Читать книгу I#mNotAWitch - Yuna Stern - Страница 6
Kapitel 4
Оглавление„Vampire!“, keuchte Makayla Brandon, eine zierliche Frau in den Vierzigern, deren kastanienbraunen Haare zu einem strengen Dutt hochgebunden waren. Als wir noch Kinder waren, hatte Phoebe mir immer erzählt, dass dort Vögel nisten würden – und ich hatte ihr geglaubt. Ihre Tochter, Bailey, die genauso knochig war wie sie selbst, saß neben ihr auf dem Sofa und fächelte ihr mit einer Gartenzeitschrift Luft zu.
Phoebe und ich saßen auf Klappstühlen daneben und konnten uns ein Lächeln knapp verkneifen. Wir hatten es geschafft. Die Aufmerksamkeit war von uns abgelenkt. Uns erwartete kein Hausarrest und kein Ärger. Ich hätte fast gejubelt. Doch dann setzte ich wieder den verstörten Blick auf, den ich von Anfang an geboten hatte.
Samuel war mit Makayla Brandons Ehemann, Walter, losgegangen, um die beiden Frauen aus dem Auto zu tragen, und unsere Mutter saß auf ihrem Lieblingssessel, starrte Phoebe und mich aus zusammengekniffenen Augen an, während Savannah Tee einschenkte und Plätzchen reichte.
„Wie haben sie ausgesehen?“, fragte Bailey leise in unsere Richtung. „In Hollywoodfilmen sehen sie ja meistens ganz gut aus.“
„Oder glitzern“, nickte Phoebe und grinste kurz, um sich dann wieder zu fassen und so ernst wie nur möglich auszuschauen.
„Sie müssen fürchterlich aussehen!“, schrie Makayla Brandon und schüttelte angewidert ihren ganzen Körper. „Du musst dir nur ihre Fangzähne vorstellen und das viele Blut, das an ihren Haaren und an ihrem Gesicht klebt! Sie sind Monster! Sie haben kein Herz und kennen kein Gewissen!“
„Wie viele waren sie?“, unterbrach unsere Mutter die aufgewühlte Frau. „Warum haben sie euch nichts getan?“
„Fünf“, antwortete Phoebe. „Sie waren insgesamt fünf. Nur zwei von ihnen haben mit Quinn gesprochen, die anderen haben die Frauen weiter gefoltert. Ich hatte mich währenddessen in Sicherheit gebracht. Aber Quinn haben sie noch erwischt.“
„Also, Quinn, warum haben sie dir nichts getan?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, Mutter. Doch ich glaube, dass sie etwas gerochen haben. Sie haben sofort gewusst, dass mein Blut anders war.“
„Ach nein?“, stieß Mrs Brandon erstaunt hervor. „Sie haben gewusst, dass du eine Hexe bist?“
Ich nickte. „Ja, ich denke schon.“
„Du hast es ihnen doch nicht etwa bestätigt?“, fragte meine Mutter. Ihre Stimme war plötzlich laut und schneidend.
Ehe ich ihr antworten konnte, betraten Samuel und Walter Brandon das Zimmer. Jeder von ihnen trug eine der beiden Frauen in seinen Armen.
Samuel wirkte neben dem kleinen Mr Brandon, der immer gebückt herumlief, noch größer und schlanker. Seine kurzen blonden Haare fielen ihm in die Stirn und seine dunklen Augenbrauen ließen seine himmelblauen Augen umso leuchtender erscheinen. Er warf unserer Mutter einen absichernden Blick zu, die kurz nickte, dann brachte er die Frau in unser Wohnzimmer.
Er legte sie auf den orientalischen Teppich, der am anderen Ende des Raums vor dem Kamin lag, und schürte anschließend das Feuer mit einem Haken aus Metall. Daraufhin kehrte Samuel zurück zur Sitzgruppe und ließ sich neben unserer Mutter auf dem Parkettboden nieder.
Mr Brandon tat es ihm nach und legte die braunhaarige Frau ebenfalls auf den Teppich. Dann kam er röchelnd zurück und setzte sich neben seine Ehefrau aufs Sofa.
