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Kurzer Blick auf Humboldts physikalisch-geographische Leistung

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In den bisherigen Ausführungen ging es wie in den folgenden lediglich um eine allgemeine Skizze, um einen Überblick, der dem Leser zunächst die Orientierung erlauben soll, ehe er an die Problematik der sieben Einzelbände dieser Studienausgabe herantritt. Es wird daher ein Problemfundament geboten, das die Einzelbände in ihren Kommentaren erweitern werden.

Da die Geschichte des geographischen Denkens Schwierigkeiten birgt, werden die bisher erzielten Resultate nochmals unter Vernachlässigung der Einzelheiten dargeboten, so wie es Rilke meinte, „ganz klein zusammengefaltet“, „wie ein italienisches Seidentuch in einer Nußschale“, um das Verständnis zu erleichtern.

Die Geographie war seit den Zeiten Herodots eine Wissenschaft von den in ihren irdisch-räumlichen Verhältnissen lebenden und wirkenden Menschen. Es entspräche einer rein gefühlsmäßigen Umdeutung, wenn aus der Rückschau der Jahre 1869 bis 1969 diskussionslos gemeint würde, die Natur sei je vormals in der Geographie die Hauptsache gewesen. Die Physis konnte zunächst infolge des allgemeinen Zustandes der Wissenschaften nur eine sehr generelle Qualität beanspruchen, und ihre Auffassung war oft sehr spekulativ. „Natur“ in diesem allgemeinen Sinn fehlte weder bei Herodot, Strabo, Pomponius Mela oder bei irgendeinem der folgenden Geographen.

Seit den frühen Landesaufnahmen des 16. und seit den Akademiegründungen des 17. Jahrhunderts gab es erste sinnvolle Messungen in der Geographie, die im 18. Jahrhundert von keinem mehr als Humboldt gekrönt wurden. Keine Forschungsreise war in dieser Beziehung vorbildlicher und keiner hatte überhaupt bis dahin aufgrund vorzüglicher Instrumentierung so sehr Natur in der Geographie als Forschungsgegenstand ermöglicht wie er.

Hinzu kam die Methodologie, die er zeitlebens bewahrte, die besonders verwirklichte lange spezielle Vorbereitungszeit von sechs Jahren und die darauf beruhende Ausführung und Auswertung einer Forschungsreise, die in seiner größten wissenschaftlichen Leistung, dem amerikanischen (später auch dem asiatischen) Reisewerk, ausmündete.

Er hat im amerikanischen Reisewerk nicht nur die Geographie der Pflanzen, die moderne Landeskunde am Beispiel Mexikos und Kubas begründet, sondern war auch der erste Beobachter der Pflanzensukzession, der erste, der wirkliche ökologische Zusammenhänge in den Tropen exakter als je zuvor darstellte und in seinem großartigen ›Naturgemälde der Tropenländer‹ das Ensemble der Hauptresultate seiner Forschungsreise bot; ebenso hat auch er erstmals ein Land sozialgeographisch gegliedert16. Doch sollen hier nicht die allerdings nachweisbaren Verdienste, die sich aus den Einzelkommentaren der Einzelbände dieser Studienausgabe ergeben, aufgereiht werden, vielmehr soll vor allem der Zusammenhang seines physikalisch-geographischen Denkens hervortreten.

Seine Leitidee hieß Physikalische Geographie; diesen Ausdruck des 18. Jahrhunderts können wir mühelos überall da einsetzen, wo A. v. Humboldt sonst noch einmal die in seinem Sinn ohnehin gleichbedeutenden Termini „Physik der Erde“, „Theorie der Erde“ und seltener auch gelegentlich „philosophische Erdkunde“ verwendet hat. Physikalische Geographie schloß die bekannten Geofaktoren (Morphographie, teilweise auch schon Morphologie; Klimatologie; Hydrographie; Pflanzen- und Tiergeographie) ein sowie zeitgenössisch und aus dem Geist des 18. Jahrhunderts heraus verständlich allerdings auch Erdmagnetismus, Geologisches und, nicht zuletzt, den Menschen.

„Tableau physique“ (wörtlich Naturbild) übersetzte Humboldt als „Naturgemälde“. In seinem berühmtesten Gesamtentwurf, den wir schon erwähnten, hat er die Höhe menschlicher Siedlungen ebenso berücksichtigt wie die Erscheinungen der Bodenkultur, und er bezeichnete z.B. die im übrigen sehr interessante Schilderung eines Indianerstammes ebenfalls als „Tableau physique“, d.h. Naturgemälde. Das bedeutet allerdings die Zugehörigkeit des Menschen zu dieser Physikalischen Geographie (= Naturgeographie), ganz abgesehen davon, daß ohne ihn die klassischen Leistungen in der Landeskunde nicht denkbar wären, während der heutige Geograph damit nur noch die Behandlung der Natur selbst meint. Dieser weite Begriff ist Erbe des 18. Jahrhunderts.

Hieß das Leitmotiv «physique du monde» oder, um den Ausdruck zu wählen, den Humboldt an seiner Stelle schließlich häufiger und aus der Zeit heraus am verständlichsten gebrauchte, nämlich Physische Geographie, so lag es nahe, daß er seine wissenschaftliche Arbeit gern mit einem Werk gleichen Namens beschlossen hätte.

