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Kapitel 6

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Plötzlich wurde mir schlecht und ich fühlte mich wieder einmal so, als würde ich Kettenkarussell fahren. Es war allerdings nicht ganz so schlimm wie die anderen Male.

„Wir haben es gleich geschafft“, hörte ich Oskas neben mir sagen.

„Mir ist kotzübel“, antwortete ich ihm.

„Mit der Zeit gewöhnst du dich daran“, meinte Ben und ich konnte förmlich sein Grinsen spüren, obwohl ich sein Gesicht nicht sah.

Um uns herum war es dunkel. Nur ab und zu blitzen kleine bunte Lichter auf. Es war, als würden wir uns schnell vorwärts bewegen, doch ich merkte, dass ich meine Füße nicht einen Meter weiter setzte.

Es kam mir eher so vor, als würde uns irgendeine Kraft herum wirbeln. Ein starker Wind, fast ein Sturm – lautlos allerdings.

Nach ein paar Augenblicken war es vorbei, wir standen in einem spärlich beleuchteten Raum. Als das Drehen in meinem Kopf aufgehört hatte, sah ich mich verstohlen um. Wir befanden uns nicht mehr in Oskas` Laden, soviel stand schon mal fest. Aber wo waren wir dann?

„Wo sind wir?“, flüsterte ich und versuchte intensiv zu atmen, damit ich nicht kotzen musste. Doch das Einatmen der modrigen Luft hier in diesem Raum machte es auch nicht besser.

„Wir sind in Emotan. Genauer im Haus meines Ziehvaters Darios. Kommt, wir wollen ihn begrüßen“, meinte Oskas, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, durch eine Tür in der Wand in einen Gang zu gelangen, der einen irgend woanders hin führte. Ich schleppte mich erst einmal zu einem Stuhl, der in meiner Nähe stand und ließ mich darauf fallen.

„Leute, nehmt es mir nicht übel – aber bin ich jetzt auch irgendwie bescheuert geworden? Ich träume, oder? Ihr verarscht mich doch! Wo kommt jetzt der Mann mit der versteckten Kamera?“, keuchte ich, als hätte ich einen 10-Kilometer-Lauf hinter mich gebracht.

„Nein, ganz und gar nicht. Emotan ist eine wahre Welt. Unsere Welt. Los, lass uns gehen“, erwiderte Oskas, während er die Tür öffnete, die aus dem Raum heraus führte. Ben zog mich vom Stuhl hoch und schob mich in Oskas` Richtung. „Los, komm schon!“

Wir schritten einen langen mit großen Fackeln beleuchteten Gang entlang. Aller paar Meter gab es Türen, an denen wir allerdings vorbei liefen. Erst vor einer Tür ganz am Ende des Ganges blieben wir stehen. Oskas hob die Hand und klopfte.

„Herein“, erklang eine Stimme aus dem Raum hinter der Tür.

Oskas öffnete die Tür und ließ Ben und mich eintreten, ehe er uns in den Raum folgte und sie wieder schloss.

„Guten Abend, Darios. Verzeih mir, aber ich musste Nathanael sofort mitbringen. Er hat uns nicht geglaubt und ich hatte nicht ein richtiges Wort im Herzen, das ich ihm hätte sagen können.“

Der alte Mann, der hinter einem Schreibtisch saß, der über und über mit alten Büchern und Blättern belegt war, erhob sich von seinem Stuhl. Er kam auf uns zu. Dabei musterte er mich mit seinen strahlenden blauen Augen von oben bis unten.

„Nathanael Cajetan“, sagte er, fasste mich bei den Schultern und zog mich ganz dicht an sich heran. Er ließ seine Augen über mein Gesicht wandern, als wollte er jeden einzelnen Zentimeter davon scannen. „Ich glaube es kaum, du siehst deinem Vater so sehr ähnlich, wie aus dem Gesicht geschnitten.“

Ich sah den alten Mann verwundert an. Ich sollte meinem Vater ähnlich sehen? Nie und nimmer! Mein Vater war groß und muskulös gebaut. Er hatte dunkelblondes Haar und dichte Brauen über den braunen Augen. Und nicht nur mir war aufgefallen, dass ich meinen Eltern in keiner Weise ähnlich sah. Manch einer behauptete sogar gemeinerweise - mit Anspielung auf mein dichtes schwarzes Haar, meine stahlblauen Augen und den eher schmächtigen Körperbau - sie hätten mich ganz sicher vor der Haustür gefunden.

„Wenn Sie meinen Vater kennen, dann aber nicht sehr gut“, erwiderte ich murmelnd.

„Doch, ich kenne deinen Vater sehr gut. Joram Cajetan war einer meiner Schüler“, murmelte Darios und lächelte still vor sich hin.

Ich schüttelte den Kopf. „Sie müssen sich irren. Mein Vater heißt Hannes de Boer.“

Was stimmte hier nicht?

