Читать книгу Worauf die Affen warten - Krimi - Yasmina Khadra - Страница 15

10.

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Im Empfangsraum warten zwei junge Männer in granatroten Ledersesseln ungeduldig darauf, Ed ihre Aufwartung zu machen. Der eine ist J’ha, Gründer eines angesagten Verlags, der andere ein franko-algerischer Autor, welcher eigens aus Paris angereist ist, um sein neuestes Buch zu promoten. Das lange Warten am hinteren Ende des Korridors hat ein wenig ihre Züge verzerrt, die ein breites Lächeln buchstäblich in letzter Sekunde vor der Entgleisung rettet, als Ed Dayem sich endlich zu ihnen gesellt.

Eilig fordert er sie auf, doch wieder Platz zu nehmen: »Tut mir sehr leid, dass ihr so lange warten musstet. Ich komme gerade von einer Rundreise durch Europa zurück, und auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Akten, eine dringender als die andere.«

»Allein meine Schuld«, erwidert der Verleger entgegenkommend. »Ich bin schließlich ohne Voranmeldung gekommen.«

»Du bist doch hier zu Hause, J’ha. Du brauchst dich nicht anzumelden ...« Ed blickt angelegentlich auf seine Armbanduhr. »Also, was kann ich für dich tun?«

»Ich habe diesen jungen Autor hier in Lizenz herausgebracht. Er ist wahnsinnig talentiert. Ich fände es gut, wenn du uns helfen könntest, ihn hierzulande bekannt zu machen.«

»Hat dein Wunderkind auch einen Namen?«

»Verzeih, ich hab die elementaren Höflichkeitsregeln außer Acht gelassen. Lieber Eddie, darf ich dir Baasous Llaz vorstellen, einen Autor, der ...«

»Sieh an ...!«, unterbricht ihn Ed, »der gnadenlose Kritiker unseres berühmtesten Schriftstellers.«

Die Stirn des jungen Romanciers glättet sich. Er ist geschmeichelt, dass einer der größten Pressemagnaten Algeriens ihn kennt.

»Ich habe seine Copy-and-Paste-Artikel gelesen. Welch ein Furor! Welch ein Irrsinn! Es hat mich umgehauen. Hätte er mir seine Dienste angeboten, ich hätte ihn vom Fleck weg engagiert. Einen Blog auf so renommierten Online-Seiten wie der des Nouvel Observateur oder Mediapart zu eröffnen, dort die schamlosesten Unterstellungen zu verbreiten und dann so zu tun, als wären es besagte Online-Seiten, die unseren berühmten Schriftsteller derart verunglimpfen, ehrlich, auf so was muss einer erst mal kommen.«

Der junge Autor, der nicht versteht, worauf Ed hinauswill, weiß nicht mehr, ob er weiterhin lächeln oder sei Lächeln lieber ablegen soll.

Der Magnat zieht ein kleines Notizbuch aus der Innenseite seiner Jackentasche, blättert kurz, hält inne und beginnt, mit tönender Stimme vorzulesen:

»Laut Malek Bennabi gibt es den Kolonisierten und den Kolonisierbaren. Die Kolonisierten streben danach, sich dem Joch, das sie knechtet, zu entziehen; die Kolonisierbaren brauchen auch, wenn sie frei sind, beständig einen Herrn. Manche versuchen, sich in Paris anzubiedern und lassen, wenn sie keine Interessenten finden, ihre Wut an den Erfolgreichen aus. Andere verschreiben sich ungeniert jenen Lobbies, die allem Schönen und Großen in unserem Land den Kampf ansagen, und lassen nichts unversucht, das Bild jener Gerechten zu entstellen, die es in Algerien noch gibt, um sich selber umso wirkungsvoller in Szene zu setzen. Man applaudiert ihnen, lobt sie und behängt sie mit Orden, dann drängt man sie, in devoter Dankbarkeitgenau das zu verkünden, was Musik in den Ohren ihrer Herren ist – denn für unsere Feinde gibt es keinen köstlicheren Sieg als mitanzusehen, wie unser Land von seinen eigenen Söhnen in den Schmutz gezogen wird.«

J’ha wittert einen brenzligen Geruch in der Luft.

»Und von wem ist das?«, fragt er.

»Von meiner Wenigkeit«, ruft der Magnat stolz aus.

