Читать книгу Die Macht des jungen Magiers - Yvonne Tschipke - Страница 5
Kapitel 2
ОглавлениеMein Kopf hämmerte.
Verdammt noch mal, was war passiert?
Ich zog die Beine an und legte meinen dröhnenden Kopf auf die Knie. In mir drehte sich alles, einschließlich meines Magens. Beinahe so, als wäre ich gerade nach zehn Runden aus dem Kettenkarussell gestiegen. Doch das konnte nicht der Grund für mein augenblickliches Schwindelgefühl sein. Denn erstens war im Moment gar kein Jahrmarkt und zweitens hasste ich alles wie die Pest, das sich schneller drehte als das Bärchenmobile über dem Babybett unserer kleinen Nachbarin.
Also, was war dann mit mir los?
Langsam hob ich den Kopf ein wenig und öffnete die Augen, ganz in der Hoffnung, dass das Drehen im Kopf irgendwie aufhören würde. Doch alles was ich sah, war tiefste Dunkelheit, die sich um mich herum ausgebreitet hatte, wie eine alte kratzige Decke.
Dunkelheit? Ich fragte mich, wann es Nacht geworden war. Und wie lange ich demzufolge schon hier saß.
Ich hätte schwören können, dass es noch heller Tag gewesen war, als ich aus dem kleinen Trödelladen trat. Ich erinnerte mich genau daran, weil sich meine Augen erst wieder an das grelle Sonnenlicht draußen auf der Straße gewöhnen mussten.
Aber wieso saß ich hier mitten in der Nacht auf der Straße herum? Und wo war ich überhaupt?
„Tom!“, schoss mir die Erinnerung durch den Kopf. Das musste es sein. Gleich an der übernächsten Straßenecke war ich ihm und seinen vier Halbaffen begegnet. Breitbeinig und grinsend hatten sie sich mir in den Weg gestellt. Wie immer war ich ein willkommenes Opfer für die Kerle, deren einziger Zeitvertreib darin bestand, anderen das Leben zur Hölle zu machen. Ich bin zwar nicht stark, dafür aber schnell. Bis in die Hintergasse haben sie mich verfolgt. Eigentlich war ich mir ganz sicher, dass ich sie dort irgendwie abgehängt hatte. Doch so, wie es im Moment schien, war es anscheinend nicht so gewesen. Tom und seine Halbaffen hatten mich wohl doch erwischt und ordentlich ihren Spaß mit mir gehabt.
Ich rieb mir die Schläfen fest mit den Fingern, doch das Hämmern in meinem Schädel ließ nicht nach. Ich musste wohl ziemlich fest mit dem Kopf auf dem Boden gelandet sein. Was, wenn ich blind war, kam es mir in den Sinn. Das würde zumindest die plötzliche Dunkelheit erklären! Ich hob den Kopf noch ein wenig höher und entdeckte erleichtert die vielen Millionen blinkenden Sterne am Himmel. Okay, blind war ich schon mal nicht.
Ich lehnte mich mit dem Rücken fest gegen die Wand und schob mich nach oben, bis ich auf meinen Füßen stand. Nachdem ich mich noch einen Augenblick an der Mauer abgestützt hatte und darauf wartete, dass das Drehen in meinem Kopf aufhört, machte ich einen Schritt nach vorn. Ich hörte ein leises „Platsch“. Mist, ich stand knöcheltief mitten in einer Pfütze. Ich wunderte mich kurz, wo die her gekommen war. Es hatte schon seit drei Wochen nicht geregnet. Überall auf den Straßen und Wegen wirbelte beim kleinsten Luftzug grauer Staub auf. Die Wiesen verwandelten sich langsam aber sicher von einem satten Dunkel- in ein trockenes Hellgrün. Tja, und nun stand ich hier knöcheltief in einer Pfütze, die ich im Dunkeln nicht gesehen hatte. Das kalte Wasser drang mir durch die Schuhe und durchnässte meine Socken. Na prima, dachte ich resigniert, Mama würde mich ganz sicher wieder ein riesiges Ferkel nennen, das mit seinen vierzehn Jahren noch immer nicht aufpassen konnte, wohin es trat.
In diesem Augenblick hörte ich Schritte. Sie kamen aus der Dunkelheit auf mich zu. Irgendwie bekam ich plötzlich das Gefühl, dass Mamas Gemecker sicher nicht mein einziges Problem sein würde.
„Wer bist du!? Und was treibst du dich mitten in der Nacht in den Gassen herum?!“ Eine tiefe Stimme schnarrte mich aus der Dunkelheit an. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und erkannte die Schatten einiger Personen, die die Dunkelheit der Nacht spärlich mit kleinen Laternen erhellten. Das Licht flackerte im Windzug und musste sich mächtig anstrengen, nicht ausgepustet zu werden.
