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Dreizehn

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Die Zeit direkt nach der Wende trieb viele Blüten. Allerorts wurden nun Wessis mit dunklen Anzügen und großen dunklen Limousinen gesichtet, Investoren, sogenannte. Es gab ja viel zu tun. Die Treuhand regelte das Modernisieren, Sanieren, Investieren und allzu oft einfach nur das Abwickeln. Dies bedeutete oft, dass man die Betriebe für eine obligatorische D-Mark veräußerte, diese anschließend von den neuen Eigentümern geschlossen wurden und die Belegschaft auf der Straße landete.

In dieser Zeit des großen Aufbruchs wies jede Gemeinde damals Gewerbegebiete aus, damit sich die blühenden Landschaften auch bei ihnen ansiedeln konnten. So auch in Teutschenthal, einer kleinen Gemeinde am westlichen Stadtrand von Halle. Hier gab es die ziemlich heruntergewirtschaftete landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Lenin und einen kleinen, überwiegend landwirtschaftlich genutzten Flugplatz. Eines Tages stand in der Mitteldeutschen Zeitung, dass Investoren diesen kleinen Flugplatz zu einem bedeutenden Luftkreuz für den Frachtverkehr ausbauen wollten, und auch mit der LPG hatte man Großes vor. Dass der internationale Flughafen Leipzig-Halle praktisch um die Ecke lag, störte nicht. Es wurden hochtrabende Pläne für den großen Aufstieg einer kleinen Gemeinde entworfen. Mir war das von vornherein schon nicht ganz geheuer.

Für die Kredite zeigte sich nun nicht mehr die Staatsbank der DDR zuständig, sondern die örtlichen Banken, in diesem Fall die Stadt- und Saalkreissparkasse Halle. Und dort begeisterte man sich für die zukunftsweisenden Pläne adretter Investoren aus dem Westen und wollte den Aufschwung natürlich nicht aufhalten. So wurden Kreditanträge im Schnellverfahren durchgewunken und Kredite ohne Prüfung von Sicherheiten ausbezahlt.4

Einem adoptierten Grafen hatte man sage und schreibe zehn Millionen ausgehändigt, um die marode LPG Lenin wieder aufzumöbeln. Eigentlich müsste man sagen hinterhergeworfen, denn wie sich rausstellte, hatte er das Geld für sein kompetentes Auftreten und ein paar Konzepte mit schönen Plänchen erhalten und war dann mit Koffern voller Geld aus der Bank spaziert. Da hatten Horst und ich gedacht, wir machen was falsch. Wir mühten uns hier, Tag für Tag, im Klein-Klein damit ab, Geld zu verdienen, an Büroräume zu gelangen, und den echten Gangstern wurde das Geld nur so hinterhergeworfen. Wie ungerecht. Aber dafür waren wir halt längst nicht dreist genug und vor allem waren wir zu ehrlich.

Es dauerte gar nicht so lange, bis erste Zweifel aufkamen, ob diese tollen Projekte wirklich realistisch waren und auch umgesetzt werden würden. In dieser Zeit vollzog sich in Halle der größte Bankenskandal der deutschen Nachkriegszeit, als das große Luftschloss in Teutschenthal platzte. Wie sich erst wesentlich später herausstellen sollte, vergab die Bank innerhalb recht kurzer Zeit Kredite und Darlehen in Höhe von über siebenhundert Millionen D-Mark. Nach und nach kam ans Licht, dass immer größere Teile dieser Kredite faul waren. Erst war das Geld weg und dann die so seriösen Geschäftsleute. Übrig blieben letztlich vierhundertvierunddreißig Millionen D-Mark, die man für immer abschreiben konnte. Für die die Sparkasse, der hallesche Bürger und letzten Endes der Steuerzahler im Allgemeinen geradezustehen hatten.5

Im Zentrum stand eine junge Sachbearbeiterin der Sparkasse, die erst seit Kurzem Leiterin der Kreditabteilung war, und ihr Chef, der sie wohl auch ermunterte, den Aufschwung nicht zu bremsen, sondern mutig zu entscheiden. Schließlich ging es hier um Arbeitsplätze, um Zukunft. Beide waren sicherlich mit der Kreditvergabe völlig überfordert und hatten wahrscheinlich noch nie einen Kreditantrag nach westlichem Vorbild geprüft. So fanden sie sich irgendwann vor Gericht wieder. Während das Verfahren gegen den Chef aus gesundheitlichen Gründen eingestellt wurde, musste die kleine Sachbearbeiterin den Schaden allein ausbaden. Als wenn sie durch die Vorgänge nicht schon genug gestraft wäre, stand die Frau über zwei lange Jahre hinweg wegen Veruntreuung vor Gericht und wurde schließlich auch verurteilt. Im Gegenzug einigte sich die Bank wohl mit etlichen Schuldnern außergerichtlich und ließ den Steuerzahler letztlich den Großteil der Suppe auslöffeln.6

