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Der erste Nachmittag

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Mann, jetzt hauts mich aber um, früher warn die alle immer so brav mit Weihnachtsgeschichte und so, und jetzt das, schierer Angriff auf die bare Vernunft. Wortverdreher. Naja, wer weiß, was gut gesagt ist, kann nicht ganz dumm sein, nen wahrer Kern steckt sicher drin. Ist eben wie alles relativ, subjektiv, soll doch jeder in seiner eigenen Welt leben, solange er seinem Nachbarn nicht auf den Wecker fällt. Oder etwa nicht? Mag sein, es wäre tatswahrhaftig besser, wenn alle in der gleichen Realität leben würden? Man sich darüber austauschen und gemeinsam alles mit den anderen teilen könnte, anstatt nur sein eigenes Süppchen zu kochen? Sicher, wenn Gemeinschaft funktioniert, ist sie etwas wunderbares, aber dazu müssen alle den gleichen Leitgedanken folgen, sonst geht’s wieder nur um das Recht des Stärkeren, und der Rest schaut in die Röhre.

„Na, wieder im Lande? Wie geht’s deinem Riesenbaby?“

„Hi, so weit so gut, bin schon wieder ne ganze Weile hier.“

„Was hatten se denn?“

„Ehrlich gesagt, weiß ich selber noch nich ganz genau. Erst gings Achterbahn: System stürzt ab, System fängt sich wieder auf, dann hab ich rumgedoktert und es meldet sich nen Hacker bei mir. Ich denk erst, der will mich aufn Arm nehm, aber dann kommen wir ganz nett ins philosophieren über Gott und die Welt, bis er meint, er wolle mithelfen. Stell dir vor: wuppdich, auf einmal läuft alles wieder. Also denk ich: der ist doch irgendwie an dem Schlamassel beteiligt gewesen, der Täter kehrt immer zum Tatort zurück. Also hab ich ihm gesagt, er soll das nächste mal die Finger von der Tastatur lassen. Nun hoff ich, daß er wirklich der Verantwortliche war und sich jetzt schön fein raus hält. Sonst bin ich mir nicht sicher, wie lange es gedauert hätte, bis ich ihm auf die Schliche gekommen wäre. Bei dir irgendwelche außergewöhnlichen Vorkommnisse?“

„Ja, schon, scheint tatsächlich ne neue Welle an Attacken in Umlauf gewesen zu sein. Hat hier auch alles nen bißchen verrückt gespielt, gegen Mittag hats sichs dann praktisch von selbst wieder gelegt, auch ohne plaudernden Hackerfreund ... du, vielleicht wars nur nen groß angelegter Test für nen bevorstehenden ernsthaften Cyberangriff, stell mal vor, das war bestimmt erst der Anfang vonns Janze.“

„Gegeben hats das ja schon des öfteren, denk mal zurück an Estland 2007, Wikileaks oder Stuxnet 2010, da wurden solche Infokriege bitterernst ausgetragen! Dann war ne Zeitlang Ruhe, und wenn du recht hast, ist das jetzt der Gong zur nächsten Runde.“

„Schlecht fürs Volk, gut für uns, sichert unsere Arbeitsplätze.“

„Na du hast Nerven. Andrerseits, jetzt bei der Ruhe nach dem Sturm werd ich wohl pünktlich feddich mit der Analyse, wollnmas hoffen, dann wird’s doch noch was mit Kultur zum Feierabend.“

„Gut, hörma uns späta.“

(...)

„Hi, wie siehts aus, Feierabend - oder machst noch ne Runde im Ring?“

„Werd ich wohl müssen, hat sich doch ne irre Menge aufgestaut bei dem Chaos heute, sind alle mächtig nervös geworden, das wollt ich schon noch abschließen, sonst kommen se noch auf die Idee, daß wir das am Sonntag machen sollen, bevor am Montag der Geschäftsverkehr wieder losgeht.“

„Schon recht, aber wir müssen doch nicht gleich alle Probleme auf einmal lösen?“

„Warum denn nicht? Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Jetzt ist der freie Tag eh hinüber, und dann hab ich nächste Woche wieder Ruhe.“

„OK, dann gehen wir morgen in die Ausstellung, du erinnerst dich?“

„Au, ja, geht klar, dann ham wer auch den Kopf wieder frei.“

„Gut, bis nachher, dann mach ich jetzt auch noch nen bißchen weiter.“

„Viel Spaß.“

„Einen ebensolchen!“

(...)