»Seltsam ...«

Ed Dayem wendet sich wieder an den Nachwuchsautor: »Sagen Sie mal, Monsieur Llaz, wer ist denn dieser berüchtigte Jonathan Klein, dass Sie ihn wie ein Beweisstück am Ende Ihrer flammenden Machwerke schwenken?«

»Ein Amerikaner, von der Universität Bakersfield.«

»Merkwürdig. Wir haben bei der Universität Bakersfield nachgefragt – der Knabe ist dort völlig unbekannt. Und was sein berühmtes Lexikon anbelangt, in dem er den Stolz unserer Nation des Plagiats beschuldigt: völlig unauffindbar.«

»Jonathan Klein existiert aber. Er hat mir geschrieben.«

»Vielleicht hat J’ha Ihnen geschrieben. Er macht das gerne, seine kleinen Gemeinheiten von seinen neu eingestellten Mitarbeitern signieren zu lassen. Und ganz unter uns: Wer sind Sie denn schon, dass man Ihnen schreibt? Die Washington Post, der Canard Enchaîné, El País, Politiken, der Spiegel? Und wenn was dran wäre, glauben Sie denn, die Medien, die unseren berühmten Autor gefeiert haben, würden erst auf Ihr Signal warten, um ihn zu lynchen? Das Ganze ist wohl eine Nummer zu groß für Sie, Monsieur Llaz. Jonathan Klein ist kein Amerikaner, sondern ein waschechter Algerier, ein absolut typischer kahl-arras, einer dieser undankbaren Intellektuellen von der Art, wie sie nur unser liebes Vaterland exkrementieren kann, ein echt beknackter Kamelbremser, der krank vor Neid und Eifersucht ist und denkt, er würde einen Tsunami auslösen, wenn er nur einen Stein ins Wasser wirft ... Ist es nicht so, J’ha?«, fügt er hinzu, während er eindringlich den Verleger mustert, der sich nicht rührt.

»Das glaube ich Ihnen nicht!«, ruft der junge Autor.

»Glauben Sie denn überhaupt noch an irgendetwas, Monsieur Llaz?«

»Und wie heißt Jonathan Klein denn nun wirklich?«

»Das behalten wir lieber für uns, für alle Fälle ... Eines sollten Sie wissen, Monsieur Llaz: Die Diffamierung ist eine hohe Kunst, nur die Eingeweihten blicken da durch. Und ihre Wirkung beruht ausschließlich auf zwei Faktoren: der Leichtgläubigkeit der Durchschnittsleser und der Nichtüberprüfbarkeit der Aussagen. Ihre Behauptungen indes, Monsieur Llaz, lassen sich allesamt mit ein paar Mausklicks überprüfen – und widerlegen. Aber das dürfte ja wohl Ihre geringste Sorge sein. Für Sie zählt nur das Rampenlicht der Öffentlichkeit, ganz gleich, wie Sie dorthin gelangen. Wissen Sie, wie es dem Nachtfalter ergeht? Er flattert so lange ums Licht, bis er darin verbrennt ... An Ihren stupiden Hirngespinsten finden nur Jammergestalten Ihres Formats und die Paranoiker des Internets Gefallen.«

»Ich bin keine Jammergestalt.«

»Wie würden Sie sich denn definieren?«

»Das geht Sie nichts an. Und außerdem haben Sie überhaupt nichts überprüft. Sie nehmen mich auf den Arm. Sie wissen doch gar nichts!«

»Oh doch! Wir wissen so einiges über eine ganze Menge Leute, die über jeden Zweifel erhaben sind. Wir wissen zum Beispiel, dass unser Freund J’ha hier über ein riesiges Netz obskurer Schreiberlinge, frustrierter Zeitungsfritzen und vereidigter Verunglimpfer verfügt, dass er ein Manipulator ohnegleichen ist und wie sonst keiner den Franzosen den Arsch leckt.«

»Das hat jedenfalls mehr Stil, als maghrebinischen Landpomeranzen den Arsch zu lecken«, kontert der Verleger in aller Gelassenheit.

»Vielleicht hat es mehr Stil, aber hygienisch ist es um einiges bedenklicher. Eine maghrebinische Landpomeranze führt fünfmal am Tag ihre rituellen Waschungen durch.«

Ed zielt mit seiner Zigarette auf den jungen Autor: »Über Sie wissen wir auch so einiges, Monsieur Llaz.«

Llaz lacht laut los: »Ich habe mir nichts vorzuwerfen, Monsieur Dayem. Ich bin weder Politiker noch Geschäftsmann.«

Ed Dayem grinst höhnisch, ohne den Pariser Autor aus den Augen zu lassen: »Die Korruption steckt manchmal woanders, als man denkt. Die kleine Welt, der Sie sich angeschlossen haben, ist eine Mafia, allerdings ohne deren Ehrenkodex ...«

»Und was haben Sie gegen mich in der Hand, Monsieur Dayem?«, fragt der junge Autor herausfordernd.

