Читать книгу Worauf die Affen warten - Krimi - Yasmina Khadra - Страница 11

6.

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Das Polizeipräsidium von Algier erinnert an einen verlassenen Lagerschuppen. Einige Polizisten schlendern müßig durch die Korridore, die Daumen unters Koppel geschoben, die Gedanken sonst wo. Das schwache Licht, das durch die verstaubten Fenster einfällt, gibt dem Halbdunkel einen deprimierenden Touch, den das Knarren der Türen, das Klappern der Tastaturen noch verstärkt.

Hinter den Schaltern versuchen zwei Polizisten, die Zeit totzuschlagen. Der eine traktiert sein iPhone, der andere quält sich durch ein Kreuzworträtsel. Er hat die Felder schon zigmal neu überschrieben, kaut auf seinem Kugelschreiber herum und zerbricht sich den Kopf, warum die Wörter nicht zusammenpassen. Ermattet greift er nach seinem Kaffeebecher, in dem das bittere Gebräu längst erkaltet ist, und nimmt erneut den Kampf mit den Synonymen auf, bleibt an einem Buchstaben hängen, der sich nicht fügen will, und brummt übellaunig:

»Das ist doch nicht normal. Der Typ, der dieses Kreuzworträtsel verbrochen hat, muss Analphabet sein. Hier, zum Beispiel das Wort ›Kapitale‹. Mit Kies, Moos, Koks, habe ich es schon probiert, aber es passt alles nicht.«

»Vielleicht solltest du’s mal mit einem Bilderrätsel versuchen«, empfiehlt der Kollege.

Ein Mann betritt das Präsidium. Er ist klein, hager, so um die sechzig, wirkt ziemlich angeschlagen und steckt in einem zerknitterten, viel zu großen Anzug. Mit seinem strubbeligen Haar, den zerfließenden Gesichtszügen und den dunklen Ringen unter den Augen sieht er aus, als hätte er die Nacht in einem Stall verbracht.

Er tritt an den Schalter, zieht eine umfangreiche Akte aus seiner Mappe hervor und knallt sie auf den Tresen.

Nach kurzem Blick auf den Blätterwust, der in dem Aktendeckel steckt, wendet der Polizist sich wieder seinem Kreuzworträtsel zu.

»Büro 15, rechts am Ende vom Korridor«, sagt er noch eben, doch da ist sein Kopf schon hinter der Zeitung verschwunden.

»Ich komme wegen Aufhebung einer Beschlagnahme«, beharrt der Bürger.

Der Polizist legt seinen Kugelschreiber hin, sichtlich genervt.

»Kannst du nicht später wiederkommen? Ich habe meinen Kaffee noch nicht ausgetrunken.«

»Und ich habe weder geschlafen noch gefrühstückt. Ich komme direkt vom Nachtzug.«

Der zweite Polizist hört schweren Herzens mit Surfen auf, legt sein Handy aus der Hand und winkt den Bürger zu sich an den Schalter heran.

»Was haben Sie für ein Problem, Monsieur?«

»Ich bin hier, um den Staat zu verklagen.«

Die beiden Polizisten sehen sich verdutzt an, dann brechen sie in schallendes Gelächter aus.

»Ich bin kein Komiker«, antwortet der Bürger.

»Und das hier ist kein Kabarett«, hält man ihm entgegen.

Der Bürger zieht aus der Innentasche seines Jacketts einen Dienstausweis hervor und schiebt ihn über die Theke.

»Ich bin Petrochemie-Ingenieur und Dozent an der Universität Oran.«

Die beiden Polizisten wechseln einen verständnisinnigen Blick.

»Und wieso sind Sie dann auf Scherereien aus, Herr Wissenschaftler? Man verklagt doch keinen Staat, wo denken Sie hin!«

»Was ist hier los?«, tönt eine Stimme von weiter hinten aus einem Kabuff.

Die beiden Polizisten räumen schleunigst Handy und Zeitung beiseite, nehmen wieder eine ordentliche Haltung ein und drehen sich nach hinten zu dem kleinen Raum um. Im Türrahmen steht ein Offizier in Zivil, die Arme über der Brust verschränkt, mit ausdrucksloser Miene.

»Der Herr will Anklage gegen den Staat erheben, Inspektor«, klärt ihn der Erste der beiden Polizisten mit einem Hauch fassungsloser Belustigung in der Stimme auf.

Der Offiziere tritt näher und reicht eine Hand über den Tresen, die der Bürger aus Oran eilends drückt.

»Inspektor Zine.«

»Ich komme direkt aus Oran, Herr Inspektor«, erklärt der Bürger.

