Читать книгу Worauf die Affen warten - Krimi - Yasmina Khadra - Страница 14

9.

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Ed Dayem erscheint gegen 9 Uhr am Sitz seines Medienkonzerns. Das Wetter ist schön, die Sonne übertrifft sich selbst für diese Jahreszeit, auf den Panoramafenstern schimmern perlmuttfarbene Reflexe. Ed stellt seine dicke Limousine auf dem Parkplatzgelände hinter dem Gebäude ab, über dessen fünf Etagen er das Zepter schwingt wie ein altorientalischer Despot. Ein junger Mann in ärmlichen Klamotten, mit einem Knüppel in der Hand und einer undefinierbaren Armbinde, steht vor ihm stramm, salutiert und reißt diensteifrig den Wagenschlag auf.

»Hallo, Moh, haben sie dich aus dem Knast entlassen?«

»Schon vor zwei Wochen, Si Dayem!«

»Und wie war’s?«

»Naja, ich hab mir die Zelle mit einer Schwuchtel geteilt, da kam keine Langeweile auf.«

»Du bist mir ein Glückspilz!«

Moh ist ein junger Arbeitsloser aus der Vorstadt, dessen Dasein zwischen dem Gefängnis und dem Keller seiner Mietskaserne verläuft. Obwohl er höchstens Anfang dreißig ist, hat er kaum noch Zähne im Mund und sein Blick ist so verquer wie sein Verstand. Weil er nicht richtig tickt, übertragen die Dealer ihm gern riskante Missionen, die ihn oft auf direktem Weg ins Kittchen bringen, und er, der mit Freuden noch den letzten Auftrag annimmt, wenn er ihm nur seine Ration Cannabis sichert, umgibt jede seiner Runden durch den Strafvollzug mit einer heroischen Gloriole. Im Viertel haut ihn jeder Bengel übers Ohr, aber Moh betrachtet jeden Reinfall als bereichernde Erfahrung, hegt er doch unverdrossen den Plan, eines Tages ein zweiter Al Capone zu werden. Abends, wenn der Parkplatz sich geleert hat, kehrt Moh in seinen Verschlag im Souterrain seines Sozialbaus zurück und träumt, während er an seinem Joint zieht, von einer Villa mit Swimmingpool, pottwalgroßen Luxuskarossen, pharaonischen Banketten und einem Harem von Blondinen mit schwindelerregendem Hüftschwung.

Ed drückt ihm einen Schein in die Hand.

»Leiste dir mal ein Lächeln, Moh. Ich möchte so gern glauben, dass um mich herum alles paletti ist.«

»Aber es ist doch alles paletti, Si Dayem – alles intik, kho.«

Ed zwinkert ihm zu und macht sich auf in die ChefEtage.

Vor dem Aufzug im fünften Stock steht eine junge Dame zu seinem Empfang bereit. Sie hilft Ed aus seinem Kaschmirmantel, nimmt ihm seinen Dior-Schal und sein Vuitton-Aktenköfferchen ab.

»Alle warten schon auf Sie, Monsieur Dayem.«

»Danke, Zohra. Bring mir bitte einen Kaffee.«

Die gesamte Direktion erhebt sich, als Ed den immensen Konferenzsaal betritt. Um einen kolossalen Tisch herum sind der Finanzdirektor, die Publikationsdirektoren sämtlicher Zeitungen und Magazine, der Rechtsbeistand, Eds Privatsekretär und einige andere schick in Schale geworfene junge Mitarbeiter versammelt, deren Namen und Funktionen Ed sich noch nie merken konnte. Ed gibt niemandem die Hand. Wie ein Grandseigneur durchschreitet er den Raum und lässt sich majestätisch im großen Polstersessel am anderen Ende des Konferenztisches nieder. Er wartet, bis Zohra ihm den Kaffee gebracht hat, bevor er das Briefing eröffnet.