Darios ließ eine Weile seinen Blick auf mir ruhen, dann nickte er langsam. „Jaja, ich verstehe“, murmelte er. Er schwieg einen Augenblick. „Hannes de Boer ist das für dich, was ich für unseren guten Oskas bin. Ein Ziehvater – und einer unserer Verbündeten, die in der modernen Zeit Zuflucht gesucht haben. Er und seine Familie haben dich damals zu sich genommen, als es hier für dich gefährlich wurde“, erklärte dieser alte Mann dann seelenruhig mein Leben.

Ich sah Darios verdattert an. Der hatte ja einen noch viel größeren Knall als Oskas und Ben zusammen. Es schien so, al könnte Darios meine Gedanken erraten. Er ging zu einem kleinen Schränkchen, das unter einem der Fenster stand, zog eine Schublade auf, holte etwas heraus und kam zu uns zurück. Mit einem Lächeln auf den Lippen drückte er mir das, was er geholt hatte, in die Hand. Es war ein schwarzer Bilderrahmen aus Holz mit einem gemalten Bild darin. Als ich mir das Bild ansah, wurde mir beinahe schwindlig. Ich blickte meinem eigenen Ich entgegen, es war nur ein paar Jahre älter.

Darios bot uns Plätze an. Als wir saßen und jeder von uns eine Tasse mit stark riechendem Kräutertee vor sich hatte, begann er zu erzählen:

„Nermona ist die Herrscherin über unser Nachbarland Salaphia. Salaphia ist ein großes Land, das einstmals sehr reich gewesen war. Doch die verschwenderische Lebensweise Nermonas hatte mit den Jahren alle Reichtümer aufgebraucht. Die einzige Chance, ihr Land – oder besser gesagt sich selbst - vor bitterer Armut zu retten, war, ein anderes Land zu unterwerfen und auszubeuten. Also hat sie vor 14 Jahren ihre Soldaten über das Gebirge geschickt, um unser kleines Emotan zu überfallen. Wir sind mit unseren Nachbarn immer sehr gut ausgekommen, hatten immer im Frieden gelebt und aus diesem Grund gab es keine Armee. Es war ein Kinderspiel für Nermona. Und die Wächter, die zum Schutz unseres kleinen Reiches ausgebildet wurden, hatten keine Chance. Die Häscher Nermonas haben sie allesamt aufgespürt und verschleppt. Und mit ihnen viele andere Emotaner. Keiner weiß, wohin. Wir vermuten, dass sie sich irgendwo in Salaphia befinden. Es gibt nur wenige Nachkommen der Wächter, die es schaffen könnten, Nermonas Macht und somit die Unterdrückung zu beenden. Oskas, Hannes und Benedict gehören dazu. Oskas konnte vom Hof seiner Eltern fliehen, noch ehe die Häscher ihn entdeckten. Er ist bei mir untergetaucht. Benedicts Familie und die Familie von Hannes haben es geschafft, in der modernen Zeit unterzutauchen, zusammen mit dir, dem direkten und einzigen Nachkommen Joram Cajetans, dem obersten Wächter und Magier Emotans. Nermona hat ganz Emotan nach dir abgesucht, doch wir waren schneller. Die Tore zur modernen Zeit haben es uns möglich gemacht, dich, Benedict, Oskas und ein paar andere zu retten.“

Darios machte eine kurze Pause. Ich saß vor ihm und starrte ihn mit offenem Mund an.

„Nun ja, vor zwei Tagen wärst du den Häschern und dem fetten Comissario beinahe in die Hände gefallen, habe ich gehört.“ Der alte Mann sah mich eindringlich an. Ich nickte, unsicher, ob ich tatsächlich verrückt geworden war. Woher wusste auch er von meinem Ohnmachtstraum? Mein Gesichtsausdruck schien Darios meine Gedanken zu verraten.

„Du fragst dich, woher ich davon weiß? Nun, ich habe zwei Leute in die Gruppe der Häscher eingeschleust, die es mir berichtet haben“, erklärte Darios lächelnd.

„Wie bin ich dort hingekommen?“, fragte ich mit trockenem Mund. Ich griff nach der Tasse und nahm einen Schluck des nun bereits kalten Tees.

„Es war das Buch. Es ist einer der geheimen Notein- und -ausgänge. Wenn du dich zu weit von einem der Tore befindest, dann kann es dir helfen. Es ist aber besser, wenn du eins der Tore benutzt, denn der Weg durch das Buch ist oft recht unangenehm.“ Allerdings. Ich nickte zustimmend. Selbst wenn ich noch immer glaubte, die verarschten mich gehörig. Aber ohne es mir erklären zu können, spürte ich in meinem Herzen, dass das, was Darios sagte, der Wahrheit entsprach.

„Warum hat Oskas das Buch gerade mir gegeben?“, wollte ich wissen.

