Читать книгу I#mNotAWitch - Yuna Stern - Страница 7
Kapitel 5
ОглавлениеNachdem ich in eine blaue Jogginghose und ein weißes T-Shirt geschlüpft war, schaltete ich das Licht in meinem Zimmer an und betrachtete das Chaos, das ich zuvor zurückgelassen hatte. Die Kommodentür stand weit offen, während mehrere Kleidungsstücke aus dem Schrank hervorquollen und den Parkettboden bedeckten. Auf meinem Schreibtisch lagen alle Bücher, Hefte und Stifte aufgetürmt zu einem riesigen Konstrukt, das jederzeit zusammenbrechen konnte. Und auch meine Bettdecke lag zur Hälfte auf dem Boden, während mein Kopfkissen in der Mitte des Einzelbettes thronte, weil ich es vorhin herangezogen hatte.
Die Luft in dem kleinen, engen Raum war stickig. Normalerweise hinterließ ich mein Zimmer nie dermaßen unordentlich, doch an diesem Morgen hatte mich Savannah mit ihrer Aufgabe so genervt, dass ich umso nachlässiger mit meinen Sachen umgegangen war.
Nun machte ich mich daran, alles wieder aufzuräumen. Ich stopfte meine Klamotten zurück in die Kommode, packte meine Bücher auf das Regal, das über meinem Schreibtisch hing, und ordnete meine Mappen und Hefte. Anschließend breitete ich die stuckverzierte Bettdecke über die Matratze aus, warf das Kissen ans Kopfende und ließ mich zurück auf mein Bett fallen.
Ich hatte die Wunde an meinem Knie nur mit einem Pflaster versehen, denn die Desinfektionsmittel waren im Bad, und ich wollte auf keinen Fall eine weitere Begegnung mit Tyler riskieren.
Tyler Brandon war ein echt seltsamer Typ. Noch als wir Kinder waren, hatte er mich nie in Ruhe gelassen. Meistens lief er mir hinterher, versuchte mich davon zu überzeugen, dass wir füreinander bestimmt waren. Na ja, vielleicht war ich eine Hexe, doch ich glaubte persönlich nicht an Schicksal oder Vorsehung. Früher spielte ich mit ihm, denn er war noch nicht zu dem Biest herangewachsen, das er nun war. Erst vor drei Jahren hatte er plötzlich begonnen, seine Anmache zu verändern und sehr zielbewusst alles anzugehen. Beim Hexensabbat griff er meistens nach meiner Hand, als wären wir ein Pärchen, und bei mir zu Hause versuchte er mich regelmäßig zu küssen. Seitdem musste ich meine Krallen ausfahren und mich verteidigen, sobald er in meine Nähe kam. Denn ich mochte ihn einfach nicht auf diese Weise.
Ich seufzte, zog die Bettdecke über meinen Kopf und wünschte mir, dass Halloween längst vorbei wäre, damit die Brandons wieder ausziehen könnten. Aber noch hatte die Veranstaltung nicht begonnen, und viele weitere Gäste wurden sehnlichst von meiner Mutter erwartet.
Ich holte aus meiner Nachttischschublade zwei Teelichter heraus und zündete sie mit einem Streichholz an. Nachdem ich sie auf den Tisch gestellt hatte, nahm ich das Buch zur Hand, das ich noch bis spät in die letzte Nacht gelesen hatte, und blätterte bis zu der Stelle vor, die ich noch nicht kannte.
Eine Weile starrte ich die Buchstaben nur an. Sie tanzten vor meinen Augen, schienen mich in die Geschichte hineinlocken zu wollen, aber ohne Erfolg. Leider konnte ich mich heute nicht konzentrieren.
Also legte ich das Buch wieder zurück an seinen Platz, holte tief Luft und stand auf. Ich musste das Fenster öffnen und etwas frischen Sauerstoff hereinlassen. Ich hielt es nicht länger in diesem Zimmer aus, so eingeschlossen.
