Читать книгу Die Macht des jungen Magiers - Yvonne Tschipke - Страница 12
Kapitel 9
ОглавлениеWährend ich mich keuchend vom Boden aufrappelte, hörte ich Oskas hinter mir lachen. Ich drehte mich um und warf ihm einen mürrischen Blick zu.
Einen Tag Ruhe wollte er mir gönnen. Ich konnte seine Worte noch ganz genau hören.
Doch anstatt auf der faulen Haut zu liegen oder ganz entspannt durch die Stadt zu schlendern, hatte er mich auf eine kleine Lichtung geschleppt, die versteckt mitten im dichten Wald über der Stadt lag, und mir ein Schwert in die Hand gedrückt. Das Gewicht der Waffe zog mich im ersten Moment fast nach unten, ehe ich mich daran gewöhnt hatte. Und schon bald darauf begann Oskas, mit seinem Schwert vor meiner Nase herum zu fuchteln. Ich versuchte, so gut es ging, seine Hiebe abzufangen, doch das Schwert war so schwer, dass ich kaum meinen rechten Arm heben konnte.
Papa – also Hannes – hatte mich zwar schon, gegen meinen Willen wohlgemerkt, zur Fecht-AG in der Schule geschickt. Doch der schmale leichte Degen dort war nichts im Vergleich zu dieser Waffe, die ich hier in meinen Händen hielt.
„Du musst es mit beiden Händen führen, wenn du zu wenig Kraft hast“, schlug Oskas vor. Er zeigte mir, wie er das meinte. Ich fasste den Griff des Schwertes also mit beiden Händen. So konnte ich das Gewicht auf beide Arme verteilen. Das ging schon ein wenig besser. Ich schaffte es, immer mehr von Oskas` Hieben abzufangen und konnte ihm sogar ein wenig Gegenwehr leisten.
„Und ihr seid euch wirklich ganz sicher, dass ich der bin, für den ihr mich haltet?“, keuchte ich, als wir eine kleine Pause machten. Oskas ließ sich neben mir im Gras nieder und nickte. „Ganz sicher“, antwortete er grinsend. „Du bist in den letzten Jahren nur etwas verweichlicht, du Mamasöhnchen!“
Ich streckte mich nach hinten aus. Heimlich angelte ich mit der rechten Hand nach meinem Schwert, das neben mir im Gras lag. Blitzschnell drehte ich mich dann zur Seite und stoppte die scharfe Klinge erst direkt vor Oskas` Hals. Oskas blieb erschrocken stocksteif sitzen. „He, du solltest keine Experimente damit machen. Das ist eine echte Waffe und kein Spielzeug“, stotterte er. „Ich weiß“, meinte ich gelassen und grinste ihn an. Dann sprang ich auf. „Los! Lass uns weiter üben!“
Todmüde und mit schmerzenden Gliedern fiel ich am Abend in mein Bett. Doch ich war auch stolz auf mich. Oskas hatte mich an diesem Tag gelehrt, mit einem Schwert zu kämpfen und mich im Notfall zu verteidigen. Und es war mir gelungen, die Waffe zu führen, ohne dass ich mir die Finger oder sonst irgendwelche wichtigen Gliedmaßen abgetrennt hatte. Und auch Oskas war unverletzt zurückgekommen. Obwohl ich seinem Gesicht und seinen Ohren ein paar Mal gefährlich nah war. Mit diesen Gedanken und einem kleinen Lächeln im Gesicht schlief ich ein.
Mitten in der Nacht wurde ich unsanft aus dem Schlaf gerüttelt. Ich öffnete mühsam die Augen. „Spinnst du?“, fauchte ich Oskas an, der neben meinem Bett stand und gerade im Begriff war, mir die Decke vom Körper zu ziehen.
„Los, schnell! Zieh dich an, wir müssen fort!“, sagte Oskas bestimmt.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, was er meinte. Während ich meine Klamotten überzog, erklärte er mir den plötzlichen Aufbruch.
