Читать книгу I#mNotAWitch - Yuna Stern - Страница 10

Kapitel 8

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Ich hatte mir eine Jacke übergezogen und ein paar Snacks und Wasserflaschen in meinen Rucksack gepackt, falls Jack in dieser Nacht auftauchen und mich zu sich nach Hause mitnehmen sollte. Nun war es kurz vor Mitternacht, ich saß auf meiner Fensterbank und starrte hinaus in die Dunkelheit.

Jack hatte mir erzählt, dass er mit den anderen Vampiren im Wood-Tikchik State Park lebte, das war mehrere tausend Kilometer von Bethel entfernt. Ich fragte mich, wie wir den Kuskokwim River überqueren würden. Offenbar spielte die Entfernung für ihn keine allzu große Rolle, sonst wäre er nicht so locker damit umgegangen.

Auf der Straße war nichts und niemand zu sehen. Keine Autos fuhren vorbei, keine Menschen spazierten in dieser Finsternis durch die Gegend. Alles war totenstill.

Langsam bezweifelte ich, dass er kommen würde. Schließlich hatte er mir kein Versprechen gegeben. Vielleicht war er wieder unterwegs, um seinen Hunger zu stillen. Bestimmt vergeudete ich einfach so meine Zeit. Mist. Ich stöhnte, lehnte meinen Kopf gegen die Fensterscheibe und zuckte bei der Eiseskälte des Glases zusammen.

„Komm, Jack. Bitte“, flüsterte ich.

Ich wollte hier weg. Das Abendessen war ein Desaster geworden. Niemand hatte mir in die Augen gesehen, niemand hatte ein Wort in meiner Gegenwart gesprochen. Nur die Jugendlichen – also Phoebe, Bailey und Tyler – hatten ein wenig mit mir geredet. Tyler war vielleicht ein Spinner, aber er hatte sich genauso verhalten wie sonst. Dafür war ich ihm tatsächlich ein wenig dankbar. Während die Erwachsenen mich bei jedem meiner Bissen befangen anstarrten, riss Tyler Witze über Blondinen, die nur mich zu einem nervösen Lachen verleiteten.

Nun wünschte ich mir nur noch, dass Jack auftauchte und mich aus diesem Gefängnis befreite.

„Bitte, bitte, bitte“, wiederholte ich und schloss die Augen.

Ich war müde. Die letzte Nacht hatte ich sehr unruhig verbracht. Selbst als ich eingeschlafen war, hatten mich seltsame Albträume geplagt, in denen mir mehrmals die Luft zum Atmen abgeschnürt wurde, bis ich keuchend aufgewacht war. Ich erinnerte mich nicht daran, was mich erwürgt und gequält hatte – da war nur eine triste Kälte, die sich seit dem Morgen in meine Brust gekrallt hatte. Auch jetzt noch fiel es mir schwer, richtig zu atmen. Immer, wenn ich es versuchte, verfing sich ein stechender Schmerz in meiner Brust und drückte auf meine Lungen.

Wahrscheinlich war der Streit mit meiner Mutter daran schuld. Oder?

Plötzlich hörte ich leise Schritte auf der Straße. Ich öffnete schnell die Augen und lugte hinaus. Ja, da war jemand, der sich sehr langsam bewegte.

„Jack?“, wisperte ich. Er war ein Vampir. Vielleicht konnte er mich auch aus dieser Entfernung hören.

Ich richtete mich auf und öffnete das Fenster, um vorsichtig meinen Kopf ins Freie zu strecken. Ein eisiger Wind fuhr mir durch Mark und Bein und ließ mich frösteln. „Jack!“, zischte ich nach draußen.

Hoffentlich war er es, und nicht jemand, der mich anschließend für eine irre Nachbarin hielt. Einen Moment später landete tatsächlich Jack mit einem großen Sprung auf meiner Fensterbank und grinste mich an. Seine dunklen Haare flatterten im Wind, während er herunterstieg und mich begrüßte.

„Hast du etwa auf mich gewartet?“, fragte er erstaunt, als er meine Jacke und meinen Rucksack bemerkte.

Ich zuckte mit den Schultern und lächelte schüchtern zurück. Ich konnte ihm ja nicht die Wahrheit erzählen, dass meine Mutter mich hierzu beauftragt hatte. Trotzdem kam ich nicht umhin, sie insgeheim dafür zu bewundern, dass sie all das hier vorhergesehen hatte. Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass er erneut hier auftauchen würde.

„Wie geht es dir? Hast du gestern Nacht noch Ärger bekommen?“ Die aufrichtige Sorge in seiner Stimme ließ mich schuldbewusst den Kopf einziehen.