„Na, biste immer noch da? Ich geh jetzt.“

„OK, ich komm mit, sonst schließen se zu und ich muß hier übernachten.“

„Das wär ja mal nen toller Anfall von Arbeitseifer, dann wirste bestimmt Mitarbeiter des Jahres.“

„Auf den Glanz kann ich verzichten.“

„Gut. Dann tschüß allerseits!“

„Schönes Wochenend, jetzt aber wirklich!“

„Auffi gehts!“

„Aah, frische Luft, lauer Tag, welch köstliche Erquickung, wird der Samstagabend uns ja doch noch entschädigen für den gelungenen Arbeitseinsatz. Hunger?“

„Oh Mann, ich wollt ja noch einkaufen, das wird wohl jetzt nix mehr. Pizza?“

„Gut, gibt ja genug Auswahl um die Ecke - Rossini?“

„Ja, der ist lecker. Hab ich sogar von geträumt heut nacht.“

„Die Macht des Schicksals.“

„Nee, das ist von Verdi. Im Traum gings um Essen statt Arbeiten, Rossini als Gourmand.“

„Ich esse, um zu leben, ich lebe nicht, um zu essen. Trotzdem soll es natürlich schmecken, wenn man schon mal dabei ist.“

„Wo du nur immer deine Weisheiten her hast?“

„Mental offen bleiben, dann ergibt sich alles von selbst. Denn wenn du meinst, alles besser zu wissen und schon alles verstanden zu haben, wie kannst du dann am wahren Wissen partezipieren, das immer viel größer ist als du?“

„Geht nicht beides? Jeder glaubt doch, offen zu sein und alles zu wissen.“

„Das ist Arroganz. Wer wirklich weiß, der wird bescheiden, so klein mit Hut, denn er weiß, daß es viel mehr gibt, was ihm verborgen ist, als Dinge, die er sich angeeignet hat. Wer groß herumtönt, hat nen Minderwertigkeitskomplex, sonst nix.“

„Gut, und was genau meinst du jetzt mit mental offenbleiben?“

„Der Mensch tendiert dazu, alles in Schubladen zu stecken und diese dann zu schließen. Typisch dafür ist die Frage nach dem Was: was bist du? Kenne ich deine Nationalität, deine Religion, deinen Beruf, dein Alter, dann meine ich, ich kenne dich, kann dich in meinen Karteikasten einsortieren, und fertig is. Dabei sollte die korrekte Fragestellung lauten: Wer? Wer bist du? Dann frage ich nämlich nach deiner Persönlichkeit, deinen Ansichten und Handlungen, und deine äußeren Attribute werden unwichtig.“

„OK, du bist also gegen Klischees, das sind wir doch alle.“

„Moment: ich bin nicht gegen Klischees als solche, sondern gegen die Macht der Klischees. Sie sind hilfreich in der ersten Sekunde, um die Informationsflut zu kanalisieren, insbesondere bei zahlreichen und schnellen Entscheidungen, aber dann muß ich das Kastensystem verlassen und in die Einzelfallprüfung einsteigen. Das bedeutet: theoretisch sind wir vielleicht alle gegen Vorurteile, praktisch leben die meisten Menschen ganz gut damit. Denn der gemeine homo sapiens unterzieht sich gar nicht erst der Mühe, seine eigenen Denk- und Meinungsbildungsprozesse zu hinterfragen; seine Vorurteile generieren irgendein Ergebnis, und das nimmt er dann für bare Münze.“

„Einverstanden, die automatisierte Vereinfachung schränkt das geistige Potenzial ein; ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob ich jetzt deinen Unterschied bereits richtig verstanden habe zwischen wer und was bist du.“

„Der Effekt ist enorm. Stell dir nur mal vor, wenn du nach dem Wer fragst, kannst du niemals ganze Bevölkerungsgruppen auf einmal diskriminieren. Wenn du nach dem Was fragst, geht das ruck zuck. Denn die Wer-Gruppe weist nicht unbedingt äußere Gemeinsamkeiten auf, sondern nennt die gleichen Gewohnheiten ihr eigen, wohingegen die Was-Gruppe auch bei total unterschiedlichen Angewohnheiten zumindest ein gleiches äußeres Merkmal aufweist. Mithin ist die Wer-Gruppe tatsächlich viel homogener, aber die Was-Gruppe kann irrtümlich viel leichter dafür gehalten werden. Tragische Beispiele für dieses Alles-über-einen-Kamm-scheren ham wer ja genug in der Geschichte - und sehen es immer noch tagtäglich in der Gegenwart, wenn es mal wieder heißt: Alle diese Soundsos sind schuld.“

