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Zwölf

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Der Herbst 1990 war zugleich ein Frühling, nämlich politisch gesehen. Der Aufbruch in eine neue Zeit. Die gesamtdeutschen Wahlen und damit ein Jahrhundertereignis standen bevor. Die CDU, allen voran Helmut Kohl, proklamierten die Wiedervereinigung fast schon als alleinigen Verdienst. Die FDP sonnte sich im Schein ihres Außenministers Hans-Dietrich Genscher, der durch zähes Verhandeln die Wiedervereinigung erst möglich gemacht hatte. Die SPD dagegen, so versuchte es die CDU-Regierung ständig darzustellen, habe die Wiedervereinigung ja gar nicht gewollt. Dies bezog sich im Wesentlichen auf die Äußerungen des damaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, der sich erlaubt hatte, zu fragen, wer denn die Einheit bezahlen solle.

Was für eine dumme Frage. Damit hatte man »die fünfte Kolonne« – mit diesem Begriff versuchte man die SPD seit Kriegsende immer wieder als Gehilfen der Kommunisten zu diskreditieren – mal wieder entlarvt. Die wollten angeblich keine Wiedervereinigung, sondern die DDR behalten. Dagegen prägte Helmut Kohl Aussagen, die Geschichte schreiben sollten:

»Es werden blühende Landschaften im Osten entstehen.«

»Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen besser.«

Aussagen mit Langzeitwert, die aber so pauschal für viele nicht zutreffen sollten. Das waren die Sprüche des Wahlkampfes. Wer das alles bezahlen sollte, war nicht Gegenstand der Diskussion.


Dann gab es da ja auch noch die alte SED, die nun Partei des demokratischen Sozialismus, kurz PDS, hieß. Die war nun für viele nicht mehr wählbar, für die allermeisten Wessis ohnehin eine völlig inakzeptable Partei, was mein reaktionärer Vater treffend auf den Punkt brachte: »Wer die noch wählt, dem gehört das Wahlrecht entzogen.« So einfach zeigte sich das Bild aus Sicht der Gewinner. Beinahe in Vergessenheit gerieten im ganzen Wiedervereinigungshype und D-Mark-Jubel die Bürgerbewegungen, welche die friedliche Revolution erst ermöglicht hatten. Das Bündnis ’90 und andere aus der Bürgerrechtsbewegung schlossen sich mit den Grünen zusammen. Aber ihre Ziele und das, was sie im Herbst 1989 erreicht hatten, fiel bei den Menschen doch ziemlich unter den Tisch. Einzig die D-Mark zählte, und die verkörperte niemand besser und strahlender als Helmut Kohl.

Obwohl die Arbeitslosigkeit bereits um sich griff, immer mehr Betriebe abgewickelt und geschlossen wurden, herrschte oft immer noch große Euphorie unter den Menschen. Man glaubte an die blühenden Landschaften und dass es jedem besser gehen würde. Im Kleinen stimmte das ja auch. Fast alle hatten sich von dem neuen Geld etwas gegönnt: eine Stereoanlage, einen Fernseher, einen Urlaub auf Mallorca und allen voran ein neues Auto. Die Fragen, wer das alles bezahlen sollte und wo die neuen Arbeitsplätze denn entstünden, stellten sich viele (noch) nicht. Vor einer Wahl gibt es immer wahrlich blumige Versprechungen. Die Rechnung wird erst hinterher präsentiert. Nur kannte man das im Osten noch nicht.

Das zeigte sich auch auf den Wahlkampfveranstaltungen. Aus Neugier gingen Horst und ich zu einer der CDU auf dem halleschen Marktplatz. Wir fanden es geradezu gruselig. Auf der einen Seite die Anhänger der CDU, die förmlich an den Lippen der Redner hingen, die ihnen versuchten, weiß zu machen, dass sich die Wiedervereinigung ohne Steuererhöhungen finanzieren ließ. Auf der anderen Seite Menschen, die dies so nicht glaubten, die »roten Socken«, um mal eine harmlose Umschreibung zu benutzen, mit denen skeptische Zwischenrufer bedacht wurden. Etwas weiter hinten in der Menge, wo etwas mehr Platz war, standen sie sich direkt gegenüber.

Die Köpfe rot angelaufen, schrien sie sich gegenseitig mit hervortretenden, hüpfenden Adamsäpfeln an. Die Augen traten groß hervor und sprühten vor Hass, als sich die Menschen wie Kampfhähne gegenüberstanden. Stasischwein und rote Sau waren noch die harmlosen Schimpfworte, mit denen Skeptiker bedacht wurden. Es war ein Wunder, dass es nicht zu größeren Handgreiflichkeiten kam. Die D-Mark und der Kanzler der Einheit ließen die Emotionen hochkochen. Wo war das Gemeinsame aus den Montagsdemos geblieben?

Vor diesem Hintergrund verwunderte das Ergebnis der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 auch nicht. Fast fünfundfünfzig Prozent für CDU und FDP. Die D-Mark hatte gewonnen. Die elf Prozent für die »Poststalinisten«, wie die SED-Nachfolgepartei gern genannt wurde, waren deutlich. Enttäuschend, dass die Bürgerrechtsbewegung unter dem grünen Dach gerade mal auf sechs Komma zwei Prozent der Stimmen im Osten kam. Warum sollte man die jetzt auch noch wählen? Die Mauer war gefallen, es gab die ersehnte Reisefreiheit und das alte System war beerdigt, die Menschen wiedervereint und die D-Mark im Portemonnaie.

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