Warum benutzen die denn nicht einfach Taschenlampen, schoss es mir irrsinnigerweise durch den Kopf.
„Antworte!“, herrschte mich der Mann noch einmal an.
„Ich bin Nathanael de Boer“, antwortete ich diesmal wie aus der Pistole geschossen. Die Art und Weise wie der Kerl mich anblaffte, bescherte mir ein eigenartiges Gefühl in der Magengegend und ich beschloss, lieber kooperativ zu sein.
„Und was hast du dich hier herum zu treiben? Nach Sonnenuntergang herrscht Ausgangssperre, das weißt du doch!“
Ausgangssperre? War das so etwas Ähnliches wie Hausarrest?
„Ich ... ich war wohl bewusstlos gewesen. Glaube ich jedenfalls. Ich mach mich auch gleich auf den Weg nach Hause. Ehrlich – versprochen.“
Seit wann herrschte denn Ausgangssperre in der Nacht? Ich durchforstete mein Gehirn danach, ob meine Eltern mir davon erzählt hatten. Ich wollte schon los laufen, doch da packte mich eine feste Hand im Nacken und hielt mich zurück.
„Das könnte dir so passen, Bürschchen. Du kommst jetzt erstmal mit zum Comissario – Nathanael de Boer!“, donnerte der Mann. Er schob mich vor sich her die Straße entlang. Es hatte keinen Zweck, mich dagegen zu wehren, er war natürlich viel stärker als ich. Die anderen Männer, die die Laternen trugen, folgten uns.
Der Comissario war ein dicker Mann mit einem dichten schwarzen Bart im Gesicht. Die langen fettigen Haare hatte er sich zu einem Zopf im Nacken gebunden. Er trug eine schwarze Lederhose und ein weißes Hemd, das sich gefährlich um seinen prallen Bauch spannte. Ich hoffte, dass die kleinen Knöpfe nicht ihren Dienst versagen würden.
Aus irgendeinem Grund musste ich gerade in diesem Augenblick auch an Oskas, den Trödelladenbesitzer, denken.
„Wer bist du?“, fragte mich der Comissario und schritt vor mir auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
„Das habe ich denen doch schon gesagt“, erwiderte ich trotzig und wies mit dem Kopf hinter mich, wo die anderen Männer standen. Der Schlag, der mich von hinten an den Kopf traf, erinnerte mich allerdings daran, dass ich doch lieber kooperativ sein sollte. Die Augen des Mannes vor mir funkelten mich böse an.
„Nathanael de Boer“, antwortete ich zaghaft.
„Und woher kommst du, wenn ich fragen darf?“ Der Comissario blieb direkt vor mir stehen. Er schob sein fettes Gesicht dicht an meines heran. Sein Mundgeruch war eine Mischung aus Zwiebeln und bitterem Bier und ich drehte leicht angeekelt meinen Kopf zur Seite. „Ich wohne in der Stadt – Kramerstraße 8c“, antwortete ich und versuchte, durch den Mund zu atmen.
Der Mann sah mich verwundert an. „Kra – mer – stra - ße ... 8 ...c ...? Hier in unserer Stadt?“ Er blickte die anderen hinter mir fragend an. „Wo soll das denn sein?“, zischte er und starrte mir zornig ins Gesicht.
Die Kramerstraße war die zweitgrößte Straße in Bernburg. Und die wussten nicht, wo das war? Aber – ein Schaudern lief mir über den Rücken – was, wenn ich gar nicht in Bernburg war? Ich hatte natürlich absolut keinen blassen Schimmer, wie ich woanders hingekommen sein könnte.
„Wie heißt Ihre Stadt denn?“, fragte ich vorsichtig. Der Comissario riss die Augen vor Verwunderung auf und zog die Augenbrauen weit nach oben. „Du weißt nicht, wie unsere Stadt heißt?“, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. „Wenn ich nicht in Bernburg bin – wo dann?“, fragte ich unsicher.
Der Comissario setzte gerade zu einer Antwort an. Er öffnete den Mund, doch es kam kein Wort über seine Lippen. Irgendetwas schien seine Aufmerksamkeit gefangen zu haben. Er wies mit seinem kurzen dicken Zeigefinger auf mich und fragte: „Was hast du da?“ Ich sah an mir herunter. Jetzt erst wurde mir bewusst, dass ich ja noch das Päckchen mit dem Tintenfass und das Buch bei mir trug. Es war den anderen sicherlich entgangen und nur deshalb hatten sie es mir nicht sofort abgenommen.