Mit leisen Schritten tapste ich Richtung Fenster, schob die hauchdünnen, weißen Gardinen beiseite und legte meine Hand auf den eiskalten Griff aus Edelstahl. Dann schwenkte ich das Fenster auf, atmete die kühle Luft der Nacht ein und schloss die Augen.
Im nächsten Moment hörte ich die Äste des angrenzenden Apfelbaums knacken. Verwirrt öffnete ich die Augen wieder und starrte in Jacks Gesicht. Er hockte mit einem Knie auf einem dünnen Ast und hielt sich mit seiner Hand an einem anderen höhergelegenen Ast fest.
Erschrocken wich ich vom Fenster zurück und wollte es gerade wieder zuziehen, als er mit einem kühnen Sprung auf meiner Fensterbank landete.
Bevor ich einen Schrei ausstoßen konnte, legte er seine Hand auf meinen Mund und drückte mich gegen die Wand. „Bitte nicht, Quinn“, flüsterte er. „Ich tue dir nichts, vertrau mir.“ Dann betrachtete er mich nachdenklich und fragte: „Kann ich dir auch vertrauen? Wirst du nicht schreien?“
Was wollte er von mir? Hatte er uns auf der Straße mit den beiden bewusstlosen Frauen aufgelauert, um zu sehen, wohin wir fuhren? War er uns gefolgt?
Ich nickte ängstlich.
„Okay.“ Er ließ seine Hand langsam sinken.
Ich stieß ihn zur Seite und lief zur Tür, um mich vor ihm in Sicherheit zu bringen, doch erneut war er viel schneller als ich. Verfluchte, überirdische Kräfte, die er besaß!
„Bitte, Quinn! Nun hör doch auf damit!“
Sanft drehte er mich zurück in seine Richtung, blickte mir in die Augen und lächelte scheu. Er wirkte wie ein Fremdkörper in meinem Zimmer. Nie hatte ich hier Besuch empfangen. Dies war mein Reich. Noch nicht einmal Savannah oder Samuel hatten es je betreten.
Und nun stand er hier. Ein Vampir, dessen Wangen noch immer getrocknete Blutflecken aufwiesen. Ich konnte es einfach nicht glauben.
„Tu mir nichts“, flüsterte ich. „Geh weg, bitte.“
Er ließ meine Schultern frei und ging mehrere Schritte rückwärts, bis er gegen meine Bettkante stieß. „Tut mir leid, ich wollte dir keine Angst bereiten.“
„Was willst du hier?“
„Ich“, er stockte, wandte seinen Blick von mir ab, als würde er sich plötzlich dafür schämen, dass er hier aufgetaucht war. „Ich wollte mich einfach nur vorstellen. Das hatte ich vorhin vergessen.“
Seine Worte verunsicherten mich. Ich runzelte die Stirn und murmelte: „Deshalb brauchtest du uns doch nicht zu folgen.“
„Ich bin euch nicht gefolgt.“
„Ach, und die Frauen? Hast du sie etwa nicht als Köder benutzt, damit du unsere Fährte aufnehmen kannst?“
„Die Frauen?“ Er wirkte ehrlich überrascht. „Welche Frauen meinst du?“
Ich verdrehte die Augen. „Na, die Frauen von der Lichtung. Die ihr so schlecht behandelt habt.“
„Aber die wollte doch...“ Er kniff die Augen zusammen und überlegte. „Ich habe nichts damit zu tun, Quinn. Glaub mir, bitte. Ich weiß noch nicht einmal, wie ihr auf diese Frauen gestoßen seid. Ich bin dem Geruch deines Blutes gefolgt, daher habe ich dich hier gefunden. Nicht mithilfe der Frauen.“
Also mein Blut schon wieder. Dieses Thema ging mir langsam auf die Nerven. „Und wie riecht mein Blut, dass es so unverkennbar ist?“ Ich legte meine Hand auf die Türklinke, da ich ihm noch immer nicht vertrauen wollte.
