte der Ältere,
„nun können wir endlich tun und lassen, was wir wollen! Aufstehen, hinlegen, essen, schlafen, weggehen, wiederkommen, und anbellen, wer uns nicht gefällt! Und wehe dem, der jetzt noch hinterm Zaune über uns lacht, diesmal sind wir nicht angeleint! Haha hahaha!“
Und da sie beide recht groß und kräftig waren, fingen sie an, erst ihre nähere und nach und nach auch weitere Umgebung in Angst und Schrecken zu versetzen und den anderen Tieren Beschränkungen aufzuerlegen, die sie selber nie gekannt hatten. Dem Schloßherrn blieb auch dies nicht verborgen, denn er war es ja, der sie ihrem Wunsche entsprechend vom Eisen befreit hatte, um sie auf die Probe zu stellen. Und so ließ er sie alsbald zu sich kommen und ermahnte sie, sich ihrer neuen Verantwortung gemäß entsprechend gebührlich zu verhalten und den anderen dieselbe Fürsorge angedeihen zu lassen, wie sie sie auch von ihm immer erhalten hätten. Sie gelobten Besserung, kaum waren sie jedoch wieder draußen, ging das wilde Gehetze von vorne los. Der Schloßherr ließ sie eine weitere Weile gewähren, um zu sehen, ob sie von selbst wieder zur Vernunft kommen oder es immer doller treiben wollten. Aber es wurde immer schlimmer, der Machtausübung kann kaum jemand widerstehen, und wenn es zu seinem eigenen Schaden ist. Freunde hatten sie nun nicht mehr, nur noch gebeutelte Untertanen, und bald fingen sie an, die anderen Tiere gegeneinander anzustacheln, sich gegenseitig bei ihnen anzuschwärzen, wer etwa gegen sie intrigieren würde. Die Tiere beschwerten sich natürlich erneut beim Schloßherrn, und dieser rief die beiden Missetäter daraufhin abermals zu sich.
„Ich habe euch Zeit und Gelegenheit gegeben, euch zu betragen, doch ihr habt mein Vertrauen enttäuscht. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als euch wieder an die Kette zu legen, damit wieder Ruhe und Frieden einkehren.“
Der ältere Hund ließ den Kopf hängen und sagte:
„Ja, wir haben über die Stränge geschlagen, das war nicht recht. Ich bereue und akzeptiere.“
Der jüngere jedoch zeigte sich rebellisch:
„Wieso? Du hast selbst gesagt, alles gehört an seinen Platz, und wir als die Stärksten stehen nun mal ganz oben. Einer muß der Chef sein, und die anderen tanzen hinterdrein, ich kann darin keine Verfehlung erkennen.“
Da erhob sich der Schloßherr und sagte bestimmt:
„Wollte ich nur an mich denken, so wärt ihr alle längst verhungert. Handlungsfreiheit ist Verantwortung, der ihr nicht gerecht geworden seid, denn ihr habt nur an euer Vergnügen gedacht, nicht an das Wohlergehen aller. Zurück an die Hütte!“
Und so fanden sie sich bald wieder an ihrem Ausgangspunkt, mit einer kürzeren Kette als zuvor, sehr zum Spott ihrer ehemaligen Untertanen. Der ältere Hund aber, da er sich einsichtig gezeigt hatte, durfte am Wochenende die Kette wieder ablegen und wie vordem frei herumschweifen. Und siehe da, diesesmal benahm er sich fromm wie ein Lamm, besuchte die anderen Tiere ergeben und gewann nach und ihre Zuneigung zurück. Der andere kläffte nur beleidigt hinterdrein, betitelte jenen als Verräter, und ließ niemanden in seine eigene Nähe kommen, wobei allerdings auch gar keiner mehr da war, der sich auf ein Schwätzchen mit ihm hätte einlassen wollen. So ging es eine Weile, bis der Schloßherr dem Älteren eines Tages anbot, ihn erneut ganz von der Kette zu nehmen. Doch lehnte dieser ab:
„Dann verliere ich jede Nähe zum Jüngeren, so aber, teils gekettet wie er und teils frei, kann ich vielleicht als Vorbild auf ihn wirken.“
Der Schloßherr lächelte ob dieser Weisheit und ging zufrieden in sein Schloß zurück.
Die beiden Wachhunde aber behielten noch lange ihren Posten, und, soweit wir vernommen haben, fing der Jüngere an, dem Älteren bei seinen Ausflügen erst mißgünstig und neidvoll, dann sehnsüchtig und ihn insgeheim bewundernd hinterdreinzuschauen, und wer weiß, ob er sich die Lektion nicht eines schönen Tages doch noch zu Herzen genommen und seine Freiheit wiedergewonnen hat, nicht die zur Verantwortungslosigkeit, sondern die wahre, nämlich frei zu sein von den Verlockungen der Welt, um hier in Demut die einem daselbst zugedachte Rolle auszufüllen.