„Oh ja, jetzt seh ichs ein. Woher kommt das bloß?“

„Aus der Antike. Klassendenken war damals nützlich in Zeiten kollektiver Feindbilder und half auch der neu erwachten Naturwissenschaft zur Systematisierung der Phänomena. Das Generalisieren anhand äußerer Merkmale hat sich dann leider über die von Europa adaptierte griechische Wissenschaftsphilosophie ins allgemeine Bewußtsein eingebrannt. Also gewöhn dir ab heute lieber an, individuell zu denken, dann kann jeder dein Freund sein. Das ist schon der erste Schritt zu mentaler Offenheit.“

„Die Unterscheidung ist banal und genial zugleich, warum hab ich nur vorher nie daran gedacht?“

„Weil dein Denken seit deiner Geburt beeinflußt wurde von Was-Denkern, das ist schon ein echter Teufelskreis.“

„Au Backe, also denke ich, ohne zu wissen, wie und warum ich so denke, wie ich denke?“

„Größtenteils schon, ich sagte es ja bereits.“

„Na, das kann ja heiter werden, wenn man sein eigener Ratgeber ist und doch nicht weiß, woher dessen Weisheiten kommen.“

„Du kennst doch das berühmte Bild der drei Affen, die sich Augen, Ohren und Mund zuhalten.“

„Ja.“

„Auf den Menschen übertragen müßte es umgekehrt heißen: Ich sehe viel, ich höre viel, ich spreche noch viel mehr, aber verstehen tu ich nix von alledem. Manche fangen zwar in ihrer Jugend an, sich selbst und eigentlich alles in Frage zu stellen, werden dann aber vom System schnell wieder zur Raison gebracht, frei nach dem Motto: Ich habe irgendwann aufgehört zu denken und leider vergessen, wieder damit anzufangen.“

„Sind wir denn deiner Meinung nach alle geistige Blindgänger? Ohne Chance auf Besserung?“

„Doch doch, mit der Zeit kannst du schon eine Menge über die Welt und deine Wahrnehmungsmechanismen herausfinden, mußt aber schonungslos offen und ehrlich sein dir selbst gegenüber.“

„Gut, werd mal drauf achten.“

„Ist nen Abenteuer, aber die Reise wert.“

„Hört sich ja vielversprechend an. Willkommen im Reisebüro zu dir selbst, such dir das passende Vehikel aus, kostet nix außer der Zerstörung von Illusionen.“

„Genau darum geht’s. Und in der Zwischenzeit dann und wann auch mal fürs eigene Wohl zu sorgen, bekanntermaßen hält Essen und Trinken Leib und Seele zusammen, man verachte mir die Volksweisheiten nicht.“

„Wohl gesprochen! So, da wärn wir, schau, gleich hier vorne sind noch zwei Plätze frei, Glückes Geschick.“

„Oder Schicksal. Ehre, wem Ehre gebührt.“

„Was soll nu das wieda heißen?“

„Soll heißen, daß alle Fäden zusammenlaufen, es also keinen Zufall gibt, sondern alle Ereignisse sich genauso ergeben, wie sie sich ergeben sollen, weil sie in einem großen übergeordneten Zusammenhang stehen.“

„Das wiederum ist wieder mal nur eine von deinen wilden Theorien.“

„Mag sein, aber auch die gegenteilige Ansicht ist eine bloße Theorie, und eine schlechte noch dazu.“

„Warum schlecht?“

„Weil sie der Lebenserfahrung widerspricht; wir alle erleben doch ständig Dinge, die zufällig zusammenpassen, son Zufall, wers glaubt.“

„Naja, da wär ich mir nicht so sicher.“

„OK, dann denk mal an die Menschen, die du triffst, wie genau sie auf deine jeweilige Situation passen, an die Bücher, die du plötzlich in den Händen hältst, wie genau sie auf deine jeweilige Situation passen, an die Filme, die du siehst, wie genau sie auf deine jeweilige Situation passen ... alles reiner Zufall, klar. Da ist es wahrscheinlicher, einmal pro Woche nen Sechser im Lotto zu haben, so viel steht fest.“

„Ich bleibe skeptisch. Hinterher kommts einem immer logisch vor, wenn man den roten Faden sucht.“

„Gefunden!“

„Was?“

„Margherita mit echter Büffelmozzarella! Außerdem heißt das: Wie bitte? Beziehungsweise: Wer?, gell?“