„Wie geht es Ihrem Sohn, Tyler?“, fragte Phoebe höflich. „Ist er diesmal nicht nach Bethel mitgekommen?“
„Doch, natürlich“, antwortete Makayla Brandon mit einem heftigen Nicken. „Aber du weißt ja, wie Jungen in seinem Alter sind. Er hat sich oben im Gästezimmer eingeschlossen und spielt irgendetwas auf seinem Laptop.“
Unsere Mutter stöhnte. „Makayla, wie oft habe ich dir gesagt, dass du ihm diesen technischen Schrott nicht kaufen sollst?! So etwas gehört nicht zu unserer Kultur. Jungen in seinem Alter müssen erst einmal die keltische Schrift erlernen, bis sie sich dann ihren eigenen Interessen widmen dürfen. Mein Sam“, sie wies auf Samuel, der mit rotangelaufenem Gesicht neben ihr saß, „hat bereits mit sieben Jahren alle Bücher unserer Vorfahren lesen können! Wie viel kann schon Tyler lesen? Eine Seite, wenn überhaupt?“
„Ich weiß, ich weiß.“ Mrs Brandon machte einen beschämten Eindruck. „Ich habe es ja versucht. Doch in der Schule verpassen sie ihm eine Gehirnwäsche. Du glaubst ja nicht, wie schwierig es heutzutage ist, den Kindern so etwas beizubringen.“
„Doch, das weiß ich.“ Unsere Mutter lächelte eiskalt. „Ich habe schließlich vier Kinder großgezogen. Dein Tyler ist nur ein Jahr jünger als Quinn. Daher verstehe ich sehr wohl, wie wichtig es für uns ist, den Kindern den richtigen Weg zu weisen. Aber lassen wir diese Diskussion. Heute Abend müssen wir uns um wichtigere Dinge kümmern.“ Sie wandte sich ab, nahm ihr rotes Brillenetui, das auf dem Couchtisch lag, und stand auf, um zum Kamin hinüberzugehen. Dort kniete sie sich auf den Teppich, woraufhin ihr schwarzer Leinenrock sich wie eine Decke unter ihren Beinen ausbreitete. Sie setzte ihre Brille auf und inspizierte die Wunden der Frauen, schüttelte gereizt den Kopf und richtete sich dann wieder auf. „Savannah, erhitze mehrere Töpfe Wasser auf dem Herd. Dann bring mir noch zwei Gläser von dem Honig, den ich heute Morgen gekauft habe.“ Sie richtete sich an Samuel, der vier Schnapsflaschen und zwei Flaschen ihrer Kräutertinkturen aus dem Keller holen musste. Anschließend warf sie einen prüfenden Blick auf Phoebe. „Habt ihr die Kräuter im Wald gefunden?“
Phoebe nickte. „Ja, sie sind noch im Kofferraum des Wagens.“
„Dann weißt du ja, was du tun musst.“ Unsere Mutter nahm ihre Brille wieder ab, schnappte sich das Haargummi, das sie immer um ihr rechtes Handgelenk trug, und band ihre schulterlangen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. „Quinn, was ist mit dir? Du wirkst so blass. Geht es dir gut?“
Phoebe, die gerade von ihrem Stuhl aufgestanden war und zur Tür hinausgehen wollte, hielt in ihrer Bewegung inne. „Das habe ich ja völlig vergessen. Sie ist im Wald hingefallen und hat sich verletzt.“
„Ach ja?“ Mutter eilte mit schnellen Schritten auf mich zu, krempelte meine Jeans hoch und begutachtete die Wunde auf meinem Knie. Dabei stieg mir ihr unverwechselbarer Duft in die Nase. Sie roch immer nach angezündeten Streichhölzern und nasser Lavendelseife. „Das sieht nicht so schlimm aus. Das kannst du auch selber desinfizieren, habe ich recht?“ Sie betrachtete mich abwartend.
„Natürlich“, sagte ich. „Ich gehe ins Bad und kümmere mich sofort darum.“
„Gut.“ Sie sah mich weiterhin auf diese seltsame Art und Weise an. „Doch erzähl mir vorher, was diese Vampire zu dir gesagt haben. Wort für Wort.“
Was wollte sie denn von mir? Dass ich ihr alles noch einmal vorspielte?
„Sie haben gesagt, dass ich anders rieche“, begann ich, und wurde prompt unterbrochen.
„Wie anders?“
„Das haben sie nicht erwähnt.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Es war einfach seltsam. Dieser Geruch schien sie davon abzuhalten, mir etwas anzutun. Sonst wäre ich wahrscheinlich genauso geendet wie diese beiden Frauen dort.“
Makayla Brandon, die nun ebenfalls beim Kamin stand und mit ihrer Tochter die Frauen bestaunte, rang entsetzt nach Atem. „Das ist ja schrecklich! Diese Vampire sind Barbaren!“ Wimmernd legte sie ihrer Tochter die Hand vor die Augen und zog sie dort weg. „Sieh nicht hin, Spätzchen, das ist nicht gut für dich!“
„Haben die Vampire begriffen, dass du eine Hexe bist?“, fragte Mutter schroff. „Nun antworte endlich!“
Ich schluckte. Wie sollte ich ihr bloß erklären, dass ich keine andere Möglichkeit besessen hatte, als ihnen die Wahrheit zu sagen? Sie sah so aus, als würde sie mich gleich in Stücke reißen wollen.