Es herrscht bleierne Stille, während die Verantwortlichen reihum ihren Lagebericht abliefern. Ed gibt vor zuzuhören, indem er ab und zu verständnisinnig nickt. Wenn er etwas nicht begreift, kratzt er sich verärgert an der Wange. Tatsächlich gelingt es ihm nicht, die nötige Konzentration für die Schilderungen seines Fußvolks aufzubringen, es scheint, als wolle er im Eiltempo damit durchkommen. Um sein Desinteresse zu kaschieren, lässt er hin und wieder eine belanglose Frage oder eine gewagte Bemerkung vom Stapel. Nur ein einziges Mal überwindet er erfolgreich seine Langeweile, als es um den Finanzbericht geht, dem er angespannt lauscht und der ihn zu befriedigen scheint. Er beglückwünscht das Team für die effiziente Arbeit und hebt die Sitzung auf.

Nach dem Briefing begibt sich Ed in sein Büro. Sido Lamine, sein Privatsekretär, ist schon dort und damit beschäftigt, die anhängigen Akten zu sortieren. Er ist der Einzige, zu dem Ed bedingungsloses Vertrauen hat. Sie sind beide aus demselben Holz geschnitzt. In den 1970ern haben sie sich im Dunyazade kennengelernt, einem auf Bollywood-Filme spezialisierten Kino. Ed war Kassenwart, Sido abwechselnd Ticketverkäufer und Platzanweiser. Sie verstanden sich großartig, setzten mit dem stillschweigenden Einverständnis des Geschäftsführers Tickets auf dem Schwarzmarkt ab und unterschlugen mit schöner Regelmäßigkeit einen Gutteil der Einnahmen. Während Sido seine Kröten verpulverte, legte Ed seine Kohle gewinnbringend an und machte sich binnen fünf Jahren selbstständig, brachte es zum Besitzer eines kleinen Zeitungskiosks, dem ein zweiter, dann ein dritter folgte und weitere in den bevölkerungsreichen Stadtteilen. Er investierte in billige Klamotten von Tati, die er en gros beim Zoll einkaufte, leistete sich ein Restaurant im Badeort La Madrague und ein Bordell an der Küstenstraße, wo die Bonzen Erholung suchten. Dreist wie er war, nahm er mit, was er nur konnte, und verschaffte sich Zutritt zu den oberen Zehntausend. Und nachdem er es einmal in den Kreis der Entscheidungsträger geschafft hatte, las er Sido wieder auf, der mittlerweile zum Trinker geworden war, und konditionierte ihn im Sinne seiner neuen Ambitionen um. Binnen kürzester Zeit legte Sido ein außergewöhnliches Talent fürs Management und eine vorbildliche Loyalität gegenüber seinem Chef an den Tag, dem er seit nunmehr vierzig Jahren treu und ergeben zur Seite steht.

»Wie ist es bei Hamerlaine gelaufen?«, fragt Sido ihn, während er die Vorhänge vom Panoramafenster wegzieht.

»Er hat sich auf Amar Daho eingeschossen.«

»Aber er hat ihm doch eh alles genommen und nur ein paar Knochen zum Abnagen gelassen.«

»Ich bin es leid, statt seiner daran herumzunagen. Hast du wenigstens etwas Brauchbares gefunden?«

»Ich hätte da schon so eine Idee, aber Omar Sfa ziert sich noch.«

»Wer hat Hamerlaine überhaupt gesteckt, dass ich in Spanien war?«

»Kein Mensch wusste davon. Aber ein Anruf beim Flughafen genügt doch schon, um herauszubekommen, wer das Land an welchem Tag zu welcher Stunde verlassen hat, wie schwer sein Gepäck war und was sich laut Scan darin befunden hat ...«

Sido setzt sich auf einen Stuhl und legt die Füße hoch. Auf einen goldbronzenen Beistelltisch. Nach längerem Nachdenken bemerkt er schließlich:

»Weißt du, Eddie, die Leute fangen an, es seltsam zu finden, dass wir uns so auf Ex-Minister Amar Daho einschießen. Wir haben eine Menge anonymer Schmähbriefe bekommen, ganz zu schweigen von den ordinären Kommentaren im Internet.«

»Lass die Hunde nur bellen. Das ist doch ihre Lebensaufgabe, oder nicht?«

»Sie können aber auch beißen, vor allem, wenn sie tollwütig sind. Diese Geschichte wird uns nochmal im Halse stecken bleiben.«

Ed runzelt die Brauen und streicht sich mit dem Finger über den Nasenrücken.