„OK, OK, 2:0 für dich ... hmmm ... ich glaub, ich nehm die Quattro Stagioni.“

„Womit wir bei Vivaldi wären, und das mitten bei Rossini?“

„Ist doch nicht meine Schuld, sie hätten se ja auch Quattro Barbieri nennen können. Also gut, dann eben Quattro Formaggi, ist auch vegetarisch, eh besser. Und für dich, was zu trinken?“

„Nur Wasser, bitte.“

„Seit wann trinkst du nur Wasser?“

„Was denn sonst? Etwa diesen amerikanischen Süßkram? Chemie stört den Stoffwechsel, back to nature, man ist, was man ißt.“

„Wie du selbst die einfachsten Dinge des Lebens immer durch die philosophische Brille betrachtest, wird dir das nicht manchmal zu anstrengend?“

„Das Leben ist eines, deswegen kann ich nicht einzelne Aspekte anders beleuchten als andere. Anstrengend? Manchmal schon, aber ich danke dem Herrn, daß er mir meine Augen etwas geöffnet hat, komplett unsehend durchs Leben zu gehen fände ich noch viel beschwerlicher.“

„Wie machst du das, ist das angeboren oder muß man das einüben?“

„Wohl beides. Bach hat einmal über seine musikalische Begabung gesagt: Ich habe fleißig sein müssen, wer ebenso fleißig ist, wird es ebensoweit bringen. Das war natürlich heillos untertrieben, aber der Kern stimmt schon: was immer du ernsthaft betreiben willst, mußt du ständig üben, ob Musik, Schach, Physik, Sport oder Philosophie.“

„Hobby geht nicht?“

„Hobby geht nicht. Denk dir die drei D: Determination, Devotion, Disziplin.“

„Nun hast du acht gegeben! Und Meditation?“

„Auch, klar, hat noch niemandem geschadet. Aber allein reichts nicht, der Blick muß rund um die Uhr geschärft werden. Sonst bleibts bei Esoterik einmal die Woche, anstatt das Bewußtsein dauerhaft im Alltag zu verändern.“

„Also l’art pour l’art? Der Weg ist das Ziel?“

„Für die meisten Leute kannste den bestimmten Artikel weglassen, da gilt wohl eher: Weg ist das Ziel.“

„Haha, treffend bemerkt.“

„Fakt ist, es gibt schon ein Ziel, aber man kommt dort nie wirklich an, denn auf jedem Berg angelangt sieht man schon den nächst höheren am Horizont, weshalb man sich bemühen muß, das Wandern niemals aufzugeben; aber es ist nicht nur dies, es gibt viele Skihütten und Felsquellen unterwegs zum Erquicken, wirst sehen.“

„Genau, geht hier auch schon los, na dann buon appetito!“

„Guten Appetit. Immer noch italophil, was?“

„Certo, mi piace.“

„Echt gut, der Italiener enttäuscht nie.“

„Haste gehört, bald kommt Rocky 19 ins Kino: Die Krücke schlägt zurück, wo sie ihm zum Boxen die Arme mit ner Seilwinde hochziehen müssen; und besonders praktisch ist, anstatt ihm einen Zahnschutz in den Mund zu schieben, nehmen sie einfach das Gebiß raus, haha.“

„OK, der war gut.“

„Lach nicht, Schwarzenegger hat sich auch schon wieder zurückgemeldet nach seinem Ausflug in die Politik, vielleicht zum nächsten Conan der Barbier?“

„Dann schon lieber Presidator, sollnse halt drüben ihre Gesetze ändern, geht doch in Italien auch immer ganz locker zugunsten des Regierungschefs ...“

„Klar, kann er den Silvio gleich mitnehmen als Maskottchen, der schmeißt gute Parties.“

„Warum verdienen Politiker eigentlich immer so viel Geld?“

„Ich glaub, die Idee, die dahintersteckt, ist, daß sie unabhängig sein sollen, leben ganz von der und für die Politik.“

„Dann wäre es nur konsequent, wenn Nebenverdienste verboten wären. Wer seinen Job liebt, übt ihn aus, auch wenn er wenig verdient. Und dann würde man auch sofort sehen, wer geschmiert wird.“

„Gute Idee. Leider werden die Gesetze von den Politikern selbst gemacht. Es lebe die Demokratie.“