»So einiges. Wir wissen zum Beispiel, dass Sie jedes Mal, wenn unser berühmter Schriftsteller ein neues Buch herausbringt, unverzüglich auf die fnac.com-Seite gehen, um dem Buch, ohne es überhaupt gelesen zu haben, einen einsamen Stern und einen vernichtenden Kommentar zu verpassen – in der Hoffnung, damit potentielle Leser abzuschrecken. Wir wissen auch, dass Sie nach dieser Großtat etliche Monate damit zubringen, Ihre eigenen Kommentare zu bewerten. Man muss schon ein echter maghrebinischer Schmierfink sein, um die Infamie derart auf die Spitze zu treiben ... Sagen Sie, Monsieur Llaz, bewerten Sie Ihre Kommentare eigentlich alle in Eigenregie? Oder lassen Sie sich dabei von Ihren Freunden helfen? Stellen Sie sich vor, ich hab mir mal den Spaß gemacht, nachzuzählen: Sie haben Ihre eigenen Kommentare über dreitausendfünfhundertmal bewertet. Enorm! Und das, mein Junge, das ist kein Mobbing mehr, das ist der helle Wahnsinn.«

Verärgert springt der Verleger auf: »Jetzt gehst du wirklich zu weit, Eddie!«

»Ich fürchte, da bin ich nicht der Einzige.«

»Du musst uns keine Morallektionen erteilen.«

»Daran zweifle ich keine Sekunde.«

»Mir scheint, du vergisst da eine Kleinigkeit, Eddie. Was das Streuen falscher Gerüchte angeht, sehe ich weit und breit niemanden, der es mit dir aufnehmen kann. Du bist doch der König der Nachrichtenwelt, du verbringst deine Zeit damit, die einen wie die anderen mit banalen Skandalmeldungen und schlüpfrigen Enthüllungsgeschichten in Grund und Boden zu rammen. Kein Tag vergeht, an dem du nicht beim Lynchen derer mitmachst, die nicht deine Sprache sprechen, und den letzten Blindgänger in den Himmel hebst ...«

»Das bestreite ich ja gar nicht. Aber ich muss ein komplettes Imperium absichern, Bündnisse konsolidieren, einen Harem von Prostituierten unterhalten und einen Dschungel gieriger Tatzen schmieren. Und Sie? Was ist denn Ihr übergeordnetes Ziel, wenn Sie unseren großen Schriftsteller diffamieren? Glauben Sie, es täte Ihrem Image gut, wenn Sie ihn verleumden? Wollen Sie an seiner Stelle glänzen? Hier geht es um Talent. Das hat man oder man hat es nicht ... Wenn ich einen Rivalen ausschalte, fallen mir seine ganzen Geschäftsbeziehungen zu. Aber was bringt es Ihnen, wenn Sie einen Konkurrenten vernichten? Die Genugtuung, ein Licht ausgeknipst zu haben, damit alle Welt wieder im Dunkeln sitzt?«

Weder J’ha noch Llaz noch Ed Dayem ist bewusst, dass sie in diesem Moment das algerische Paradox verkörpern. Dass sie zwar der Spezies Mensch angehören, aber in Wahrheit bar jeder Menschlichkeit sind: blindwütige Fanatiker, denen jede Form von Edelmut, Hilfsbereitschaft und Güte fremd ist, und die das morbide Bedürfnis antreibt, anderen zu schaden, wo es nur geht. Die derart erbärmlich sind, dass sie selbst, wenn man vor ihren Augen alle Pracht der Erde entfaltete, doch nur die eigene Hässlichkeit sähen. Ist Dayem am Ende vielleicht nur deshalb wütend, weil er im Vergleich zu seinen umnachteten Doppelgängern wenigstens einen Funken Licht retten will? An jemandem, der das Image Algeriens in der Welt blankpoliert, dessen Person eine Art nationaler Errungenschaft darstellt, deren Existenz über den Niedergang der Nation ein wenig hinwegtröstet, darf man sich nicht vergreifen, findet der Magnat.