„Jemand hat entdeckt, dass der Sohn Jorams in der Stadt ist.“ Der Sohn Jorams - das war ich, Nathanael Cajetan. „Die Häscher sind in der Stadt unterwegs, um dich zu suchen. Sie wissen allerdings nicht genau, wo du dich aufhältst und das ist unsere Chance.“
„Aber ich bin doch Boran, der Diener“, wendete ich ein.
„Du siehst deinem Vater sehr ähnlich. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie dich ausfindig gemacht haben“, flüsterte Oskas. „Sie haben schon die ganze Stadt besetzt. Komm schon, Benedict wartet auf der Lichtung.“ Oskas drückte mir ein Bündel in die Hand und ich spürte, dass es Schuhe waren, echte gute moderne Wanderschuhe.
Als wir bereits den Gang entlang liefen, blieb Oskas noch einmal stehen und reichte mir eines der Schwerter, die er in den Händen hielt. „Hier, nimm. Es gehört ab heute dir.“
Mit staunenden Augen zog ich das Schwert aus der Scheide und besah es mir genauer.
Es hatte eine breite zweischneidige Klinge, die zur Spitze hin schmaler wurde. Das Heft war spiralförmig mit schwarzem Leder umwickelt. Der Knauf hatte die Form einer goldenen Krone. Die ebenfalls goldene Parierstange war mit vier grünen Edelsteinen besetzt, die im Schein der Fackeln geheimnisvoll blinkten.
„Wow“, entfuhr es mir. „Bist du dir sicher, dass es mir gehören soll?“ Oskas nickte. „Schau es dir doch einmal genau an. Es kann nur dir gehören“, antwortete er. Er hatte Recht. Die grünen Edelsteine sahen genauso aus, wie die Steine auf dem magischen Buch.
„Es gehört deinem Vater. Darios hat es sicher verwahrt, nachdem er und deine Mutter nicht mehr in Emotan waren. Er war der Meinung, dass jetzt die Zeit gekommen wäre, es dem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben“, erklärte Oskas im Flüsterton. Ich sah ihn gespannt an.
„Meinem Vater? Meinst du Hannes oder …?“ Ich beendete meine Frage nicht. Oskas sah mich an, als wäre ich etwas begriffsstutzig. „Ich meine natürlich Joram Cajetan“, war seine reichlich entnervte Antwort. So natürlich war das für mich nicht. Denn ich hatte Papa in der neuen Zeit noch nie mit einem Schwert herum laufen sehen. Es hätte also gut möglich sein können, dass Darios s e i n Schwert hier in Emor aufbewahrt hatte.
Noch immer staunend über das Geschenk steckte ich das Schwert – mein Schwert – zurück in die Scheide. Dann hängte ich sie mir um die Schulter und folgte Oskas den Gang entlang.
Ben wartete wirklich schon auf der Lichtung. Aber er war nicht allein. Neben ihm stand noch ein Mann. „Das ist Pierluigi“, meinte Ben nur, dann drehte er sich um und zeigte auf die vier Pferde, die hinter ihm im Dunkel grasten. „Und das sind Mera, Titan, Laro und Fitu.“
Beim Anblick der Tiere wurde mir fast schwindlig, doch schon nach wenigen Kilometern auf Meras schaukelndem Rücken hatte ich mich an das Reiten gewöhnt. Die robuste Kaltblutstute ging ruhig und sicher ihren Weg hinter Titan, der Oskas auf seinem Rücken durch die Nacht trug. Aus der Dunkelheit drangen die gleichmäßigen Hufschläge von Bens und Pierluigis Pferden zu mir nach vorn.
Wir ritten mehrere Stunden durch die Nacht. Oskas hatte uns zur Eile angetrieben. Wir durften keine Zeit verlieren. Wo unser Ziel war, das hatte er nicht erwähnt. Doch ich vermutete, dass ich der Einzige von uns war, der es nicht wusste.