„Warum, es würde doch reichen, wenn man ihnen den Rechnungshof vor die Nase setzt. Wenn der Durchschnittsverdienst in Deutschland bei was weiß ich 40.000 Euro liegt, dann sollnse genau den bekommen, wär auch zugleich nen Anreiz für sie, die Wirtschaft anzukurbeln, dann verdienen se nämlich selber auch mehr. Was glaubste, wieviel Millionen der Staat auf einen Schlag sparen würde, besser als jede Nullrunde.“

„Mein Stimme haste. Nochn Wasser? Hat auch null Kalorien.“

„Dankesehr.“

„Prego. Obwohl dus natürlich gar nicht nötig hättest.“

„Na, gucken guck ich schon auf die Ernährung, ich denk, ob ich nu jahrelang fast food esse oder Biokost, muß doch nen Unterschied machen.“

„Auf die Dauer sicher schon. Gibt’s eigentlich noch keine Ernährungsapps? Kannst ja nen Photo machen vom Essen mitm Palm oder noch besser, er liest die Speisekarte automatisch mit RID-Technik und dann kommt der Hinweis: Salat bitte, und wenn du willst noch nen halbes Eis.“

„Cool. Und dann werden uns die Dinger eines Tages alles vorschreiben, was zu tun und zu lassen ist, ob dus nun willst oder nicht, bis hin zur Wassertemperatur beim Duschen. Ist ja manchmal schon heute so: sag ich zum PC, er soll ausgehen, drück den Knopf, und er bleibt einfach an! Also kriech ich untern Tisch und zieh den Stecker: Ha! Sieg des Menschen über die Technik! Aber ist doch ne Frechheit, will der jetzt schon mitreden!“

„Ja, da kommt sicher noch einiges auf uns zu, die Abhängigkeit wächst, einmal äußerlich durch die zunehmenden Automatisierungsprozesse, einmal innerlich durch die Delegation der einfachsten Fähigkeiten: heute könnse ja nich mal mehr das kleine Einmaleins ohne Taschenrechner.“

„4 mal 19?“

„40, 36, 76, das war leicht. Oder 20 x 4 = 80 weniger 4 = 76, wie du willst.“

„Sehr gut! Siehste, geht doch nichts übern gut funktionierendes Gehirn.“

„Ich habe auch nichts gegen nen gut funktionierenden Rechner einzuwenden, weißte noch früher, da sind die Dinger jeden Tag abgestürzt, ist ja schon viel besser geworden.“

„Na sieh mal einer guck, wie schön son Computer funktioniert, er wandelt Sprache, Bilder, Filme in einen binären Code um, eine lange Kette von Sein oder Nichtsein, und an einem andern Ort, theoretisch Millionen von Kilometern entfernt, setzt sich Sekunden später alles wieder zusammen. Das nehmen wir alles ganz gelassen hin, aber daß am Anfang mal Einer aus Energie Materie geformt hat, daran glaubt fast niemand mehr. Da sehen sie den Wald vor lauter Bäumen nicht.“

„Vielleicht führen uns die Computer mit ihrer überlegenen Intelligenz ja auch eines Tages zu höherer Erkenntnis, welcher auch immer.“

„Von mir aus. Hab ich übrigens auch was Interessantes gelesen neulich, wie die Technik langsam den Menschen überholt, Schachcomputer warn ja erst der Anfang; schon vor über 10 Jahren, gegen das Jahr 2000, sind erstmals mehr Informationen weltweit digital als analog gespeichert worden. Experten gehen davon aus, daß der Mensch zur Zeit etwa 300 Exabytes an Infos speichert, das wäre das 300fache der Anzahl von Sandkörnern, die es weltweit gibt. Jedoch sind 300 Exabytes nur ein Prozent dessen, was an Daten im Erbgut der Menschheit gespeichert ist. Stell dir das mal vor! Und da sagen sie noch, die DNS ist aus Maggisuppe entstanden. Rein zufällig natürlich!“

„Wow.“

„Und es kommt noch besser: Alle Computer zusammengenommen hatten im Jahr 2007 eine Rechenleistung von etwa sechs Milliarden Schritten pro Sekunde. Unglaublich viel. Aber bedenke: Das ist etwa so viel wie die Zahl an Nervensignalen, die ein einzelnes menschliches Gehirn in einer Sekunde verarbeitet.“

„Echt?“

„So ist es. Nur verdoppelt sich die virtuelle Rechnerleistung - im Gegensatz zu ihrem menschlichen Pendant - etwa alle 18 Monate, weshalb die Sekundentaktleistung des menschlichen Gehirns inzwischen überholt worden ist - jedenfalls individuell, kollektiv natürlich noch lange nicht.“

