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Methodologie

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Der Erfolg dieser eben angeführten Unternehmung beruhte bereits auf der seit 1793 erzielten methodologischen Klärung. So muß die Schweizerreise schon als bewußte Vorbereitung der Amerika-Expedition gelten.

Doch gehen wir zunächst noch einmal zurück zum Jahr 1793, dem entschieden wichtigsten im bisherigen Leben A. v. Humboldts:

Es brachte ihm erste äußere Erfolge, indem er die Goldmedaille des sächsischen Kurfürsten erhielt. Ohne seinen Minister zu fragen, gründete er in Naila im Fichtelgebirge eine Freie Bergschule, für die er ein Lehrbuch schrieb und in die heimische Mundart übertragen ließ. Der zuständige Minister ließ ihm die Auslagen erstatten und erkannte damit sein selbständiges Eingreifen an.

Im gleichen Jahr gliederte er den Komplex der Erdwissenschaften, wie wir heute sagen könnten, indem er sichtlich dem Vorbild Kants und dessen bleibend wichtiger Einleitung zur Vorlesung über die Physische Geographie folgte. Der große Königsberger hatte die Erfahrungserkenntnisse dreifach angeordnet:

1. Logische Einteilung nach Begriffen in Form eines „systema naturae“, wie das Linnés.

2. Physische Einteilung der Zeit nach.

3. Physische Einteilung dem Raum nach.

Damit trennte Kant erstmals eindeutig Geschichte und Geographie, erkannte aber gleichzeitig in seinem weiteren Text, daß die Historie notwendig einen räumlichen, die Geographie notwendig einen historischen Anteil besitzen müsse.

Humboldt hat 1793 in einer Fußnote seines ›Florae Fribergensis Specimen‹ eine Systematik entwickelt, die sich an Kants Vorgehen orientiert haben muß:

1. Physiographic (Naturbeschreibung, Histoire naturelle descriptive, fälschlicherweise auch Naturgeschichte genannt);

2. Historia Telluris (Erdgeschichte, Histoire du globe).

3. Geognosia (Erdkunde, Théorie de la terre, Geographie physique).

Offensichtlich hat Humboldt die in Klammern gesetzte Begriffe als Synonyma des jeweils erstgenannten Ausdrucks aufgefaßt; auch er trennte damit Geschichte (Erdgeschichte) von der eigentlichen Geographie ab. Wo wir diesen Begriff in der dritten Position erwarten müssen, finden wir überraschenderweise „Geognosia“, ein Terminus, der bereits fest vergeben war, und von vielen gleichbedeutend mit Geologie gebraucht wurde. Der Geltungsbereich des Begriffes Geognosia sollte eindeutig eine höhere Geographie als z.B. die zeitgenössisch monotone Büschings bezeichnen, mit der sich Humboldt jedenfalls nicht identifizieren wollte. Augenscheinlich hat er schon bald einsehen müssen, daß er den Begriff „Geognosia“ nicht als Leitbegriff einer Geographie, wie sie ihm jetzt schon vorschwebte, verwenden könne; es standen ihm die drei Begriffe, die er in der dritten Position in Klammern gesetzt hatte, zur Verfügung. „Erdkunde“ hat er selten zur Kennzeichnung geographischer Arbeit benutzt; so blieben ihm die beiden restlichen Termini. Dies wird noch deutlich werden.

Für sein geographisches Denken hatte er damit eine bemerkenswerte Klärung erreicht.

Ebenfalls 1793 begann seine sechsjährige Vorbereitung auf die Reise in die Tropen Amerikas. Diese bis dahin beispiellose spezielle Präparation auf ein Reiseziel leitete über zur fünfjährigen Ausführung seiner Forschungsreise und ihrer mehr als drei Jahrzehnte beanspruchenden Auswertung im größten privaten Reisewerk der Geschichte, so daß Humboldt den reisegeschichtlichen Dreiklang besonders harmonisch verwirklichte und der maßgebende Forschungsreisende seiner Zeit werden konnte.

Seit seiner Rückkehr (1. August 1804) beschäftigte ihn neben der zeitraubenden Auswertung und diplomatischen Missionen in Frankreich auch die Vorbereitung einer neuen Forschungsreise nach Indien und zum Himalaya, um unter anderem dieses Gebirge mit den Anden zu vergleichen.

Humboldt erlernte für diese Unternehmung die arabische und die persische Sprache, weil er über den Iran (ähnlich wie später Sven Hedin) anreisen wollte, und setzte viel Zeit und Kraft an eine schließlich Jahrzehnte dauernde erneute spezielle Vorbereitung. 1818 entsprach der Staatskanzler Hardenberg während des Kongresses der Heiligen Allianz in Aachen Alexanders Wünschen erstaunlich großzügig; nie war bis dahin ein deutscher Forschungsreisender mehr unterstützt worden. Dabei versuchte Hardenberg in geschickter Weise die Bindung Wilhelm v. Humboldts an sich selbst über den ihm allerdings ohnehin nahestehenden Alexander, der sich seinerseits entsprechend um den Bruder bemühte. Dieser wurde vom Freiherr vom Stein leider in seiner ablehnenden Haltung in der Frage der preußischen Verfassung bestärkt und schied nach den Karlsbader Beschlüssen aus dem Dienst. Es sollte sich später zeigen, daß die Verfassungsentwürfe Hardenbergs und W. v. Humboldts viel Gemeinsames aufwiesen. Der Versuch, hier auszugleichen, ist Alexanders bedeutsamster Eingriff in die politische Geschichte gewesen, wobei sich die Kombination Hardenberg – A. v. Humboldt und W. v. Humboldt – Freiherr vom Stein gegenüberstand; der Ausgleich, den Alexander gesucht hatte, hätte viel bedeuten können. Aber nicht nur hier scheiterte der jüngere Humboldt, er erlebte sogar die größte Enttäuschung seines Lebens, als ihm die Einreise nach Indien verweigert wurde.