Noch bevor ich zu einer stammelnden Antwort ansetzte, stand sie ruckartig auf und stöhnte laut. „Quinn! Ich habe dir immer gesagt, dass unsere Geschichte ein Geheimnis bleiben muss! Dann erzählst du sie auch noch Vampiren!“
Was hätte ich denn sonst tun sollen? Mich auffressen lassen? „Nein, ich habe ihnen nichts davon erzählt!“, log ich plötzlich. „Sie haben es selbst gemerkt! Was kann ich denn dafür?“
„Ich bin enttäuscht von dir“, fauchte Mutter.
Walter, der noch immer auf dem Sofa hockte, wirkte peinlich berührt. Er sah beschämt auf seine Schuhe, während seine Frau und seine Tochter den Raum längst verlassen hatten, um nicht noch weitere Zeit mit den bewusstlosen, blutverschmierten Frauen verbringen zu müssen.
Ich hätte Mutter am liebsten widersprochen, doch ich wusste, dass das alles nur noch schlimmer gemacht hätte. Also biss ich mir auf die Zähne und starrte eine ihrer blonden Haarsträhnen an, die sie beim Zusammenbinden vergessen hatte.
„Du wirst jetzt hinauf in dein Zimmer gehen und darüber nachdenken, was du getan hast, Quinn. Ich will dich bis zum Morgengrauen nicht mehr sehen. Erst wenn du begriffen hast, was du unserer Gemeinschaft Schreckliches angetan hast, wirst du wieder herauskommen und dich bei uns allen entschuldigen.“
Ich lasse mich nicht provozieren, dachte ich. Ich lasse mich nicht provozieren. Schön ruhig bleiben.
„Was hätte ich denn tun sollen?“, konnte ich mir dann doch nicht verkneifen. „Sie an mir trinken lassen?“
Sie schnaubte abfällig. „Natürlich! Die Gemeinschaft kommt immer zuerst! Du kannst doch nicht einfach deine ganze Familie und deine ganzen Freunde in Gefahr bringen, nur weil du dein eigenes Leben retten willst! Wie selbstsüchtig bist du eigentlich?“
Wow. Ich hatte gedacht, dass sie mich nach all den Jahren nicht mehr verletzen konnte. Doch ich hatte mich geirrt.
„Lass es gut sein, Mutter“, murmelte ich. „Ich habe schon begriffen.“ Ich stand auf und rannte aus dem Wohnzimmer, ehe sie noch ein weiteres Wort an mich richten konnte.
Im Flur stieß ich fast mit Savannah zusammen, die in ihren Händen die Honiggläser und mehrere Löffel balancierte. Sie funkelte mich wütend an und rief: „Geht’s noch langsamer, Quinn?“
„Reg dich ab, Van!“, entgegnete ich, und erntete dafür noch einen weiteren verärgerten Blick. Sie hasste diesen Spitznamen. Daher verwendete ich ihn so oft ich konnte.
Ich lief an ihr vorbei und eilte die Treppe hinauf, um zu meinem Zimmer zu gelangen, das im ersten Stock neben dem Badezimmer lag. Als ich die Tür zu meinem Zimmer aufstieß, öffnete sich gleichzeitig die Tür des Gästezimmers.
Tyler Brandon lugte dahinter hervor und begann zu lächeln, sobald er mich bemerkte. „Ah, Quinn. Dachte ich’s mir doch, dass ich deine Stimme gehört habe.“
„Verzieh dich, Tyler“, stöhnte ich und wollte gerade mein Zimmer betreten, als er neben mir auftauchte, seine Hände hervorschossen und meine Schultern gegen den Türrahmen drängten.
„Ich habe dich vermisst“, raunte er.
„Lass mich los!“
„Ach, komm schon. Ich habe mich so sehr auf deine Begrüßung gefreut. Willst du mir denn nicht irgendwie entgegenkommen?“ Sein Gesicht näherte sich und seine Zunge blitzte zwischen seinen Lippen hervor.
Bevor er mir einen Kuss geben konnte, trat ich ihm in den Bauch. Er krümmte sich zusammen und stöhnte. „Das war echt unfair!“
„Wenn du ausnahmsweise mal nett gewesen wärst, hättest du heute vielleicht ein paar Worte mit mir wechseln können. Doch diese Chance hast du dir nun echt versaut. Nun hau ab, Tyler.“
Er blinzelte traurig und wollte etwas sagen, doch ich schlug die Tür vor seiner Nase zu.
Seufzend schwankte ich zu meinem Bett, das in der Mitte des Zimmers stand, und ließ mich auf die weiche Matratze fallen.
Das war wirklich ein mieser Tag. Und er sollte noch lange nicht vorbei sein.