Ich hielt es dem Comissario ein Stück entgegen und nuschelte: „Geburtstagsgeschenke. Für meine Schwester Alma. Habe ich heute Nachmittag im Laden von Oskas gekauft.“
Die kleinen schmalen Schweineaugen des Comissario wurden mit einem Mal kugelrund. „Hast du gerade Oskas gesagt? Oskas Galatani?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, wie der heißt. Ja, kann schon sein. Mein Freund hat mich dorthin geschickt“, antwortete ich fast beiläufig, aber schon sichtlich genervt. Weshalb wollte der das denn wissen und warum machte er dann so einen Aufstand deswegen? Und überhaupt – wo zum Geier war ich hier???
Das Dröhnen in meinem Kopf hatte endlich ein wenig nachgelassen. Mit einem Mal konnte ich wieder einigermaßen klar denken. Verstohlen sah ich mich um. Ich befand mich in einem großen Raum. An der hohen Decke erkannte ich ein bunt bemaltes Kreuzgewölbe. Wow! Papa war ein absoluter Liebhaber alter Gemäuer. In jedem Urlaub schleppte er uns euphorisch durch Burgen und Kirchen und Schlösser. Garantiert wäre er voll begeistert von dem Kunststück hier. Die schmalen Fenster an den Wänden waren durch Sprossen in lauter kleine bunte Quadrate unterteilt. Im Raum befand sich ein breiter Tisch aus Holz, der mich sehr an Almas alten Schreibtisch erinnerte. Einige hohe antike Lehnstühle standen um ihn herum. An einer der fensterlosen Wände gab es ein Regal, das bis unter die Decke reichte. Es war vollgestopft mit Büchern, Schriftrollen und anderem Kram. Wieder musste ich an den kleinen Laden denken. Vorsichtig drehte ich mich um. Die Kerle, die mich hierher geschleppt hatten, trugen nicht nur genau die gleichen altertümlichen Klamotten wie der Comissario. An ihren Gürteln hingen Schwerter, echte Schwerter aus blankem Metall. Schnell drehte ich mich wieder um und fuhr mir mit einer Hand heftig über die Augen. Ich musste träumen. Ganz sicher! Ich war wohl noch immer bewusstlos! Dieses Mal hatten Tom und seine Halbaffen mich ganz sicher erwischt und windelweich geprügelt.
„Was hast du mit Oskas Galatani zu schaffen?“, donnerte der Comissario. Ich zuckte zusammen, trat einen Schritt zurück und prallte dabei gegen den Bauch des Mannes, der hinter mir stand.
„Ich habe gar nichts mit ihm zu schaffen“, motzte ich. Doch ich fühlte mich dabei nicht besonders wohl. Die wütende Stimme des Comissario hatte mich ziemlich eingeschüchtert. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, mein Mund war urplötzlich staubtrocken und die Zunge klebte mir am Gaumen. Ich fing an zu zittern und meine Hände waren schweißnass. Es waren die gleichen Symptome, die mich überfielen, wenn Tom und seine Clique mir mal wieder irgendwo in der Stadt aufgelauert hatten und hinter mir her waren. War das ein bescheuerter Traum! Ich musste schnellstmöglich aus ihm erwachen.
„Woher kennst du ihn dann?“ Die Stimme des dicken Mannes war unverändert wütend und forderte eine Antwort.
„Mein Freund Ben hat ihn mir empfohlen, also den Laden von diesem Oskas, meine ich. Weil ich ein Geschenk für meine Schwester gesucht habe“, antwortete ich schon fast panisch.
Aufwachen, rief ich mir in Gedanken zu, ich wollte so schnell wie möglich aufwachen. Der Kerl machte mir Angst.
„DU LÜGST!!!“ Der Comissario kam mit einem Satz, den ich ihm aufgrund seiner Leibesfülle überhaupt nicht zugetraut hatte, auf mich zu gesprungen. Er packte mich an meinem Shirt und rüttelte mich ordentlich durch. „Sag endlich die Wahrheit, du kleiner Betrüger!“
Weil ich befürchtete, dass ich meine Geschenke fallen lassen würde, drückte ich sie ganz fest an meinen Körper. Ich spürte das metallene Kreuz mit seinen vier Glassteinen schmerzhaft an meiner Brust. Es fühlte sich beinahe so an, als ob es sich in meinen Körper brennen wollte.
„AUFWACHEN!“, schrie alles in mir.
Obwohl ich das Buch am liebsten von mir geworfen hätte, hielt ich es fest an mich gedrückt, trotz des Schmerzes an meiner Brust. Mit einem Mal kam es mir so vor, als ob ich anfangen würde zu fliegen. Jemand hatte das verdammte Kettenkarussell wieder in Gang gesetzt. Um mich herum wirbelte alles durcheinander. Ein Strudel aus bunten Farben und verzerrten Figuren riss mich mit sich.
Schlagartig wurde mir kotzübel.