„Dennoch scheinen mir Computer nicht rundum klüger zu sein als Menschen.“

„Eh klar, mathematische Dinge können sie mittlerweile schneller berechnen als alle Mathematiker der Welt mit Papier und Bleistift zusammen, aber in anderen Bereichen fehlen ihnen die Programme, da geht nix: emotionale Intelligenz null, Kunst, Kultur, Religion, Zwischenmenschliches null. Oder möchtest du nen Computer als Freund, als Richter, als Familienersatz?“

„Kommt bestimmt auch noch, der Mensch lebt doch überwiegend in Stereotypen, und die lassen sich dann ohne weiteres algorithmisch darstellen. Auch in on-line Netzwerken flitzen doch heute schon viele Androidenprogramme herum gegen die Langeweile ...“

„... und auf der Suche nach Werbeopfern ...“

„Schon wahr, der Rubel muß rollen, die Werbung finanziert ja auch weite Teile des Netzes. Ob die Computer da auch schon an der Meinungsbildung mitwirken?“

„Bestimmt. Was ist in, was ist out, muß doch gesteuert werden, oder willste das dem sogenannten Zufall überlassen?“

„Du meinst Mode, Musikgeschmack, politische Überzeugungen, Freizeitverhalten - alles computeranimiert?“

„Überspitzt gesagt schon, vor allem das Leben der Kids, Teens und Twens.“

„Ham die denn keine eigene Meinung mehr?“

„Woher denn auch? Jeder orientiert sich zunächst an den Konventionen und Traditionen, von der Kleidung über die Frisur bis hin zum Konsumverhalten. Dann kommen die Trends, denen sich die meisten nicht entziehen können oder wollen, denn sonst könntest du als altmodisch, langweilig oder exzentrisch gelten. Da alle gleichermaßen von Morgens bis Abends damit berieselt werden, lassen sich schnell Mehrheitsmeinungen herausbilden, und die Sache läuft. Nowhere to run, nowhere to hide.“

„Müßte man mal genauer unter die Lupe nehmen. Gehirnwäsche durch Medien. Heißen ja nicht umsonst die vierte Gewalt.“

„Die Idee ist schon faszinierend, die Masse spurt auf Knopfdruck. Sicher arbeiten sie schon lange daran, neulich hab ichs noch irgendwo gelesen, schon die Mode für kleine Kindergartenmädchen imitiert die der großen Damen, die merkens gar nicht und werden indoktriniert.“

„Ich glaub, wenn man sich Werbesendungen aufmerksam anschaut, kann man eine Menge lernen über die Menschen und die Art, ihre Meinung zu beeinflussen.“

„Mit Sicherheit. Bei Mode und Musik ists ja relativ eindeutig, aber da geistige Prozesse immer analog ablaufen, wird das bei Politik und Konsum auch so sein, ergo die meisten Leute eigentlich gar nicht mehr selbst entscheiden, sondern das für sie bereits Entschiedene freudig annehmen, in der Meinung, sie hätten es frei gewählt.“

„Gibt ja ein ziemlich zynisches Weltbild ab, was du da heraufbeschwörst.“

„Egal, Hauptsache, wahr! Siehste, über allem muß immer der Spiegel der Erkenntnis schweben, dann bemerkst du den Unterschied zwischen fremdgesteuert und selbstbestimmt.“

„Oh ja, dazu kenn ich auch noch was:

Keep you doped with religion and sex and TV,

And you think you're so clever and class less and free,

But you're still fucking peasants as far as I can see.

„Guter Text, gefällt mir. Ist das von Dylan oder Lennon? ... Ja? Ahh, wußt ichs doch. Nun, ich versuche nur, der Wahrheit ins Auge zu sehen, kann oder will auch nicht jeder.“

„Ich hätte gedacht, der Mensch reagiert aufgund archetypischer Verhaltensweisen, also gemäß seinem Urinstinkt zur Erhaltung der Spezies. Schließt den Selbsterhaltungstrieb mit ein, aber auch die Opferbereitschaft.“