»In Oran gibt es auch ein Polizeikommissariat«, bemerkt der Polizist.

»Ich habe doch wohl das Recht, im ganzen Land Anklage zu erheben. Ich habe genug davon, von Krethi zu Plethi zu laufen, überall nur auf verschlossene Türen zu stoßen und Stunden meines Lebens in versifften Wartezimmern zu verlieren, bis mir irgendwann ein Subalterner erklärt, dass sein Chef beschäftigt ist oder dringend zu einem Termin außer Haus gerufen wurde. Hier die Akte enthält meine komplette Geschichte, sämtliche Zeitungsausschnitte mit meinen gesammelten Wutausbrüchen, meinem angestauten Überdruss, den ich den betroffenen Behörden bis ins letzte Detail dargelegt habe. Heute habe ich beschlossen, mich doch lieber an Gott direkt statt an seine Heiligen zu wenden. Ich bin Opfer eines korrupten Systems, deshalb erhebe ich hier und heute, im Polizeipräsidium von Algier, Anklage gegen den Staat.«

Der Bürger schnürt den Bindfaden auf, der das gewaltige Dossier zusammenhält und macht sich daran, nach Unterlagen zu suchen. Seine Bewegungen sind so abgehackt, dass sein Gesicht zu beben beginnt und sein Atem plötzlich so keuchend geht wie der eines Asthmakranken.

»Im Jahr 1997 hat mir die Gemeinde Aïn el–Türck ein Grundstück von 143 Quadratmetern zugeteilt. Hier der unterschriebene und datierte Zuweisungsbescheid. Ich habe die verlangte Summe restlos bezahlt, ebenso die erforderlichen Notar- und Erschließungskosten, anbei die Quittungen und Überweisungsbelege. Ein Jahr später stelle ich staunend fest, dass ein Dritter auf meinem Grundstück ein Haus gebaut hat. Seitdem habe ich keine Ruhe mehr. Der Kerl, der mein Grundstück besetzt hat, kann alle nötigen Dokumente vorweisen. Er hat mir den Zuweisungsbescheid gezeigt, der auf seinen Namen ausgestellt ist und vom selben Gemeindevorsteher unterschrieben wie meiner. Anfangs hat man mir ein anderes Grundstück in Aussicht gestellt. Jahrelang hat man mich damit hingehalten. Im Liegenschaftsamt von Sénia, wo ein ganz übles Pack das Sagen hat, hat man mich erst mit falschen Versprechungen geködert, und mich dann komplett ignoriert. Ich bin vor Gericht gegangen. Die Richter interessierten sich mehr für meinen Geldbeutel als für meine Beschwerde. Weder meine Einschreiben noch meine Freitagsgebete haben ihre Adressaten erreicht. Der Präfekt von Oran erklärt, ich ginge ihm auf den Geist. Er fühlt sich von mir verfolgt. Und in allen Polizeistationen machen die Polizisten mittlerweile Abwehrgesten, sobald sie mich auftauchen sehen, um den bösen Fluch fernzuhalten. Hundert Mal habe ich schon dem Ministerium geschrieben, und mehr als zwanzig Mal dem Staatspräsidenten, und nie die geringste Reaktion. Diese Geschichte hat meinen Blutdruck in die Höhe getrieben, ohne von meinen Herzproblemen und meinen Angstzuständen zu reden. Ohne Antidepressiva kann ich gar nicht mehr leben. Meine Frau ist zu ihren Eltern geflüchtet, meine Kinder gehen mir aus dem Weg, der Jüngste ist beim Versuch, das Meer mit einem morschen Boot zu überqueren, ums Leben gekommen. Ich bin am Ende.«

Der Inspektor nickt. Sein Blick umwölkt sich, kurz und bündig ordnet er an: »Nehmt seine Aussage auf. Und zwar mit allem Drum und Dran, verstanden?«

Stirnrunzelnd machen die beiden Polizisten sich daran, in ihren Ablagefächern nach den passenden Formularen zu suchen.

Als Zine in sein Kabuff zurückkommt, lümmelt da Leutnant Guerd herum, die Füße auf dem niedrigen Beistelltisch, eine Zigarette zwischen den Kiemen. Über die Ungeniertheit seines Vorgesetzten hat Zine sich schon immer aufgeregt, aber es gibt eine Art von Diensteifer, gegen die man nur wenig vermag. Zwischen den beiden stimmt die Chemie einfach nicht. Zwar entstammen sie demselben Examensjahrgang, doch während der eine mit links vorangeprescht ist, mit Schleimerei und Katzbuckelei, krebst der andere noch immer auf den unteren Stufen der Karriereleiter herum, obwohl er eine beachtliche Strecke auf vermintem Gelände zurückgelegt hat.