Darios sah einen Augenblick lang stumm vor sich hin. Es war, als müsste er über die Antwort selbst genau nachdenken.

„In diesem Buch steht, wie wir Nermonas Herrschaft brechen können. Und es verrät dir, wie du deine Fähigkeiten anwenden kannst“, antwortete er nach ein paar Augenblicken.

„Warum habt ihr es dann nicht selbst gelesen? “ Das wäre doch das Einfachste gewesen, anstatt zu warten, bis ich mal hier vorbei schaue, vorausgesetzt, das Märchen von Emotan, Nermona und meinem angeblich richtigen Vater war keine Verarsche.

„Weil wir die Sprache der Magier nicht verstehen können. Das könnt nur ihr, dein Vater und du.“ Darios schien keinesfalls ungeduldig zu werden. Er erklärte mir alles ganz in Ruhe.

„Aber ich kann es genauso wenig wie ihr“, gab ich zu bedenken.

„Ich bin mir sicher, dass du es kannst. Es liegt in dir.“ Darios legte seine rechte Hand auf meine Herzseite. „Wir müssen dir nur noch den Schlüssel geben, mit dem du das Buch öffnen kannst. Hannes de Boer trägt ihn seit langer Zeit um den Hals und beschützt ihn mit seinem Leben.“

Ich legte das Bild beiseite und griff nach dem Buch, das ich vor mich auf den alten Holztisch gelegt hatte. „Dafür brauchen wir doch keinen Schlüssel. Es dürfte doch kein Problem sein, das Buch zu öffnen“, sagte ich und begann, mit den Fingern am Schloss herum zu zerren. Darios schoss von seinem Stuhl hoch und riss mir das Buch aus der Hand. „Nein!“, rief er aufgebracht. „Wenn du das Buch ohne den Schlüssel öffnest, wird es dir nicht viel nützen. Dann denkt das Buch, dass du ein unrechtmäßiger Benutzer bist. Es wird dir sein Geheimnis in diesem Fall nicht offenbaren. Es wird sein Geheimnis nie wieder jemandem offenbaren.“

Das Buch denkt??? Ich rieb mir mit den Fingern die Stirn. All das Gerede von Wächtern, Magiern, Nermona, Emotan und anderem seltsamen Zeug bereitete mir starke Kopfschmerzen.

Ich sah einen nach dem anderen an; erst Ben, dann Oskas, Darios und wieder Ben.

„Also, nun noch mal ganz von vorne. Ihr behauptet, ich habe einen Vater, der ein sogenannter Wächter über euer Emotan ist und ein Magier noch dazu. Er wird irgendwo gefangen gehalten und meine Eltern da draußen, sagen wir mal draußen, sind gar nicht meine richtigen Eltern. Ich kann eine magische Sprache verstehen, die in diesem Buch hier steht und damit die Herrschaft dieser Tante, dieser Nermona, beenden.“

Alle drei nickten – wie abgesprochen.

„Ihr spinnt doch alle“, rief ich aufgebracht. Was sollte das? Weshalb wollten die drei mir einreden, dass meine Familie, die ich über alles liebte, gar nicht meine richtige Familie war? Welchen Grund sollte es geben, mir so einem Mist zu erzählen?

Ich erhob mich und ging zur Tür. Das Buch und das Bild ließ ich unbeachtet auf dem Tisch zurück. Doch noch ehe ich den Raum verlassen konnte, war Darios hinter mir hergekommen und hielt mich an der Schulter zurück.

„Nathanael Cajetan – du musst uns glauben. Alles, was wir gesagt haben, ist wahr. Du bist Wächter und Magier unseres Landes. Und nur du kannst mithilfe deiner Magie Nermonas Macht brechen. Nur du kannst unser Volk, das auch dein Volk ist, retten.“

Seine gütigen Augen blickten mich eindringlich an. Ich hielt seinen Blicken stand. Die Worte wirbelten in meinem Kopf herum und verwirrten mich nur noch mehr. Doch ich sah in seinen Augen Wahrheit. Zumindest fühlte ich, dass er mich nicht anlog. Erklären konnte ich mir das in diesem Moment nicht. Plötzlich schien sich alles um mich zu drehen. Der Raum, Ben, Oskas und Darios, meine Gedanken, mein ganzes Leben. Es war, als würde in diesem Moment alles durcheinander geworfen, wie Wäsche beim Schleudergang in der Waschmaschine. Alles war noch so, wie es eben war, nur konnte ich nichts davon klar erkennen. Meine Eltern waren nicht meine Eltern, Alma nicht meine Schwester. Und wer – verflixt noch mal – war eigentlich Ben? Innerhalb weniger Augenblicke wusste ich nichts mehr, weder wer ich war, noch wer ich sein würde. Es kam mir so vor, als hätte sich mein ganzes bisheriges Leben direkt vor meinen eigenen Augen in Nichts aufgelöst.

Die Macht des jungen Magiers

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