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Ach, Algier ...!

Das berühmte weiße Algier, so kreidebleich wie kurz vorm Kollaps. Wahrlich ein mentales Trümmerfeld, denkt Ed Dayem bei seiner Rückkehr in die legendäre Metropole, die bis zum Hals im eigenen Auswurf steckt. Algier, ach Algier ... Seine Schutzpatrone sind längst emigriert. Ducken sich hinter dem eigenen Schatten, pressen den Finger auf ihren Mund, beschwören ihre Schützlinge, sich tot zu stellen. Algiers tönende Hymnen sind im Tumult einer Jugend verstummt, die in der Sackgasse steckt. Einer Generation von Mauerstehern, die sich auf nichts versteht, als apathisch Däumchen zu drehen, bis auf der Straße die nächste Revolte ausbricht: um dann schleunigst Geschäfte zu plündern und öffentliche Gebäude in Brand zu setzen. Von einer Minderheit von Snobs abgesehen, die die schrägsten Marotten der Pariser imitiert, wuchert der Verfall. Selbst die Unmoral ist der allgemeinen Flaute zum Opfer gefallen. Und die Aufreißerinnen, die früher noch dem letzten Krüppel drei Beine machten, riechen nach Leichentuch und dem schwülen Schweiß schlechter Zeiten.

Ed Dayem, der im Fond des Taxis sitzt, mit dem er vom Flughafen stadteinwärts fährt, kann seine Gedärme förmlich brodeln hören. Das Unwohlsein hat ihn im selben Moment befallen, in dem er ins Flugzeug gestiegen ist, und je näher sie der algerischen Küste kamen, um so schlimmer wurde es. Die Antidepressiva, die er auf Schritt und Tritt schluckt, haben ihre Wirkung verloren. Immer, wenn er nach Algerien zurückkommt, fühlt er sich wie ein Mörder, der an den Schauplatz seiner Verbrechen zurückkehrt.

Dabei ist Ed Dayem keineswegs irgendwer. Wenn er mit der Hand in die Hosentasche fährt, hört man darin Senatoren, Abgeordnete, Richter, Bürgermeister und einen Haufen höherer und höchster Beamter klappern. Wie Kleingeld in der Sparbüchse eines verwöhnten Kindes. Aber in Algerien ist kein Gott ganz und gar vor Übergriffen sicher.

Um seine diffusen Ängste zu zerstreuen, wendet Ed seine Aufmerksamkeit dem Taxifahrer zu, einem kleinen, vor sich hin nörgelnden Kerl mit olivfarbenem Teint, dessen Anzug derart grotesk aussieht, als hätte er ihn einem Clochard abgejagt. In Algerien versteht man es nicht mehr, sich zu kleiden, das ist nicht neu, doch in letzter Zeit treibt man es wirklich zu weit. Schlurft tagaus, tagein in Sandalen herum, trägt von Freitag zu Freitag den qamis, das Moscheegewand, und erscheint zu Beerdigungen im Joggingdress. Keine Spur mehr von Anstand. Aber kein Mensch scheint diesen Krebsgang, dem das Denken anheimfällt, überhaupt noch wahrzunehmen.

Ed Dayem konzentriert sich auf den schmalen, wunderlichen Nacken vor seiner Nase, der aus einem schuppenübersäten Kragen ragt. Es ist ein erschöpfter, gebeugter, gebeutelter Nacken, der schwer an der Bürde dieses Kopfes trägt, in dem Groll und Verbitterung gären.

Der Taxifahrer schimpft. Seine Brille und das akzentfreie Französisch weisen ihn als gescheiterten Akademiker aus, der dem Universitätsdiplom, mit dem sich nichts anfangen lässt, die Taxifahrerlizenz vorgezogen hat. In einem Land, dessen Entscheidungsträger ihren Nachkommen lieber eine Villa hinstellen als eine Nation zu errichten, trifft man nicht eben selten auf herausragende Talente, die in Imbissbuden jobben, um über die Runden zu kommen ...

Ed verscheucht mit einer Hand seine allzu ausufernden Gedanken und lässt seinen Blick zum Armaturenbrett wandern, an dem das Foto eines kleinen Mädchens mit streng geflochtenen Zöpfen klebt. Die Kleine lächelt, doch ihr Blick, der lächelt nicht. Man erahnt das Ausmaß an Frustration, das hinter den Kulissen herrscht.

Zärtlichkeit ist in diesen Zeitläuften eine Form unter vielen, sein trocken Brot zum Duft des Bratens zu essen. Satt macht es nicht, aber es hilft durchzuhalten.

Neben dem Foto ein Hinweisschild, in Plastik eingeschweißt, das die Fahrgäste bittet, aufs Rauchen zu verzichten, daneben, für die Analphabeten, das Verbotszeichen mit der durchgestrichenen Zigarette. Aus dem ramponierten Handschuhfach quillt Kabelgewirr. Die Windschutzscheibe, von altertümlichen Scheibenwischern zerkratzt, bietet einen mehr als fragwürdigen Durchblick. Am Rückspiegel baumelt eine billige Gebetskette mit abgegriffenen Kugeln, vermutlich ein Mitbringsel aus Mekka. Das Gefährt, obgleich neuerer Bauart, ächzt und quietscht an allen Ecken und Enden. Dieser Typ von Billigfahrzeugen, der in Ländern hergestellt wird, die sich nicht an europäische Normen halten müssen und ausschließlich für den Export in drittrangige Staaten produzieren, hat Algerien überschwemmt – was auch erklärt, warum das Land eine der höchsten Unfallraten weltweit hat.