„Nein“, log ich und spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Hoffentlich merkte er nicht, wie aufgeregt und angsterfüllt ich trotz allem war. Natürlich wünschte ich mir, von den Freunden meiner Mutter wegzukommen, doch das bedeutete nicht, dass ich mich vor Jacks Vampirfreunden nicht fürchtete. Aiden hatte ich ja bereits kennengelernt und er machte nicht einen halb so freundlichen Eindruck wie Jack. Im Gegenteil, er hatte mehrmals betont, dass er mein Blut ausprobieren wollte. Und dann lief ich ihm auch noch in die Arme.

„Möchtest du mich wirklich begleiten?“ Auch er klang nervös, stellte ich leicht belustigt fest.

Ich nickte langsam.

Ein erfreutes Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht. Für einen kurzen Moment betrachtete er mich mit leuchtenden Augen, dann kam er auf mich zu und berührte vorsichtig meine Schultern.

Instinktiv wollte ich zurückweichen, doch ich zwang mich zur Ruhe. Ich musste ihm vertrauen, damit er mir vertraute.

„Es ist ein langer Weg zu mir nach Hause“, warnte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Das schaff ich schon“, lächelte ich schwach.

Er schaute mich weiterhin an, dann nickte er und hob mich auf seine Arme.

Überrascht wollte ich mich zurück auf den Boden begeben, als er mich noch fester an seine Brust drückte, meinen Rucksack über seine Schulter warf, und mit einem zügigen Sprung aus meinem Fenster in die Schwärze der Nacht entglitt.

Wir landeten sicher auf dem Bürgersteig vor unserem Reihenhaus. Draußen roch es stark nach Autoabgasen und Schnee.

„Hey!“ Ich klopfte gegen seine Schulter, woraufhin er mich schmunzelnd ansah.

„Was ist denn los?“, fragte er lachend.

„Lass mich runter!“, bat ich.

„Wie sollen wir dann hinüber in den Wood-Tikchik State Park gelangen?“ Er überlegte kurz. „Oder könntest du deine Kräfte dafür benutzen?“

„Oh.“ Jetzt verstand ich. „Nein“, sagte ich gedehnt. „Dann gehen wir lieber auf deine Weise.“

Jack lachte und ging los. Erst da begriff ich auch, dass „gehen“ wohl das falsche Wort gewesen war. Wir flogen geradezu über die Stadt.

Jack rannte auf atemberaubend schnelle Weise durch die Straßen, sprang über geparkte Autos, hüpfte auf Dächer und Äste, wobei sich irgendwann alles vor meinen Augen zu einem Meer aus dunklen Farben und blinkenden Lichtern vermischte.

Eigentlich hatte ich erwartet, dass es unbequem sein würde, dass ich hin und her schaukeln und mir schlecht werden würde. Doch es war nichts dergleichen.

Mit fünf Jahren war ich das erste und letzte Mal auf einer Kirmes gewesen. Mit Phoebe, Bailey, Tyler und Mr Brandon. Dort hatte ich eine Achterbahn besucht und war auf das Riesenrad gestiegen. Meine Mutter hatte nichts davon gewusst und war danach regelrecht ausgeflippt. Sie hatte die Brandons sogar beschimpft, dass sie nichts von anständiger Erziehung verstünden.

Diese Erfahrung fühlte sich wieder so an, als wäre ich auf der Achterbahn. Berauschend. Lebendig. Ich konnte meinen tobenden Herzschlag hören, während ich über die Dächer blickte. Ebenfalls konnte ich Jacks unwiderstehlichen Duft einatmen. Diesmal roch er nicht nach Rauch, sondern er hatte sich offenbar mit Aftershave eingesprüht. Hatte er das nur für mich getan?

Irgendwann begann ich vor Entzücken zu lachen und glaubte sogar, das kindliche Lachen meiner Schwester, als sie damals neben mir auf der Achterbahn saß, wieder wahrzunehmen.

Wir waren nie wieder so ausgelassen gewesen.

Bis jetzt.

Nach einer halben Stunde hielt Jack am Ufer eines Sees an, in dem das Wasser leise plätscherte, und die Finsternis die naheliegenden Bäume wie Schatten hervorhob. Im Himmel konnte ich den Mond sehen, der sich im letzten Viertel seiner Phase befand. Der abnehmende Halbmond spiegelte sich im dunklen, klaren Wasser und tauchte die Umgebung in silbernes Licht.

Es war unglaublich schön.

Ich spürte, wie sich eine angenehme Kühle auf meine Haut legte, und lächelte Jack zu, der mich vorsichtig auf die Wiese stellte.