„Sicher sind wir zum Teil immer noch Steinzeitmenschen, an der Pysche hat sich seither so viel nicht verändert. Aber alles Handeln auf einen Nenner zurückzuführen, scheint mir den Menschen zu sehr zu vereinfachen, ich würde mich nicht gern auf eine einzige Triebfeder reduzieren lassen. Es gibt viele Motive, die individuell eine Rolle spielen, ob du führst oder geführt wirst, ob du an etwas Höheres als dich selbst glaubst, ob du eher egoistisch oder altruistisch eingestellt bist. Und wenn du schon alles als instinktiv bezeichnest, was ist damit gewonnen? Die Frage ist doch, warum handele ich so wie ich es tue, wie sollte ich handeln, und inwieweit kann ich mein Handeln selbst bestimmen? Wenn ich nur Opfer meiner Leidenschaften bin, habe ich keine Verantwortung und kann mich entspannt zurücklehnen. Aber für mich wäre das ein geistiges Tierstadium. Der Mensch kann mehr, er hat die Chance, sich zu kontrollieren und damit über sich hinauszuwachsen. Fragt sich allenfalls, wie ...“

„Durch die Macht der Gedanken?“

„Wenn du genau auf deine Gedanken achtest, wirst du schnell feststellen, daß du die meiste Zeit über mit Dingen beschäftigt bist, die es gar nicht gibt, weil sie nur in deiner Phantasie existieren. Verpaßte Chancen, Was-wäre-wenn-Exerzizien, wilde Zukunftsszenarien. Daher das berühmte Credo des hier und jetzt, das bündelt die geistigen Kräfte. Du weißt doch: erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.“

„Auch wahr. Also ist Grübeln unökonomisch, sozusagen Gedankenverschwendung. Dennoch tun wir es unaufhörlich. Und dann noch nicht einmal autonom, sondern zugekleistert mit Einflüsterungen von allen Seiten. Also nochmal zurück zur Medienmacht, nehmen wir mal an, die Masse wäre so naiv und leicht zu beeinflussen wie du sagst, dann frage ich mich, wozu dieser Manipulationsaufwand überhaupt betrieben wird, und von wem, für ein paar Euro mehr?“

„Menschenführung bringt Profit und Macht, richtig? Wenn du die anderen lenkst, bist du selbst nicht wie sie, sondern etwas Besseres, du folgst deinen eigenen Regeln, das gibt ein starkes Gefühl, du bist der moderne Halbgott sozusagen.“

„Ja sicher, den Verlockungen der Machtausübung kann niemand widerstehen. Außer Gandalf, der wollte den Ring nicht tragen. Fragt sich nur, warum die Herren Mächtigen dann das Chaos als Machtmittel bevorzugen, anstatt die Leute in Frieden leben zu lassen und dafür zu sorgen, daß die sich nicht alle immer gegenseitig die Köppe einhauen.“

„Auch das kann ein Mittel zum Zweck sein. Wer sich selbst über den anderen stehend glaubt, sieht vieles anders, da kann man schon einmal ein paar Bauernopfer bringen. Zudem ist die Macht ja nur mit halbseidenen Methoden erschlichen und nicht ehrlich verdient, deshalb wird sie dann entsprechend unsanft verteidigt. Sonst steht schon der nächste da und möchte Inselkönig sein.“

„Du sagst, geborgte Macht, nicht verliehene: und wer oder was steuert dann wiederum die Meinungsmacher? Eine Metatruppe?“

„Schon möglich. Oder niedere Triebe und Instinkte. Personifiziert: die dunklen Mächte, buaah ...!“

„Eh klar. Und wer sind dann die Guten?“

„Im Großen: Die Heiligen und sonstigen Meister. Im Kleinen: die Helden des Alltags. Denn der Kampf Gut gegen Böse sollte uns nicht so sehr in der großen weiten Welt interessieren, wo wir ihn kaum beeinflussen können, sondern vielmehr in unserem eigene kleinen Inneren, da haben wir Sieg oder Niederlage in der Hand. Jeder kann mitmachen.“

„Und zwar auf beiden Seiten. Gibt es da Prozentsätze?“

„Laut Wahrscheinlichkeitsrechnung sind immer 20 überm Durchschnitt, 60 in der goldenen Mitte, und 20 unterm Strich. Wird hier wohl auch so sein.“

„Nicht gerade rosige Aussichten. Seis drum, das soll uns jetzt nicht den Appetit verderben. Dessert?“

„Klar, Tiramisu, das ham wer uns verdient!“

„Zahlen?“

„Komm, ich lad dich ein. Hast so schön philosophiert heut.“

„Dankeschön! Und da sag noch einer, das sei eine brotlose Kunst.“

„Hierzulande zahlt ja üblicherweise jeder seinen eigenen Kram, dann gibts immer endlose Additionen, da find ich ja die italienische Methode besser, alles in einen Topf, und jeder zahlt den gleichen Teil, ist gemeinschaftlicher.“