Der Taxifahrer ist unzufrieden. Er schimpft pausenlos über die Raser, die ihn in ihren getunten Kisten überholen, oder die alten Vehikel, die die Umwelt verpestend über die Straße holpern. »Das darf doch nicht wahr sein!«, schäumt er. »Die denken wohl, sie sind hier bei der Formel 1 oder sie schlichen hinter einem Leichenzug her. Davon, wie man ganz normal Auto fährt, haben sie keinen blassen Dunst.«

In Wahrheit ist der Fahrer wütend, weil die nationale Fußballmannschaft am Vorabend eine mächtige Schlappe erlitten hat, was ihre Chance auf Qualifikation für den Afrika-Cup gewaltig schmälert. Am Flughafen haben sie alle sehr gedämpft gewirkt. Und die Zöllner, die gemeinhin sehr genau hinsehen, hatten kaum einen Blick für das Gepäck. Wenn El-Khadra 1 ein Spiel in den Sand setzt, dann trauert die ganze Nation.

Er wendet sich im Rückspiegel an seinen Fahrgast:

»Haben Sie das Spiel gesehen, Brüderchen? Vier zu Null. Die Schande des Jahrhunderts ...! Das waren keine Athleten, das waren die reinsten Pompom-Girls. Ich kann es gar nicht glauben, dass wir mit dieser Bande platinblonder Gigolos an der Weltmeisterschaft teilgenommen haben. Nach dem Spiel haben sie sich angeblich in der Disco ausgetobt. Können Sie sich das vorstellen? Wir, das kleine Volk, wir zählen überhaupt nicht für die. Wir haben kein Recht mehr zu träumen. Dabei haben wir nichts als unsere Nationalelf, um unser Unglück zu vergessen. Sie ist unser Tranquilizer, unsere Schmerzdroge, unser einziges Palliativ. Warum unternimmt unsere Regierung eigentlich nichts, damit der Tod uns weniger ankotzt als das Leben?«

Ed Dayem antwortet nicht. Er mustert den zerklüfteten Nacken und versucht, irgendetwas Positives daran zu finden. Der Fahrer quasselt und quasselt. Als hätte er ein Radio verschluckt. Er zürnt. Dem Himmel und der Erde, den Krankenhäusern und Gerichten, den Parteien und den Wachdiensten. Den Konsulaten, die sich weigern, ihm ein Visum auszustellen. Den Medikamenten, die viel zu teuer sind ...

»Kennst du Shiva, Mann?«, fragt Ed ihn, der es nicht mehr aushält.

»Wer soll das sein?«

»Eine Hindu-Göttin.«

»Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.«

»Nur Geduld ... Shiva hat einmal gesagt: ›Wenn der Wind in den Bäumen weht, wirbelt er die Blätter durcheinander, und die Vögel werden nervös.‹«

»Ja und?«

»Mann, ich versuche dir nur zu sagen, dass du mir auf die Nerven gehst, selbst wenn du keine Blätter durcheinanderwirbelst.«

Der Fahrer nickt. Hundert Meter weiter schiebt er sich eine Marlboro rein – der Rüffel seines Fahrgastes stößt ihm schwer auf – und beugt sich über den Zigarettenanzünder, wobei sein Blick kurz von der Straße abschweift.

»Ist das hier nicht verboten?«, bemerkt Ed und zeigt auf das Schild vom Armaturenbrett.

»Das gilt nur für die Passagiere«, klärt der Fahrer ihn auf. »Wenn es Sie stört, mach ich sie aus. Immer, wenn ich an das Spiel von gestern denke, würde ich mich am liebsten mit Benzin übergießen und eine Revolution entfachen.«

Aus dem Nichts taucht ein Hund auf der Fahrbahn auf. Der Taxifahrer kann gerade noch rechtzeitig das Steuer herumreißen. Er steigt auf die Bremse, richtet das Lenkrad wieder geradeaus. Der Wagen bricht mit grässlich quietschenden Reifen zur Seite aus, kommt vom Asphalt ab, schlittert über die gestampfte Erde und schlingert zurück auf die Straße.

Für den Bruchteil einer Sekunde sieht Ed Dayem, wie vor ihm der Film seines Lebens abrollt. Es hat ihn gegen die Wagentür geschleudert, und er umklammert die Rückenlehne des Beifahrersitzes, um sich nicht den Hals zu brechen.

»Spinnst du oder was?«, brüllt er mit blutleerem Gesicht.

»Tut mir leid, kho.2 Es gibt einfach zu viele streunende Hunde, die keinen Respekt vor dem Zebrastreifen haben.«

»Witzig willst du auch noch sein ... Wenn du noch einmal das Steuer verreißt, dann mach ich dich mit deiner eigenen Karre platt.«

Der Fahrer verspricht, besser aufzupassen.

Ed Dayem mustert ihn verächtlich und beruhigt sich allmählich, während der Fahrer schon wieder anfängt, auf Gott und die Welt zu schimpfen. Der Adrenalinstoß, den der jähe Schleuderkurs des Wagens ausgelöst ist, hat die klamme Angst verjagt, die wie ein Knoten in Eds Magengrube saß. Tief durchatmend vergräbt er sich im Fond des Taxis und brummt:

»Versuch wenigstens, mich heil abzusetzen, verstanden?«

Aber der Fahrer hört ihn nicht, völlig absorbiert vom Kampf gegen seine Windmühlenflügel.

Worauf die Affen warten - Krimi

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