Wenngleich ihm sehr wohl klar ist, wie tief er gesunken ist, steht Eddie dank seiner patriotischen Ader, die in dem ganzen Wust aus Gewalt und Verkommenheit, aus dem seine Person besteht, noch irgendwie überlebt hat, auf dem Standpunkt, dass gewisse Werte, vor allem jene, die es über die Staatsgrenzen geschafft haben, verteidigt gehören. Wenn die zwei Schreiberlinge in ihm einen alten Dämon wecken, dann wohl auch deshalb, weil sie ihn widerspiegeln. Er sieht in ihnen sein eigenes Bild – jenes, das ihn verstört, wenn er nachts allein in seinem Bett liegt: das Bild des doppelköpfigen Horrors, in den er sich verwandelt hat.

Der Verleger beißt die Zähne zusammen und unterdrückt seine Wut. Mit einer Kopfbewegung signalisiert er dem jungen Romancier, aufzustehen.

»Du enttäuschst mich, Eddie, es bricht mir schier das Herz.«

»Oh, das Herz, dieses verflixte Herz, das sich immer dann meldet, wenn es darum geht, jemanden bei der Stange zu halten ... Ich würde gern mal einen Blick hinter dein Brustbein werfen, J’ha. Dein Blut wird von keinem Organ durch die Adern gepumpt, sondern allein von deiner Niedertracht. Du bist so ekelhaft wie ein Eitergeschwür und so fies wie eine Fehlgeburt.«

»Wir sind nicht hier, um uns beleidigen zu lassen.«

»Dazu bedarf es wirklich keiner Anstrengung. Bei maghrebinischen Mackern eures Kalibers steht die Beleidigung schon im Raum, bevor man nur den Mund aufmacht.«

J’ha, um eine Antwort verlegen, presst die Kiefer zusammen und ballt die Fäuste. Rabenschwarz wandert sein Blick durch den Raum, auf der Suche nach einer passenden Retourkutsche, wandert unverrichteter Dinge zum Glastisch zurück, streift den Perserteppich, dann die schmutzverkrusteten Schuhe des Franko-Algeriers, bevor er vom höhnischen Grinsen des Pressemoguls aufgespießt wird.

»Du bist ja komplett irre, Eddie«, hört er sich keuchen.

»Strolche euren Schlags machen mich auch völlig kirre. Nimm den Fuß vom Gas und such dir einen Schuh, der nicht zwei Nummern zu groß für dich ist. Damit kannst du dann zwar nicht mehr angeben, aber es hilft dir, aufrecht durchs Leben zu gehen. Und sag dir: Es gibt eine Hierarchie in allen Dingen. Und in jeder Disziplin. Wer hätte je Operndiva und Klageweib, Superstar und Schlagersternchen, Wissenschaftler und Schulmeister, den ausgewiesenen Autor und den beflissenen Schreibanfänger auf dieselbe Stufe gestellt? Wenn man jemandem nicht das Wasser reichen kann, sollte man es gar nicht erst versuchen, sonst verhebt man sich nur. Gib deinem Leben einen Sinn, du Sturkopf, und versuch, den Kurs zu halten.«

Ed wendet sich um zum Romancier und fährt fort:

»Eifersucht ist eine Form von Selbstverleugnung, junger Mann. Macht traurig und böse, kompensiert aber nichts. Nur die Momente zählen im Leben, die uns ein wenig Freude geben. Alles andere ist Vergeudung. Wenn du schreiben willst, dann schreib. Man baut sein eigenes Talent nicht dadurch aus, dass man anderen das ihre abspricht. Begabung ist nichts, worum man feilschen könnte. Willst du meinen Rat? Du kannst den Beruf wechseln, die Religion, du kannst sogar dein Geschlecht umwandeln, aber versuch nicht, Gold in Schlamm zu verwandeln. Bei dem Tausch würdest du nichts gewinnen, und am Ende hättest du noch deine Seele verloren.«

»Amen ...«, brummt J’ha, während er seinen Schützling zum Ausgang schiebt. »Wenn man dich so hört, lieber Eddie, möchte man dir die Republik am liebsten mit geschlossenen Augen anvertrauen. Dabei würde selbst Gott lieber zweimal als einmal unter seinem Bett nachsehen, bevor er sich schlafen legt, wenn er wüsste, wo du überall deine Fallen aufstellst und deine Spinnennetze webst.«

Mit Schaumblasen vorm Mund stieben Verleger und Schützling aus dem Raum.

Worauf die Affen warten - Krimi

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