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Zur Problemorientierung

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Alexander v. Humboldt1 war der größte Geograph der Neuzeit, ihr anregendster thematischer Kartograph und unbestritten auch ihr maßgebender Forschungsreisender. Diese heute sichere Argumentationsbasis bedeutet einen erheblichen Fortschritt.

Gewiß hat Humboldt vor allem bis 1799 in anderen Wissenschaften, z.B. der Mathematik, der Biologie, der Chemie, der Medizin oder der Astronomie, gearbeitet, in letzterer seit 1805 sogar verstärkt. Größere Bedeutung hat ihm in diesen Bereichen kein Wissenschaftshistoriker bescheinigen können. Immerhin ist er, bedenkt man dieses insgesamt nicht geringe Engagement, im allgemein hergebrachten Sinn auch ein Naturforscher gewesen; das ist nie bestritten worden. Andererseits wäre die alleinige Bezeichnung „Naturforscher“ zu allgemein und in gewissem Sinn bei gezieltem alleinigen Gebrauch entweder Erkenntnismangel oder gar bewußte Erkenntnisunterdrückung. „Naturforscher und Humanist“ dagegen ist mehr ein ideologischer als wissenschaftlicher Prägestempel; eine übrigens erst im 19. Jahrhundert üblich gewordene und sinnvolle Epochenbezeichnung will in diesem Zusammenhang nicht klingen, weil zu viele dieser von Ideologen zu „Humanisten“ beförderten Persönlichkeiten keinen humanitären Charakter besaßen, sondern Menschenhasser, ja Menschenverächter waren. Dagegen war Humboldt ein Mann besonders aktiver Humanität, ein Vorbild in „aggressiver Güte“, wie gesagt werden konnte.

In ersten zaghaften Andeutungen wollen zwei Gelehrte in Humboldt einen Philosophen erkennen. Einem gewiß kenntnisreichen Autor genügte jüngst gar schon der Hinweis auf den Begriff des Zusammenhanges in einem Werk, um derartige Vermutungen zu bestärken. Abgesehen davon, daß in dieser Frage Humboldt selbst gehört werden sollte2, ist sicher zu erwarten, daß solche durchaus begrüßenswerten Denkansätze die Entdeckung von Humboldts Physikalischer Geographie auf philosophischen Umwegen wiederholen werden.

Selbst auf dem Gebiet der Geologie hat sich schon im 18. Jahrhundert Widerspruch gegen Humboldts Erkenntnisse erhoben. Gewiß hat er in diesem Bereich Verdienste, dennoch hat er nie die Statur Sir Charles Lyells oder Arnold Escher von der Linths erreicht. Die teilweise heftigen Einwände gegen seine geologischen Ansichten bis in die jüngste Zeit hinein sind jedenfalls berechtigt.

Mit charmanter, aber durchaus fehlgehender Fragestellung klagte kürzlich ein bekannter Historiker in der Tiefe eines vorzüglichen Werkes, Humboldt sei nicht nur Geograph gewesen3. Wer hat denn solches nur je behauptet?

Humboldt war Naturforscher?

Wohl die meisten verstehen diesen Ausdruck in seiner heutigen Geltung. Gerade sie könnten übersehen, daß er auch Historiker, Wissenschaftshistoriker, gewiß auch schon Sozialgeograph und vor allem breit am Menschen und seinen räumlichen Verhältnissen interessiert war – wie denn überhaupt der Begriff der Natur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch mehr umfaßte als heute. Dieses Problem der Natur im zeitgenössischen Sinn führt uns jedenfalls zum Kern des wissenschaftlichen Wollens und Könnens A. v. Humboldts.

Wer sich im 18. Jahrhundert mit der Natur beschäftigte, dachte nicht ausschließlich an die Physis (= Natur) wie wir heute, sondern rechnete ihr noch den Menschen zu.

Indem Humboldt seine ›Physische oder Physikalische Geographie‹ instrumentierte, und zwar in einem Ausmaß, das die gesamte vorangegangene Zeit nicht kannte, wurde er auch der Natur in einem bisher nicht bekannten Umfang habhaft. Er bezog so viel Natur in die Geographie ein wie keiner vor ihm, ohne ebenso wie vor ihm Johann Reinhold und Georg Forster, wie Johann Gottfried Herder, wie Jean-Louis Giraud und Immanuel Kant deshalb den Menschen aus dem Auge zu lassen; denn ohne den Menschen wäre allen eine Naturbetrachtung oder -forschung sinnlos erschienen. Es wurden dabei nicht nur die Rassen in die Behandlung einer Physikalischen Geographie (wörtlich: Naturgeographie) eingeschlossen. Die Lösungen waren verschieden: Kant behandelte in seiner 47mal wiederholten Vorlesung über Physische Geographie durchaus noch den Menschen, ja er schloß zur Abrundung eine „Anthropologie“ an dieses Kolleg an. Wer genauer hinsieht und auch den Entwurf zu diesem Kolleg heranzieht, wird klare Grenzen nicht finden. Jean-Louis Giraud dagegen hat den Menschen bewußt eingeschlossen, und der ältere Forster räumte gar in seiner Physikalischen Geographie der zweiten Cookschen Weltumsegelung dem Menschen zwei Drittel seines genialen Textes ein4; er eröffnete ihn mit dem ohnehin allen bekannten Satz Alexander Popes: “The proper study of mankind is man.” Carl Ritter, dessen gewaltiges Werk ›Erdkunde‹ noch immer Physikalische Geographie gewesen ist und zunächst von diesem Begriff ausging, darf mit vollem Recht hier angeführt werden5.

So spitzt sich damit auch hier das Problem auf die Frage der Physikalischen Geographie Humboldts zu. Dieses Problem muß der Leser nun zu verstehen suchen.

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