Als er diesen Plan in schon hohem Alter anging und erneut bedachte, erwies sich der Aspekt als sehr vielseitig und schwierig. Eine aktive Forschungsleistung, wie sie das amerikanische und asiatische Reisewerk, Humboldts bedeutendste wissenschaftliche Leistungen, offenbarten, war nicht mehr zu bewältigen. So wurde die Aufgabe zwar schließlich, sehr spät, äußerlich erweitert durch einen astronomischen Teil, das Ganze aber verwandelt zu einem Alterswerk, dem Buch eines weisen Betrachters, eben zum ›Kosmos‹.

Das amerikanische und das asiatische Reisewerk waren seine physikalisch-geographisch tiefsten Werke, die ›Ansichten der Natur‹ sein volkstümlichstes, der ›Kosmos‹ wurde sein bekanntestes Werk.

In merkwürdiger und geographiegeschichtlich verfehlter Einseitigkeit ist Humboldts Leistung später oft auf „vergleichende Erdkunde“ reduziert worden, so im Werk des Literarhistorikers Wilhelm Scherer und in zahlreichen vergleichbaren Büchern und Lexika. Vieles dieser zur Leerformel erstarrten Behauptung, die zudem nie tiefer begründet oder gar diskutiert wurde, entspricht zunächst einem selbstverständlichen, jedem normalem Denken zugrunde liegenden Vergleichen. So hat z.B. praktisch jeder Reisende, sobald er von seiner Heimat aufbricht, „das Fremde“ aus einem Vergleich mit dem ihm Vertrauten ermittelt. Selten ist ein solcher Vergleich länger ausgeführt worden, oft dagegen bestimmte der gar nicht genannte Vergleich dieser Art die Herkunft eurozentrischer Vorurteile oder den mangelnden Willen, das „Fremde“ überhaupt verstehen zu wollen.

Diese Beschreibungsebene wird verlassen in den seit dem 16. Jahrhundert üblichen, bewußt angesetzten Vergleichen europäischer Reisender, die Vorurteilen ihres Kulturkreises widersprechen wollten; auch Humboldt verfährt so.

Sein Lebenswerk wurde darüber hinaus von zwei anderen, bewußten Versuchen mitbestimmt, dem Vergleich der Neuen und der Alten Welt, der z.B. erstmals die Ähnlichkeit der geologischen Struktur erwies und in den Tropen Amerikas zahlreiche in Europa unbekannte Pflanzen ermittelte. Außerdem plante Humboldt schon während der Südamerikareise den Vergleich von Anden und Himalaya, ein Vorhaben, das ihm umfangreiche Vorbereitungen abverlangte. Dazu war er sich bewußt, daß jeder exakte Meßpunkt künftig eine Marke sein werde, an der sich Veränderungen ablesen ließen durch den Vergleich mit späteren Zuständen. Diese wissenschaftlicher Erkenntnis dienenden Vergleiche sind zweifellos Leistungen, und dieses wissenschaftliche Niveau hatte auch Friedrich Engels im Auge, als er in seiner ›Dialektik der Natur‹ das vergleichende Element anführte, das eine Bresche in die konservative Naturanschauung geschlagen habe und sich dabei mit Recht auf Humboldt berief17.

Demgegenüber ist offensichtlich Humboldts Leistung für die Geologie einzuschränken. Wohl war er hier noch um einen Überblick bemüht, der allerdings, wenn er etwa ganz Südamerika überfliegen wollte, oft die von ihm ansonsten eingehaltene empirische Grundlage verließ. Sehr wesentliche Erkenntnisse sind ihm nicht möglich gewesen. Einzelne Versuche deuten darauf hin, daß er tiefer in die geologische Struktur hineinblicken wollte. Demgegenüber zeigen ihn seine klassischen Landeskunden und seine sonstigen Forschungen als großartigen Entschleierer der „physischen Constitution“ der Erdoberfläche, und mit Recht bezeichnete er in diesem Bereich den Wert exakter Formenfeststellung durch Morphographie (= Formenbeschreibung); auch heutige Geomorphologen, welche die Morphodynamik gegenwärtiger Prozesse untersuchen wollen, sind wieder zu einer ähnlichen Wertschätzung gelangt. Humboldt wie Ritter haben jedenfalls auf dieser Grundlage zu einem hohen Reliefbewußtsein der Geographie in Deutschland beigetragen. Aus dieser Einstellung erklären sich z.B. zwei klassische Leistungen, deren Bedeutung Humboldt selbst mehrfach betonte: in Spanien 1799 und Mexiko 1803 die jeweils erste Profilierung eines europäischen beziehungsweise eines außereuropäischen Landes. Überhaupt hat er damals wie kein anderer die Bedeutung der dritten Dimension (der Höhe) in der Kartographie, auch den Wert großmaßstäbiger Karten betont. Die kartographische Arbeit Humboldts wird merkwürdigerweise bis heute unterschätzt und z.B. in einer Darstellung eines ansonsten kenntnisreichen Autors völlig übersehen. Jedenfalls verdanken wir Humboldt z.B. wichtige physikalisch-geographische Problem-Atlanten und den ersten Physikalischen Weltatlas überhaupt.

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