Er dachte kurz nach. „Ich würde sagen, nach einem Gewürz. Vielleicht Kardamom. Gemischt mit ein wenig Zitronensäure und Rosenwasser. Verstehst du, es ist kein eindeutiger Geruch. Sondern es sind mehrere Nuancen, die miteinander spielen und diese ganz einzigartige Duftnote kreieren. Normales Menschenblut riecht für einen Vampir nach Metall und Salz. Ganz einfach. Doch bei dir ist da noch so viel mehr.“
Ich ließ meine Hand wieder sinken und schwieg. Nachdem ich meinen Mut zusammengenommen hatte, ging ich zwei winzige Schritte auf ihn zu. „Also, du bist hier, um dich vorzustellen. Warum tust du es nicht einfach?“ Und verschwindest hinterher?
Auf seinen Lippen bildete sich ein erfreutes Lächeln. Also konnte er nicht meine Gedanken lesen, das war gut. Er stellte sich gerade hin, streckte seine Hand aus und betrachtete mich herzlich: „Mein Name ist Jack. Freut mich, dich kennen zu lernen.“
Irgendwie musste ich ja schon zugeben, dass er einen netten Eindruck machte. Ich starrte seine Hand nachdenklich an – wie auch schon zuvor im Wald – doch diesmal legte ich meine Hand in seine und schüttelte sie kurz.
Nichts. Es passierte gar nichts. Er griff mich nicht an. Keine Funken sprühten. Ich löste mich auch nicht in Luft auf.
Stattdessen wurde das Grinsen auf seinem Gesicht breiter und er wirkte überglücklich. Wie lange musste er sich schon eine Person gewünscht haben, mit der er einfach nur sprechen konnte? Mit den Vampiren schien er keine allzu gute Freundschaft zu pflegen. Und Menschen konnten auch keine Zeit mit ihm verbringen, ohne ihm mit ihrem Blut den Mund wässrig zu machen. Nun hatte er eine Hexe gefunden, der er sich anvertrauen konnte.
Langsam konnte ich ihn verstehen. Meine Angst wich einem bitteren Mitleid, und ich wünschte mir, tatsächlich seine Geschichte zu erfahren. Wie war er in einen Vampir verwandelt worden? Wie war er gestorben?
Ich erwiderte sein Lächeln.
„Und du bist also eine Hexe“, sagte er und zog die Augenbrauen hoch. „Das muss wirklich spannend sein.“
Nein, nicht wirklich. „Absolut“, nickte ich. Schließlich glaubte er noch immer, dass ich ganz besondere Kräfte besaß.
„Kannst du irgendetwas vorführen? Also einen Zaubertrick?“
„Ach, lieber nicht.“ Ich winkte ab. „Das darf ich gar nicht. Meine Kräfte kann ich nur zum Wohle der Menschheit einsetzen.“ Hm, noch eine Lüge. Aber wie sollte ich mich denn sonst rausreden? „Und wie ist es bei dir?“, fragte ich schnell, bevor er noch mehr erfahren wollte. „Lebst du mit den anderen Vampiren, die dort auf der Lichtung waren, zusammen?“
„Ja. Wir sind insgesamt fünf. Wir leben gemeinsam im Wood-Tikchik State Park, in einem weit abgelegenen versteckten Anwesen.“
„Ach, also geht ihr nicht zur Schule oder so?“
„Natürlich nicht“, lachte er. „Das ist nicht möglich. Wir sind meistens nur nachts unterwegs.“
Das hatte ich ganz vergessen. Vampire konnten tagsüber nicht hinaus. Schliefen sie also zu der Zeit in irgendwelchen Särgen? Ich wollte mir das nicht so gerne vorstellen.
„Also werdet ihr vom Sonnenlicht verbrannt? So, wie es in alten Legenden und in Filmen üblich ist?“
„Die Sonne schwächt uns“, erklärte er. „Wir können zwar hinaus ins Tageslicht, doch je mehr Zeit wir draußen verbringen, umso schwächer werden wir. Nach noch nicht einmal sechs Stunden im Licht zerfallen wir dann zu Staub.“
Das klang wirklich nicht schön. Was war das nur für ein Leben, wenn man nicht hinaus an die frische Luft gehen und die Sonne genießen konnte?