Irgendwann setzte, nach der Dunkelheit der Nacht, die Morgendämmerung ein. Der Horizont brannte glutrot und ein paar wenige Nachtwolken leuchteten im noch schwachen Licht der aufgehenden Sonne. Aus den Wiesen rings um uns stieg weißer Nebel auf. Die Luft war kühl und feucht. Ich spürte, wie die Müdigkeit mehr und mehr von mir und meinem Körper Besitz ergriff. Meine Kleidung fühlte sich klamm und kalt an. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als einen warmen Kamin, einen heißen Tee und ein weiches Bett zum Schlafen. Doch ich wagte nicht, Oskas, Ben oder diesen Pierluigi zu fragen, wann wir endlich an unserem Ziel ankommen würden.
Nach einiger Zeit steuerten wir auf ein Gehöft zu, das plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Hinter dem kleinen Wohnhaus und dem Stall erhoben sich schroffe graue Felswände. Ich vermutete, dass wir das Gebirge, das Emotan und Salaphia voneinander trennte, erreicht hatten.
Auf dem Gehöft blieben wir, bis es wieder dunkel wurde. Der Bauer und seine Frau boten uns einen sicheren Unterschlupf – ob sie wussten, wer wir waren, erfuhr ich nicht. Das war mir auch ziemlich egal. Der Raum, in dem wir uns zum Schlafen legten, war warm, das Bett einigermaßen weich. Das allein genügte mir in diesem Moment zum Zufriedensein.
Als die Nacht mit ihrer tiefsten Dunkelheit herein gebrochen war, machten wir uns wieder auf den Weg. Diesmal allerdings zu Fuß, die Pferde ließen wir bei dem Bauern zurück.
Ich schnaufte vor Anstrengung, als wir mit dem Anstieg begannen. Der steile Weg in der Felswand hinter dem Gehöft bot gerade genug Platz für unsere Füße und ich verstand jetzt auch, weshalb wir die Pferde zurück gelassen hatten. Das schwache Mondlicht schimmerte durch die Wolken und hatte kaum genug Kraft bis auf die Erde zu leuchten. Vor mir sah ich nur Oskas` Schatten. Hinter mir hörte ich Bens Schnaufen und das leise Klappern von Pierluigis Waffen – zwei schwere Breitschwerter und diverse Messer. Das Gewicht meines eigenen Schwertes und der Rucksack mit dem Buch und Verpflegung drückten mir unangenehm auf den Rücken. Ich hatte große Mühe, nicht neben den Weg zu treten und den steilen Abhang, den ich dort vermutete, hinunter zu stürzen. „Wann sind wir denn da, wo wir hin wollen?“, flüsterte ich nach vorn zu Oskas.
„Red nicht, lauf weiter“, zischte er.
Inzwischen war der blasse Mond hinter einer dicken dunklen Wolkendecke gänzlich verschwunden und ich konnte kaum noch die Hand vor den Augen sehen. Ich orientierte mich nur an Oskas` schwarzem Schatten, den ich vor mir ausmachen konnte.
„Wir sind gleich da“, flüsterte er plötzlich. Ich wunderte mich, woher er das so genau wusste. Er konnte doch unmöglich sehen, wo wir uns befanden.
Doch mit einem Mal bog er zu meiner Überraschung urplötzlich nach rechts ab und ich spürte an meiner Schulter, dass wir wohl in den Berg hinein gingen. Rechts und links schabte Felsgestein an meinem Körper.
„Duck dich! Sonst stößt du dir den Kopf“, raunte mir Oskas zu. Doch die Warnung kam eine hundertstel Sekunde zu spät. „Au – verdammt!“, rief ich aus und rieb mir die schmerzende Stirn. Nur einen Augenblick später spürte ich etwas Feuchtes über mein Gesicht laufen. Ich tastete mit der Hand an meinen Kopf und mir war sofort klar, dass ich blutete. „Scheiße!“, schimpfte ich.
„Pst, wirst du wohl deine Klappe halten?“, fauchte Oskas von vorne.
„Ich blute, verdammt noch mal“, fauchte ich zurück.
„Darum kümmern wir uns später“, meinte Oskas nur.
„Und der soll uns retten?“, hörte ich Ben hinter mir flüstern.
