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Kapitel 2

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Die Koffer waren gepackt, die kleine Wohnung sah so aus, als müsse man sich nicht schämen, wenn aus irgendeinem Grund jemand anderer als man selbst die Tür aufschließen würde, und mit einem leisen ‚Pause!‘ legte sie das Spielzeug in den Korb, den sie morgen Kai und Silke übergeben würde. Mit ihrem Hund.

Sie atmete tief durch.

Nobbi schaute sie aufmerksam an. Sicher spürte er, dass etwas im Busch war, aber heute Abend würde es keine Rolle spielen. Ihren letzten Abend wollte sie nicht mit Trübsal und Reisefieber verschwenden, sondern die Nähe ihres Hundes genießen.

Sie zog sich ihre dicke Winterjacke und Nobbi das Hundegeschirr über und verließ die Wohnung.

Im Wald war es nicht so dunkel wie befürchtet, durch den Regen aber auch nicht so hell wie erhofft. „Beschwer dich bei Tief ‚Dagmar‘“, riet sie ihrem Hund, als dieser sich fast vorwurfsvoll immer wieder umsah. Sie freute sich auf die Bewegung.

Ihre Standardstrecke führte sie einmal um den Berg und ihre Gedanken einmal durch das letzte Jahr. Huberts Unfall, die Beerdigung, dann der Schock bei der Testamentseröffnung und die Zwangsversteigerung des Hauses, alles schien so weit weg und doch so nah, dass sie unwillkürlich schneller wurde, als könne sie den Erinnerungen davonlaufen.

Nur mit Mühe und Not hatte sie, unter Aufbietung aller Energiereserven, den Abgabetermin für ihr Buch einhalten können, eine verbitterte Abrechnung mit all den verlogenen Geschichten über Liebe, Glück und Happy-End, wie sie im Leben, davon war sie inzwischen überzeugt, nicht vorkamen. Der Verlag war winzig, die Auflage klein, der wirtschaftliche Erfolg eher unbedeutend. Aber das interessierte Huberts Gläubiger nicht. Sie lauerten und würden sie im Auge behalten, vermutlich den Rest ihres Lebens.

Dann das Angebot von Heike, eine ihrer Reisegruppen zu übernehmen. Vierzehn Tage Thailand, über Weihnachten und Neujahr, mit Rundreisen und viel Strand und Sonne.

Claudia blieb stehen und ließ Nobbi in Ruhe schnüffeln. Sie hatten die Runde fast geschafft. Da Kai und Silke in der Nähe wohnten, würden sie mit ihm dieselben Runden drehen. Mit etwas Glück würde er ihre Abwesenheit gar nicht richtig zur Kenntnis nehmen. Dasselbe Futter, der alte Hundekorb, sein Spielzeug, Freunde, die er seit Welpentagen kannte und vor allem dasselbe Revier.

Sie musste schmunzeln. Blödsinn, natürlich würde er sie vermissen, dafür waren sie einfach zu eng verbunden, sie beide. Sie waren ein Team, ein Traumteam, und einer konnte ohne den anderen nicht glücklich werden, da war sie sich sicher. Sonst hätte sie sich die Mühe mit seiner ‚Gebrauchsanweisung‘ ja nicht gemacht.

Gestern Nacht war sie damit erst fertig geworden. Ihren Kursteilnehmern riet sie, sich kurz zu fassen, wenn es um den Hund ging. Wenn niemand die liebevoll zusammengetragenen Tipps und Infos lesen wollte, dann stünde ihr Tier im Ernstfall nicht nur alleine in der Welt, sondern auch vor dem reinsten Kommunikations-Scherbenhaufen.

Das Format des Hunde-Büchleins war vorgegeben, es musste in den Impfausweis passen und sollte den Hund durchs Leben begleiten wie die Dokumentation seiner Krankengeschichte. Nur so konnte gewährleistet werden, dass er nicht bei jeder Umstellung, bei jedem neuen Besitzer – so tragische Fälle gab es ja schließlich – bei null anfangen musste. Claudia kannte Fälle, in denen man im Tierheim nicht einmal sicher war, wie ein Hund hieß, geschweige denn was er liebte und fürchtete. Und dann war es mit ihr durchgegangen. Um am Ende im Format zu bleiben, hatte sie den Text mit einer 6-Punkt-Schrift ausdrucken müssen. Eine Schriftgröße, die nur die Fittesten ohne Lupe lesen konnten.

Sie musste lächeln. Kai und Silke hatten gemeckert, als sie ihnen von dem kleinen Nobbi-Ratgeber erzählt hatte.

„Halloooo?“, hatte Silke mit hochgezogenen Augenbrauen gefragt. „Das könnte genauso gut unser Hund sein, so oft war er inzwischen hier! Wenn Kai nicht die Allergie hätte, würden wir ihn auch öfter nehmen.“

Kai war für Claudia ein Held. Er nahm zwei Wochen triefende Augen in Kauf, nur um seiner Frau und der Witwe seines besten Freundes einen Gefallen zu tun. Wahrscheinlich hatte er Angst, sie könnte in die längst überfällige Depression fallen, wenn zusätzlich zu all dem Theater des letzten Jahres nun auch die Unterbringung des Hundes zum Problem geworden wäre.

Heike hatte ihnen allen versichert, dass dies ganz sicher die einzige Reise wäre, bei der sie Claudias Hilfe benötigen würde. Ganz sicher! Claudia wusste, dass bei ihrer Chaosfreundin gar nichts sicher war, und im Stillen hoffte sie, dass wenigstens die Bezahlung reibungslos funktionieren würde. Sie brauchte das Geld so dringend!

Als sie die Wohnungstür aufschloss, murmelte sie „Warte!“ und hob den Finger. Nobbi rührte sich nicht von der Stelle, bis sie ihm grinsend ein Handtuch über den Körper gelegt hatte. Dann rubbelte sie ihn trocken und flüsterte „Das magst du, das Kuschelmuschel, nicht wahr, du guter Hund?“ Wie zur Bestätigung schloss ihr Vierbeiner die Augen und schmiegte den feuchten Kopf in das Handtuch, damit ihre Hände darin auch ganz sicher keine Stelle vergessen würden.

Dann fragte sie ihn „Hast du Hunger?“, und er raste ihr voraus in die Küche. Sie füllte seinen Napf mit Trockenfutter, ließ kaltes Wasser darüber laufen und hielt einen Zeigefinger hoch, den Nobbi aufmerksam beobachtete. Erst als sie ihn senkte, stürzte er sich auf das Futter und Claudia begann, für sich selbst zu sorgen.

Als sie sich einige Stunden später ins Bett legte und mit Kissen und Decke an die Wand rutschte, stieg der junge Rüde vorsichtig auf die Matratze, rollte sich neben ihrem Kopf zusammen und atmete tief aus.

Ihm war es vollkommen egal, warum die Koffer im Flur standen. Claudia lag neben ihm. Alles war gut.

Nenn mich Norbert - Ein Norbert-Roman

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