„Klar, und du mußt nicht so viel rechnen ... geht nur dann nicht gut, wenn einer auf Diät ist und gar nicht so viel essen möchte wie die anderen.“

„Nana, da sind wir flexibel, wer nicht ißt, zahlt auch nicht, oder rundet nur auf fürs Trinkgeld.“

„Darum geht’s, nicht so steif abrechnen unter Freunden. Aber eingeladen zu werden ist natürlich noch viel besser!“

„Siehst du, so machen Nehmen und Geben gleichermaßen Freude.“

„Es lebe die win-win-situation, eben deshalb ist Freigebigkeit auch eine der großen Tugenden weltweit.“

„Oh, sogar noch hell draußen, dann ham wa ja immer noch was vom Wochenende.“

„Vor allem Ruhe nötig, nach dem langen Überstundentag heut.“

„Schade, daß es nu mit der Austellung nich geklappt hat, müssn wa echt morgen nachholen, vielleicht ruf ich dich an gegen Nachmittag?“

„Gern, ich bin immer für geistige Erbauung.“

„Wie bist du dann nur in der Computerbranche gelandet? Ist doch das genaue Gegenteil.“

„Absolut nicht. Es kommt darauf an, was man draus macht. Mich faszinieren Technik und Logik, aber im Dienste des Menschen, nicht umgekehrt.“

„Klar, was sonst.“

„Nee, so klar ist das nicht, die meisten Leute räumen heutzutage der Technik das Primat ein und ordnen sich ihr unter, das muß man sich mal vorstellen, früher waren Werkzeuge ergonomisch den Bedürfnissen der Menschen angepaßt, heute muß sich der Mensch den Vorgaben der Technik fügen, entweder du weißt mitzuspielen, oder du bleibst draußen vor der Tür. Wohin soll das führen, wenn man immer alles gleich macht, was irgendwie geht? Es ist uns die Kraft und Ruhe zu reiflicher Überlegung abhanden gekommen, technische Geschwindigkeit und Komplexität ignorieren die geistig-seelische Ebene der menschlichen Existenz, die auf einen beschaulicheren Rhythmus ausgerichtet ist, auf Einfachheit und Unkompliziertheit.“

„Nana, dafür liefert Technik greifbare Resultate und vereinfacht das Leben, körperliche Arbeit war früher ein anderes Kaliber, oder nicht? Aber warum sollten unsere Errungenschaften notwendig den emotionalen Teil des Daseins ausblenden, das Leben verändert sich, ja, aber das hat es schon immer gegeben, von der Steinzeit bis hin zur Moderne, man muß mit der Zeit gehen, macht doch auch viel Spaß.“

„Technik soll ja grundsätzlich sein, aber sie schreitet heutzutage viel zu schnell voran und verdrängt damit als Nebeneffekt das natürliche und existenzielle Bedürfnis des Menschen nach höherer Wahrheit; der Imperativ kalter Rationalität stellt sich über die Sehnsucht nach Harmonie, und der spirituelle Bezug zur Umwelt wird nach und nach ausgeblendet.“

„Ausgeblendet wird Einbildung zugunsten wissenschaftlicher Fakten. Entschuldige, aber du wolltest doch der Wahrheit ins Auge sehen.“

„Das tu ich ja, deswegen nehme ich im Gegensatz zu dir die Technik nicht als Wunder- und Allheilmittel wahr, sondern als Freund und Gegner des Menschen, je nach Anwendung. Wenn sie uns hilft, gut, wenn sie benutzt wird, uns glauben zu machen, sie könne alle Probleme lösen, schlecht. Technikfreaks und Biologen sind äußerst selten religiös, sie haben sich einen anderen Gott gewählt.“

„Inwiefern ist das negativ? Soll doch jeder nach seiner eigenen Façon glücklich werden?“

„Das sowieso. Aber wenn du mich fragst, was ich von diesem Religionsersatz halte: gar nichts. Ich sehe Religion - die klassische - als ureigensten Ausdruck und Teil der menschlicher Natur. Technik ist die mehr oder weniger gelungene Beherrschung der Materie, aber sie hat keine geistig-seelische Ebene. Die menschliche Seele jedoch hat als einzige Daseinsform die Möglichkeit und das tiefe Bedürfnis, Geist und Materie miteinander zu verbinden, wir allein gehören beiden Welten an.“

„Für mich ist der gesunde Mensch eher bodenständig als spirituell, wir leben nun mal in einer materiellen Welt.“

Der Cyber-Mönch

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