»Ich bin es ja nicht, der so scharf auf Dahos Ohren und seinen Schwanz als Jagdtrophäe ist, sondern Hamerlaine. Und wer wagte es schon, einem Hamerlaine zu widersprechen? Er hat das Schicksal aller Dinge in diesem Land in der Hand ...«

»Gewiss, nur dass ...«

»Nur dass was, gottverdammt? Auf welchem Stern lebst du eigentlich? Wenn Hamerlaine was beschließt, kommt keiner dagegen an ... Hast du denn gar keine gute Nachricht für mich? Ich habe die ganze Nacht über kein Auge zugetan.«

»Doch, eine ganze Menge sogar ...«, antwortet Sido, auf Ausgleich bedacht. »Unser Umsatz übersteigt bei Weitem unsere kühnsten Prognosen.«

»Und der Vertrag mit Seynooks?«

»In zwei Wochen haben wir einen Termin mit den Unterhändlern.«

»Und wie lässt es sich an ...?«

»Wir drücken die Daumen, ohne die Hände in den Schoß zu legen.«

»Das ist keine Antwort.«

Sido steht auf, geht vor bis zum Panoramafenster, kehrt um und setzt sich mit halbem Hintern auf eine Ecke der Schreibtischplatte. Sinnierend blickt er seinen Chef an, während sich auf seiner Stirn eine senkrechte Falte bildet.

»Wir sind nicht die Einzigen, die an dem Projekt dran sind, Eddie. Und die Konkurrenz ist gefräßig. Wir haben alles Nötige in die Wege geleitet, aber wir wissen nicht, wie die anderen vorgehen.«

»Ich mag es nicht, wenn deine Stimme so zaghaft klingt wie eben jetzt, Sido. Ich will dieses Projekt.«

»Ich auch, Eddie, ich auch. Ich habe unsere feinsten Spürnasen an die Sache gesetzt. Wir haben die Konkurrenz so sehr geschmiert, dass sie ins Schleudern kam. Zwei Mitbewerber sind jetzt im Vorfeld ausgeschieden, doch die DzaïrRoom-Gruppe, die Gebrüder Soltani und Magic Store sind noch im Rennen – und sie weigern sich, aus dem Feld zu gehen.«

»Sie sind zäh, aber wir sind clever. Wir müssen den richtigen Dreh finden. Ich will unbedingt das Geschäft mit Seynooks machen. Das ist unser einziges Schlupfloch, um von hier wegzukommen, wenn die Lage sich verschlechtert. Die Situation im Land wird immer ungemütlicher, die Wut der Straße hallt in unseren Mauern wider. Ich wüsste nicht, wie ich einen Volksaufstand meistern sollte.«

Sido erhebt sich. Er wirkt weitaus weniger angespannt als sein Chef.

»Algerien hat seine Krise hinter sich, Eddie. Ich glaube kaum, dass das Land Lust auf eine zweite hat. Die Warnlichter stehen auf Rot, sicher, aber es wird nicht zum erneuten Crash kommen.«

»Das hoffe ich, Sido, ich hoffe es von ganzem Herzen.«

»Weil du am Ende gar ein Herz hast, Chef? Du hast mir doch beigebracht, dass dieses Organ Quell aller Enttäuschungen ist. Und dass die beste Art, ein erfülltes Leben zu leben, darin besteht, es auf Eis zu legen.«

»Falsch ist das nicht ... Jetzt zieh Leine ... Ich muss noch jemanden anrufen.«

»Bin schon weg ... Ach, fast hätte ich es vergessen. Da sind noch zwei Intellektuelle, die schon ewig im Empfangssaal auf dich warten.«

»Am frühen Morgen ein schlechtes Zeichen. Wenn zwei algerische Intellektuelle sich vertragen ...«

»... dann geht das immer auf Kosten eines Dritten«, fährt Sido fort, während er die Tür hinter sich schließt.

Worauf die Affen warten - Krimi

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