Erst da befiel mich ein kurzer Schwindel und ich schwankte, woraufhin Jack sofort an meine Seite eilte und mich festhielt.

„Danke“, flüsterte ich atemlos.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er. „Ich dachte, du brauchst vielleicht eine Pause.“

„Nein, es ist alles wundervoll“, beruhigte ich ihn. „Ich habe noch nie so etwas Zauberhaftes erlebt. Es ist unglaublich.“ Aufgeregt sah ich mich in der Gegend um, ließ die wunderschöne Landschaft auf mich einwirken und spürte, wie Jacks Hand sich um meine Finger schloss.

„Wo sind wir hier?“

„Das ist der Eek Lake. Wir sind noch einige Kilometer von meinem Zuhause entfernt. Doch ich möchte dich nicht überfordern. Ich kann mir vorstellen, dass es für dich ganz schön schwer sein muss, in solch einer Position zu verharren, während ich durch die Gegend laufe.“ Er lächelte mich entschuldigend an.

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, entgegnete ich. „Es ist wirklich ein großartiges Gefühl, so über die Welt hinweg zu fliegen. Du müsstest solche Reisen anbieten. Da würdest du bestimmt viel verdienen.“

Er begann lautstark zu lachen. „Ja, das ist eine tolle Idee. Nur müssten die Menschen darüber hinweg sehen können, dass ich ein Vampir bin – und eigentlich nur an ihrem Blut interessiert bin.“

„Sie könnten auch mit Blut bezahlen“, schlug ich kichernd vor.

„Tja, für Aiden wäre das wahrscheinlich das perfekte Geschäftsmodell“, murmelte er grinsend. „Erinnerst du dich noch an ihn? Er war derjenige, der dich letztens auf der Lichtung entdeckt und zuerst mit dir gesprochen hat.“

„Natürlich. Ich glaube sogar, dass er mir bereits in meinen Albträumen erschienen ist.“

Jack lachte erneut. „Ja, das kann ich mir gut vorstellen.“

Nachdem wir eine Weile die Atmosphäre am See genossen und geschwiegen hatten, drehte ich mich zu Jack um und fragte ihn: „Sollen wir weiter? Ich muss morgen früh wieder zu Hause sein.“

Ausnahmsweise hätte meine Mutter mir vielleicht sogar die Erlaubnis erteilt, länger weg zu bleiben, doch Jack wusste davon ja nichts. Er musste glauben, dass ich heimlich von zu Hause verschwunden war.

„Klar, lass uns gehen.“ Seine muskulösen Arme legten sich um meine Hüfte, woraufhin er mich erneut ohne irgendwelche Probleme hochhob und anlächelte. „Ich muss dich nur warnen. Nicht alle Vampire sind so nett wie ich. Zwar habe ich schon mit den anderen geredet, doch du solltest ihnen besser nicht zu sehr vertrauen. Aiden kennst du ja bereits. Wenn er dich mal alleine erwischen sollte, würde es mich nicht wundern, dass er seine Worte wahrmacht und dir wehtut. Das möchte ich auf keinen Fall.“

„Gut. Ich werde Aiden aus dem Weg gehen. Aber ich kann mich auch selbst verteidigen, wenn’s nötig wird“, beruhigte ich ihn, obwohl es nicht ganz der Wahrheit entsprach. In meinem Rucksack hatte ich zwar einen Holzpflock versteckt, den mir meine Mutter mitgegeben hatte, jedoch wusste ich nicht, ob ich mich damit auch tatsächlich verteidigen konnte. Was sollte ich tun, wenn er nicht wirkte? Woher konnte ich wissen, dass ein Holzpflock die ultimative Vernichtung für Vampire darstellte? Und was sollte ich tun, wenn Jack oder Aiden oder einer der anderen Vampire meinen Rucksack inspizierte und die Waffe fand? Dann würde ich erst recht Ärger bekommen.

Jack strich behutsam einige wilde Haarsträhnen weg, die sich in meinen Wimpern verfangen hatten. Nachdem er mich ein letztes Mal angegrinst hatte, spannte er seine Muskeln an und sagte: „Mach dich bereit, Quinn. Es geht los.“

Und erneut tauchten wir in die finstere Nacht ein, spürten den eiskalten Wind in unseren Haaren, sprangen über Felsen, Moore und Bäume, landeten auf Wiesen und Lichtungen, schreckten wilde Tiere auf – Adler, Bären und Elche, die unter freiem Himmel friedlich schliefen –, bis wir auf einem einsamen Hügel, der gut versteckt zwischen Nadelwäldern und Bergen lag, das mehrstöckige Gebäudekomplex erreichten, in dem die Vampire lebten.

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