„Dann könnt ihr keinen ganzen Tag draußen überleben.“
„Genau so ist es“, nickte er mit einem traurigen Lächeln. „Das ist es auch, was ich am meisten am Menschenleben vermisse.“ Er verstummte und senkte den Blick.
Ich verspürte fast schon das Verlangen, ihn in die Arme zu schließen und ihn zu trösten. Was war bloß los mit mir?
„Das tut mir leid“, flüsterte ich. „Aber ich verstehe trotzdem nicht, wie ihr die Frauen dermaßen verletzen konntet. Das ist doch schrecklich.“ Ich sah, wie er zusammenzuckte, und konnte die Verwirrung in meinem Blick nicht verbergen. „Insbesondere du machst nicht gerade den Eindruck, als würdest du es genießen, solche armen Frauen zu quälen.“
„Ich muss mich auch ernähren“, rechtfertigte er sich schwach. „Meistens jagen wir Menschen, die ein schweres Vergehen begangen haben. Doch manchmal holt Aiden auch einfach Frauen, die seinem Geschmack entsprechen und ihm willig folgen. Ich kann mich da auch nicht wehren. Es ist wie ein Fluch, der auf mir lastet.“
Ein Fluch. Ja, das würde es vielleicht erklären. Er konnte sich nicht gegen den Drang wehren, die Frauen zu jagen und zu verletzen. Und doch hatte er sie nicht umbringen lassen. Sprach das nicht auch irgendwie für ihn?
„Ich würde dich gerne einmal mitnehmen“, flüsterte er und traute sich nicht, in meine Richtung zu blicken.
„Wohin?“, fragte ich erstaunt.
„Zu mir nach Hause. Du könntest auch die anderen kennenlernen. Und wir müssten uns nicht verstecken, wie hier. Wir könnten etwas unternehmen.“
Seine liebevolle Art verwirrte mich immer mehr.
„Ist das denn nicht gefährlich für mich?“ Ich konnte doch nicht einfach in das abgelegene Haus von fünf Vampiren spazieren und erwarten, dass sie mir nichts taten. Das wäre wohl zuviel Glück für einen Tag.
„Auf keinen Fall!“, rief er. „Ich würde dafür sorgen, dass sie dir nichts tun!“ Diesmal blickte er mir in die Augen und lächelte.
„Und wie kommt es, dass du mir nichts tust? Schließlich hast du doch gerade selbst zugegeben, dass du unter einem Fluch leidest.“
„Ich weiß es nicht“, gab er ehrlich zu und zuckte mit den Schultern. „Es ist, als würde mich etwas davon abhalten. Eine unsichtbare Wand vielleicht. Etwas, das dich beschützt. Obwohl der Geruch deines Blutes unwiderstehlich ist. Vielleicht sind es ja deine Kräfte.“
Meine Kräfte, die nicht existierten. Ja, vielleicht.
„Quinn?“ Ein lautes Klopfen erklang an der Tür. Die Türklinke wurde heruntergedrückt, doch ich hatte mein Zimmer glücklicherweise abgeschlossen. „Quinn! Ich höre deine Stimme! Was ist da drinnen los?“ Es war meine Mutter. Und sie klang mal wieder sehr sehr wütend.
Ich blickte Jack entschuldigend an. „Du musst verschwinden“, wisperte ich. „Sie wird mich sonst umbringen.“ Und dich vielleicht auch.
Jack nickte, legte seine Hand plötzlich an meine Wange und sah mich innig an, bis er sich dann abrupt umwandte und mit einer ungeheuerlichen Geschwindigkeit aus meinem Fenster sprang. Die Gardinen wirbelten auf und flatterten gespenstisch. Ich lief ihm hinterher, und blickte ihm besorgt nach, doch er war längst in der Dunkelheit der Nacht verschwunden.