Dennoch hat sich auch diese asiatische Expedition noch spät in der Form seiner russischen Reise 1829 verwirklicht, und das daraus erwachsene große physikalisch-geographische Werk über ›Central-Asien‹ gewann seine Tiefe aus einem jahrzehntelangen präparativen Studium, das Humboldt z.B. zu einem erstaunlich gründlichen Kenner Tibets werden ließ. Abgesehen davon, öffnete er den drei Brüdern v. Schlagintweit den Weg nach Indien (1854–57)12.

Verfolgen wir die Methodologie Humboldts weiter, so fällt der Blick auf einen Satz, den er am 24. Januar 1796 an Marc-Auguste Pictet schrieb: «Je conçus l’idée d’une physique du monde» (wörtlich übersetzt: „Ich konzipierte die Idee einer Physik der Erde“ – nicht Physik der Welt, wie man transkribieren könnte, hätte Humboldt uns nur je diese Wahl gelassen. Diese Übersetzung kann unter anderem leicht geprüft werden an einem sehr entscheidenden Satz aus dem Jahr 1814: „Ich hatte mir bei der Reise, deren Beschreibung ich nun folgen lasse, ein doppeltes Ziel gesetzt. Ich wollte die besuchten Länder kennenlernen, und ich wollte Tatsachen zur Erweiterung einer Wissenschaft sammeln, die noch kaum skizziert und ziemlich unbestimmt Physik der Erde, Theorie der Erde oder Physikalische Geographie genannt wird. Von diesen Zwecken schien mir der zweite der wichtigste zu sein. Ich liebte die Botanik und einige Teile der Zoologie mit Leidenschaft. Ich durfte mir schmeicheln, daß unsere Forschungen die bereits beschriebenen Arten um einige neu vermehren würden. Da ich aber die Verbindung längst beobachteter (Tatsachen) der Kenntnis isolierter, wenn auch neuer Tatsachen von jeher vorgezogen hatte, schien mir die Entdeckung eines unbekannten Geschlechtes weit minder wichtig als eine Beobachtung über die geographischen Verhältnisse der Vegetabilien, über die Wanderungen der geselligen Pflanzen und über die Höhenlinien, zu der sich die verschiedenen Arten derselben gegen den Gipfel der Kordilleren erheben. “13

Vergleichen wir jetzt mit der Äußerung von 1793, so sehen wir, daß die Synonymsetzung mit théorie de la terre und géographie physique (Theorie der Erde und Physikalische Geographie) auch nicht die Spur eines Beweises hergibt, um physique du monde, da sie als Physik der Erde rein irdisch bezogen ist, als Quellpunkt der „Kosmos-Idee anzusehen.

Geht man chronologisch in Humboldts Leben von Stufe zu Stufe, so ist die Konsequenz dieser Aussage jederzeit beweisbar; allerdings hat Humboldt selbstverständlich aus der Rückschau, als er seinen ›Kosmos‹ bearbeitete, diesen auf die Anfänge seiner Physikalischen Geographie zurückführen können, was allein deshalb möglich war, da dieses Werk ohnehin zum größeren Teil aus einer Physikalischen Geographie bestehen sollte. Geographen wie Moritz Wagner und Oskar Peschel, die Humboldt noch persönlich kannten, haben den ›Kosmos‹ überhaupt als Physikalische Geographie bezeichnet, was allerdings den erheblichen astronomischen Teil viel zu sehr minimiert; gerade er rechtfertigte doch erst den Buchtitel ›Kosmos‹, der für „Himmel und Erde“ stehen sollte.

Bei allem sollte nicht übersehen werden, daß die Vorlesungen, denen das Werk entsprungen ist, noch ausschließlich der „Physikalischen Geographie“ gewidmet waren; auch der von Humboldt gleichzeitig 1827/28 konzipierte dreidimensionale ›Physikalische Atlas‹, der das Werk begleiten sollte, dann aber aus äußeren Gründen in einem anderen Verlag erscheinen mußte, erweist bis heute noch die erwähnte eindeutige irdische Bindung. Interessanterweise hat diese Lücke Traugott Bromme ausgenützt, indem er nun einen ›Atlas zu Alex. v. Humboldt’s Kosmos‹ herausbrachte, der im Obertitel durchaus richtig ›Atlas zur Physik der Welt‹ hieß und folgerichtig auch die Astronomie einschloß14. Es zeigte sich, daß die Erweiterung zu „Himmel und Erde“ erst sehr spät, ab 1834, von Humboldt geplant wurde. Etwa die Hälfte des zweiten Bandes des ›Physikalischen Atlasses‹ nimmt die Behandlung des Menschen ein – auch dies ein klarer Beweis für das oben Gesagte.

Um den ›Kosmos‹ zu schreiben, hat Humboldt demnach Astronomie und Physikalische Geographie verbunden. In der Astronomie hatte er während der Vorbereitung seiner Reise Kenntnisse erworben, um Längen und Breiten bestimmen zu können. Er hat dann seit 1805 gewiß an spezielleren astronomischen Kenntnissen zugenommen; doch trotz dieses wachsenden Interesses wird er in jeder Geschichte der Astronomie Randfigur bleiben. Unbestritten ist seine Größe nur in der von ihm im Ausgang des 18. Jahrhunderts konzipierten Physikalischen Geographie, mit der seine kartographische Leistung und sein Erfolg als Forschungsreisender zusammengehört.

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