„Das habe ich gehört“, zischte ich.
„Ich habe es ja auch laut genug gesagt“, knurrte er.
Irgendwann spürte ich die scharfen schroffen Felsen nicht mehr an meinen Armen scheuern. Der Gang war wohl etwas breiter geworden. In der Ferne tauchte wie aus dem Nichts – ich rieb mir verwundert die Augen – ein schwacher Lichtschein vor uns auf.
„Was ist das da vorne?“ fragte ich. „Unser Ziel für heute“, antwortete Oskas. „Aber freu dich nicht zu früh, es dauert noch eine Weile, bis wir dort sind.“
Oskas sollte Recht behalten. Bis zu dem Licht mussten wir noch ein ganzes Stück Weg hinter uns bringen, mal ging es auf, mal ab. Immer wieder bogen wir urplötzlich ab, sahen das Licht nicht mehr, um dann hinter einer nächsten Kurve den kleinen gelben Punkt wieder zu entdecken, der mit der Zeit größer und heller wurde.
Dann hatten wir endlich unser Ziel endlich erreicht.
Ich staunte. Aus dem kleinen hellen Punkt war ein warmes Licht geworden, das eine riesige Felskuppel beleuchtete. Das Licht kam von mehreren Fackeln, deren Schein sich im Wasser eines kleinen Sees spiegelte und reflektiert wurde.
Oskas drehte sich zu mir um. „Komm mit, wir waschen dir das Blut aus dem Gesicht.“
Während er mich notdürftig verarztete, holten Ben und Pierluigi Brot, Käse und Schinken aus dem Rucksack. Der Duft der Speisen drang mir augenblicklich in die Nase und mein Bauch meldete sich mit einem peinlichen Knurren. Aber auch die anderen hatten Hunger – immerhin waren wir schon seit einiger Zeit unterwegs.
„Was ist das hier?“, fragte ich, nachdem ich meinen ersten Hunger gestillt hatte.
„Das ist der See der ewigen Lichter. Kaum einer weiß, dass es ihn gibt. Nur eine Handvoll Emotaner“, erklärte Oskas. „Ah ja“, meinte ich nur. „Und wer hat die Fackeln für uns angezündet?“
Oskas grinste. Ich wusste nicht, was an meiner Frage so lustig sein sollte.
„D a s sind die ewigen Lichter. Sie brennen schon seit mehreren hundert Jahren und weisen den Eingeweihten den Weg zum See“, erklärte er amüsiert über meine Unwissenheit.
Unglaublich, wollte ich schon sagen, weil ich mir gerade ziemlich verarscht vorkam. Doch ich schwieg lieber. In einer Welt, in die man durch Bücher und dunkle Gänge hinter Türen ohne sichtbaren Durchbruch gelangen konnte, war ohne Zweifel auch das möglich.
„Was tun wir hier?“, stocherte ich weiter auf der Suche nach brauchbaren Informationen. Wenn ich mich schon auf einen solchen Marsch einließ, dann wollte ich wenigstens wissen, wozu.
„Die Häscher Nermonas kennen die Höhle und den See nicht. Wir sind – du bist – hier erst einmal sicher. Und wir warten auf jemanden, der uns sagen kann, wie wir an den Schlüssel kommen.“
Ich sah zu Ben. Was konnte er erfahren haben über den Schlüssel, den mein Vater Hannes verloren hatte? Er hatte es mir nicht erzählt. Oskas war der Meinung, je weniger ich wusste, umso besser.
Oskas und Pierluigi erhoben sich wie auf ein Zeichen und zerrten einige Decken aus den Rucksäcken, damit wir uns ein Nachtlager einrichten konnten. Plötzlich spürte ich, dass ich tatsächlich zum Umfallen müde war. Pierluigi warf mir noch eine Decke zu. „Leg dich hin, schlaf jetzt“, knurrte er in meine Richtung. Ich sah ihn verwundert an. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte er seit unserem Aufbruch bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht ein einziges Wort gesprochen, weder mit mir, noch mit Ben oder Oskas.