»Darf ich wissen, was du in meinem Büro treibst, Leutnant?«

»Das nennst du ein Büro? Das war einmal die Abstellkammer. Besen und Bürsten waren hier daheim, Scheuertücher, Eimer und Putzmittel. Weil sie nicht wussten, wohin mit dir, haben sie die Abstellkammer für dich hergerichtet: ein Tisch aus der Kantine, drei Resopalstühle, ein steinaltes Telefon, ein Büroschrank vom Flohmarkt und fertig war die Laube. Dann haben sie dich zwischen zwei Türen installiert und gehofft, dass du mit dem nächsten Luftzug die Fliege machst.«

»Du hast meine Frage nicht beantwortet, Leutnant.«

»Eigentlich«, lästert Guerd, während er mit dem Kinn auf die Thermoskanne deutet, die auf einem Aktenstapel thront, »bin ich gekommen, um mich an deinem Kaffee zu laben. Es scheint, dass er das ideale Gesöff für Schwarzseher ist.«

»Da kommst du zu spät. Die Kanne ist schon leer. Was willst du hier?«

»Den Kotzbrocken spielen. Ist doch das Privileg des Vorgesetzten, oder nicht?«

»Zugegeben, als Brechmittel bist du einsame Spitze.«

Leutnant Guerd grinst, wie immer, wenn er um eine Antwort verlegen ist. Er zieht seine Füße wieder ein, richtet sich zu voller Länge auf, damit er den Inspektor um einen Kopf überragt, und streicht sich über den gezwirbelten Schnäuzer. Sein Grinsen verstärkt sich, während er brummt:

»Kennst du schon die Geschichte vom Totengräber, der Höhlenforscher werden wollte?«

»Nein.«

»Er soll immer tiefere Gruben für seine Toten gegraben haben, so lange, bis er irgendwann beschloss, in noch tiefere Tiefen vorzustoßen, nur um zu sehen, wie weit er wohl käme ...«

»Ja und?«

»Er ist nie wieder aus seinem Loch hervorgekommen.«

»Ich schätze, es gibt auch eine Moral von der Geschichte, Leutnant.«

»Wie soll ich das wissen? Der Typ ist noch immer am Buddeln.«

»Verstehe ...« Zine nickt.

Guerd ist beglückt, seinem Untergebenen das Maul gestopft zu haben.

Zine dagegen bereut, dem Leutnant eine Steilvorlage geliefert zu haben. Dabei hatte er sich geschworen, sich nicht mehr provozieren zu lassen, weil der letzte Idiot dann oft das letzte Wort behält, auch wenn er vorher um jede Antwort verlegen war. Und nun hat er es wieder verpatzt. Aber wie soll man sich auch nicht hinreißen lassen? In Algerien muss man so viele Kränkungen wegstecken, dass man zwangsläufig aggressiv reagiert. Wer Schwamm drüber sagt, wischt sich selbst mit aus, wer schweigt, tut sich selbst Gewalt an. Wenn es hart auf hart kommt, muss der Sarkasmus sich in mörderische Metaphern kleiden. In einem Land, in dem der Schein alles andere überdeckt, rufen die sarkastischen Spitzen nach Bild und Ton. Das allein rettet die Frustration davor, in Agonie abzugleiten.

Guerd kommt auf den Grund seines Besuchs zurück:

»Wir haben seit heute Morgen eine Leiche am Hals.«

»Ich bin informiert.«

»Wir haben nichts, um sie zu identifizieren. Ich will, dass du sämtliche Kommissariate anrufst, um zu sehen, ob jemand das Verschwinden eines brünetten jungen Mädchens angezeigt hat, circa zwanzig Jahre alt, grüne Augen, etwa einen Meter sechzig groß. Alles deutet darauf hin, dass sie etwas feierte. Geh alle Festsäle und Hotels durch und check ab, ob es irgendwo Randale gab, einen Streit, der übel ausgegangen ist, irgendwas in der Art.«

»Das ist alles?«

»Ja, außer dass ich deinen Bericht allerspätestens morgen um 15 Uhr auf meinem Schreibtisch sehen will.«

»Schon notiert.«

»Das rat ich dir auch«, grummelt der Leutnant und verlässt den Abstellraum.

Der Inspektor betrachtet noch eine Weile den Platz, an dem sein Vorgesetzter sich aufgehalten hat, dann gießt er sich einen großen Schluck Kaffee ein, den er in einem Zug hinunterschüttet, und dreht sich um zu Nelson Mandelas Porträt an der Wand hinter ihm.

Worauf die Affen warten - Krimi

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