In diese Zeit der freihändigen Kreditvergabe fielen auch die rauschenden Nächte in diversen Bars, vor allem aber am Tresen des ehemaligen Interhotels an der Merseburger Straße. Da ließen es die Investoren, Glücksritter und Betrüger, nach erfolgreicher Kreditvergabe so richtig krachen. Na klar, mit so viel Bargeld ausgestattet fällt die Frage leicht: »Was kostet die Welt?« Da flossen Krimsekt und Champagner in Strömen und die Prostituierten pflückten sich später ihre sturzbetrunkenen, millionenschweren Kunden, wie reife Früchte vom Baum. Dazu gehörte ein Pferdehändler aus der Pfalz, der ein halbes Dutzend Haftbefehle hinter sich hatte und dem man fünf Millionen überließ, um die marode hallesche Galopprennbahn wieder auf Vordermann zu bringen. Oder der ehemalige Heizungsvertreter, der es durch Kreditvermittlung innerhalb von wenigen Monaten zum Multimillionär gebracht hatte. Den Vogel schoss allerdings ein Norweger ab, dem man nach der Landung mit einer Boeing 737 am Flughafen Leipzig/Halle, für vertrauenswürdig genug hielt, um ihm gleich einen Kredit über fünfzig Millionen einzuräumen.7

Davon war ich damals weit entfernt. Und so verlockend es auf den ersten Blick klang, mal eben mit einem Koffer voller Geld aus der Bank zu spazieren, das entsprach einfach nicht meiner Art. Und so waren mir auch diese großkotzigen Wessis im schicken Anzug, dauergewellt und mit Goldkettchen behängt, von Anfang an unsympathisch. Vieles war halt mehr Schein als Sein. Doch zum erfolgreichen Blenden hat es gereicht. Um diese Leute habe ich immer einen großen Bogen gemacht.


Aber einen dieser – wenn auch etwas kleineren – Glücksritter, der die Zeichen der Zeit für sich erkannt hatte, kannte ich tatsächlich persönlich. Werner, der ja bereits vor Einführung der D-Mark in Halle in seinem gebrauchten Bierpavillon Dosenbier, Kaffee und Konserven verkauft hatte. Zufällig traf ich Werner in der Stadt und er erzählte mir, dass er jetzt eine Pizzeria in Merseburg betrieb und viel Geld damit verdienen würde. Wir verabredeten uns zwei Tage später bei ihm zum gemeinsamen Frühstück. Er gab mir seine Adresse. Werner lebte nach wie vor in Halle, in einem Altbau, nicht in bester Lage. So stand ich dann morgens mit einer Tüte Brötchen in der Hand vor seiner Wohnungstür und klingelte. Nach dem dritten Klingeln hörte ich Geräusche auf dem Flur. Die Tür öffnete sich gerade so weit, wie es die vorgelegte Metallkette zuließ, und Werners verpenntes Gesicht erschien in der Öffnung.

»Ach, du bist es. Dich habe ich völlig vergessen«, meinte er, nahm die Kette ab und ließ mich ein. Als er sich nun herumdrehte und vor mir Richtung Küche schlurfte, dachte ich, ich sehe nicht richtig. Aus dem Bund seiner Jeans ragte der Griff eines großen Revolvers hervor. Auf meine Frage, ob er denn so gefährlich leben würde, guckte er mich erst etwas verständnislos an und meinte dann:

»Ach so«, zog den Revolver aus dem Hosenbund, hielt ihn hoch und meinte: »Deswegen? Na, man weiß nie, wer vor der Türe steht«, und legte die Waffe zur Seite. Ich hatte mir bislang noch nie Gedanken darüber gemacht, dass bei mir Leute vor der Tür stehen könnten, für die man so eine Artillerie auffahren müsste, oder machte der gute Werner noch andere Geschäfte?

Davon sprach er nicht. Stattdessen erzählte er, dass er neulich in Amerika gewesen sei und sich von dort, sozusagen als Urlaubsmitbringsel, eine Corvette mitgebracht hätte. Eine Corvette! Ich konnte nur staunen, handelte es sich dabei doch um ein legendäres Sportcoupé von General Motors mit auffälligem Design und Unmengen an Pferdestärken unter der Motorhaube. Damals waren die Straßen im Osten und speziell in Halle so schlecht und so voller Schlaglöcher, dass es mir ein völliges Rätsel war, wie man hier freiwillig mit einem solch tiefergelegten Geschoss rumfahren konnte. Ich hatte schon mein Fahrrad in Hannover gelassen, weil mir das Fahren damit zu riskant war. Aber wer es brauchte. Werner und ich haben uns anschließend nicht mehr gesehen. Jahre später erfuhr ich, dass Werner inzwischen in Thailand lebte. Er hatte sich in Phuket eine Wohnung in einem schicken Hochhaus gekauft und ließ es sich dort gut gehen.

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