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Kapitel 1

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Über mir erklang das schrille Bimmeln einer Glocke. Sie machte einen höllischen Lärm und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Als ich die Tür hinter mir schloss, klirrte das Ding gleich noch einmal. Eigentlich hätte ich es wissen müssen – doch ich zuckte schon wieder zusammen. Ich warf der Glocke aus angegilbtem Messing einen zornigen Blick zu. Vielleicht, hoffte ich, würde sie auf ewig verstummen. Dämliches Teil!

Ich sah mich um. Nach nur ein paar Sekunden kam es mir fast so vor, als hätte mich jemand gut drei Jahrhunderte zurück gebeamt. Es war düster in dem engen Raum. Durch das kleine Fenster gleich neben der Eingangstür schien nur ein einziger Sonnenstrahl dringen zu können, der die abertausend kleinen Staubkörnchen zum Glitzern brachte, die auf seinem Weg durch den Raum wild um ihn herum tanzten.

An den Wänden und sogar noch mitten in dem sowieso schon engen Raum standen grob gezimmerte Regale aus Holz, die bis unter die niedrige Decke reichten. Sie waren

vollgestopft mit irgendwelchen Dingen: Geschirr und andere Haushaltsgegenstände, Spielzeug, Wäsche. In einem der Regale entdeckte ich Unmengen von Büchern. Bücher, die genauso uralt aussahen, wie der Rest der Ware. Und auch genauso rochen. Das war nicht sehr verwunderlich. Immerhin stand draußen über der Tür in geschwungenen Buchstaben „Oskas Galatanis Alte Welt“.

Mein Freund Ben hatte mir diesen Laden empfohlen. Wenn ich es mir recht überlegte, hatte er mich geradezu genötigt, dorthin zu gehen. Und ich hatte seinen Vorschlag dankbar angenommen. Denn der Geburtstag meiner Schwester Alma stand vor der Tür. Ich brauchte dringend noch ein Geschenk für sie, denn wie in jedem Jahr war ich natürlich wieder einmal viel zu spät dran. Man mag es kaum glauben: Seit nunmehr 17 Jahren hatte Alma an ein und demselben Tag Geburtstag, aber ich vergaß ihn jedes Mal aufs Neue. Er war schon am nächsten Tag und ich hatte noch nicht einmal eine Idee, was ich ihr schenken könnte.

„Alma liebt doch alte Sachen“, meinte Ben heute Morgen fast beiläufig in der großen Pause. „Versuch es doch mal im Trödelladen von Oskas Galatani. Da findest du ganz bestimmt etwas für deine Schwester.“

Tja, und deshalb stand ich nun also in dem Laden von diesem Oskas Galatani. Seltsamer Name, dachte ich mir. Vielleicht kam er ja aus einem anderen Land.

Nach dem mörderischen Läuten der Türglocke war niemand erschienen. Das störte mich allerdings nicht sehr. Denn so hatte ich wenigstens ein paar Augenblicke länger die Gelegenheit, mich umzuschauen, bevor der verkaufswütige Ladenbesitzer mich total vereinnahmen konnte.

Ich hasste es, in kleine Läden zu gehen und in Beschlag genommen zu werden, noch ehe ich mich richtig umgesehen hatte. „Suchst du nach etwas Bestimmtem? Kann ich dir helfen? Und wenn jetzt nicht, dann ruf mich, wenn du meinen Rat brauchst!“ Noch viel schlimmer fand ich allerdings, wenn ich mich in diesen Läden bei jedem meiner Schritte permanent von einer Verkäuferin mit Adleraugen beobachtet fühlte und mir dabei immer so vorkam, als wäre ich ein potentieller Ladendieb oder hätte die Dame bei irgendetwas Wichtigem gestört.

Aber hier in diesem kleinen engen Trödelladen schien das ganz und gar anders zu sein. Zwar hörte ich das leise Klappern und Rascheln, das vermutlich aus dem Raum kam, der sich hinter der Verkaufstheke befand, doch es kam niemand nach vorn. Allerdings beschlich mich das unangenehme Gefühl, dass die Augen von irgendjemandem von irgendwoher auf mir ruhten. Bei diesem Gedanken kroch mir unwillkürlich eine leichte Gänsehaut über den Rücken. Trotzdem ließ ich meine Blicke weiter durch den Laden streifen, auf der Suche nach einem Geschenk für Alma. Sie wanderten über all diese Dinge in den Regalen, die ihre eigene lange Geschichte in sich trugen. Ihre Geschichte, die sie auf eine ganz bestimmte Art und Weise wertvoll machte.

Nach einer Weile entdeckte ich in einem der Regale etwas, das meiner Schwester ganz sicher gefallen würde. Es war ein rundes Tintenfass aus Glas. Ringsherum war es mit klitzekleinen bunten Glasscherben verziert. In dem Fässchen steckte ein Federhalter aus dunklem Holz. „Perfekt“, flüsterte ich. Das würde sich ziemlich gut auf Almas Schreibtisch machen. Ich hoffte, dass es nicht zu teuer war. Als ich schon danach greifen und es aus dem Regal nehmen wollte, überlegte ich mir, dass der Besitzer der wertvollen Dinge es vielleicht nicht so gern sah, wenn man sich hier selbst bediente.

„Hallo- ho?“ Meine Stimme krächzte ein wenig, als ich versuchte, mich bemerkbar zu machen. Ich sah in Richtung der schmalen Tür, die sich hinter der Theke mit der uralten Registrierkasse befand. Ich hörte es erneut rascheln, dann vernahm ich leise Schritte. Doch entgegen meiner Erwartung kam der Verkäufer des Ladens nicht aus dem Hinterzimmer, sondern trat urplötzlich hinter einem der Regale, die in der Mitte des Raumes standen, hervor. Erschrocken machte ich einen Satz rückwärts.

„Keine Angst, ich fresse dich schon nicht“, sagte der mittelgroße Mann, der nun vor mir stand, und lächelte mich freundlich an. „Hast du etwas gefunden, was dich interessiert?“ Er sah mich erwartungsvoll mit seinen dunkelbraunen, fast schwarzen Augen an, die mich an Mamas milchlosen Kaffee erinnerten.

Ich nickte und zeigte auf das Tintenfass. Ich wäre gerne freundlicher gewesen, doch aus irgendeinem Grund ich brachte keinen Ton heraus.

„Gute Wahl“, bemerkte der junge Mann. Während er bedächtig zum Regal schritt, sah ich mir den Typen etwas genauer an. Das halblange braune Haar hatte er sich mit einem Lederband im Nacken zusammen gebunden. Er trug eine Hose aus braunem Leinenstoff, dazu ein weißes Hemd mit weiten Ärmeln. Seine nackten Füße steckten in schwarzen altmodischen Lederschuhen. Vielleicht war das seine Arbeitskleidung, überlegte ich. In einem Laden wie diesem hier, wo es ganz so schien, als wäre die Zeit stehen geblieben, sah das eben viel besser aus, als Jeans, Turnschuhe und T-Shirt. Er mochte so Mitte zwanzig sein, überlegte ich weiter, so ganz genau konnte ich das bei den im Laden vorherrschenden Lichtverhältnissen nicht einschätzen.

„Ist für meine Schwester“, sagte ich schließlich nach ein paar Minuten, um nicht den Anschein zu erwecken unhöflich zu sein.

„Hm, hm“, brummelte der Mann nur. Er ging mit dem Tintenfass zum Verkaufstisch, zog einen Bogen graues Papier hervor und schlug das Fässchen behutsam darin ein.

„Alma mag alte Dinge“, versuchte ich noch einmal ein Gespräch anzukurbeln.

„Fünfzehn Euro“, sagte der junge Mann, schob das Päckchen über den Tisch und hielt erwartungsvoll die Hand auf. Ich kramte in meinem Rucksack nach der Geldbörse und zog schließlich einen Zwanziger heraus.

Die Stirn des Mannes legte sich in Falten. Ich hatte absolut keine Ahnung, weshalb. War etwas nicht in Ordnung? „Was?“, fragte ich verdattert. „Der ist echt!“

„Nun ja, wie soll ich es sagen“, meinte der Mann und kratzte sich im Nacken. „Es verlaufen sich nicht sehr viele Leute hierher in meinen Laden. Genau genommen bist du der Erste seit ein paar Tagen. Ich habe kein Wechselgeld.“

Na, prima, schoss es mir durch den Kopf. Konnte er das denn nicht gleich sagen? „Und nun?“, fragte ich und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich brauchte dieses Geschenk. Ich hatte doch kein anderes und wusste, dass sich Alma darüber freuen würde.

Der Mann dachte nach. „Ich hab`s“, rief er plötzlich und irgendwie sah er jetzt aus, wie ein kleiner Junge, der sich wie irre auf Weihnachten freut. „Ich könnte dir ... ich könnte dir etwas dazu geben.“ Er kam hinter dem Verkaufstisch hervor. „Warte – gleich finde ich etwas!“ Er schritt suchend durch die Regalreihen, griff nach etwas, murmelte vor sich hin, schüttelte den Kopf und ging weiter. Schließlich zog er aus einem der Regale ein Buch. Es war nicht das Bücherregal.

Der Mann kam zu mir zurück und legte das Buch behutsam wie ein rohes Ei vor mich auf den Tisch. „Hier, das gebe ich dir dazu“, sagte er, sichtlich mit seiner Wahl zufrieden. Ich hob abwehrend die Hände. Einerseits, weil mir die fünf Euro Wechselgeld viel lieber gewesen wären. Andererseits, weil ich vermutete, dass dieses in schwarzes Leder gebundene Buch garantiert einiges mehr wert war. Schon das metallene Kreuz auf dem Deckel, das aussah, wie zwei übereinander gelegte Dolche, sah ziemlich antik aus. An seinen vier Enden waren grüne Glassteine aufgesetzt, die in diesem Moment, als der einzige Sonnenstrahl sie mit seinem Licht traf, zu funkeln begannen. Auch der goldfarbene Beschlag mit dem kleinen runden Schloss daran, war ganz sicher mehr wert als fünf Euro.

„Doch, nimm es. Ich brauche es nicht. Niemand anderes kann etwas damit anfangen“, beharrte der junge Mann darauf, dass ich das Buch annahm. Er sah mich dabei irgendwie komisch an. Gut, dachte ich, wenn er es unbedingt so will. Vielleicht – oder garantiert - würde sich Alma auch noch darüber freuen.

Als ich den kleinen Laden mit seinem sonderbaren Verkäufer verließ, schallte über mir wieder die Glocke – unbarmherzig laut - doch dieses Mal war ich vorbereitet.

Die Macht des jungen Magiers

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